No. 4 - 1940

February, 16th

Sozialistische Mitteilungen

News for German Socialists in England

This news-letter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

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Nachdem der englische Premierminister Neville Chamberlain, der Aussenminister Lord Halifax und der Kriegsminister Oliver Stanley[1] in öffentlichen Reden den Willen der englischen Regierung, den Krieg bis zum Siege durchzuführen und durch den Sieg die Welt vor der Drohung angriffslustiger Regime zu befreien, ausgesprochen hatten, hat am 8. Februar die britische Labour Party eine grosse Erklärung über "Krieg und Frieden" erlassen, in der die Friedensziele der englischen Sozialisten bekanntgegeben wurden. In dieser Erklärung heisst es:

"Treu in ihrem sozialistischen und demokratischen Glauben und bei voller Aufrechterhaltung ihrer Opposition gegen die Chamberlain-Regierung, ruft die Labour Party das britische Volk auf, seine äusserste Kraft aufzubieten, um das Hitler-Regime in Deutschland zu stürzen ... Britannien hat in der Vergangenheit der Welt die Führung bei der Entwicklung der parlamentarischen Demokratie und der bürgerlichen Freiheit gegeben. Wenn diese kostbaren Gewinne jetzt nicht verlorengehen sollen, ist es nötig, die böse Gewalt der totalitären Tyrannei in Europa zu brechen. Deshalb unterstützt die Labour Party rückhaltlos den Krieg der Verbündeten zum Widerstand gegen die Angriffspolitik der Nazis, weil sie, obwohl sie den Krieg hasst, diesen Krieg als das kleinere Uebel gegenüber der Sklaverei betrachtet, die letztlich die einzige Alternative wäre. ... Es war höchste Zeit und es wäre tatsächlich bald zu spät gewesen, der sich ausbreitenden Nazi-Tyrannei einen festen und endgülti-

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gen Widerstand zu bieten. Hätte die britische Labour Party diesen Widerstand nicht unterstützt, so hätte sie ihre Ideale verraten."

Die Erklärung der Labour Party wendet sich nun den Friedenszielen zu und sagt: "Der Sieg ist unser erstes Ziel ... Eine Diskussion der territorialen Einzelheiten ist gegenwärtig nicht am Platze. ... Das Kriegsziel der Verbündeten muss sein, den Hitlerismus zu schlagen und die Ungerechtigkeiten gutzumachen, die aus dem Nazi-Angriff entstanden, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. ... Der Sieg muss für die Demokratie erreicht werden, entweder durch Waffengewalt oder durch wirtschaftlichen Druck oder - besser noch - durch einen Sieg des deutschen Volkes über das Hitler-Regime, der in der Geburt eines neuen Deutschland resultiert.

Die Labour Party ist überzeugt, dass die Alliierten nicht in Friedensverhandlungen eintreten sollen, ausser mit einer deutschen Regierung, die gewisse Akte der Wiederherstellung nicht nur versprochen, sondern tatsächlich erfüllt hat. Im Hinblick auf die Erfahrung der letzten Jahre kann niemand einer Nazi-Regierung zutrauen, dass sie ehrlich solche Akte vollbringt oder sich von künftigen Angriffen zurückhält. Die Wiederherstellung muss die Freiheit des polnischen und des tschechoslowakischen Volkes in sich schliessen. Kein Versprechen der Unabhängigkeit für diese Völker wird genügen, wenn es nicht von der Zurückziehung der deutschen Truppen und Polizei begleitet ist. Das Volk Oesterreichs, das noch früher ein Opfer des Hitler-Angriffs wurde, muss die Freiheit haben, ohne Einschüchterung und Zwang zu entscheiden, ob es innerhalb des Deutschen Reiches zu bleiben wünscht oder nicht."

Die Erklärung wendet sich dann dem deutsch-französischen Problem zu und sagt: "Dieser Krieg wird sicher nicht der letzte sein, wenn es uns nicht beim Ende dieses Krieges gelingt, den französischen Anspruch auf Sicherheit mit dem deutschen Anspruch auf Gleichberechtigung zu versöhnen." Auf die gerechten Ansprüche der Franzosen antwortet die Labour Party: "Wir teilen eure Entschlossenheit, dass diese dauernde deutsche Bedrohung, welche die wiederholten Mobilisierungen der

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gesamten Mannschaft Frankreichs erfordert, eure und unsere nächste Generation nicht geisseln soll, wenn eure Stärke und Voraussicht es verhindern kann. Fortan müssen unsere beiden Völker beim Widerstand gegen jeden deutschen Angriff nicht nur Verbündete für eine Saison sein, sondern Brüder für alle Zeiten."

Und die Antwort der Labour Party an das deutsche Volk ist: "Wir leisten jedem Versuch Widerstand, Deutschland von aussen zu zerschlagen. Wir wollen keine Demütigung oder Aufteilung eures Landes. Wir wünschen von ganzem Herzen, euch unverzüglich bei der friedlichen Zusammenarbeit der zivilisierten Nationen willkommen zu heissen. Wir müssen euch aber darauf hinweisen, dass Hitler und sein System diesen Krieg vorbereitet und begonnen haben. Er könnte ihn nicht fortsetzen, wenn ihr aufhören würdet, ihn zu unterstützen. Bevor das verfluchte Hitler-System gestürzt ist, gibt es keine Hoffnung auf Frieden zwischen uns. Aber wenn ihr eine Regierung einsetzt, die ehrlich willens ist, dass Deutschland ein guter Nachbar sein soll und ein guter Europäer, soll es keine Demütigung oder Rache geben."

Die Erklärung sagt weiter: "Die weitblickendste und am wenigsten gefährliche Politik ist der Versuch, die Mitarbeit Deutschlands als eines gleichberechtigten Partners zu gewinnen, der von einem politischen System regiert wird, dessen Ziele und Bedürfnisse mit unseren parallel laufen."

Zur Sowjetunion sagt die Erklärung: "Die Labour-Bewegung hat sich immer klar gegen den Angriff ausgesprochen. Wir hatten gehofft, dass Sowjetrussland sich mit den Demokratien zur kollektiven Organisierung des Friedens und des Widerstandes gegen den Angriff vereinigen wird. Wir haben hart dafür gearbeitet. Wir verurteilen die Ungeschicklichkeit der britischen Regierung bei ihren früheren Beziehungen zur Sowjetunion. Aber das kann nicht den Pakt der russischen Regierung mit den Nazis am Vorabend des Krieges entschuldigen, noch weniger ihren unprovozierten Angriff auf Finnland in schamloser Nachahmung der Nazitechnik in der Aussenpolitik. Wir würden die Vernichtung der freien

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finnischen Demokratie als unerträgliches Unglück für die Zivilisation betrachten."

Die Erklärung der Labour Party wendet sich dann der Forderung einer überstaatlichen Organisation zu, eines "genossenschaftlichen Weltbundes", in dem die Völker "die nationale Souveränität den Welteinrichtungen und -verpflichtungen unterordnen sollen". Diese neue Autorität soll "solche militärischen und ökonomischen Kräfte zur Verfügung haben, dass sie imstande ist, das friedliche Verhalten zwischen ihren Mitgliedern zu erzwingen und so die allgemeine Reduzierung der nationalen Rüstungen auf ein Mass garantieren, das für die Bewahrung der inneren Ordnung erforderlich ist". Weiter wird dazu gesagt: "Die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen dem britischen Staatenbund, Frankreich und ihren Alliierten auf politischem und ökonomischen Gebiete sollte der Kern einer grösseren Assoziation sein, deren Mitgliedschaft allen Nationen zu ihrem Vorteil offenstehen sollte. Alle Nationen, ob gross oder klein, müssen das Recht haben, ihr eigenes Leben zu leben, frei, aber in Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Weltordnung."

Am Ende behandelt die Erklärung der Labour Party das Kolonial- und Rohstoffproblem und die drohende Wirtschaftskrise nach Kriegsende. Im Prinzip wird die Selbstregierung der Kolonialvölker gefordert und eine Erweiterung des Mandatssystems dort, wo die Kolonialvölker noch nicht reif zur Selbstregierung sind. Der Zugang zu den Kolonialmärkten und Rohstoffen soll allen friedlichen Völkern gleichermassen offenstehen. Um die drohende Wirtschaftskrise nach Beendigung des Krieges zu verhindern, die katastrophale Folgen haben würde, sollen internationale öffentliche Arbeiten und grosszügige Pläne für noch ungenützte Kolonialgebiete durchgeführt werden. Eine neue internationale Autorität soll geschaffen werden, wobei die Lehren aus dem Versagen des Völkerbundes gezogen und die wirtschaftlichen Probleme, besonders die Erhöhung des Lebensstandards der arbeitenden Klassen, in den Mittelpunkt gestellt werden sollen.

"Dauernder Friede", heisst es in der Erklärung, "hängt von der sozialen Gerechtigkeit innerhalb der

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Staaten ab ... Die notwendige Kraft des Wachstums wird fehlen, wenn der einzelne Bürger als Sklave behandelt wird oder man ihm eine Meinungsfreiheit, Rede- und Glaubensfreiheit vorenthält, wie sie mit der Freiheit der anderen vereinbar ist. Diese elementaren Freiheiten sollten eine neue und weltumfassende Erklärung der Menschenrechte bilden."

Der berühmte englische Schriftsteller H. G. Wells[2] hat vor kurzem einen Entwurf zu einer solchen Erklärung der Menschenrechte ausgearbeitet, und der "Daily Herald" hat darüber eine öffentliche Debatte eröffnet. Wells stellt zehn Grundrechte auf: Schutz gegen Gewalt (wobei besonders der Schutz gegen grausame Formen der Gefangenschaft und der Bestrafung betont ist), Gerechtigkeit des Prozess-Verfahrens (wobei an den Schutz gegen Inhaftierung ohne Urteil gedacht ist), Forderung eines jedem zugänglichen Grundgesetzes der Menschenrechte (wobei jeder Versuch, durch geheime Verordnungen oder diktatorische "Ermächtigungen" gesetzliche Massnahmen zu schaffen, für rechtlos erklärt wird), Schutz gegen geheime Beweise (wobei das Recht jeden Bürgers, in Geheimakten, die ihn betreffen, Einsicht zu nehmen und ihre Korrektur zu beantragen, proklamiert wird), Recht auf das "gemeinsame Erbe" (wobei das Anrecht jedes Menschen ohne Unterschied der Herkunft und des Geschlechts auf einen Anteil am allgemeinen Reichtum und der allgemeinen Wohlfahrt zum Ausdruck kommt), Gedankenfreiheit, Freiheit der Berufswahl, Freiheit des Handels, Recht auf gesetzmässig erworbenes Eigentum und Freiheit des Reisens.

Ueber die Forderung, eine überstaatliche Organisation zu bilden, der die ihr angeschlossenen Staaten einen Teil ihrer Souveränitätsrechte abtreten sollen, und die durch gemeinsame Währung, Zölle, Militär und Aussenpolitik und durch ein gemeinsames Schiedsgericht einen Friedensbund demokratischer Völker nach dem Muster der Schweizer Eidgenossenschaft und der Vereinigten Staaten Amerikas ermöglichen soll, ist seit längerer Zeit eine öffentliche Diskussion im Gange, die sich an das Buch des Amerikaners Clarence Streit[3] "Union Now" und an die Propaganda der englischen "Federal Union"[4] anknüpft.

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Wir deutschen Sozialisten sind uns dessen bewusst, wie viel von dem Ausgang dieser Kriegsziel-Diskussionen und ihrem Einfluss in den kriegführenden und neutralen Ländern für das künftige Schicksal Europas und des deutschen Volkes abhängt. Wir wissen auch, wieviel dabei von der Entwicklung und der Dauer des Krieges abhängt und wie sehr die Mitwirkung des deutschen Volkes beim Sturz des Hitler-Regimes zur Herbeiführung eines gerechten und dauernden Friedens, der nicht vom Hass, sondern von der Vernunft diktiert ist, beitragen kann.

Präsident Roosevelt hat den Unterstaatssekretär des amerikanischen Auswärtigen Amtes Sumner Welles[5] damit beauftragt, eine Europareise zu unternehmen und mit den Regierungen in Rom, Berlin, Paris und London Fühlung zu nehmen, um den Präsidenten von den Ansichten dieser Regierungen vertraulich zu unterrichten. Die Annahme, dass es sich um den Versuch einer Friedensvermittlung handle, wird in Washington in Abrede gestellt. Sumner Welles wird in diesen Tagen in Rom eintreffen. Auffällig ist, dass ein Besuch der Sowjetunion nicht in Aussicht genommen ist. Vorige Woche hat Roosevelt bei der Eröffnung des amerikanischen Jugendkongresses eine Rede gehalten, in der er u. a. sagte: "Die amerikanische Sympathie ist zu 98 Prozent bei den Finnen und ihrer Bemühung, die Invasion abzuwehren. ... Praktisch ist die Sowjetunion eine so absolute Diktatur wie irgendeine andere in der Welt."

Die Konferenz der Balkanstaaten Rumänien, Jugoslawien, Griechenland und Türkei, die Anfang des Monats in Belgrad stattfand, hat allgemeines Interesse erweckt, da man von ihr eine Antwort auf die deutschen Erpressungsversuche gegen Rumänien (wo die Oelproduktion, die vom Dritten Reich beansprucht wird, unter Staatskontrolle gestellt wurde) erwartet hat. Ueber das Ergebnis der Konferenz ist, ausser Handelsvereinbarungen zwischen den Balkanstaaten, nichts bekannt geworden. Die Lage

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gibt zu der Vermutung Anlass, dass ein deutsch-russischer Angriff auf Rumänien befürchtet wird, in welchem Italien den Versuch machen würde, Jugoslawien zu besetzen, und Rumänien seine Oelquellen in Brand stecken könnte, so dass für Hitler die "friedliche" Lieferung des rumänischen Oels vorteilhafter wäre als die gewaltsame Eroberung. Es sind Meldungen aufgetaucht, dass die Staaten der Balkan-Entente[6] mit Bulgarien und Ungarn Fühlung genommen haben, und es ist behauptet worden, dass Bulgarien seine Gebietsansprüche an Rumänien (Abtretung der Dobrudscha) bis nach dem Krieg vertagt habe. Andere Meldungen behaupten, dass Rumänien sich mit einer teilweisen Abtretung der Dobrudscha einverstanden erklären wolle, wenn Bulgarien der Balkan-Entente beitrete.

In der vergangenen Woche ist die australische und neuseeländische Expeditionsarmee im Suezkanal gelandet, wo sie von Mr. Eden[7], Minister für die Dominions, begrüsst wurde.

Über die Stärke der Expeditionsarmee, die den weiten Weg von ihrer Heimat nach Aegypten ohne Zwischenfall zurückgelegt hatte, wird keine genaue Zahl bekanntgegeben. Russische Blätter behaupten, dass im Vorderen Orient bereits eine Million britischer und französischer Truppen zusammengezogen seien, was übertrieben sein dürfte. Tatsache ist jedenfalls, dass sich der französische General Weygand[8] seit einiger Zeit schon in Syrien aufhält und auch Ägypten besucht hat und dass die Australier und Neuseeländer unmittelbar nach ihrer Ankunft in Aegypten nach Palästina weitertransportiert wurden. - Dieser Aufmarsch der alliierten Streitkräfte im Nahen Orient gewinnt erhöhte Bedeutung im Hinblick auf die deutsch-russischen Angriffsdrohungen gegen den Balkan und die Türkei und die häufigen Meldungen von russischen Aufmarschplänen am Kaukasus gegen die Türkei und Persien und angeblichen Angriffsplänen gegen Afghanistan und Indien.

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Am 12. Februar ist in Berlin ein Handelsvertrag zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion unterzeichnet worden. Für die Sowjetunion unterzeichneten der Aussenhandelskommissar Mikojan[9] und der Chef der Berliner Sowjet-Handelsvertretung Badajeff[10]. Für die Hitler-Regierung unterzeichneten Dr. Ritter[11] und Schnurre[12] vom Wirtschaftsministerium. Der Vertrag sieht einen Jahresumsatz von 83 Millionen Pfund Sterling für den deutsch-russischen Handel vor. Die Sowjetunion verpflichtet sich zur Lieferung von Rohstoffen wie Erz, Oel und Getreide. Das Dritte Reich wird dafür in der Sowjetunion Fabriken errichten.

Die letzten Wochen brachten den bisher grössten Angriff der Roten Armee gegen Finnland: eine Dauer-Offensive gegen die finnische Mannerheim-Linie, die aber trotz ungeheurer Verluste der Angreifer bis zur Fertigstellung dieser "Mitteilungen" nicht durchbrochen werden konnte. Auch an den übrigen Frontabschnitten hat die Rote Armee bisher, nach 11 Wochen Krieg, noch keinen Erfolg erzielen können. Wie ernst das Fiasko der Roten Armee in Finnland ist, geht aus den Schätzungen neutraler Beobachter hervor, die schon Ende Januar die Verluste der Russen auf mindestens 200.000 geschätzt haben und die erklären, dass von den hundert Divisionen, über welche die Rote Armee verfügt, 25 in dem Krieg gegen Finnland eingesetzt wurden.

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat das folgende Telegramm an die Sozialdemokratische Partei Finnlands gerichtet: "Zwei Monate sind jetzt vergangen, seitdem die Truppen der Sowjetunion das freie und demokratische Finnland überfielen. Seit diesen Tagen verfolgen wir mit innerer Bewegung und brüderlicher Anteilnahme den heldenmütigen Freiheitskampf des finnischen Volkes gegen einen übermächtigen und barbarischen Gegner. Wir sprechen für die deutschen Arbeiter, die der beispiellose Terror des Hitler-Regimes, des neuen Verbündeten Stalins, heute noch zum Schweigen verurteilt, wenn wir Euch in Eurem schweren Kampf für die Freiheit Eures

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Landes, der zugleich ein Kampf für die Freiheit Europas ist, unsere herzliche Sympathie übermitteln.

Wir deutschen Sozialdemokraten können euch gegenüber heute unsere Solidarität nicht durch direkte materielle Hilfe beweisen, aber indem wir unseren Kampf gegen das verbrecherische Hitlersystem trotz aller Verfolgungen und Opfer fortsetzen, dienen wir dem gleichen Ziel:

Der Befreiung Europas von dem Wahnsinn der
Diktaturen und der Aufrichtung eines neuen
Europas, das allen Völkern Frieden, Freiheit
und sozialen Fortschritt bringen wird."

Die Auslandsvertretung[en] der österreichischen Sozialisten und der freien Gewerkschaften Österreichs[13] haben ein gemeinsames Schreiben an die Sozialdemokratische Partei Finnlands und an den Finnischen Gewerkschaftsbund gerichtet. In diesem Briefe drücken die österreichischen Arbeiter ihren Abscheu über den Angriff auf Finnland aus und versichern die finnischen Arbeiter ihrer brüderlichen Solidarität und Sympathie ... "Darum ist der Kampf gegen den Stalinismus, gegen die von ihm herbeigefuehrte und verschuldete Entartung der russischen Revolution eine Pflicht der Arbeiterklasse der Welt."

In der "Sudeten-Freiheit"[14], dem in Oslo erscheinenden Organ der sudetendeutschen Sozialdemokratie, ist ein Artikel ueber die Stellung der sudetendeutschen Arbeiter zu Sowjetrussland erschienen. Es heisst darin: "Wir nehmen Abschied von Sowjetrussland. Wir sprechen diesem Reich das Recht ab, sich noch laenger einen sozialistischen Staat zu nennen, noch laenger die Rote Fahne und die Internationale als Symbole zu fuehren. Die Rote Armee hat in dem gleichen Augenblick aufgehoert, diesen Ehrentitel zu Recht zu fuehren, da sie zum Instrument der Unterdrueckung freier Voelker wurde. Es kann keine Gemeinschaft mehr geben, weder im Geiste noch in der Tat, zwischen dem Bolschewismus inner- und ausserhalb Russlands und einem freien demokratischen Sozialismus."

Die von dem Generalsekretaer der britischen Gewerkschaften und dem Abgeordneten der Labour Party gefuehrte Delegation nach Finnland ist vor einer Woche wieder in

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England eingetroffen. Vertretern des "Daily Herald" und des "Daily Telegraph" gegenüber äusserten sie ihren Abscheu über die von den Russen begangenen Bombardierungen der Zivilbevölkerung und der Krankenhäuser, drueckten ihre Bewunderung fuer den Heldenmut und die Widerstandskraft der Finnen aus und betonten die Notwendigkeit schneller Hilfe fuer Finnland. "Wenn die Finnen die Hilfe erhalten, die sie brauchen", sagte Citrine, "dann bin ich nicht bereit, einen russischen Sieg zu prophezeien." "Die Finnen sind grossartig", sagte Noel Baker. "Ihr Mut, ihre Disziplin und ihre Organisation sind bemerkenswert." Citrine und Noel Baker fordern, dass die britische Regierung, die Gewerkschaften und die Sozialisten der Verteidigung Finnlands so schnell wie möglich Hilfe gewähren sollen. - Sir Walter Citrine erstattete auch in Paris dem Internationalen Gewerkschaftsbund[15] Bericht, der ebenfalls eine Hilfe der freien Gewerkschaften zugunsten Finnlands organisiert.

hat am 12. Februar im "Daily Herald" einen Artikel über Finnlands Freiheitskampf veröffentlicht, in [dem] er auf die Tatsachen über Finnlands demokratische Entwicklung und seine sozialen Fortschritte seit 1917 hinweist. Braatoy stellt fest, dass in den Wahlen des vorigen Jahres der Faschismus in Finnland hinweggefegt wurde und dass das finnische Volk dem Sowjet-Angriff einmütig Widerstand leistet. "Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die demokratischen Kraefte Finnlands kein Gehoer bei der Sowjetregierung fanden. Denn die Sowjets lehnten es nicht ab, mit der finnischen Regierung, die aus dem Bürgerkrieg hervorging, zu verhandeln und mit Finnland 1920 einen Friedensvertrag in Tartu[17] zu schliessen. Und sie schlossen am 21. Januar 1932, als Finnland die Hoehe der faschistischen Welle erlebte, einen Nichtangriffspakt. Aber die Sowjetregierung brach am 29. November 1939 die Beziehungen zu der fortschrittlichen Bauern- und Arbeiterregierung Finnlands ab."

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Die Pariser Polizei hat in den Räumen der Sowjet-Handelsvertretung eine Haussuchung vorgenommen, die, wie Premierminister Daladier in der Kammer bekannt gab, wichtiges Material über die Zersetzungsarbeit zutage förderte, die in Frankreich von Agenten Sowjetrusslands und Hitler-Deutschlands gemeinsam betrieben werden sollte.

In Schweden fand in 18 Städten eine grosse Polizeirazzia gegen schwedische und ausländische Kommunisten statt, die für die Sowjetunion spionierten. Unter den Verhafteten befindet sich der Redakteur der Zeitung "Ny Dag", deren deutsche Ausgabe "Die Welt" (eine Wochenzeitschrift, die die Sozialdemokratischen Parteien und die westeuropäischen Regierungen beschimpft, den Hitler-Stalinpakt und die Angriffspolitik der beiden Diktaturen jedoch verteidigt) auch in England von deutschsprechenden Kommunisten verbreitet wurde. Es wurden Beweise gefunden, dass diese kommunistische Propaganda-Arbeit von Moskau finanziert wird.

bringen in der Februar-Nummer Berichte über die "innere Front", über die Vorstellungen des deutschen Volkes von Kriegsaussichten und Kriegszielen, von der Nazi-Propaganda und ihrer Wirkung, von den Massnahmen gegen das Abhören ausländischer Sendungen, Berichte gegenüber Russland, die Stimmung unter den Soldaten und die Lage in den Betrieben. Der zweite Teil der Berichte ist einer Uebersicht über die Nazi-Arbeitspolitik im Kriege gewidmet.

Der Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gegen den Nazi-Terror in Polen und der Tschechoslowakei, den wir in der vorigen Nummer der SM auszugsweise in englischer Uebersetzung brachten, ist vom Parteivorstand mit dem Begleitschreiben an die polnische Regierung und den tschechoslowakischen Nationalrat[18] gesandt worden.

Auch hat der Parteivorstand mit Vertretern der tschechoslowakischen Arbeiterpartei und der polnischen Sozialistischen Partei in Paris Fühlung genommen.-

Auch in London besteht ein enger Kontakt mit den sozialdemokratischen Parteien der tschechoslowakischen Republik.

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Seit Mitte Januar ist Friedrich Stampfer[19], der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Chefredakteur des "Vorwärts" in Amerika, wo er Verhandlungen führt, Vorträge hält und die Beziehungen der deutschen sozialdemokratischen Partei zu ihren amerikanischen Freunden ausbauen hilft. Stampfers Verhandlungen dienen der Aktivierung des illegalen Kampfes der deutschen Sozialdemokratie gegen das Hitler-Regime.

Hunderte von deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Flüchtlingen sind bereits zum Dienst in das britische Pionierkorps eingerückt.
Anmeldungen für das Pionierkorps[20] nimmt Captain Davidson im Bloomsbury House, Bloomsbury Street, London, W.C. 1 entgegen. Tschechoslowakische Flüchtlinge, die sich zur tschechoslowakischen Armee melden wollen, können ihre Anmeldung an das Industrie-Dep. des Czech Refugee Trust Fund, New Lodge, Windsor Forest, Berks., richten.

Staatssekretär Sir John Anderson hat im Unterhaus die Erklärung abgegeben, dass die britische Regierung monatlich bis zu 27000 Pfund zur Unterstützung für deutsche und österreichische Flüchtlinge (vor das Tribunal mussten bekanntlich ca. 75000) beizutragen bereit sei.

Beiträge zur Deckung der Unkosten der SM
stellten zur Verfügung: Jos. L., London, sh 10; O. Sch., Farm, sh 5/8; Hans G., Hammersmith, sh 2; Hans L., Ramsgate, sh 1; Miss L., London, sh 1. Wir danken den Spendern und bitten unsere Leser um weitere Beiträge, damit die weitere Herausgabe der "Sozialistischen Mitteilungen" gesichert ist.




Issued by the London Representative of the German
Social Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London NW 7






Editorische Anmerkungen


1 - Oliver Stanley (1896 - 1950), Konservativer, in den 30er Jahren Minister in verschiedenen Ressorts, Januar 1940 - Februar 1942 Kriegsminister.

2 - Herbert George Wells (1866 - 1946), Mitglied der Fabian Society, Pazifist, trat für die Errichtung eines sozialistischen Weltstaates ein.

3 - Clarence Kirshman Streit (1896 - 1983), Korrespondent der "New York Times" in Genf beim Völkerbund. Autor von: Union Now (1939) u. Union now with Britain, London 1941.

4 - Federal Union = von C. Streit gegründete überparteiliche Organisation. Ziel: eine Weltföderation aller Demokratien.

5 - Sumner Welles (1892 - 1961), 1937-1943 stellvertretender US-Außenminister, Demokrat.

6 - 1934 zwischen Griechenland, Jugoslawien, Rumänien und der Türkei geschlossener Beistandspakt zur gegenseitigen Garantie aller bestehenden Grenzen auf dem Balkan.

7 - Anthony Robert Eden (1897 - 1977), Konservativer, Außenminister von 1935 bis 1938 und von 1940 (in diesem Jahr auch kurzzeitig Kriegsminister) bis 1945 sowie von 1951-1955; dann Premierminister 1955-1957.

8 - Louis Maxime Weygand (1867 - 1965), General im I. Weltkrieg, 1939 Oberbefehlshaber für den östlichen Mittelmeerraum, 1940 beim Kampf um Frankreich Oberbefehlshaber der französischen Truppen, Juni bis September 1940 Kriegsminister, 1942-1945 in deutscher Haft.

9 - "Mikojan": Anastas Iwanowitsch Mikoyan (1895 - 1978), 1926-1949 Handels- und Ernährungsminister, 1964/65 Staatsoberhaupt der UdSSR.

10 - "Badajeff": Der Name des Chefs der sowj. Handelsvertretung in Deutschland, der den Vertrag unterzeichnete, lautete E. Babarin und nicht Badajeff.

11 - Karl Ritter (1883 - 1968), 1935 Leiter der Handelspolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt, 1939 Sonderbeauftragter für Münchener Abkommen, 1949 im Nürnberger "Wilhelmstraßen-Prozeß" zu 4-jähriger Haftstrafe (gültig ab 1945) verurteilt. Dieses Urteil stand beim Vorsitzenden des amerikanischen Militärgerichtshofes, Leon W. Powers (1888 - 1959), in juristischem Zweifel. Die "Abweichenden Stellungnahme" zum Urteil wurde aber nicht im Gericht verlesen.

12 - Karl Schnurre (1891 - 1990), seit 1928 im Ministerialdienst, 1936 Vortragender Legationsrat, 1940 Gesandter 1. Kl., Handelspolitische Abteilung im Auswärtigen Amt, zeitweise Vertreter des Botschafters K. Ritter.

13 - Vor Kriegsausbruch hatten sich das "Londoner Büro der österreichischen Sozialisten in Großbritannien" und die "Auslandsvertretung der österreichischen Gewerkschafter in Großbritannien" konstituiert.

14 - "Sudeten-Freiheit", Monatsblatt, erschien Juli - Dezember 1939 in Oslo und Malmö.

15 - Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) wurde als Gewerkschaftsinternationale vor dem I. Weltkrieg gegründet. Sitz des Internationalen Sekretariats war (nach Berlin und Amsterdam) Paris.

16 - Bjarne Braatoy (1900 - 1957), Staatsrechtler und Wirtschaftswissenschaftler. 1940 als Journalist und norwegischer Korrespondent in London, 1952-1955 Berater beim SPD-Vorstand in Bonn, 1956 Generalsekretär der Sozialistischen Internationale.

17 - Tartu, früher auch Dorpat genannt. Stadt in Estland. Lt. Vertrag von Tartu (Dorpat) von 1920 blieb Ostkarelien russisch; Finnland erhielt mit Petsamo einen Korridor zum Eismeer.

18 - Der Tschechoslowakische Nationalrat (Czechoslovak National Committee) war im Herbst 1939 in Paris/London u.a. von Edvard Benes gebildet worden. Diese Vertretungskörperschaft der CSR-Flüchtlinge wurde ab Juli 1940 u. a. von Großbritannien, ab Juli 1941 u. a. von der UdSSR und den USA als Exilregierung anerkannt.

19 - Friedrich Stampfer (1874 - 1957), in Brünn (Mähren) geb. sozialdemokratischer Journalist, 1900-1902 Redakteur der "Leipziger Volkszeitung", danach Mitarbeiter des SPD-Zentralorgans "Vorwärts", 1903-1916 Herausgeber einer privaten Pressekorrespondenz, der sog. Stampfer-Korrespondenz, im I. Weltkrieg Befürworter der SPD-Kriegspolitik (Vaterlandsverteidigung), 1916-1933 (mit einer Unterbrechung Juni 1919 - Januar 1920) Chefredakteur des "Vorwärts", 1920-1933 MdR, ab 1925 Mitglied des sozialdemokratischen Parteivorstandes, 1933 in die Emigration (CSR, 1938 Frankreich, 1940 USA), 1933 ausgebürgert, 1933-1935 in der Leitung des "Neuen Vorwärts" (Karlsbad/Prag), 1933-1940 Mitglied des Exil-PV. 1948 Rückkehr aus den USA nach Deutschland, 1948-1955 Dozent an der Akademie der Arbeit (Frankfurt a. M.). Zu seiner Exilzeit vgl. u. a.: Erich Matthias und Werner Link (Hrsg. und Bearb.): Friedrich Stampfer, Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, ergänzt durch andere Überlieferungen, Düsseldorf 1968.

20 - Das Auxiliary Military Pioneer Corps hatte unbewaffnete, z. T. aus Flüchtlingen zusammengesetzte Einheiten.



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