No. 3 - 1940

February, 3rd

Sozialistische Mitteilungen

News for German Socialists in England

This news-letter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

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The Executive of the German Social Democratic Party residing in Paris issued an appeal to the German people denouncing the crimes committed by the Nazi Government against the peoples of Poland and Czechoslovakia.

The Executive Committee of the German Social Democratic Party recalls the declaration made immediately after the outbreak of this war:

"A peace which will repair the violent actions by Hitler, and finish the totalitarian regime, a peace which returns justice and freedom to all oppressed nations, is the aim of our policy." As to the events in Poland, the new declaration states: "An immense national tragedy is happening in Poland ... The concentration of the robbed and expelled Polish population in a few provinces, under terrible conditions, is equal to millions of murders."

The Executive of the German Social Democratic Party declares: "Hitler intends to solve the Polish and Czechoslovak question by the statement to be made when the campaign of destruction will be finished: There is no Polish and Czechoslovak nation any longer."

The German Social Democratic Party addresses [...] to the German people: "Do not share the responsibility for this monstrous crime. Don't be silent, don't tolerate or even approve it! Don't make the impression that all forces of justice and morality are killed within the German people! Revolt against this crime, and consider that it is nobler to bring sacrifices for justice and freedom than to sacrifice your lives for criminals! Let the Polish and the Czech people know that you don't regard yourselves as their enemies but as their allies in the struggle for a free Poland, a free Czechoslovakia, and a

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free Germany! It depends on the German people that the road to genuine peace, to the reconciliation of the liberated nations will not be blocked by Hitler's crimes!"

"Gebt mir vier Jahre Zeit!" war Hitlers Schrei damals, als er mit Hindenburgs[1], Hugenbergs[2] und Papens Hilfe zur Macht gekommen war, die Presse und Parteien aller seiner Gegner in Deutschland unterdrückte, den Reichstag anzünden liess, um einen Vorwand für brutalen Terror zu haben, die Konzentrationslager errichtete - und dennoch bei der Wahl im März 1933 noch nicht die Hälfte der Wählerstimmen für seine Partei gewinnen konnte. "Gebt mir vier Jahre Zeit", schrie Hitler, um den Glauben zu erwecken, er werde in vier Jahren die sozialen, wirtschaftlichen und weltpolitischen Probleme Deutschlands mit seinem geheimnisvollen Gewalt-Programm lösen können und jenes "Dritte Reich" aufbauen, dessen Mindestalter er mit tausend Jahren bezifferte.

Es ist nicht zu leugnen, dass Hitler zwar nicht in vier, aber in sechs Jahren erstaunliche aussenpolitische Erfolge errungen hatte: mit der Einverleibung Oesterreichs[3] und des Sudetengebietes ins Deutsche Reich[4] hat er nicht nur die Bestimmungen des Versailler Vertrags über die deutsche Abrüstung vernichtet, sondern das Deutsche Reich über die Grenzen hinaus vergrössert, die es vor dem letzten Weltkrieg hatte. Und es gab auch im Ausland Leute, die annahmen, er werde diese Erfolge zur Grundlage einer inneren Aufbau-Arbeit benützen, sein Regime und seine Politik "stabilisieren" und ein fester Faktor im Gefüge Europas werden.

Diese Leute haben vergessen, wie Hitler begann. Sie haben nicht gesehen oder nicht sehen wollen, dass er nach dem Gesetz handelte, nach dem er angetreten: nach jenem "dynamischen" Gesetz der rücksichtslosen Unterdrückung aller Widerstände, der gewaltsamen Herrschaft über Massen, die ihm nie ihre Zustimmung gaben, der rücksichtslosen Ausbreitung seiner Machtsphäre und der "blitzartigen" Erfolge, die immer wieder notwendig waren, um ein Regime zu stützen, das die inneren Probleme nicht zu lösen vermochte. Nur wer das Gesetz von Hitlers Handeln nicht erkannte, konnte sich von seinen Friedensbeteuerungen täuschen und von seinen "feierlichen" Versprechungen irreführen lassen.

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Jetzt, nach sieben Jahren, sieht alle Welt klar, was nicht nur von Hitlers Beteuerungen, sondern von Hitlers angeblichen Grundsätzen überhaupt zu halten war. Jetzt, nach sieben Jahren, sind die Friedensillusionen ebenso zerstört wie der Glaube, dass Hitlers Politik irgendein anderes Ziel habe als die brutale Festigung und Ausbreitung seiner Macht. Verflogen ist der Traum vom friedlichen und verflogen ist der Traum vom anti-bolschewistischen Hitler. Geblieben aber ist das Bild, das die deutschen Sozialdemokraten von Anfang an von Hitler hatten: das Bild vom Despoten, vom Zerstörer des Friedens und der Freiheit, vom Hasser der Zivilisation und vom Verschwörer-Komplizen jeder menschheitsfeindlichen Attacke.

Im siebten Jahre seiner Herrschaft hat Hitler selbst "blitzartig" die Lügen enthüllt, mit denen er sechs Jahre lang im Innern und im Auslande Gutgläubige und Gleichgültige erfolgreich täuschen konnte: Mit der Annexion der Tschechoslowakei hat er seine angeblich "nationale" Politik verraten, mit dem Russenpakt hat er seine angeblichen antikommunistischen Prinzipien über Bord geworfen, mit der blutigen Eroberung Polens hat er den europäischen Krieg entfesselt, und von dem Tage an, da die Rote Armee in das angegriffene Land einfiel, hat Hitler das deutsche Volk, das er zuvor schon der westlichen Zivilisation, dem europäischen Geist und der eigenen kulturellen Tradition entfremdet hatte, zum Spiessgesellen eines zum asiatischen Despotismus herabgesunkenen Bolschewismus gemacht, der mit dem Überfall auf Finnland auch seinerseits die Maske abwarf und mit den Misserfolgen dieses Überfalls Hitler zwingt, sich immer offener als "Retter" dieses Bolschewismus zu gebärden, von dem Hitler und sein Aussenminister Ribbentrop anfänglich hofften, er werde die Macht des Dritten Reiches unermesslich stärken - oder sein blosses Erscheinen als Bundesgenosse Hitlers werde die Westmächte daran hindern, die Waffen für die schon nicht mehr nur bedrohte, sondern auf Leben und Tod herausgeforderte Demokratie, Kultur und Rechtsordnung Europas zu ergreifen.

Man darf nicht glauben, dass ein Regime, welches sieben Jahre lang Erfolge durch eigene Brutalität und Zögern der anderen erringen konnte, in kurzem Kampfe niederzuwerfen ist. Aber klar ist, dass Hitler im siebenten Jahre seiner Herrschaft den Wendepunkt erlebt hat:

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Aus seinen Nervenkriegen ist ein wirklicher Krieg geworden, statt der im Stich gelassenen Kleinstaaten Europas, die er bis dahin anfiel, hat er Weltmächte zu Gegnern, die "Achse"[5] hat er dem Bündnis mit einer bolschewistischen Diktatur geopfert, die mit ihrer geköpften Armee[6] in zwei Monaten auch ein Dreimillionenvolk nicht besiegen konnte, und wer Hitlers Rede vom 30. Januar gehört hat, hat sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass aus allen bombastischen Drohungen und Siegesverheissungen des "Führers" die Verlegenheit eines Verbrechers sprach, der so lange Erfolge hatte, wie man sich über seinen Charakter und seine Ziele getäuscht hatte, nun aber weiss, dass die Welt ihn erkannt hat, und dass auch die von ihm vergewaltigten Völker nur noch die Nebelwand der Propaganda von der Erkenntnis der Tatsachen trennt.

Seit einiger Zeit kommen aus Rumänien und Ungarn Meldungen über ein weiteres Vordringen der Nazis in Ostpolen - über jene Demarkationslinie hinaus, die Ende September vorigen Jahres zwischen der Roten Armee und der Reichswehr[7] vereinbart worden war. Die Meldungen besagen, dass Nazi-Truppen und Nazi-Ingenieure die Eisenbahnstrecken, die von Rumänien nach Przemysl und Lemberg führen, besetzt haben, um die Oeltransporte, die aus Rumänien nach Deutschland abgefertigt werden, zu überwachen. Dieses Vordringen bedeutet aber auch, dass sich die Nazis der galizischen Oelquellen bemächtigen, deren Annexion durch die Rote Armee von voreiligen Optimisten als ein vorbeugender Akt Stalins interpretiert worden war. Alles deutet darauf hin, dass die Voraussage, die Misserfolge Stalins in Finnland werden Hitler zum stärkeren Bündnispartner machen, bereits durch die Tatsachen gerechtfertigt ist. - Welches Schicksal den Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei bevorsteht, die sich in Lemberg aufhalten (und über die wir in den früheren Ausgaben unserer "Mitteilungen" wiederholt berichteten), kann zur Zeit nur geahnt werden.

Kürzlich ist Karl Maxamin[8], der Generalsekretär der polnischen Eisenbahnergewerkschaft, der aus Polen nach Rumänien geflohen war, in London eingetroffen. Er berichtet,

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dass der Präsident der polnischen Eisenbahnergewerkschaft Mastek[9] und sein Sekretär Grylowski[10] ebenso wie der Vorsitzende des Lemberger "Volkshauses" Talarek[11] von der Roten Armee nach Russland deportiert worden sind. Ueber ihren gegenwärtigen Aufenthalt und ihr Schicksal ist nichts bekannt. Maxamin berichtete weiter, dass in dem von der Roten Armee besetzten Teile Polens genau so wie in dem von den Nazis besetzten Teil alle Gewerkschaften aufgelöst wurden.

In den letzten Wochen sind jene Tschechoslowaken in England (zum grössten Teil Flüchtlinge), die sich freiwillig zum Eintritt in die tschechoslowakische Armee gemeldet hatten, zur Musterung vorgeladen worden. Es wird angenommen, dass die als tauglich Befundenen im Laufe des Februar und März einberufen werden. Anschliessend wird die Einberufung jener erfolgen, die nicht auf Grund freiwilliger Meldung, sondern auf Grund der zwischen Dr. Benes und Lord Halifax vereinbarten Mobilisierung der Tschechoslowaken in England dienstpflichtig werden. Seit jener Vereinbarung werden Ausländer tschechoslowakischer Nationalität zum Eintritt in die britische Armee nicht mehr zugelassen.

Seit Mitte Dezember ist in der englischen Presse eine Diskussion um die Flüchtlinge in Grossbritannien im Gange. Sie begann mit einem Artikel in der vielgelesenen Wochenschrift "John Bull"[12] über Denunziationen, die, wie der Artikelschreiber ausführte, von kommunistischen Flüchtlingen über andersdenkende Flüchtlinge an die Tribunale geleitet worden sind. Kurz nach Neujahr brachten einige Zeitungen, darunter der "Daily Telegraph" die Meldung, dass Scotland Yard sich über die Nachlässigkeit der Tribunale beklagt haben soll, die politisch gefährliche und der Spionage verdächtige Flüchtlinge auf freiem Fuss belassen haben sollen, und manche Blätter gingen so weit, eine Internierung aller "feindlichen Ausländer" zu fordern. Daraufhin erfolgte ein Dementi des Chefs der Londoner Polizei, Sir Philip Game[13], der erklärte, dass die erwähnten Zeitungsartikel weder seine eigene noch die [Meinung] der verantwortlichen Beamten von Scotland Yard wiedergeben

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und dass Scotland Yard sich nicht über das Vorgehen der Tribunale beschwert habe. Am Tage nach der Veröffentlichung dieses Dementis erschien ein Artikel im sozialistischen "Daily Herald", der sich gegen die Forderung einer Masseninternierung von Flüchtlingen wandte, dabei aber auf die Sonderstellung von kommunistischen Flüchtlingen hinwies, die als Anti-Hitler-Kämpfer nach England gekommen waren, jetzt aber infolge der veränderten Moskauer Politik zu Sympathisierenden mit Hitler geworden sind. Diese Diskussionen in der Presse spiegeln Erörterungen wider, die auch in der englischen Bevölkerung im Gange sind, und rechtfertigen die Haltung der echten Hitler-Gegner unter den Flüchtlingen, die seit dem Hitler-Stalin-Pakt jedes freiwillige gemeinsame Auftreten mit Kommunisten strikt abgelehnt haben. Die Ansicht des überwiegenden Teils der britischen Oeffentlichkeit zur Frage der "feindlichen Ausländer" dürfte ein Artikel von J. Wentworth[14] wiedergeben, der am 1. Februar im "Daily Telegraph" erschien und die Vorzüge der Tribunal-Methode gegenüber der Massen-Internierung von Oesterreichern und Deutschen im Jahre 1914 hervorhebt und über die politischen Flüchtlinge schreibt: "Wenn sie überzeugte Anti-Nazis sind, wäre es unsinnig anzunehmen, dass sie für jenes Regime des verzweifelten Bösen spionieren würden, welches das Beste, was es in Deutschland gab, mörderisch erdrosselt hat." Am Ende sagt der Artikelschreiber: "Aber es gibt zwei Typen von Ausländern in diesem Lande, die ich gern streng bewacht sehen würde: Kommunisten und Faschisten. Die Franzosen, die Realisten sind, deren Land den Zusammenstoss mit feindlichen Waffen erlebt und Ströme revolutionären Blutes gesehen hat, haben ihre Kommunisten eingesperrt. Widmen wir den Unseren besondere Aufmerksamkeit. Es sind Menschen ohne Nation, ohne Loyalität, mit wenig Vernunft und doch mit grosser Zerstörungskraft, - Würmer im Gebälk unseres Nationalgebäudes. Schliesslich gibt es auch ausländische Frauen, die britische Untertanen geheiratet haben und deshalb selbst Briten sind. Sie sollten sorgfältig kontrolliert werden, befragt und beobachtet, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Gang zum Altar ein Kanal der Spionage war."

Die Propagandisten Hitlers und Stalins wetteifern miteinander in Schmähungen gegen Finnland. Die Hitler-Pro-

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pagandisten werfen Finnland und den anderen skandinavischen Staaten ihre Treue zum Völkerbund und ihre Verbundenheit mit der westlichen Demokratie vor und beschuldigen Schweden und Norwegen der "Einmischung" in den finnisch-russischen Konflikt, an dem sich Hitler bekanntlich so sehr "desinteressiert", dass er Lieferungen für das überfallene Finnland anhalten lässt. Die Stalin-Propagandisten wollen der Welt einreden, dass Finnland mit seinen drei Millionen Einwohnern Angriffsabsichten gegen die Sowjetunion mit ihren 180 Millionen Einwohnern hatte, dass die finnische Armee aus "Weissgardisten"[15] bestehe, dass das finnische Volk von einer reaktionären Regierung unterdrückt sei und dass es in Finnland keine Demokratie gebe.

Demgegenüber genügt es, die Tatsachen festzustellen. Es ist unwahr, dass Finnland jemals "deutschfeindlich" war. Im Gegenteil: Infolge der Waffenhilfe, die deutsche Freikorps im Unabhängigkeitskampfe Finnlands 1917 und 1918 geleistet haben, bestanden in Finnland starke Sympathien für Deutschland, die auch nach Hitlers Machtergreifung nicht völlig schwanden, wenn sie auch durch eine stärkere Orientierung nach den übrigen skandinavischen Staaten und den Demokratien des Westens hin ausgeglichen wurden. Da Finnland seit Jahren in engster Zusammenarbeit mit den übrigen skandinavischen Staaten steht, ist es kein Wunder, dass sein durch den Angriff der Roten Armee heraufbeschworener Freiheitskampf besonders in Schweden und Norwegen starke Sympathien findet. Aber Tatsache ist, dass aus diesen Ländern (wie aus vielen anderen) nur Freiwillige nach Finnland gehen. Unter den Freiwilligen, die in Finnland kämpfen, befinden sich aber auch Deutsche, wie der frühere Korrespondent des Deutschen Nachrichtenbüros in Helsinki, der zum Protest gegen die Entstellung seiner Berichte in der Nazipresse in die finnische Armee eintrat, und republikanische Spanier, wie Oberst Beres[16], der ehemalige Kommandeur der republikanischen spanischen Luftwaffe im Bürgerkriege, der sich auf dem Wege nach Finnland befindet, um dort für die Freiheit zu kämpfen.

Was die "Angriffsabsichten" Finnlands gegen Russland betrifft, so wird diese Behauptung nicht nur durch ihre Lächerlichkeit, sondern auch durch die Tatsache widerlegt, dass Finnland mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatte, der durch eine Erklä-

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rung Molotows unmittelbar vor dem Angriff der Roten Armee auf Finnland fristlos gekündigt wurde. Somit bleibt nur noch die Lüge zu widerlegen, dass Finnland ein reaktionärer Staat unter weissgardistischem Kommando sei.

Tatsache ist, dass im finnischen Parlament die Sozialdemokraten mit 83 von 200 Mandaten
die stärkste Partei sind, dass sie durch zwei Minister, den Aussenminister Tanner und den Finanzminister in der Regierung vertreten sind, dass der Ministerpräsident Ryti der linksbürgerlichen Partei der "Progressisten" angehört und der Staatspräsident Kallio, der aus dem Bauernstande hervorging, der zweitstärksten finnischen Partei, der Agrar-Partei, angehört. Tatsache ist, dass Finnland seit Jahren eine Arbeiter- und Bauern-Demokratie wie die übrigen skandinavischen Staaten ist und dass es in der Minderheitenfrage vorbildliche Politik getrieben hat: die Schweden, die 11 Prozent der Bevölkerung Finnlands bilden, aber einen starken wirtschaftlichen Einfluss haben, sind durch zwei Minister (Innenminister und Justizminister) in der Regierung vertreten, und trotz der Erinnerung an die jahrhundertelange Abhängigkeit Finnlands von Schweden gibt es in Finnland keine nationalpolitischen Konflikte mehr. Ein solches Land als reaktionären Staat von Weissgardisten zu bezeichnen, ist eine Verleumdung.

Es ist wahr, dass General Mannerheim 1918 nicht nur gegen die Russen, sondern auch gegen einen kommunistischen Aufstand in Finnland kämpfte, der durch die Teilnahme der Sozialdemokraten an Kraft gewonnen hatte. Aber seit März 1919 haben sich die finnischen Sozialdemokraten von den Kommunisten getrennt, seit dieser Zeit sind sie die stärkste Partei im Lande, und die Kommunisten in Finnland haben nie mehr als 27 von 200 Parlamentssitzen besessen, meistens aber erheblich weniger. Das erklärt auch den Misserfolg der Scheinregierung Kuusinens. Ebensowenig Erfolg wie die Kommunisten hatten auch die Faschisten in Finnland, und der Zusammenbruch der faschistischen Lappo-Bewegung[17] ist noch in guter Erinnerung.

Worum es heute geht, ist die Unabhängigkeit Finnlands und der Fortbestand seiner demokratischen Freiheit. Finnland hat diese Unabhängigkeit in den Jahren 1917 und 1918 nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen die Absichten des kaiserlichen Deutschland erringen müssen, das einen hessischen Prinzen auf den finnischen Thron setzen wollte. Wieder sieht sich das finnische Volk heute einer

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russisch-deutschen Bedrohung gegenüber, und wieder erkennt es wie damals, dass nur in der Treue zur Demokratie seine Rettung liegen kann.

Deshalb erfüllt uns als Sozialisten nicht nur der Heroismus des finnischen Kampfes mit Bewunderung, sondern auch die Idee, für die er geführt wird.

Die Zahl der Eisenbahnunfälle im Dritten Reich hat sich in den letzten Wochen auffällig vermehrt. Die Ueberlastung des schon vor Beginn des Krieges stark abgenützten Eisenbahn- und Schienenmaterials ist infolge der strengen Kälte der letzten Zeit noch gestiegen. Die Urlauberzüge mussten gestoppt werden, und die Kohlenzufuhr kam so ins Stocken, dass die Heizung in Berlin scharf rationiert und die Schulen in vielen deutschen Städten wegen Kohlenmangels geschlossen werden mussten.

Je grösseren Schwierigkeiten das Regime im Innern begegnet, umso brutaler werden seine Terror-Methoden in den eroberten Gebieten. Nach den Grausamkeiten, die in den letzten Monaten des vorigen Jahren in der Tschechoslowakei begangen wurden, hat nun ein furchtbarer Terror im besetzten Polen eingesetzt. Es kommen Meldungen von Massenhinrichtungen, von denen auch Frauen und Kinder nicht verschont bleiben. Der Bericht des polnischen Kardinals Hlond[18] an den Papst über die sadistischen Verfolgungen der polnischen Geistlichkeit durch die Nazis hat in der Weltpresse ungeheures Aufsehen erregt. Ein neues Kapitel des Nazi-Terrors, das die Versendung der Juden aus Oesterreich und dem "Protektorat"[19] nach dem "Reservat" von Lublin noch zu überbieten droht, ist die Zwangsverschickung der polnischen Bevölkerung aus den ehemaligen Westprovinzen Polens ins ostpolnische Gebiet. Auf diese Weise soll Raum für die aus den baltischen Staaten "heimgekehrten" und aus Südtirel deportierten Deutschen geschaffen werden. Damit nicht genug, werden bäuerliche Familien aus Süddeutschland gezwungen, in das besetzte polnische Gebiet zu übersiedeln. Immer offener gibt Hitler sein Ziel zu erkennen, die eroberten Nationen zu vernichten und zu versklaven, aber immer deutlicher wird auch, dass die Versklavung ebenso die Deutschen trifft, die zwangsweise deportiert werden, um Hitlers Theorie vom Lebensraum zu rechtfertigen.[20]

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In unseren "Mitteilungen" vom 17. Oktober 1939 brachten wir einige Bemerkungen über das Plädoyer, das der englische Jurist D. N. Pritt, der glühende Verteidiger der Moskauer Prozesse, für Stalins Bündnis mit Hitler in seiner Broschüre "Light on Moscow" lieferte. Wir verzeichnen, dass Mr. Pritt jetzt eine neue Broschüre "Must the war spread?" (Muss sich der Krieg ausbreiten?)[21] veröffentlicht hat, die wiederum von den Stalin-Propagandisten eifrig gepriesen und verbreitet wird. Der Inhalt der Broschüre bietet kaum Ueberraschungen: Natürlich ist nach Pritt an dem Ueberfall der Roten Armee auf Finnland niemand anderes als die englische Regierung schuld, und er beschuldigt alle Kritiker Stalins, dass sie zum Kriege gegen die Sowjetunion hetzen, also den "Krieg ausbreiten" wollen. Wir begnügen uns mit der Frage, ob man die Warnung, den Krieg nicht auszubreiten, nicht besser an Stalin gerichtet hätte, als er Polen und nachher Finnland überfiel, und ob die Tatsache, dass eine Broschüre wie die des Mr. Pritt in England erscheinen kann, nicht der beste Beweis dagegen ist, dass hier offiziell Kriegsstimmung gegen die Sowjetunion erzeugt wird. Es ist uns jedenfalls nicht bekannt, dass eine ähnliche einseitige Verteidigung der englischen Politik in der Sowjetunion hätte erscheinen können.




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Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party,33, Fernside Avenue, London NW 7






Editorische Anmerkungen


1 - Paul von Hindenburg (1847 - 1934), Generalfeldmarschall des I. Weltkriegs, Reichspräsident 1925-1934.

2 - Alfred Hugenberg (1865 - 1951), Leiter eines rechten (antidemokratischen, antirepublikanischen und antisozialistischen) Medienkonzerns in der Weimarer Republik, ab 1928 Parteivorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), 1919-1933 DNVP-Mitglied der Nationalversammlung bzw. des Reichstags.

3 - Im März 1938.

4 - Im September/Oktober 1938.

5 - Der Begriff "Achse Berlin - Rom" wurde 1936 von Mussolini geprägt. Er sollte die enge, gegen den internationalen Kommunismus gerichtete Zusammenarbeit zwischen dem faschistischen Italien und Hitlerdeutschland (den Achsenmächten) anschaulich beschreiben. 1939/40 ist von der Achse Berlin - Rom - Tokio die Rede.

6 - Anspielung auf die Stalinschen "Säuberungen" in der Roten Armee 1937 ff., der u. a. viele Tausende höhere Offiziere zum Opfer fielen.

7 - Gemeint ist die Wehrmacht.

8 - "Karl Maxamin": Carol Maxamin (1889 - 1964), polnischer Sozialist und Gewerkschafter, 1937-1939 stellv. Generalsekretär der polnischen Eisenbahner- und Transportgewerkschaft, ab 1939 Exil in Frankreich, 1940 Portugal, ab 1945 in Belgien, dort bei der Fédération Générale du Travail Belgique tätig.

9 - Mieczyslaw Mastek (1891 - 1943), polnischer Sozialist und Gewerkschafter, 1939 im Vorstand der polnischen Eisenbahner- und Transportgewerkschaft, 1939-1941 in sowjetischer Haft, ab 1941 Exil in Großbritannien.

10 - Stanislaw Grylowski (1887 - 1939), polnischer Sozialdemokrat und Gewerkschafter.

11 - Stanislaw Talarek (1883 - 1942), polnischer Sozialist und Gewerkschafter, 1927-1939 im Vorstand der polnischen Eisenbahner- und Transportgewerkschaften, 1939 verhaftet und nach Kasachstan deportiert, dort umgekommen.

12 - "John Bull", Londoner Wochenblatt, das von 1906 - 1960 erschien. Gleichnamiger Vorläufer im 19. Jahrhundert.

13 - Philip Woolcott Game (1876 - 1961), Berufsmilitär, 1935-1945 Commissioner of Metropolitan Police.

14 - Zu J. Wentworth konnten keine biographischen Angaben festgestellt werden.

15 - "Weißgardisten": Bezeichnung für die nach der Oktoberrevolution 1917 gegen die Kommunisten ("Rotgardisten") kämpfenden russischen Regimenter und Armeen.

16 - Zu "Beres" konnten keine weiterführenden Informationen ermittelt werden.

17 - Die Lappo- (auch Lapua-) Bewegung wurde 1929 in Lapua von finnischen Nationalisten und militanten Antikommunisten gegründet; sie forderte u.a. Ausnahmegesetze gegen die Kommunisten; 1932 aufgelöst und verboten.

18 - August Hlond (1881 - 1948), vor 1939 Primas von Polen, nach dem deutschen Überfall auf Polen im Exil; 1945 Rückkehr.

19 - Protektorat Böhmen und Mähren = NS-Bezeichnung für die 1939 Deutschland zwangsuntergeordneten bzw. eingegliederten tschechischen Gebiete.

20 - Aufgrund von Verträgen NS-Deutschlands mit der SU 1939/1941 wurden Personen "deutscher Abstammung" aus den russischen "Interessengebieten" im Baltikum nach Deutschland ausgesiedelt. Im Zusammenhang mit seiner Bündnispolitik hatte sich Hitler (1939) den Südtirol-Vorstellungen Mussolinis angenähert. Die Südtiroler konnten für die deutsche Staatsangehörigkeit und damit für Aussiedlung ins Reich optieren.

21 - D. N. Pritt: Must the War spread ?, Harmondsworth o. J.



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