Nr. 23 - 1941 |
March, 1st |
Sozialistische Mitteilungen News for German Socialists in England | |
This newsletter is published for the information of Social Democratic |
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Kürzlich wurde im englischen Unterhaus die Antwort bekanntgegeben, die Churchill dem japanischen Ministerpräsidenten auf dessen Angebot einer Vermittlung im Weltkonflikt gegeben hat:[1] Churchill liess ihn wissen, dass es sich in diesem Kriege nicht um Territorien oder andere materielle Dinge handle, über die man verhandeln könne, sondern um die Zukunft der Menschheit. Das englische Unterhaus hat diesen Satz mit Begeisterung aufgenommen. Und alle von den Diktaturen unterdrückten Völker, alle von ihnen Gefolterten und Vertriebenen, alle um die Freiheit der Welt Besorgten, wo immer sie auch sind, haben Churchills Antwort mit Genugtuung aufgenommen.
Es naht die Zeit neuer Frühjahrsoffensiven. Im Balkan ziehen sich Gewitterwolken zusammen, nachdem die Nazi-Armee sich in Rumänien festgesetzt hat und, wie es scheint, in Bulgarien eingedrungen ist, von wo ein Angriff auf Griechenland droht, der auch das Ende der türkischen Neutralität erfordern würde. Im Fernen Osten scheint Japan, trotz aller Friedensversicherungen und Vermittlungsangebote, den Eintritt in den Krieg an der Seite der Achse vorzubereiten, und Hitler dürfte hoffen, dass damit Amerika von Europa abgelenkt und Australien in eine Verteidigungsstellung gedrängt werden könnte, die es ihm unmöglich machen wird, weitere Truppen auf den Kriegsschauplatz im Nahen Osten zu werfen, wo die Australier so denkwürdigen Anteil an den Erfolgen über die Italiener hatten. In diesem Augenblick, in dem es klar wird, dass der Krieg sich nicht auf Europa und Afrika beschränken wird, dass er in Kürze alle fünf Erdteile ergreifen wird, war es gut, daran zu erinnern, worum es geht. Es geht um die Zukunft der Menschheit, und es ist ein Weltkrieg, in dem sie entschieden werden soll.
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Noch immer gibt es manche, die glauben, dass dies ein Krieg für oder gegen einzelne Nationen oder ein Krieg um Länder und Kolonien ist. Sie sind im Irrtum. Weit mehr steht auf dem Spiele: Es ist ein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie, und die militärischen Erfolge der Diktatur im ersten Jahr des Krieges werden auf die Dauer dadurch aufgewogen werden, dass die Demokratie Verbündete in den von den Diktaturen beherrscht[en] Ländern finden wird.
Der Zusammenbruch der italienischen Armee in Libyen, der zum Verlust von Bengasi und zum Rückzug auf Tripolis geführt hat, die kritische Lage in Albanien und in Somaliland, dessen Hauptstadt Mogadischu verloren ging, die schweren italienischen Niederlagen in Abessinien zeigen die innere Schwäche des Staates, der die Wiege des Faschismus war. Und es wird sich erweisen, wie stark Japan, der Staat, der den ersten Krieg gegen den Völkerbund[2] führte und damit die Serie der diktatorischen Angriffskriege einleitete, nach 5 Jahren Krieg in China ist.
Humanität war es sicher nicht, was Japans Regierung zu ihrem Vermittlungsmanöver veranlasste, genauso wenig wie Mussolinis Unterredung mit Franco[3], die vermutlich auch ein Friedensfühler war, ein Zeichen edler Gesinnung war. Alles Prahlen Hitlers mit seinen Verbündeten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Bundesgenossen schwächer sind als die möglichen Verbündeten, mit denen die Demokratie in ihrem weiteren Kampfe rechnen kann.
Zweifellos wird der Kampf schwer und opferreich sein. Hitler hat verkündet, dass er Englands Schiffahrt mit aller Brutalität des U-Boot- und Luftkrieges bekämpfen werde, und er wird nichts unversucht lassen, um seine Drohung wahrzumachen und um die Zufuhr von Amerika zu stören, von der Englands weiteres Schicksal entscheidend abhängt. Der kürzlich aus [den] USA heimgekehrte Generalsekretär der britischen Gewerkschaften, Sir Walter Citrine, hat erklärt, es sei kein Zweifel daran, dass Amerika wirksam helfen werde, aber es werde bis zum September dauern, bevor sich diese Hilfe entscheidend geltend machen werde.
England wird also noch ein halbes Jahr um jeden Preis standhalten müssen - gegen die Invasionsgefahr, gegen U-Boot- und Luftangriffe, gegen mögliche Gasattacken, Zersetzungsversuche und Umgebungsmanöver auf dem Wege über Irland. Es wird mit dem Bewusstsein standhalten, dass es nicht nur sich selbst, sondern die Zukunft der Menschheit verteidigt. Vor 8 Monaten schien es, als
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stände England allein. Heute ist klar, dass der Krieg um den Erdball geht. Ob die Frühjahrsoffensive im Balkan, im Fernen Osten oder in der Nordsee beginnt, es geht um ein und dasselbe Ziel. Die Niederlagen der Italiener in Afrika und Albanien und die Erfolge der britischen Luftangriffe auf die Nazi-Kriegshäfen am Kanal haben bewiesen, dass die Mächte der Gewalt nicht unbesiegbar sind, und die weiteren Ereignisse werden zeigen, welche dieser Mächte als erste wird weichen müssen.
Breitscheid und Hilferding ausgeliefert?
Wie wir erfahren, sind Rud. Breitscheid[4] und Dr. Rud. Hilferding, die seit einiger Zeit von der französischen Polizei in Südfrankreich verhaftet waren, nach Paris überführt worden, sodass zu befürchten ist, dass sie an die Nazis ausgeliefert werden sollen.
Deutsche Tageszeitung in London?
Mit Unterstützung des Londoner Hochkommissars für Indien, Sir Firoz Khan Noon[5], und mit Billigung des Informationsministeriums wird demnächst eine deutsche Tageszeitung in London erscheinen, deren Herausgeber J. H. Lothar[6] und Uhlig[7], zwei frühere Verlagsangestellte der "Frankfurter Zeitung"[8] sind und deren Chefredakteur der durch seine beiden - sich zum Teil widersprechenden - Bücher über Deutschland bekannt gewordene Sebastian Haffner ist[9]. Wie der "Evening Standard" berichtete, soll die Zeitung "unabhängig von politischen Parteien unter den deutschen Emigranten und Flüchtlingen" sein.
Solidaritätsaktion der Labour Party für Flüchtlinge
Die Frauenorganisation der LP beabsichtigt, den deutschen und österreichischen Genossen im Pionier Corps Liebesgabenpakete zu senden. Wir haben bereits die uns bekannten Namen und Dienstadressen weitergeleitet, erbitten aber zur Ueberprüfung um Einsendung von Adressen an Room 62, Bloomsbury House, Bloomsbury Street, WC1.
Ueber eine am 1. März vom National Executive Committee der Labour Party veranstaltete Reception für ihre Freunde der Internationale, wird in der englischen Beilage unserer vorliegenden SM berichtet.
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Ursachen des französischen Zusammenbruchs
In den letzten Wochen sind mehrere Bücher über die französische Katastrophe erschienen: Der bekannte französische Schriftsteller André Maurois hat in Amerika das Buch "Why France fell" (Warum Frankreich zusammenbrach)[10] veröffentlicht, der frühere Redakteur des "Petit Parisien", Elie J. Bois, der jetzt in London ist, hat das Buch "Truth on the Tragedy of France" (Die Wahrheit über Frankreichs Tragödie)[11] geschrieben, das der "Daily Herald" auszugsweise als Artikelserie hat erscheinen lassen, ein bekannter österreichischer Sozialdemokrat, der in Paris lebte, hat im Verlage Gollancz unter dem Namen Oskar Paul und unter dem Titel "Farewell France" (Abschied von Frankreich)[12] eine kritische Studie über den Zusammenbruch der französischen Republik veröffentlicht, und von Louis Lévy, früher Redakteur der sozialistischen Pariser Tageszeitung "Populaire", ist in der Reihe der Penguin-Bücher die Schrift "The Truth about France" (Die Wahrheit über Frankreich) erschienen.[13]
Während André Maurois die Ursachen des Zusammenbruchs vor allem in der militärischen Niederlage sieht und Elie Bois das politische Intrigenspiel der verantwortlichen Persönlichkeiten dramatisch beschreibt, das zur Kapitulation führte, versuchen die beiden sozialistischen Autoren den Zusammenbruch aus der politischen Situation zu erklären, in der sich die französische Republik am Beginn des Krieges befand.
Maurois vertritt die Ansicht, dass die französische Armee ungenügend für den Krieg vorbereitet war und dass insbesondere die Hilfe, die ihr von England zuteil wurde, völlig unzureichend war. Elie Bois weist auf die Machenschaften von Laval und Baudouin[14] und auf die Rivalität zwischen Daladier und Reynaud hin, die, von ehrgeizigen Mätressen gefördert, erst den Generalstab beeinflusste und dann auch die politischen Entscheidungen beeinflusste, als in den kritischen Stunden Weygand und der greise Pétain den Glauben an die Möglichkeit weiteren Widerstandes verloren hatten.
Oskar Paul dringt mit sozialer Analyse tiefer zu den Ursachen des Zusammenbruches vor. "Frankreich hat diesen Krieg verloren, weil die das Land führende Rentnerschicht mehr den Verlust ihrer Privilegien befürchtet hat als den Verlust ihres Landes. Er versucht, das Handeln der poli
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tischen Persönlichkeiten aus ihrer Abhängigkeit von der Ideologie und den Interessen der führenden Rentnerschicht oder - wie im Falle Léon Blum - aus ihrer Gegnerschaft gegen sie zu erklären. Die Angst vor dieser Gegnerschaft, vor der Entfesselung der Massenkräfte, vor der sozialen Revolution war, nach Oskar Paul, das Hauptmotiv der Defätisten in den bürgerlichen Parteien und Schichten Frankreichs und auch in den Kreisen der führenden Militärs. Oskar Paul schweigt nicht über die Fehler der französischen Arbeiterbewegung, über die verhängnisvolle Rolle der Kommunisten und über die Uneinigkeit der Sozialisten, die nach dem Scheitern der Volksfrontregierung und nach München die Partei immer mehr schwächte, ihr Gewicht gegenüber den Reaktionären aller Grade verringerte und ihre Fähigkeit, die Massen zu führen, lähmte. Von den Massen des französischen Volkes wird das weitere Schicksal Frankreichs abhängen, und deshalb betont Oskar Paul die Notwendigkeit, den Faschismus nicht nur militärisch, sondern auch ideologisch zu bekämpfen und den Krieg nicht nur für die Erhaltung der Menschenrechte, sondern für die Sicherung und Erweiterung zu führen.
In der sozialistischen Grundhaltung ist Lévy mit Oskar Paul einig. Louis Lévy, der in Frankreich als Kriegsberichterstatter tätig war und als Politiker eine genaue Kenntnis der handelnden Personen der französischen Tragödie besitzt, versucht, die Vorgeschichte und die Ursachen des Zusammenbruches mit äusserster Objektivität darzustellen. Er stellt fest, dass die militärische Niederlage nicht von schlechter Moral der Soldaten und der Mehrzahl der Offiziere verschuldet wurde, sondern von den Fehlern eines nicht verräterischen, aber in Bürokratismus befangenen und in veralteten Methoden denkenden Generalstabes, dem Einzelne wie General de Gaulle vergeblich opponierten und dem Daladier, ein Schwächling, der den starken Mann spielte, nicht zu widerstehen wagte. Als Gamelin durch Weygand ersetzt wurde, war nach Lévys Ansicht die Lage noch zu halten, aber Weygand war, ohne Hitlers Freund zu sein, ein Anhänger des Diktaturgedankens, und seine Hauptsorge war, die Armee zur "Aufrechterhaltung der inneren Ordnung" zurückzuhalten, was zur Kapitulation führte.
Lévy weist darauf hin, wie sehr die französischen Faschisten den Boden schon seit Jahren vorbereitet hatten - er schildert die Rolle, die Bonnet[15], Baudouin und Laval schon seit der Zeit der Stavisky-Affäre[16] gespielt hatten,
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er weist auf die mindestens mussolini-, aber teilweise auch hitlerfreundliche Haltung der meisten Pariser Zeitungen hin, er zeigt, wie in der Zeit der Volksfrontregierung[17] viele bürgerliche Kreise der Rechten von dieser Propaganda angesteckt wurden, und auch er untersucht die Fehler, die der französischen Arbeiterbewegung zur Last fallen, und [...] die Sünden der Kommunisten in der Volksfrontzeit und nach dem Hitler-Stalin-Pakt.
Am verhängnisvollsten freilich hat sich nach seiner Meinung der "Individualismus" der französischen Radikalen, der stärksten bürgerlichen Linkspartei ausgewirkt, in der neben echten Anti-Faschisten Freunde Mussolinis und geschworene Feinde des Sozialismus sassen und die in Reynaud schliesslich einen Ministerpräsidenten stellte, der ein von Widersprüchen volles Kabinett bildete, das in der entscheidenden Stunde auseinanderbrach und den Faschisten die Bahn frei gab.
Nach Lévys Meinung ist die Vichy-Regierung faschist[isch] und nur gehemmt durch die oppositionelle Stimmung im französischen Volke, dem man bis heute die Bedingungen der Kapitulation verheimlicht. "In Frankreich ist eine revolutionäre Gärung am Werke, und es ist die Pflicht Grossbritanniens und seiner Verbündeten, sie zur Explosion zu bringen ... Eine neue französische Revolution ist unvermeidlich und die Frage ist nur, ob es eine demokratische oder kommunistische Revolution sein soll. Das Dilemma ist nicht zu umgehen, und die Demokratien müssen sich entschliessen; wenn sie den revolut[ionären] Kräften in Frankreich nicht helfen, werden es d[ie] Kommunisten tun."
Aenderungen im britischen Kabinett
Mitte Februar ist Malcom MacDonald[18], der Sohn des einstigen Premierministers Ramsy MacDonald (der die Labour Party 1932 verliess, um eine "National Labour Party" und mit Baldwin zusammen eine "nationale Regierung" zu bilden) vom Amte des Gesundheitsministers zurückgetreten und zum Hochkommissar für Kanada ernannt worden, was eine Debatte über die Frage der Beibehaltung seines Parlamentssitzes hervorgerufen hat. Nachfolger MacDonalds als Minister wurde Ernest Brown[19], der vorher Minister für Schottland war, in welches Amt ihm der Labour-Abgeordnete Johnston[20] gefolgt ist.
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Mr. Willkie gegen die Nazi-Tyrannei
Ein unter dem Pseudonym "Scrutator" schreibender konservativer Leitartikler der "Sunday Times" hat am 9. Februar einen Aufsatz über "Mr. Willkie[21] und die Deutschen" veröffentlicht, in dem er an die Worte des Gegenkandidaten Roosevelts bei seinem Abschied von England anknüpfte, dass er stolz auf sein deutsches Blut sei, aber die Tyrannei hasse. Scrutator schreibt: "Was ist der deutschen Nation geschehen, dass sie ihrer Grösse den Rücken gekehrt hat? Man denke an ihre berühmten Universitäten, an ihre wunderbaren Arbeiten durch Jahrhunderte, an die Frucht freier Gedanken, freier Rede, freier Forschung auf so vielen Gebieten menschlichen Fortschritts.
Seht sie euch unter Hitler an - ihre fähigsten Männer sind im Exil wegen des Verbrechens, Juden zu sein oder Demokraten, und ihre Arbeit ist degradiert zu einem leblosen Mechanismus im Dienste einer seelenmordenden Tyrannei." Scrutator sagt weiter: "Sicherlich können sich die Sieger diesmal kein neues Risiko leisten. Sie müssen Deutschland völlig entwaffnen und es nicht nur für zehn Jahre, sondern für eine Lebenszeit und länger entwaffnet halten. Aber selbst dann müssen wir wünschen und hoffen, dass die Deutschen selbst mit uns zusammenarbeiten in ihrem Uebergang von Despotie und Militarismus zu Freiheit und Friedenspolitik. Man kann nicht einfach 80 Millionen Menschen vom Laster in die Tugend stossen. Man muss ihnen nach Möglichkeit helfen, selbst die Veränderung zu wünschen. Sie müssen ihre eigene Kur bewerkstelligen. Bestimmt werden sie es niemals tun ohne moralischen Impuls von aussen her. Und es kann sein, dass, wenn die Zeit kommt, Amerika ihn besser liefern kann als wir. Denn wir werden, wenn alles in Ordnung geht, als die unmittelbaren Sieger figurieren, deren Schläge noch schmerzen, während Amerika weiter weg erscheinen wird, und seine deutschstämmigen Bürger können mit besonderer Kraft zu Deutschland sprechen."
Die Labour-Organisation von North Hammersmith, dem Wahlkreis von Mr. Pritt, dessen Ausschluss aus der Labour Party wegen seiner stalinistischen Propagandaschriften wir seinerzeit berichtet haben, hat vor einigen Wochen
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Pritt zur Niederlegung seines Mandates aufgefordert, da er das Vertrauen seiner Wähler verloren habe. Mr. Pritt hat dieses Verlangen abgelehnt und auch auf einen offenen Brief des liberalen Abendblattes "Star", in dem er aufgefordert wurde, sich einer Neuwahl in seinem Wahlkreise zu unterziehen, ablehnend geantwortet. Den letzten Anlass zum Abrücken der Wähler von Mr. Pritt gab dessen Auftreten bei einer von den Kommunisten inszenierten Kundgebung für eine "People's Convention", eine Art Volksfront im Zeichen des Hitler-Stalin-Friedens.[22]
Drei Viertel der internierten Sozialisten freigelassen
Bis Ende Februar sind mehr als drei Viertel (78%) der interniert gewesenen deutschen sozialistischen und freigewerkschaftlichen Flüchtlinge aus den Lagern entlassen worden, darunter sämtliche aus Kanada zurückgekehrten. Ein Drittel dieser Freilassungen erfolgte unter Kategorie 19, ein Sechstel aus Gesundheitsgründen, ein Achtel nach Meldung zum Pionierkorps.
Von den 47 interniert gewesenen Mitgliedern der Sandergruppe beim Czech Refugee Trust Fund sind 32 freigelassen. 15 (davon 9 in Uebersee) sind noch interniert, das sind 19% aller Gruppenmitglieder. Zum Vergleich diene, dass von der Schmidtgruppe[23] (reichs-deutsche Kommunisten) noch 39% (d.s. 58 in England und 90 in Uebersee), von der Winterberggruppe[24] (österr. Kommunisten) 39% (d.s. 17 in England und 14 in Uebersee), Wollenberggruppe[25] (Gewerkschaftler, aber nicht SPD) 25% (d.s. 7 in England und 8 in Uebersee) und von der Svitanicsgruppe (österr. Sozialdemokraten) noch 18% (d.s. 16 in England und 12 in Uebersee) interniert sind.
Da Vorbereitungen getroffen werden, Internierte zur Umschulung auf Kriegsindustrie zu entlassen, besteht die Hoffnung, dass in Kürze auch der Rest unserer Freunde, soweit sie nicht in Uebersee sind, aus der Internierung entlassen sein wird.
Der International Solidarity Fund (deutsche Abteilung) konnte im Februar wegen Mangel an Mitteln nur sh 4/- an jeden Internierten versenden. Wir appellieren an unsere Freunde, die Internierten nicht zu vergessen und die Geldsammlung fortzusetzen. Sammellisten sind in Room 62, Bloomsbury House, Bloomsbury Street, WC1, erhältlich. Dort werden auch Geldbeträge angenommen.
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Mr. Lloyd, der frühere Leiter des Occupation Department und spätere Leiter des Case Department des Czech Refugee Trust Fund, hat vor kurzem sein Amt niedergelegt.
Die Trustees haben den Beschluss gefasst, auch den in Australien internierten Flüchtlingen, die beim Trust registriert sind, ein wöchentliches Taschengeld von sh 1/6 zu bewilligen, und dieses Taschengeld soll rückwirkend für die Zeit ausgezahlt werden, welche die betreffenden Flüchtlinge bereits in der Internierung verbracht haben.
In der tschechischen Zeitschrift "Cechoslovak v Anglii"[26] ist vor einigen Wochen eine Kritik am Czech Refugee Trust Fund erschienen, in der heftig gerügt wurde, dass im Büro des Trust Fund die tschechische Sprache nicht geachtet werde und dass die tschechischen Flüchtlinge vom Trust Fund benachteiligt werden. In den "Letters to friends" ist darauf eine Erwiderung des tschechischen Gruppenleiters, des bekannten tschechoslowakischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftler Bélina erschienen, in der darauf hingewiesen wird, dass der Czech Trust Fund und sein Vorgänger, das "British Committee for Refugees from Czechoslovakia" für alle Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, nicht nur für tschechoslowakische, zu sorgen hat und dass nach dem 15. März 1939 auch für die tschechoslowakischen Flüchtlinge entsprechende Hilfe geleistet wurde, sogar noch nach dem Zusammenbruch Polens. "Viele von denen, die heute so leichtfertig Steine auf den Trust Fund werfen, verdanken seinem Vorgänger ihre Rettung." dass die während des Krieges aus Frankreich gekommenen Tschechoslowaken nicht vom Trust Fund anerkannt werden können, betrifft auch die sudetendeutschen, deutschen und österreichischen Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, die über Frankreich gekommen sind.
Im tschechoslowakischen Staatsrat hat kürzlich der Fürsorgeminister Némec[27] erklärt, dass die tschechoslowakische Regierung die Kontrolle über den Czech Trust Fund zu erhalten wünsche, dass aber die britische Regierung das bisher abgelehnt habe. Minister Némec rügte am Trust Fund die Höhe der Verwaltungskosten, die Benachteiligung der tschechoslowakischen Flüchtlinge gegenüber den sudetendeutschen, deutschen und österreichischen und die dem tschechischen Namen nicht zuträgliche Politik, die sich im Trust Fund breitmache. - Die aus der "Reitzner-Gruppe"
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(sudetendeutsche Sozialdemokraten) Ausgetretenen im Cz[ech] Trust Fund haben sich zu einer "Zinner-Gruppe" zusammengeschlossen, die 176 Mitglieder umfasst. Die Reitzner-Gruppe bleibt mit 1010 Mitgliedern die weitaus stärkste Gruppe im Trust Fund, es folgen die "Beuer-Gruppe"[28] (sudetendeutsche Kommunisten) mit 638 und die "Rehfeld[t]-Gruppe"[29] (HICEM, jüdische) mit 568 Mitgl[iedern].
Erwerbsarbeit für weibliche Ausländer
Wie uns die International Labour Branch mitteilt, können sich auch solche Ausländer, die nach Amerika auswandern wollen, an den Zweimonatskursen für Munitionsarbeit beteiligen, falls die Auswanderung nicht innerhalb weniger Wochen möglich ist. - Nach Möglichkeit werden Wünsche der Umzuschulenden bei der Wahl der Trainingszentren berücksichtigt. Es bestehen Möglichkeiten für Frauen, die in Textil- und Bekleidungsfabriken arbeiten wollen.
In allen Fällen bei der Local Labour Exchange melden!
Eine Anzahl grosser Restaurants und Cafes stellen nun auch Deutsche und Oesterreicher als Kellnerinnen an. Anmeldung bei: Hotel und Catering Labour Exchange, Denmarkstr., London, W1. Einige Labour Exchanges weigern sich noch immer, Ausländerinnen für andere als domestic jobs zu vermitteln. Wir bitten um Meldung solcher Fälle, da die Int[ernational] Labour Branch für solche Fälle ihre Hilfe zugesagt hat.
Für Radiographer, Kindergärtnerinnen, Kantinenleiterinnen, Diätköchinnen, Krankenschwestern und Krankenhaus-Trainees über 18 Jahren bestehen Arbeitsmöglichkeiten. Anfragen und Mitteilungen - auch bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz - können reichsdeutsche Freunde an Hans Gottfurcht, 26 Exeter Road, London NW2, richten.
Flüchtlingsschicksal in Briefkastennotiz
An alle Romanleser der New Yorker Volkszeitung erging kürzlich folgende Briefkastennotiz:
Von August 1936 bis Frühjahr 1937 erschien in der Neuen Volkszeitung der Roman des Dichters und Schriftstellers Robert Grötzsch "Wir suchen ein Land". Dieser Roman erschien damals auch im Buchhandel. Wahrscheinlich sind dutzende von Exemplaren dieses Buches im Besitz von Lesern unserer Zeitung.
Vor zwei Wochen ist Robert Grötzsch hier in New York angekommen. Er gehört zu den durch die Hilfsaktion
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der "German Labor Delegation in USA" Geretteten. Er floh aus Paris, als die Nazi-Armeen dort einrückten. Als aktiver sozialdemokratischer Redakteur hatte er von Hitler nichts anderes zu erwarten als KZ oder Tod. Die Flucht gelang. Er wanderte zu Fuss über die Berge. Er kam durch Spanien und Portugal nach Lissabon. Er bestieg dort ein kleines und etwas an den seligen Christoph Columbus erinnerndes Schiff. Vierzehn Tage später, etwas schneller also als einst Columbus, stieg er in [...] Staten Island wieder an Land. Er besass ein Hemd, eine Hose und ein Jackett. So ungefähr alles andere seiner irdischen Besitztümer, insbesondere Bücher und Manuskripte, hatte er bei der Flucht zurücklassen müssen. - Jetzt würde er gern wieder in den Besitz seines eigenen obengenannten Buches gelangen."
Robert Grötzsch hat ausser seinen bekannten Märchenbüchern, Novellenbänden und erfolgreichen Komödien in der Emigration in der Tschechoslowakei den Arbeitersportroman "Tormann Bobby" und das Drama "Gerechtigkeit", vierzehn Bilder aus dem Freiheitskampf, geschrieben.[30]
Wer besitzt diese Bücher und würde sie uns zur Weiterleitung an Genossen Grötzsch zur Verfügung stellen?
Inserate enthüllen Flüchtlingsleiden
Auf der Inseratenseite des in New York erscheinenden "Aufbau"[31] wird unser Blick auf 17 Traueranzeigen gelenkt, die ein weiterer Beweis für die Brutalität der Nazimethoden im Kampf gegen die Juden und ihre Gegner sind. Ueber 50.000 Flüchtlinge - davon mindestens 35.000 Juden, zum Teil solche, die aus Westdeutschland deportiert wurden - leben in den 20 Internierungslagern im unbesetzten Frankreich. Es hat Tage gegeben, an denen in diesen Camps 20-30 Selbstmordfälle vorgekommen sind. Im Lager Gurs in den Pyrenäen - über dies Camp brachten wir in Nr. 19 der SM bereits den Brief einer jungen Genossin - sind 1200 Internierte über 70 Jahre alt. In einigen der Todesanzeigen heisst es:
"Im Camp de Gurs verschied nach kurzer Krankheit unser lieber Vater, kurz vor Vollendung seines 80. Geburtstages."
"Unsere innigstgeliebte Mutter M.K. ... ist den schweren Qualen im Camp de Gurs erlegen. Unser allersehnlichster Wunsch einer Wiedervereinigung ist uns leider unerfüllt geblieben ..."
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Das Alter dieser Frau wurde in der Todesanzeige der in New York lebenden Kinder nicht angegeben, aber aus den anderen Anzeigen erfahren wir folgende Lebensalter der im Camp Lebenden und zu Tode Gequälten: 92 Jahre, 88 Jahre, zwei 80 jährige, zwei 79 jährige, 7 im Alter über 70 Jahre und 4 im Alter über 64 Jahre!
Von 10.000 nach Portugal Geflüchteten haben 4000 die Fahrt nach Südamerika und den USA angetreten. Im März reist wieder eine kleine Gruppe deutscher Sozialdemokraten nach New York, eine andere Gruppe ist soeben von Südfrankreich kommend, in Lissabon eingetroffen, gerettet durch die Hilfsaktion unserer sozialdemokratischen Freunde der "German Labor Delegation in [den] USA".
Briefe und Worte der Anerkennung für die SM
sind auch im Februar bei uns eingetroffen. So schrieb uns ein bekannter politischer Verleger bei seiner Geldsendung:
"Ich möchte Ihnen nun, was ich schon nach Erhalt der Jännernummer tun wollte, meine ganz besondere Bewunderung über die Lebendigkeit und Frische und geschickte Zusammenstellung dieser Mitteilungen ausdrücken ... Meiner Ansicht nach sind Ihre 'Mitteilungen' zu den besten zu zählen, die bis dato in der Emigration (und ich bin ja schon über 20 Jahre in der Emigration) erschienen sind. Sie enthalten wirklich alles, was von Interesse ist."
Ein Jurist aus Oxford schrieb:
"Seit längerer Zeit möchte ich mein Schweigen Ihnen gegenüber brechen, zumal mir die regelmässige Zusendung der SM und besonders Ihre politi- schen Essays darin besondere Freude machen."
Eine durch ihre Flüchtlingsarbeit bekannte Engländerin schrieb zur Einsendung ihrer Postal Order:
"Thanks very much for sending me the 'Sozialistischen Mitteilungen' which I always read with much interest."
[Freiwillige Beiträge]
Wir quittieren folgende Beträge mit bestem Dank: Eugen Pr. sh 5/-; Margarete G. 5/-; R., Oxford, 3/-; Mr. Gz. 2/6; Wi 2/-; Mr. HKC. 10/-; E.Sch. 1/-; T.H.J. 8/3; H.G. 1/-; Tr.-. 3/6; United Cor. 8/-; Ar., Wimbl., 10/-; Kr. 2/6; H.M., York, 2/-; Dr.St. 1/-; W.Gr. 5/-; Leo N. 2/-; W.J. 1/-; A.S. 2/6.
Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW7.
[Beilage zu SM, Nr. 23, 1941] |
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Luncheon at the Trade Union Club
On Thursday, February, 27th, the group of German Social-democrats attended for the first time a luncheon at the National Trade Union Club, London. Mr. Alexander, the First Lord of Admiralty was expected to speak on this occasion, but he was prevented from doing so by an urgent Cabinet meeting. A short meeting took place under the chairmanship of Mr. Gibson[32], chairman of the TUC, and it was agreed to send a message to Mr. Alexander thanking him for his intention to speak and wishing him all the best for his important work at the Admirality. Mr. Peacock[33], the Club secretary, welcomed the Czech, Belgian and German group members of the Club. It was announced that the wellknown writer J.B. Priestley[34] will speak at the next luncheon of the Trade Union Club on Wednesday, March 12th, 12.45 p.m.
We hope that many members of the German Social Democratic group will attend, and we ask them to book in advance.
International Reception by the Labour Party
The National Executive Committee of the LP arranged a reception of Social Democratic comrades from abroad on Sat., March 1st, in London. It was warmly welcomed by all the comrades from the Continent that C.R. Attlee, the Lord Privy Seal, and Mr. Bevin, the Minister of Labour were present at this reception. Among the guests there were comrades from almost all Nazi-conquered and Nazi-invaded countries and they gladly took the opportunity of meeting each other and of taking part in this demonstration of international solidarity. A considerable number of German Socialists were guests of the LP on this occasion, and we thank the National Executive for the hospitality which we enjoyed so much.
Mrs. Barbara Ayrton Gould[35], chairman of the Labour Party, welcomed the guests. Mr. Attlee, in an inspiring speech, said that these guests are fellow-fighters in the common struggle, giving a pledge of unity of civilised mankind.
And Mr. Camille Huysmans, chairman of the Socialist International, thanked on behalf of the guests, praising the British people for their efforts to liberate Europe and to secure lasting peace.
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The following facts, carefully gathered from Nazi newspapers by the Int[ernational] Transport Workers Federation (ITF) and circulated in its newsletter "Fascism", illustrate the position of workers in Hitler-Germany and the Nazi occupied territories.
The German paper "Der Deutsche Volkswirt"[36] complains about the resistance shown by German girls to the compulsory labour they are forced to do by the Nazis. The parents do not assist the authorities in breaking this resistance. "One feels often", says the mentioned paper, "that the parents do not use their educational authority in the proper way." The same paper reports that in many factories the women do not get the same wages as the men even though they do the same work and were promised by the Nazi Ministry of Labour to get the same wages. The capitalists "did not take any notice of this order", says the "Volkswirt". - Dr. Ley, the notorious leader of the German "Labour Front", demands to shorten the education in elementary school by two years. He suggests that boys should start industrial training in the eighth year of schooling. That means that a boy of 13 years should become an industrial trainee, after only six years at school. Even the "Kölnische Volkszeitung"[37] and some military circles protested against this suggestion. But Dr. Ley sticks to it, as he wished to fill the industry with illiterate slaves.
It is known that the Nazis enlist workers in the occupied countries for work in Germany, in addition to the millions of prisoners of war who are doing compulsory labour there. 5000 workers were required from Norway, but only 500 volunteered until January, 15th, and after much pressure another 400 were sent to Germany in February.
The total number of foreign labourers in Germany, incl. Italian, Czech, Dutch, Danish, French, Belgian, Bulgarian and Jugoslav workers, most of them deported against their own will, is more than two millions. Hitler's Minister of Labour has ordered that the workers of different nations should work separately - obviously in order to prevent demonstrations of international solidarity.