July, 25th

Nr. 13/14 - 1940

Sozialistische Mitteilungen

News for German Socialists in England

This news-letter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

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Am Dienstag, dem 23. Juli, hat der Innenminister, Sir John Anderson, im Parlament eine Erklärung abgegeben, in der er zugab, dass bei der Ausführung der Befehle, feindliche Ausländer in Grossbritannien zu internieren, Fehler begangen wurden. Ausländer, die wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht hätten interniert werden sollen, sind trotzdem interniert worden, und es werde darauf gesehen werden, sie möglichst bald zu entlassen. Es sei nicht daran gedacht, zu der früheren Politik zurückzukehren, die eine Internierung feindlicher Ausländer eher als eine Ausnahme und nicht als Regel betrachtete. Aber man beabsichtige, solche feindlichen Ausländer freizulassen die ihre Zuverlässigkeit beweisen können und die dem Land durch ihre Kenntnisse und ihre Ausbildung wichtige Dienste leisten können. In nächster Zeit werden Richtlinien veröffentlicht werden, welche Kategorien von Internierten freigelassen werden können und wie die Freilassungsanträge zu stellen sind. Zur Behandlung der Freilassungsanträge hat der Innenminister ein Beratungskomitee ernannt, dem die beiden letzten Hochkommissare des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen, Sir Herbert Emerson[1] und Sir Neill Malcolm[2], angehören und deren Vorsitz ein hoher Jurist übernehmen soll. Die Verwaltung der Internierungslager wird vom Kriegsministerium an das Home Office übergehen. Die Militärbehörden werden nur noch die Lager einzurichten und die Wachen zu stellen haben. Ausserdem wird beim Flüchtlings-Departement des Aussenministerium eine Kommission eingesetzt werden, die sich mit Wohlfahrtsfragen für Ausländer in Grossbritannien beschäftigen wird. In der gleichen Sitzung des Unterhauses

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gab der Kriegsminister Anthony Eden eine Erklärung ab, in der er bekanntgab, dass man prüfe, welche Internierten, die sich zum Pionierkorps melden, zugelassen werden können.

Diesen Erklärungen im Parlament ist eine längere Pressedebatte vorausgegangen, an der sich die Wochenschriften "New Statesman an Nation" und "Reynolds News"[3] die Tageszeitung "Manchester Guardian" und das Abendblatt "Evening Standard"[4] führend beteiligen. Es hat sich in der englischen öffentlichen Meinung die Ansicht durchgesetzt, dass die unterschiedslose Internierung aller Deutschen und Oesterreicher ein Fehler war, der England keinen Vorteil bringt. Der Untergang des Schiffes "Arandora Star"[5], auf dem sich ausser internierten Italienern auch Deutsche und Oesterreicher befanden, die von Tribunalen interniert worden waren und die zum Teil als Flüchtlinge nach England gekommen waren, hat auch die Frage der Verschiffung von Internierten nach Uebersee zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht.

Soviel bisher bekannt ist, hat man inzwischen alle männlichen Internierten unter 20 Jahren nach Uebersee (Kanada und Australien) verschifft und ausserdem einige tausend männlicher Internierter, die zumeist unverheiratet waren, während die Verheirateten unter ihnen sich freiwillig den Transporten zugesellt haben dürften. In der Frage der Verschiffung von Frauen und Kindern scheint noch keine Entscheidung gefallen zu sein.

Die nachfolgenden Kategorien feindlicher Ausländer sind nach den Instruktionen des Home Office schon vor der jüngsten Erklärung des Innenministers im Parlament von der Internierung ausgenommen worden. Wo solche Personen vor Bekanntwerden der Instruktionen interniert wurden, ist mit ihrer baldigen Freilassung
zu rechnen.



[Hinweis]

Denkt an die Internierten! Freiwillige Beiträge zur Unterstützung der Internierten erbeten an: Room 62, Bloomsbury House, Bloomsbury Street, London WC1.



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Es handelt sich um folgende Kategorien:

Anträge auf Freilassung solcher Personen waren bisher an den Home Secretary, P.O.B. 100, Paddington, zu richten, werden aber jetzt meist dem neuen Beratungskomitee überwiesen.

Neumeldungen zum Pionierkorps

werden seit Montag, dem 22. Juli, von Deutschen und Oesterreichern wieder entgegengenommen. Gesuche sind an das "Army Recruiting Centre", 17, Dukes Road, Euston Road, London, WC1, zu richten.

Vorschriften für Internierte

Adressen von männlichen Internierten können beim Under Secretary of State, War Department, A.G.3 P.W. Hobarth-House, Grosvenor Place, SW1, erfragt werden. man kann dorthin auch Briefe schicken, die weitergeleitet werden.

Weibliche Internierte befinden sich entweder im Holloway Prison, London N7, oder im Internierungslager Port Erin, Isle of Man.

Tabak kann direkt an die Internierten gesandt werden. Zigaretten können nur durch einen Grosshändler oder durch das British Red Cross, St. James' Palace, London, SW1 (Miss Warner[6], Prisoners of War Dept.) gesandt werden, das aber nur in der Lage ist, solche Geschenke anzukaufen und in die Lager weiterzuleiten. Rasierseife usw. kann direkt an den Int[ernierten] gesandt werden, ebenso Kleidung und Schuhe. Bücher und Noten dürfen nur durch den Verleger oder einen Buchhändler von gutem Ruf geschickt werden.

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Lebensmittel, Schokolade und Süssigkeiten können direkt an die Internierten gesandt werden, ebenso Spiele und Sportartikel. Taschengeld kann an den Kommandanten des Lagers gesandt werden, der über die Weitergabe entscheidet. In Paketen darf Geld niemals beigelegt werden. Internierte Männer dürfen im allgemeinen bis zu 10 sh., Frauen bis zu 5 sh. wöchentl. erhalten. Int[ernierte] Männer dürfen zwei Briefe, Frauen zwei Briefe und eine Karte wöchentlich schreiben.

Besuche in Internierungslagern

sind nur nahen Verwandten von Internierten gestattet, die angeben können, dass sie einen dringenden Grund haben, mit ihrem internierten Verwandten ein Gespräch zuführen. Solche Gesuche sind jetzt an den Kommandanten des betr. Lagers direkt zu senden. Die Flüchtlingskomitees, auch der Czech Refugee Trust Fund, können Reisegeld für solche Besuche nicht bewilligen, wenn nicht die Erlaubnis des Lagerkommandanten zum Besuch vorgelegt wird.

Unser Aufruf für die Internierten

zu einer Geldsammlung wurde am 18. Juli an unsere Freunde verschickt, und wir bitten all unsere Leser, einen kleinen Beitrag für die internierten Freunde zu stiften.

Wir schrieben: "Es ist euch bekannt, dass sich seit Wochen viele unserer Genossen in Internierungslagern befinden und dass vorläufig nicht abzusehen ist, wie lange sie dort bleiben werden. Aus Briefen, die wir und ihre Angehörigen bekommen, und aus den Berichten derer, die Besuche in den Lagern machen konnten oder selbst einige Zeit in ihnen verbrachten, müssen wir entnehmen, dass infolge des Massenzustroms, der Organisationsschwierigkeiten, der Wetterverhältnisse und des Gesundheitszustandes vieler Internierter das Leben in den Lagern nicht leicht ist. Leider hat sich der Czech Refugee Trust Fund erst nach einigen Wochen Aufschub zur Sendung von Taschengeld an die bei ihm registrierten Internierten bereit erklärt und bisher nicht mehr als 1 sh. pro Kopf und Woche bewilligt. Welche Schwierigkeiten das für jene Flüchtlinge bedeutet, die über keinerlei eigene Mittel verfügen und die weder Angehörige noch Freunde haben, die in Freiheit sind und ihnen kleine Zuwendungen machen können, kann sich jeder vorstellen.

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In besonders schwieriger Lage befinden sich jene Genossen, für deren Unterstützung kein Komitee zuständig ist und jene, die kürzlich aus Norwegen, Belgien und Frankreich fliehen mussten und jetzt in englischen Internierungslagern sitzen, ohne dass sich die Frage der Fürsorge bisher klären liess.

Wir haben wiederholt die zuständigen Stellen auf die so entstandenen Härten hingewiesen. Wir wollen heute unsere Freunde daran erinnern und an sie die Bitte richten, dazu beizutragen, dass die Lage unserer internierten Gen[ossen] etwas erleichtert wird. Wir wissen, dass es für einen Flüchtling unmöglich ist, einen grösseren Betrag zu spenden, und wir schätzen die kleinen Beträge sehr hoch, die uns einige unserer Freunde für die Internierten gegeben haben. Wir möchten heute darum bitten, diese Spenden nach Möglichkeit fortzusetzen. Wir bitten jene, die noch nichts gespendet haben, sich den anderen anzuschliessen, und wir bitten insbesondere alle unsere Genossen, die mit englischen Freunden in Verbindung stehen, auf die Lage der Internierten aufmerksam zu machen und darauf hinzuweisen, dass wir Spenden für die internierten deutschen Sozialdemokraten entgegennehmen, mit Dank quittieren und den Bedürftigen unter unseren internierten Genossen auf dem schnellsten Wege zusenden. Solche Spenden sind mit dem Vermerk "Für die Internierten" an die Adresse: Room 62, Bloomsbury House, Bloomsbury Street, London WC1, zu richten. Wir danken im voraus allen Genossen und Freunden, die unserer Bitte Folge leisten."

An unsere Leser

Seit einem Monat sind die "Sozialistischen Mitteilungen" nicht erschienen. Wir glauben nicht, dass wir dafür besondere Gründe anführen müssen.

Die Tatsache allein, dass in dieser Zeit fast die Hälfte aller unserer Leser interniert wurde, genügt zur Rechtfertigung des Entschlusses, von der weiteren Herausgabe unserer "Mitteilungen" vorläufig abzusehen.

Die vorliegende Nummer ist vorwiegend als Information für Freunde und Angehörige der Internierten gedacht, und wir werden versuchen, sie auch den Internierten selbst zugehen zu lassen.

Stellung zu den Internierungsmassnahmen zu nehmen, haben wir der englischen öffentlichen Meinung überlassen, und

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die Entwicklung dürfte beweisen, dass diese Haltung richtig war.

Die letzte Nummer unserer "Mitteilungen" erschien nach der Kapitulation der französischen Regierung. In den Wochen, die seitdem vergangen sind, ist der angekündigte Angriff Hitlers auf England nicht erfolgt. Nur eine Drohrede Hitlers ist erfolgt, in der er zugleich ein Friedensangebot machte, das aber, da er keine Bedingungen nannte, einer Kapitulations-forderung gleichkam.[7] Sie ist von der britischen Regierung und der gesamten britischen Oeffentlichkeit eindeutig abgelehnt worden.

An Kriegshandlungen sind die Massnahmen der britischen Flotte gegen die Gefangennahme der französischen Flotte durch die Nazis, die rege Tätigkeit der Naziflieger über England und die noch regere Tätigkeit der britischen Flugwaffe über dem Nazireich und den von den Nazis besetzten Gebieten zu verzeichnen.[8]

Inzwischen ist der "Anschluss" der baltischen Staaten an die Sowjetunion vollzogen worden.

Die Lage im Balkan ist infolge der Besetzung Bessarabiens durch die Rote Armee nicht klarer geworden.

Rumänien und Jugoslawien haben sich noch mehr der Achse genähert, aber zwischen Rumänien, Ungarn und Bulgarien sind neue Konfliktmöglichkeiten entstanden.

Die Rückkehr der tschechischen Freiwilligen nach England, die Anerkennung einer provisorischen tschechoslowakischen Regierung in London, deren Präsident Ed. Benesch ist und in der auch die Sozialdemokraten vertreten sind, die Aufstellung einer französischen Freiwilligenarmee unter General de Gaulle[9] und die vorläufige Schliessung der Burma-Strasse nach China auf Wunsch Japans sind die weiteren beachtenswerten Ereignisse der letzten Wochen.[10]

Zur Unkostendeckung der SM leisteten:
Hans L., sh 1/-; Dr. W., London, sh 10/-; Miss K. 1 sh; Friedrich S., London, -/6 sh.
Wir danken allen Freunden für diese Beiträge.




Issued by the London Representative of the German Social Demo-
cratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW 7.






Editorische Anmerkungen


1 - Herbert Emerson (1881 - 1962), Staatsbeamter bis 1938 in Indien, Hochkommissar für Flüchtlingswesen beim Völkerbund ab 1939.

2 - Neill Malcolm (1869 - 1953), Berufsmilitär, 1936-1938 Hochkommissar für Flüchtlingswesen beim Völkerbund, speziell für deutsche Flüchtlinge.

3 - "Reynolds News" (so der Zeitungsname von 1936 bis 1944), Londoner Wochenzeitung, erschien 1850-1967 (Titel im Laufe der Zeit mehrfach geändert), Tendenz in diesem Jahrhundert: Labour-freundlich.

4 - "Manchester Guardian", gegr. 1821, erscheint seit 1927 in London, Tendenz seiner Zeit: liberal, Zeitungsname seit 1959 "The Guardian". "Evening Standard", aus dem "Standard" (19. Jahrh.) hervorgegangene Londoner Abendzeitung, die vor Kriegsausbruch (1939) eine eher isolationistische Haltung eingenommen hatte.

5 - Der Dampfer "Arandora Star" wurde am 2.7.1940 durch ein deutsches U-Boot versenkt.

6 - Sydney Jeannetta Warner (geb. 1890), arbeitete schon vor dem I. Weltkrieg für das Britische Rote Kreuz (RK), 1919-1928 Tätigkeit für den Völkerbund, bei Kriegsausbruch wieder reaktiviert für das RK.

7 - Gemeint ist die Rede Hitlers vor dem Reichstag am 19.7.1940.

8 - Ein britisches Geschwader vernichtete am 3.7.1940 das in Oran (Algerien) liegende französische Flottengeschwader, um einen eventuellen deutschen Zugriff zu verhindern. Die Petáin- Regierung brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien ab.

9 - Charles de Gaulle (1890 - 1970), Berufsmilitär, sprach sich im Juni 1940 von London aus für eine Weiterführung des Kampfes gegen Deutschland aus; er stand an der Spitze des Französischen Komitees der Nationalen Befreiung, 1943 ff. Chef der französischen Exilregierung, 1944/1946 Ministerpräsident und vorläufiges Staatsoberhaupt, 1958-1969 Präsident der V. Republik.

10 - Die Schließung der Burma-Straße durch Großbritannien (18.7.1940) bedeutete eine Verhinderung des Nachschubes für die "Nationalchinesen". Im Oktober d. J. wurde diese Maßnahme rückgängig gemacht.



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