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[Seite der Druckausg.: 60]

Petra Radke und Wiebke Störmann 1

Beschäftigungspolitische Leitlinien der EU und deren Auswirkungen aus frauenpolitischer Sicht 2
1 = [ Dr. Petra Radke ist Referentin im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, Prof. Dr. Wiebke Störmann lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule Schmalkalden.]
2 = [ Der Beitrag basiert auf einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung: Radke,P./Störmann,W./Ziegler,A.: Frauen auf dem europäischen Arbeitsmarkt – Was bringt der europäische Beschäftigungsgipfel?, Bonn 1998. ]

Auf dem Sondergipfel zur Beschäftigung in Luxemburg vom 20. bis 21. November 1997 befassten sich die Staats- und Regierungschefs mit den Fragen, durch welche Maßnahmen das Beschäftigungsniveau in Europa erhöht werden kann und wie diese Maßnahmen in den einzelnen Ländern umgesetzt werden können. Die von der Europäischen Kommission anlässlich des Sondergipfels vorgeschlagenen Leitlinien zur Beschäftigungspolitik erhalten vier strategische Prioritäten: Unternehmergeist, Beschäftigungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit. Diese stellen insofern ein Novum dar, als erstmalig Ziele quantifiziert wurden. Bis zum 15. April 1998 sollten die nationalen Regierungen ihre Aktionspläne zur Umsetzung der europäischen beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat vorlegen. Auf dem europäischen Gipfeltreffen vom 15. und 16. Juni 1998 in Cardiff [ Siehe hierzu Europäische Kommission (Hrsg.): Europäischer Rat, Tagung am 15. und 16. Juni 1998 in Cardiff, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (vorläufige Fassung), Dok. KOM Nr.4 vom 17. Juni 1998.] lagen alle fünfzehn Aktionspläne vor. Erste Beurteilungen dieser Pläne durch die Kommission und den Rat heben die Bemühungen der Mitgliedstaaten hervor, die Beschäftigungsfähigkeit der Erwerbsbevölkerung, insbesondere von arbeitslosen Jugendlichen, Langzeitarbeitslosen und Frauen zu verbessern. Überdies seien von den Mitgliedstaaten Anstrengungen unternommen worden, den Aufbau von Kenntnissen und Fertigkeiten und das lebensbegleitende Lernen zu för-

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dern. Bezogen auf den Aktionsplan der deutschen Bundesregierung erscheint dieses Fazit allerdings zu optimistisch, da der Plan knapp hundert Einzelinitiativen enthält, die überwiegend bereits bestehende Maßnahmen betreffen und die in Luxemburg quantifizierten Ziele nur teilweise berücksichtigen.

Der vorliegende Beitrag konfrontiert die beschäftigungspolitischen Leitlinien und deren Umsetzung im Aktionsprogramm mit den empirischen Befunden hinsichtlich der besonderen Situation der Frauen auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Es zeigt sich, dass trotz gestiegener Frauenerwerbstätigkeit und daraus ableitbarer erhöhter wirtschaftlicher Unabhängigkeit der europäischen Frauen nach wie vor erheblicher beschäftigungspolitischer Handlungsbedarf besteht.

Zunächst ist festzustellen, dass die Frauenerwerbstätigkeit in Europa während des letzten Jahrzehnts - auch in Zeiten starker wirtschafts- und beschäftigungspolitischer Krisen - zugenommen hat. Ein Großteil der neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde in dieser Zeit mit weiblichen Beschäftigten besetzt. Nicht nur die Gesamtbeschäftigung der Frauen, d. h. die absolute Anzahl der weiblichen Beschäftigten, sondern auch die Beschäftigungsquote, d. h. der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten, ist in der Europäischen Union in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen. Allerdings hat während dieses Zeitraums auch die Arbeitslosenquote der Frauen kontinuierlich zugenommen. Ein hoher Anteil der Beschäftigungszunahme der Frauen ist zudem darauf zurückzuführen, dass sie in vielen Bereichen zu schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als Männer. Generell sind Frauen überproportional oft in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen tätig. Dabei sind sie stärker als Männer von Unsicherheiten durch befristete Beschäftigungsverhältnisse betroffen. Vor allem aber sind Frauen häufiger als Männer in ungeschützten Arbeitsverhältnissen tätig. Dies korreliert mit einer Konzentration der Frauenerwerbstätigkeit auf den Dienstleistungssektor und hier auf wenige Berufe. Schließlich erhalten Frauen häufig einen geringeren Lohnsatz als Männer. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass Frauen im Durchschnitt häufiger und länger ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen als männliche Beschäftigte. Überdies beteiligen Unternehmen Frauen häufig nicht an betrieblichen Weiterbildungen. Insgesamt sind

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die Einkommens-, Aufstiegs- und Karrierechancen von Frauen deutlich geringer als die von Männern, obwohl der Ausbildungsstand der Frauen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich angestiegen ist. Dies wird nicht zuletzt daran erkennbar, dass die Präsenz von Frauen mit jeder Hierarchiestufe abnimmt. Ein überproportional hoher und weiter wachsender Anteil der erwerbstätigen Frauen übt aufgrund mangelnder externer Kinderbetreuungsmöglichkeiten Teilzeitbeschäftigungen aus. Letztere sind häufig schlecht bezahlt, mit geringeren Aufstiegsmöglichkeiten ausgestattet und mit einem höheren Beschäftigungsrisiko verbunden als Vollzeittätigkeiten. Auf diese Weise verfestigt Teilzeitarbeit in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenverteilung.

Im Folgenden werden von den Ergebnissen des Luxemburger Beschäftigungsgipfels und dem darauf basierenden Aktionsplan der Bundesregierung insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungssituation von Frauen in den Vordergrund gerückt.

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Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Jahre 1998

Die von der Europäischen Kommission vorgelegten beschäftigungspolitischen Leitlinien wurden auf dem Sondergipfel in Luxemburg zur Diskussion gestellt. Im Rahmen dieser Leitlinien wurden mehrere quantitative Ziele formuliert, wobei die Mitgliedstaaten zur Realisierung dieser Ziele durch nationale sowie durch gemeinschaftliche Maßnahmen verpflichtet werden sollen.

Nach Auffassung der Kommission sollten sich die Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik auf die vier Prioritäten Unternehmergeist, Beschäftigungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit konzentrieren. Damit ist der Aspekt der Chancengleichheit als eine Priorität in dem Vorschlag enthalten. Wie die Leitlinien u. E. zu Recht fordern, ist es notwendig, dass die Mitgliedstaaten die spezifische Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt bei der Umsetzung der Leitlinien in nationale Aktionspläne berücksichtigen. Insbesondere sollten konkrete Stra-

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tegien zur Förderung des Unternehmergeistes der Frauen erarbeitet werden sowie deren Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit verbessert werden. Die genannten Ansatzpunkte sind grundsätzlich geeignet, zur Lösung der empirisch feststellbaren frauenspezifischen Arbeitsmarktprobleme beizutragen.

Im Folgenden sollen die vier strategischen Prioritäten Unternehmergeist, Beschäftigungsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit vor dem Hintergrund der frauenspezifischen Arbeitsmarktsituation in Europa dargestellt und bewertet werden. Dabei wird die Chancengleichheit von Frauen und Männern als die für die Frauen wichtigste Priorität an erster Stelle behandelt.

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Priorität 1: Chancengleichheit

Nach den vorgeschlagenen Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels sind zur Förderung der Chancengleichheit folgende Maßnahmen erforderlich: der Abbau der geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt, eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine Erleichterung der Rückkehr in den Beruf. Diese Forderungen sind vor dem Hintergrund des empirischen Befundes gerechtfertigt, dass zwar die Erwerbstätigkeit von Frauen zugenommen hat, zugleich aber die Teilzeitarbeit, die befristete Beschäftigung und die Arbeitslosigkeit angestiegen sind. Überdies hat sich die Konzentration von Frauen auf wenige Tätigkeitsbereiche, Berufe und Wirtschaftszweige noch verstärkt, weil Wechselbeziehungen zwischen den genannten Phänomenen die Segregation der Arbeitsplätze zementieren.

Zum Abbau der geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt sollen die Mitgliedstaaten den Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels zufolge ihr Engagement für die Chancengleichheit durch eine Steigerung der Erwerbsquote der Frauen sowie durch die Aufhebung der Segregation auf dem Arbeitsmarkt umsetzen. Dazu ist eine aktive Förderung einer zunehmenden Beschäftigung der Frauen notwendig, die zu einer Verringerung der Unterschiede bei den Arbeitslosenquoten von Männern und Frauen führt (Tabelle 1).

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Tabelle 1: Arbeitslosigkeit von Männern und Frauen

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.

Zur Verbesserung von Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollen die Mitgliedstaaten nach den Leitlinien des Beschäftigungsgipfels mehr Betreuungsmöglichkeiten bereitstellen und dabei die fortschrittlichsten Mitgliedstaaten zum Maßstab nehmen. Dies ist insbesondere notwendig, um den Müttern von betreuungspflichtigen Kindern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Umsetzung mehrerer Richtlinien und Vereinbarungen der Sozialpartner in diesem Bereich solle beschleunigt und überwacht werden. Damit sollen die Möglichkeiten zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, Elternurlaub und Teilzeitarbeit für Paare mit Kindern erweitert werden.

Zur Erleichterung der Rückkehr in den Beruf werden die Regierungen in den Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels aufgefordert, bestehende Hindernisse zu beseitigen. Besondere Aufmerksamkeit soll den Frauen gelten, die nach der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wieder am Arbeitsmarkt partizipieren wollen. Aufgrund überholter Qualifikationen ist die Beschäftigungsfähigkeit von Berufsrückkehrerinnen eingeschränkt. Falls sie darüber hinaus nicht als Arbeitssuchende registriert sind, erweist sich der Zugang zu Qualifikationsmaßnahmen als schwierig. Schließlich können die Steuer- und Transfersysteme die finanziellen Anreize senken, einen Arbeitsplatz zu suchen.

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Diese Forderung nach einer Erleichterung des Wiedereinstiegs ist u. E. berechtigt, denn trotz einer verstärkten Präsenz der Frauen am Arbeitsmarkt zeigt der empirische Befund gleichstellungs- und beschäftigungspolitischen Handlungsbedarf. Wie gesagt, ist zunächst positiv festzustellen, dass der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten im europäischen Durchschnitt deutlich zugenommen hat. So ist die Gesamtbeschäftigung der Frauen in Europa von rund 51 Millionen Personen im Jahr 1985 auf rund 61 Millionen im Jahr 1995 angestiegen. Die zunehmende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Europa zeigt sich auch bei den jährlichen Änderungsraten der Beschäftigung. Insgesamt hat sich die Beschäftigung der Frauen seit 1985 günstiger entwickelt als die der Gesamtbevölkerung. In den Jahren der Beschäftigungszunahme lagen die jährlichen Änderungsraten der Beschäftigung von Frauen stets über den Zuwachsraten der Männer. In den Jahren rückläufiger Frauenbeschäftigung fielen die Beschäftigungsrückgänge geringer aus als bei den Männern. Dies gilt nicht nur für den europäischen Durchschnitt, sondern für fast alle Staaten innerhalb der Europäischen Union. Ausnahmen bilden diejenigen Länder, die bereits ein hohes Ausgangsniveau der Frauenbeschäftigung aufzuweisen hatten. So ist beispielsweise die Beschäftigung von Frauen in Dänemark 1995 um 0,4 v. H. zurückgegangen, während die Gesamtbeschäftigung im gleichen Jahr um 2,1 v. H. zugenommen hat. In Schweden ist die Frauenbeschäftigung im Jahr 1995 mit der gleichen Rate gewachsen wie die Gesamtbeschäftigung. Umgekehrt ist festzustellen, dass die Wachstumsraten der Frauenbeschäftigung in Relation zur Gesamtbeschäftigung dort besonders hoch sind, wo das Ausgangsniveau relativ niedrig liegt. So hat die Beschäftigung von Frauen in Spanien 1995 um 4,1 v. H. zugenommen, während die Gesamtbeschäftigung im gleichen Zeitraum nur um 2,7 v. H. angestiegen ist. Hier liegt demzufolge noch immer ein „Nachholphänomen" vor. Festzuhalten bleibt, dass die Beschäftigung von Frauen überall in der Europäischen Union eine zunehmende Rolle spielt. Selbst die Beschäftigungskrise zwischen 1991 und 1994, die einen Abbau von insgesamt 5 Millionen Arbeitsplätzen in der Europäischen Union mit sich brachte, hat demnach den verstärkten Zustrom von Frauen auf den Arbeitsmarkt nicht beeinträchtigt. Auch ist festzustellen, dass sich das Niveau der Frauenerwerbstätigkeit innerhalb Europas tendenziell angleicht. Gleichwohl sind nach wie vor erhebliche Niveauun

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terschiede der Frauenerwerbstätigkeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verzeichnen. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt hinsichtlich der Frauenbeschäftigungsquote einen mittleren Rang ein (vgl. Grafik 1), wobei die Frauenbeschäftigungsquote in Westdeutschland deutlich geringer ausfällt als in Ostdeutschland.

Grafik 1: Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten in der Europäischen Union (EU15, Angaben in v. H.) 1995

Undisplayed Graphic

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.

Die Feststellung einer erheblichen Zunahme der Frauenbeschäftigung relativiert sich dann, wenn nicht die Zahl der Beschäftigten, sondern die Zahl der Arbeitsstunden als Beurteilungskriterium herangezogen werden. Dann zeigt sich, dass Frauen überproportional häufig einer Teilzeittätigkeit nachgehen, weil es u. a. an ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlt.

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Bei der Infrastrukturaustattung mit Kinderbetreuungseinrichtungen bestehen deutliche Unterschiede sowohl im Hinblick auf die Altersklassen der Kinder als auch im Ländervergleich. So ist das öffentliche Angebot an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bis zu drei Jahren im europäischen Durchschnitt nicht hinreichend gut ausgebaut. In Dänemark, Schweden, Belgien, Frankreich und Finnland ist das Angebot an externer Kinderbetreuung im Vergleich zu Spanien, Irland, dem Vereinigten Königreich und Griechenland vergleichsweise gut. Im Gegensatz dazu sind die familienergänzenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder zwischen drei und sechs Jahren insgesamt in Europa bedarfsgerechter. In Frankreich gehen beinahe alle Kinder ab drei Jahren in eine Vorschuleinrichtung („ecole maternelle"). In den Niederlanden existieren zwar keine Vorschuleinrichtungen, jedoch können dort Kinder ab vier Jahren Grundschulen besuchen. Portugal, Irland und Finnland haben die geringste Ausstattung an staatlich finanzierten Kinderbetreuungsstätten für die Altersgruppe von drei bis sechs Jahren. Demgegenüber liegen Frankreich, Belgien und Italien hinsichtlich dieser Einrichtungen an der Spitze der Europäischen Union. Daten über die außerschulischen öffentlichen Betreuungsmöglichkeiten für sechs- bis zehnjährige Kinder in Europa sind kaum vorhanden, weil zahlreiche Organisationen und Gruppen an der Betreuung dieser Altersgruppe beteiligt sind. Schätzungen der Europäischen Kommission zufolge sind nur etwa 10 v. H. der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren außerhalb des Schulunterrichts in öffentlichen Einrichtungen betreut. Positiv hervorzuheben ist die außerschulische, öffentlich organisierte Betreuung von Kindern dieser Altersgruppe in Schweden und Dänemark. In diesen Ländern werden rund zwei Drittel aller Kinder zwischen sechs und zehn Jahren in öffentlichen Einrichtungen betreut.

Die Ausstattung mit öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen ist eine wesentliche Bestimmungsgröße für die Zeit, die speziell Frauen am Arbeitsmarkt anbieten. So ist die hohe Teilzeitquote von Frauen zum großen Teil auf die mangelnde Vereinbarkeit von Vollzeitbeschäftigung und Familie aufgrund fehlender außerhäuslicher Kinderbetreuungsmöglichkeiten zurückzuführen. Männer nehmen Teilzeitarbeitsplätze überwiegend in der jüngsten Altersgruppe, die sich noch in der Ausbildung befindet, und in der ältesten Altersgruppe, die nach zusätzlicher Alters-

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versorgung strebt, ein. Insgesamt spielt Teilzeitarbeit in der europäischen männlichen Erwerbsbiographie aber eine untergeordnete Rolle. Ausnahmen bilden lediglich die Niederlande mit einer männlichen Teilzeitquote von 16,8 v. H. im Jahr 1995 sowie Dänemark und Schweden mit einer entsprechenden Quote von rund 10 v. H. In den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegt die Teilzeitquote der Männer deutlich unter 10 v. H., vielfach sogar unter 5 v. H.. Demgegenüber hat die Teilzeitbeschäftigung für die europäischen Frauen eine weitaus größere Bedeutung (Tabelle 2).

Tabelle 2:
Anteil der Teilzeitbeschäftigungen an der Gesamtbeschäftigung (in v. H.)

Die Zunahme der Teilzeitarbeit von Frauen ist zwar in der gesamten Europäischen Union festzustellen, jedoch zeigt sich hier ein drastisches Nord-Süd-Gefälle. Während in West- und Nordeuropa Teilzeitarbeit erwerbstätiger Frauen eine große Rolle spielt, hat sie in Südeuropa nur geringe Bedeutung. So waren im Jahr 1995 in den Niederlanden 67,2 v.H., im Vereinigten Königreich 44,3 v. H. und in Schweden 43,0 v. H. aller erwerbstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt. In den beiden erstgenannten Mitgliedstaaten ist die hohe Teilzeitquote vor allem auf ein qualitatives und quantitatives Defizit an außerfamiliärer Kinderbetreuung zurückzuführen. Erwerbstätigkeit und Familie lassen sich in diesen Ländern vielfach nur durch Teilzeitarbeitsplätze vereinbaren. In Schweden bieten dagegen Elternurlaubsregelungen vollzeitbeschäftigten Vätern und Müttern die Chance, vorübergehend ihre Wochenarbeitszeit zu reduzieren. Diese Stellen werden dann von (zusätzlichen) Teilzeitbeschäftigten eingenommen. Schweden kann generell als Beispiel dafür herangezogen

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werden, dass Teilzeitarbeit als Mittel zum Abbau der Arbeitslosigkeit eingesetzt wird und zugleich diese Beschäftigungsform arbeits- und sozialrechtlich besser abgesichert ist als in den übrigen Mitgliedstaaten. In Griechenland, Finnland, Spanien und Irland wird dagegen trotz hoher Arbeitslosigkeit die Teilzeitbeschäftigung als Mittel zur Arbeitsumverteilung kaum genutzt.

Im Unterschied zu den genannten nordeuropäischen Staaten wies die Teilzeitbeschäftigung von Frauen 1995 in Griechenland einen Anteil von 8,4 v. H., in Portugal einen Anteil von 11,6 v. H. und in Italien einen Anteil von 12,7 v. H. auf. Ursächlich für die niedrigen Teilzeitquoten der Frauen in Südeuropa ist vor allem, dass sie häufig von den Arbeitgebern vor die Wahl gestellt werden, entweder einen Vollzeitarbeitsplatz einzunehmen oder aus der Erwerbstätigkeit auszusteigen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland liegt die hohe Teilzeitquote - ebenso wie in den Niederlanden und im Vereinigten Königreich - zum Teil an der mangelnden Vereinbarkeit von Vollzeitbeschäftigung und Familie aufgrund fehlender außerhäuslicher Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Zugleich mit der steigenden Frauenerwerbstätigkeit und der hohen Teilzeitquote von Frauen lässt sich eine starke Konzentration der Beschäftigung von Frauen im Dienstleistungsbereich feststellen. Diese kann in den jeweiligen Mitgliedstaaten aber durchaus unterschiedlich motiviert sein. Während beispielweise in Schweden durch die verstärkte Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienstleistungsbereich Frauen der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wird, konzentriert sich die Teilzeitarbeit in Großbritannien auf den privaten Dienstleistungssektor. Generell lässt sich die Konzentration der erwerbstätigen Frauen auf den tertiären Sektor darauf zurückführen, dass Teilzeitarbeitsplätze in diesem Sektor besonders häufig angeboten werden. Dies gilt speziell für den Handel, das Hotel- und Gaststättengewerbe und den Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Diese Arbeitsplätze gelten als gering qualifiziert, so dass der Abbau des allgemeinen und betriebsspezifischen Wissens (Humankapital) durch einen Wechsel von einer Vollzeitbeschäftigung zu einer Teilzeittätigkeit nicht groß ist und demzufolge aufgrund der relativ geringen Qualifikationsanforderungen in den genannten Bereichen auch ein Wiedereinstieg nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung

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relativ leicht möglich ist. Allerdings wird die Arbeit in der Regel auch nur gering entlohnt. Zudem sind die Arbeitsbedingungen häufig schlecht. Dennoch ergreifen viele Frauen die genannten Dienstleistungsberufe, weil sie planen, Kinder aufzuziehen und deshalb ihre Erwerbstätigkeit zunächst zu unterbrechen bzw. anschließend Teilzeitarbeitsplätze einzunehmen. Teilzeittätigkeiten in qualifizierten Dienstleistungsberufen sind selten. Deshalb sehen Frauen vielfach keine Chance, dauerhaft qualifizierte Arbeitsplätze zu erhalten.

Insgesamt ist die Bedeutung des Dienstleistungssektors im europäischen Durchschnitt im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewachsen (Tabelle 3).

Tabelle 3: Beschäftigungsanteile der volkswirtschaftlichen Sektoren

Beschäftigungsanteil der Sektoren

1985

1995

Dienstleistungssektor, Männer und Frauen,
EU 15

57,4

64,5

Dienstleistungssektor, Frauen,
EU 15

71,5

78,9

Prod. Gewerbe, Männer und Frauen,
EU 15

34,2

30,2

Produzierendes Gewerbe, Frauen,
EU 15

20,7

16,7

Landwirtschaft, Männer und Frauen,
EU 15

8,4

5,3

Landwirtschaft, Frauen,
EU 15

7,8

4,4

Dienstleistungssektor, Männer und Frauen, D

53,8

60,8

Dienstleistungssektor, Frauen, Deutschland

68,1

76,7

Produzierendes Gewerbe, Männer und Frauen, D

41,0

36,0

Produzierendes Gewerbe, Frauen, Deutschland

25,6

20,2

Landwirtschaft, Männer und Frauen, Deutschland

5,2

3,2

Landwirtschaft, Frauen, Deutschland

6,3

3,0

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.

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Zu den europäischen Staaten mit der höchsten Frauenerwerbstätigkeit im Dienstleistungssektor zählen die Niederlande mit einem Beschäftigungsanteil des Dienstleistungssektors von 88,6 v. H. im Jahr 1995 und Schweden mit einem Beschäftigungsanteil des Dienstleistungssektors von 86,8 v. H. im Jahr 1995. Dagegen belief sich der entsprechende Anteil in Portugal auf 64,6 v. H. und in Griechenland auf 62,2 v. H.. In Deutschland betrug der Beschäftigungsanteil des Dienstleistungssektors im Jahr 1995 bei den Frauen 76,7 v. H. und lag damit unterhalb des europäischen Durchschnitts. Ursächlich für die länderspezifisch unterschiedliche Frauenerwerbstätigkeit im Dienstleistungssektor sind vor allem die Divergenzen zwischen den Produktionsstrukturen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. So hat der Dienstleistungssektor in Nordeuropa generell einen höheren Anteil an der
Gesamtproduktion als in Südeuropa. Insofern relativiert sich die Feststellung unterschiedlicher sektorspezifischer Konzentration der Frauenerwerbstätigkeit.

Die Beschäftigungsstruktur nach Wirtschaftszweigen zeigt bereits Konzentrationstendenzen bei der Frauenerwerbstätigkeit. Hinzu kommt, dass ein hoher Anteil der erwerbstätigen Frauen sich auf eine relativ geringe Anzahl von Berufen konzentriert. Auch hierfür spielen Qualifikationsanforderungen und potentieller Humankapitalabbau bei Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitarbeit eine entscheidende Rolle. Im Jahr 1995 arbeiteten im europäischen Durchschnitt rund 22 v. H. der berufstätigen Frauen als Sekretärinnen, Schreib- oder Bürokräfte. Verkaufs- und Dienstleistungsberufe, wie Verkäuferin oder Kellnerin, übten 1995 rund 20,5 v. H. aller erwerbstätigen Frauen aus. Als Technikerinnen oder Fachkräfte, vor allem Krankenschwestern, Pflegerinnen oder Lehrerinnen, waren 1995 rund 16 v. H. aller weiblichen Erwerbstätigen beschäftigt. In den drei genannten Tätigkeitsfeldern befanden sich 1995 demnach 59 v. H. aller Frauenarbeitsplätze. Bezogen auf die Gesamtzahl der Erwerbstätigen machten die drei Bereiche dagegen nur 40 v. H. aller Arbeitsplätze aus. Dabei zeigt sich die starke Konzentration der Frauen auf die Bereiche Bürokräfte und Verkaufspersonal in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so auch in Deutschland. Aufgrund des niedrigen Beschäftigungsanteils des Dienstleistungssektors in Griechenland und Portugal ist die Konzentration in diesen Ländern aber weitaus weni-

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ger stark ausgeprägt als in den übrigen Mitgliedstaaten. In Portugal und Griechenland ist ein hoher Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen in der Landwirtschaft bzw. im produzierenden Gewerbe und hier vor allem in der Textilindustrie tätig. Bürokräfte und Verkaufspersonal zählen aber auch in den letztgenannten Mitgliedstaaten zu den wichtigsten Berufsgruppen für Frauen. So bilden sie in Portugal die zwei wichtigsten Berufsgruppen und in Griechenland zwei der drei wichtigsten Berufsgruppen. Diese Aussage trifft auch für alle übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu. Besonders ausgeprägt war die Konzentration der Frauen auf die Bereiche Bürokräfte und Verkaufspersonal in Irland und im Vereinigten Königreich. Dort waren im Jahr 1995 rund 50 v. H. aller erwerbstätigen Frauen im Bereich Bürokraft und Verkaufspersonal beschäftigt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass insbesondere im Hinblick auf die Teilzeitbeschäftigung, die befristeten Arbeitsverhältnisse, die Arbeitslosigkeit und die Segregation weiterhin gleichstellungs- und beschäftigungspolitische Maßnahmen erforderlich sind. Insofern sind die Vorschläge der Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels positiv zu bewerten. Der beschäftigungspolitische Aktionsplan der Bundesregierung bleibt dagegen weit hinter den Vorgaben der europäischen Leitlinien zurück.

Zur Verbesserung der Chancengleichheit bildet vor allem die Ausweitung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten einen wichtigen Ansatzpunkt. Darüber hinaus setzt die Chancengleichheit aber auch eine verstärkte Beteiligung der Männer an den haushaltsinternen Aufgaben voraus. In diesem Sinne wäre es wünschenswert, wenn beide Elternteile in gleichem Maße ihre Erwerbstätigkeit reduzierten. Um dies zu gewährleisten, sind neben veränderten kulturellen Rahmenbedingungen auch ökonomische Anreize erforderlich, die eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit auch für Männer attraktiv werden lassen. Eine denkbare Lösung wäre hier die Einführung einer Elternversicherung nach schwedischem Vorbild. Die Elternversicherung ist in Schweden Teil der staatlichen Sozialversicherung, ihre Leistungen werden durch die gesetzliche Krankenkasse getragen. Sie wird zu 85 v. H. von den schwedischen Arbeitgebern finanziert, wobei jede Firma in Abhängigkeit von der Zahl ihrer

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Beschäftigten, jedoch unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme durch ihre Firmenmitglieder in die Versicherung einzahlt. Die restlichen 15 v. H. stammen aus dem Staatshaushalt.

Die im Folgenden zu erörternden drei weiteren beschäftigungspolitischen Leitlinien - Unternehmergeist, Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit - enthalten die Förderung der Chancengleichheit von Frauen am Arbeitsmarkt als Querschnittsthema. Bei der Umsetzung der Leitlinien in den beschäftigungspolitischen Aktionsplan hat die Bundesregierung jedoch Frauen nicht explizit als Zielgruppe ihrer arbeitsmarktpolitischen Instrumente aufgeführt.

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Priorität 2: Unternehmergeist

Den Zielen des Luxemburger Beschäftigungsgipfels zufolge soll ein günstiges Klima für die Schaffung neuer Arbeitsplätze hergestellt sowie der Unternehmergeist gefördert werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen beziehen sich im Einzelnen auf die Erleichterung der Gründung und der Führung von Unternehmen, auf den Auf- und Ausbau von Risikokapitalmärkten sowie auf die beschäftigungsfreundlichere Gestaltung der Steuersysteme. Vorrangiges Ziel ist es, die im Zusammenhang mit der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entstehenden Gemein- und die Verwaltungskosten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zu senken. Darüber hinaus sollen die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen in den Mitgliedsstaaten so modifiziert werden, dass der Übergang von der abhängigen Beschäftigung in die Selbständigkeit und die Gründung von Kleinunternehmen erleichtert werden. Schließlich sind die Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf lokaler Ebene im Bereich der Solidarwirtschaft verstärkt auszuschöpfen. Insgesamt verspricht man sich durch die Förderung der Selbständigkeit eine Verminderung der Arbeitslosigkeit. Ein Vergleich der Industriestaaten zeigt allerdings, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Selbständigen und dem Beschäftigungsniveau gibt. Zwar haben das Vereinigte Königreich und die Niederlande, die hinsichtlich ihrer Beschäftigungspolitik vielfach als vorbildlich angesehen werden, eine höhere

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Selbständigenquote als Deutschland. Griechenland, Italien und Spanien sind dagegen trotz hoher Selbständigenquoten deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutschland.

Tabelle 4 Selbständige in v. H. der Beschäftigten

Frauen

Männer

Mitgliedstaaten

1985

1995

1985

1995

Belgien

10,9

10,9

18,6

18,4

Dänemark

3,3

4,0

15,2

11,9

Deutschland

5,4

5,8

11,7

11,9

Griechenland

20,0

18,7

44,1

42,2

Spanien

19,4

17,0

25,2

24,2

Frankreich

6,4

6,9

17,1

15,3

Irland

7,4

7,8

27,8

28,5

Italien

15,8

16,6

28,0

28,9

Luxemburg

6,3

6,9

11,0

11,5

Niederlande

4,3

8,6

11,6

13,3

Österreich

n a

11,8

n a

12,2

Portugal

26,6

22,9

25,9

28,1

Finnland

11,9

9,6

16,4

18,7

Schweden

4,8

5,9

13,1

16,3

Vereinigtes Königreich

6,9

7,0

14,7

17,8

Gesamt EU 15

9,6

9,4

19,1

18,8

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.

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Die Bedeutung der selbständigen Tätigkeiten ist in den südlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union generell höher als im Norden. Dies ist vor allem, aber nicht ausschließlich, auf die landwirtschaftlichen Strukturen in diesen Staaten zurückzuführen. Während des vergangenen Jahrzehnts ist die Anzahl der selbständig tätigen Kleinbauern in der Europäischen Union gesunken. Demgegenüber haben neue Formen der Selbständigkeit, die teilweise als Scheinselbständigkeit anzusehen sind, zugenommen. Die Forderung nach Stärkung des Unternehmergeistes ist in Bezug auf die Frauen vor allem insofern gerechtfertigt, als der Anteil der Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, noch immer nur etwa halb so hoch ist wie die Selbständigenquote bei den Männern (Tabelle 4). Im Sinne einer Förderung der Chancengleicheit ist daher eine verstärkte unternehmerische Aktivität der Frauen anzustreben, wenngleich hier das Problem der Scheinselbständigkeit und die damit verbundene wirtschaftliche Unsicherheit nicht vernachlässigt werden darf.

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Priorität 3: Beschäftigungsfähigkeit

Die Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels sehen vor, durch eine adäquate Veränderung der Bildungs- und Ausbildungssysteme
sowie eine bessere Verknüpfung zwischen Bildungs- und Ausbildungs-system einerseits und Berufswelt andererseits bestehende Qualifika-tionsdefizite zu beseitigen. Im Einzelnen enthalten dazu die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Leitlinien folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit: Bekämpfung der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit, Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben, Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen sowie die Förderung eines Partnerschaftskonzeptes. Im Folgenden werden die diesbezüglich von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit vor dem Hintergrund der besonderen Situation von Frauen erörtert.

Betrachtet man zunächst den Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Arbeitslosigkeit, so lässt sich sowohl für den europäischen Durchschnitt als auch für die einzelnen Mitgliedsstaaten feststellen, dass die Arbeitslosigkeit mit steigendem Bildungsniveau sinkt. Dabei ist die Di-

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vergenz der Arbeitslosenquoten in Abhängigkeit des Bildungsniveaus bei den Frauen noch stärker ausgeprägt als bei den Männern (Tabelle 5).

Tabelle 5: Arbeitslosigkeit in Abhängigkeit des Bildungsniveaus

(EU 15, 1995)

Bildungsabschluss von Arbeitslosen im Haupterwerbsalter
(25 bis 49 Jahre)

Frauen

Männer

Allgemeine Grundbildung
(Primärausbildung)

15,5 v.H.

12 v.H.

Sekundarstufe II

10 v.H.

6,5 v.H.

Hochschulabschluss

7,5 v.H.

5 v.H.

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.


Eine generelle Verbesserung des Ausbildungsstandes in der Europäischen Union zeigt sich darin, dass in den jüngeren Altersgruppen die Anzahl der Absolventen der Sekundarstufe II sowie der Hochschulabsolventen deutlich zugenommen hat. Diese generelle Feststellung gilt in besonderem Maße für die Frauen (siehe Tabelle 6).

Tabelle 6: Bildungsabschlüsse von Frauen in der Europäischen

Union (EU15) nach Altersgruppen, Stand 1995

Altersgruppe

Bildungs-abschluss

25-29 Jahre

35-44 Jahre

45-54 Jahre

55-59 Jahre

Sekundar-Stufe II

70 v.H.

60 v.H.

45 v.H.

35 v.H.

Hochschul-abschluss

20 v.H.

20 v.H.

12 v.H.

10 v.H.

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.

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Allerdings besteht nach wie vor ein starkes Gefälle zwischen einem relativ hohen Bildungsstand der Frauen in Nord- und Mitteleuropa und einem relativ geringen Bildungsniveau der Frauen in Südeuropa. Deutschland wies gemessen am europäischen Durchschnitt eine hohe Quote von Absolventinnen der Sekundarstufe II und einen durchschnittlichen Anteil von Hochschulabsolventinnen auf. Festzuhalten bleibt, dass es heute in Europa generell und auch in Bezug auf die Gruppe der Frauen vermutlich weniger am Ausbildungsstand mangelt, als vielmehr an der Verknüpfung von individueller Qualifikation und betrieblichen Erfordernissen.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Entwicklung wurden in den europäischen beschäftigungspolitischen Leitlinien Strategien zur Bekämpfung der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit, zur Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben, zum Übergang von passiven zu aktiven Maßnahmen sowie zur Förderung eines Partnerschaftskonzeptes formuliert, die im Folgenden insbesondere mit Blick auf die spezifische Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erörtert werden.

Zur Bekämpfung der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit sehen die Leitlinien der Europäischen Kommission vor, dass alle Regierungen jedem Langzeitarbeitslosen in der EU künftig innerhalb von 12 Monaten einen Neueinstieg ins Arbeitsleben in Form eines Arbeitsplatzes, einer Ausbildung, einer Umschulung, eines Berufspraktikums oder einer anderen Beschäftigungsmaßnahme ermöglichen sollen. Ebenso soll jedem arbeitslosen Jugendlichen innerhalb der ersten sechs Monate ein derartiger Neuanfang ermöglicht werden. Die Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit soll durch diese Wiedereingliederungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten innerhalb von fünf Jahren halbiert werden.

Die Bundesregierung greift diese Vorgabe in ihrem Entwurf des beschäftigungspolitischen Aktionsplans nur unzureichend auf und verweist statt zusätzlicher Programme auf ihre bisherigen Tätigkeiten im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. In Bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit wird zwar das Ziel formuliert, die Zahl junger Menschen ohne Ausbildung in den nächsten fünf Jahren zu reduzieren. Die Vorgabe, jedem Jugendlichen innerhalb von sechs Monaten einen Zugang zum Arbeits-

[Seite der Druckausg.: 78]

markt zu ermöglichen, nimmt das Aktionsprogramm jedoch nicht auf. Stattdessen weist die Bundesregierung auf Zusagen des Deutschen Industrie- und Handelstages und des Handwerks hin, denen zufolge im Jahr 1998 rund 25.000 neue Lehrstellen geschaffen werden sollen. Hinsichtlich der übrigen Forderungen der europäischen Leitlinien verweist die Bundesregierung ebenfalls auf ihre bisherigen arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten. Danach haben im Jahr 1997 rund 100.000 Personen an Umschulungen und Fortbildungen teilgenommen, rund 45.000 Langzeitarbeitslose seien im Rahmen von Sonderprogrammen in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden und rund 40.000 älteren Arbeitnehmern seien durch Lohnkostenzuschüsse ihre Arbeitsplätze gesichert worden. Darüber hinaus erwähnt die Bundesregierung in ihrem beschäftigungspolitischen Aktionsplan, dass die Kommunen im laufenden Jahr rund 100.000 Sozialhilfeempfängern Arbeits- oder Ausbildungsplätze beschaffen wollten. Festzuhalten bleibt, dass der beschäftigungspolitische Aktionsplan der Bundesregierung in den Kernbereichen der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit lediglich eine Zusammenstellung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Aktvitäten enthält und damit der Intention widerspricht, zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Frauen sind sowohl von der Langzeit- als auch von der Jugendarbeitslosigkeit stärker betroffen als Männer. Zwischen 1985 und 1995 wiesen im europäischen Durchschnitt die Arbeitslosenquote, die Jugendarbeitslosenquote sowie die Langzeitarbeitslosenquote von Frauen deutlich ungünstigere Werte auf als diejenigen der Männer (vgl. Tabelle 7, S. 79).

Besonders stark tritt dabei die Frauenarbeitslosigkeit in Spanien hervor. Hier lag die Arbeitslosenquote im Jahr 1995 mit 30,5 v. H. weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Jugendarbeitslosigkeit von Frauen betrug 1995 in Spanien 49,0 v. H., die Langzeitarbeitslosenquote 60 v.H.. Allerdings sind in Spanien auch die Männer stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als im Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten. Weniger stark ist die Frauenarbeitslosigkeit in Österreich ausgeprägt, wobei auch die Arbeitsmarktsituation für Männer in Österreich günstiger ist als im europäischen Durchschnitt. Für österreichische Frauen wird die Arbeitslosenquote für 1995 mit 5,0 v. H. beziffert, die Jugendarbeitslosigkeit mit 6,9 v. H. und die Langzeitarbeitslosenquote mit 31,3 v. H..

[Seite der Druckausg.: 79]

Tabelle 7: Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit

Jugendarbeitslosenquote
(Zahl der arbeitslosen Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren in v. H. der Erwerbsbevölkerung im Alter von 15 bis 24 Jahren)


1985

1990

1995


Männer

Frauen

Männer

Frauen

Männer

Frauen

EU15

20,5

23,4

19,6

22,8

20,0

23,1

Deutschland

9,5

11,2

6,7

8,9

8,9

8,7

Langzeitarbeitslosenquote
(Zahl der Langzeitarbeitslosen in v. H. der Arbeitslosen insgesamt)


1985

1990

1995


Männer

Frauen

Männer

Frauen

Männer

Frauen

EU15

53,5

54,2

49,8

52,0

48,3

50,0

Deutschland

49,6

46,0

49,1

43,1

45,9

51,3

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.


In Deutschland lagen die Jugendarbeitslosenquote der Frauen unter, die Langzeitarbeitslosenquote der Frauen dagegen über dem europäischen Durchschnitt. Im europäischen Vergleich ist allerdings zu beachten, dass Unterschiede in der Arbeitslosenunterstützung, insbesondere auch in der Unterstützung verheirateter Frauen, die offziell ermittelten Arbeitslosenquoten beeinflussen. Gerade hinsichtlich der Langzeitarbeitslosigkeit von Frauen war in der Vergangenheit in einigen europäischen Staaten festzustellen, dass in Ländern mit geringer Unterstützung von verheirateten Frauen die Langzeitarbeitslosenraten besonders niedrig ausfielen. Dies deutet darauf hin, dass verheiratete Frauen mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit verstärkt in die stille Reserve gedrängt wurden.

[Seite der Druckausg.: 80]

Zur Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben enthalten die Leitlinien des Beschäftigungsgipfels den Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten versuchen sollen, innerhalb von fünf Jahren die Zahl der Schulabbrecher durch eine Verbesserung der Qualität des Schulsystems zu halbieren. Darüber hinaus sollen die Systeme der Lehrlingausbildung so ausgestaltet werden, dass Jugendliche sich an die technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen besser anpassen können. Die Forderungen des Luxemburger Beschäftigungsgipfels sind insofern positiv zu bewerten, als die Verknüpfung zwischen Bildungs- und Ausbildungssystem zum einen und Berufswelt zum anderen noch unzureichend ist, obwohl sich das Bildungsniveau der Männer und Frauen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im letzten Jahrzehnt deutlich erhöht hat. Daher ist es um so bedauerlicher, dass das Aktionsprogramm der Bundesregierung diese Vorgaben nicht aufgreift. Aus frauenspezifischer Sicht wären allerdings hinsichtlich des Übergangs von der Schule ins Berufsleben noch weitergehende Maßnahmen erforderlich, um die geschlechtsspezifische Segregation zu reduzieren. Schülerinnen, die im Dienstleistungsbereich tätig werden wollen, sollten stärker motiviert werden, qualifizierte Dienstleistungsberufe zu ergreifen und sich nicht länger auf wenige, meist gering qualifizierte und schlecht bezahlte, Berufe innerhalb des Dienstleistungssektors zu konzentrieren. Parallel dazu ist es notwendig, mehr qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen, die für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv sind und die Möglichkeiten der Arbeitsteilung innerhalb der Familien erweitern. Zugleich mit einer verbesserten Infrastrukturausstattung hinsichtlich externer Kinderbetreuungsmöglichkeiten könnte dies der geschlechtsspezifischen Segregation entgegenwirken. Die staatliche Beschäftigungspolitik sollte deshalb darauf gerichtet sein, Angebot und Nachfrage hinsichtlich qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze für Männer und Frauen zur Übereinstimmung zu bringen. Ein solcher Ansatz findet sich im beschäftigungspolitischen Aktionsprogramm der Bundesregierung allerdings nicht.

Bezüglich des Übergangs von passiven zu aktiven Maßnahmen sehen die Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels vor, dass die Regierungen die Unterstützungs- und Ausbildungssysteme künftig so gestalten, dass sie die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen und der individuelle Anreiz bestehen bleibt, sich um Arbeits- und Ausbildungsmöglich-keiten

[Seite der Druckausg.: 81]

zu bemühen. Im Einzelnen werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Zielvorgaben für die Anzahl der Arbeitslosen festzulegen, die von passiven einkommensunterstützenden Maßnahmen zu aktiven beschäftigungsbezogenen Maßnahmen übergehen. Darüber hinaus soll innerhalb von fünf Jahren der Anteil der EU-Arbeitslosen, denen eine Ausbildung oder eine entsprechende Maßnahme vermittelt wird, mindestens 20 v. H. betragen. Über die Einhaltung dieser Mindestvorgabe hinaus soll jeder Mitgliedstaat versuchen, seine Quote schrittweise dem Durchschnitt der drei erfolgreichsten Mitgliedstaaten anzunähern. In ihrem beschäftigungspolitischen Aktionsplan verweist die Bundesregierung darauf, dass Deutschland die Mindestvorgabe bereits im vergangenen Jahr erfüllt habe. Daten über den europäischen Durchschnitt habe das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) bislang noch nicht vorgelegt, insofern könne keine Aussage getroffen werden. In der Vergangenheit sind die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Zuge von Sparprogrammen zur Haushaltskonsolidierung immer wieder gekürzt worden. Eine Umkehrung dieser Politik zugunsten neuer Beschäftigungsprogramme enthält auch der Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Leitlinien nicht. Vielmehr hält die Bundesregierung mit dem dort vorgelegten Katalog arbeitsmarktpolitischer Förderinstrumente an ihrer bisherigen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik fest.

Zur Förderung eines Partnerschaftskonzepts sollen den Leitlinien zufolge die Sozialpartner versuchen, Ausbildungs- oder Praktikumsplätze sowie Angebote für den Erwerb von Berufserfahrung oder sonstige Maßnahmen bereitzustellen, die die Vermittelbarkeit der Arbeitsuchenden erhöhen. Darüber hinaus sollen die Mitgliedsstaaaten und Sozialpartner die Möglichkeiten der lebenslangen Weiterbildung verbessern. Diese Vorgabe ist aus frauenspezifischer Sicht insbesondere im Hinblick auf den Wiedereintritt der Frauen in den Arbeitsmarkt nach der Familienphase von hoher Bedeutung. Eine Umsetzung dieser Forderung findet sich im beschäftigungspolitischen Aktionsprogramm der Bundesregierung jedoch nicht.

[Seite der Druckausg.: 82]

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Priorität 4: Anpassungsfähigkeit

Damit sich Unternehmen und Arbeitskräfte auf die neuen Technologien und veränderten Marktbedingungen besser einstellen können, sind nach Auffassung der Europäischen Kommission sowohl Maßnahmen zur Modernisierung der Arbeitsorganisation als auch Instrumente zur Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen notwendig.

Zur Modernisierung der Arbeitsorganisation fordert die Europäische Kommission die Sozialpartner und die Mitgliedstaaten auf, im Interesse der Arbeitnehmerinnen Rahmenbedingungen für flexiblere Formen von Arbeitsverträgen zu schaffen. Mehr Sicherheit und eine Verbesserung des Arbeitnehmerstatus sollen Arbeitskräfte in atypischen Beschäftigungsverhältnissen erhalten. Eine Reduzierung der Arbeitszeit darf dabei nach Auffassung der Europäischen Kommission weder die Aufstiegschancen beeinträchtigen noch durch einen geringeren sozialen Schutz bestraft werden. Darüber hinaus sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass geeignete Vereinbarungen über die Arbeitsorganisation sowie über flexible Arbeitsregelungen, inklusive Arbeitszeitverkürzung, getroffen werden. Ein entsprechender Ansatz fehlt im beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesregierung. Dies ist insofern bedauerlich, weil insbesondere Frauen an einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung, einschließlich Arbeitszeitverkürzung, interessiert sind. Gerade in Ländern wie Deutschland ermöglicht erst eine flexible Anpassung der Arbeitszeit an die starren Öffnungszeiten der Schulen und Kindergärten die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen. Dies gilt insbesondere für Haushalte mit niedrigem Einkommen. Familien mit einem hinreichend hohem Einkommen, können beispielsweise durch eine familienergänzende marktmäßige Kinderbetreuung ihre lebensweltlichen Anforderungen erfüllen. Die Modernisierung der Arbeitsorganisation hinsichtlich atypischer Beschäftigungsverhältnisse wird um so dringlicher, als ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnen. So waren in den Jahren 1987 bis 1990 rund ein Drittel aller netto neu geschaffenen Arbeitsplätze mit befristeten Verträgen versehen. Dabei spielten die zeitlichen Befristungen insbesondere in Spanien, Frankreich und Portugal eine bedeutende Rolle. Die Tendenz zu mehr befristeten Arbeitsverträgen ist im europäischen Durchschnitt sowohl für männliche

[Seite der Druckausg.: 83]

als auch für weibliche Beschäftigte feststellbar, allerdings sind Frauen noch stärker von den Unsicherheiten befristeter Arbeitsverträge betroffen als Männer (Tabelle 8). In Bezug auf den Stellenwert befristeter Arbeitsverhältnisse zeigen sich erneut gravierende Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Eine besonders große Rolle spielen befristete Beschäftigunsverhältnisse in Spanien. Im Jahr 1995 belief sich der Anteil der befristet Beschäftigten in Spanien auf 35,0 v. H. (gegenüber 15,6 v. H. im Jahr 1987). In der Gruppe der spanischen Frauen war der Anteil der befristet Beschäftigten mit 38,3 v. H. (gegenüber 18,4 v. H. im Jahr 1987) überproportional hoch. Auf relativ geringem Niveau liegt dagegen der Anteil der befristet beschäftigten Frauen in Belgien und im Vereinigten Königreich mit 7,8 v. H. bzw. 7,4 v. H. im Jahr 1995. In beiden Staaten war der Anteil zudem im letzten Jahrzehnt rückläufig. Der Anteil zeitlich befristeter Beschäftigungsverhältnisse von Männern ist im selben Zeitraum im Vereinigten Königreich gestiegen und in Belgien zurückgegangen. In beiden Staaten liegt der Anteil der befristeten Beschäftigungen von Frauen allerdings deutlich über dem von Männern. In Deutschland belief sich der Anteil der befristeten Beschäftigung 1995 auf 11,1 v. H.. Auch diesbezüglich enthält das beschäftigungspolitische Aktionsprogramm der Bundesregierung jedoch keine weiterführenden Maßnahmen.

Zur Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen enthalten die Leitlinien des Luxemburger Beschäftigungsgipfels Vorschläge zur Anpassung des Qualifikationsniveaus der Beschäftigten an die veränderten Marktbedingungen. Dazu sollen die Mitgliedstaaten nach Ansicht der Europäischen Kommission den Unternehmen Anreize bieten, Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen. Dies kann durch den Abbau steuerlicher und sonstiger Hindernisse zugunsten steuerlicher Anreize erfolgen. Überdies sollen auch Anreize für Arbeitnehmer, Ausbildungsmöglichkeiten zu nutzen, geschaffen werden. Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten ihre Förderpolitik auf die Höherqualifizierung von Arbeitskräften und auf die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen konzentrieren. Die Bundesregierung verweist in ihrem Aktionsplan vor allem auf Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung von Problemgruppen des Arbeitsmarktes, also von Arbeitslosen sowie von Personen die von Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht sind oder über keinen beruflichen Ab-

[Seite der Druckausg.: 84]

schluß verfügen. Anreize für innerbetriebliche Fortbildungsmaßnahmen, wie sie die europäischen Leitlinien vorsehen, sind im beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesregierung dagegen nur in quantitativ sehr geringem Umfang enthalten.

Tabelle 8: Anteil der befristeten Beschäftigungen


1985

1995

Männer und Frauen, EU 15

9,1

11,5

Frauen, EU 15

9,7

12,5

Männer und Frauen, Deutschland

10,0

10,4

Frauen, Deutschland

11,1

11,1

Quelle: Europäische Kommission (1996): Beschäftigung in Europa, Brüssel, S.147ff.




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Fazit

Trotz zunehmender Erwerbstätigkeit von Frauen in Europa zeigen sich frauenspezifische Problemfelder am Arbeitsmarkt, für die der Luxemburgische Beschäftigungsgipfel wesentliche Ansatzpunkte bietet. Positiv hervorzuheben sind insbesondere die quantitativen Vorgaben der europäischen Leitlinien hinsichtlich der Reduktion der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit sowie der Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Vorgaben der Europäischen Kommission werden im beschäftigungspolitischen Aktionsprogramm der Bundesregierung nur unzureichend umgesetzt. Letzteres enthält im wesentlichen eine Zusammenstellung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente der Bundesregierung. Ein zusätzliches Beschäftigungsprogramm auf Bundesebene oder eine Verschiebung der arbeitsmarktpolitischen Akzente wurde nicht beschlossen, vielmehr soll die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik unverändert beibehalten werden. Unzureichend sind sowohl die europäischen Beschlüsse als auch das Aktionsprogramm der

[Seite der Druckausg.: 85]

Bundesregierung in Bezug auf die wünschenswerte Arbeitszeitverkürzung. Die Bewältigung des Alltags vor allem von Eltern setzt eine Neugestaltung der Aufgabenteilung innerhalb des Haushalts voraus und erfordert deshalb eine Flexibilisierung und Verkürzung der Erwerbszeiten sowohl von Frauen als auch von Männern. Wünschenswert wäre eine Regelung, die zum Zweck der Betreuung von Kindern ein Recht auf Teilzeitarbeit und flexible Erziehungszeiten einräumt. Hierzu sollte die Europäische Richtlinie zum Elternurlaub baldmöglichst in nationales Recht umgesetzt werden. Überdies ist eine verbesserte Infrastrukturausstattung hinsichtlich der externen Kinderbetreuungsmöglichkeiten erforderlich. Ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges ganztägiges Betreuungsangebot für Kinder aller Altersgruppen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer.

[Seite der Druckausg.: 86 = Leerseite]


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