FES-Netzquelle " Politik und Gesellschaft" Themenmodul GEWERKSCHAFTEN in OSTEUROPA
Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Zum Stand der Gewerkschaftsbewegung in Rumänien 2004
Karen Ziemek, Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien

Rumäniens Diktaturerfahrung unter Ceauşescu gilt als intensivste in der gesamten Region. Die Gewerkschaft wurden in der UGSR (Allgemeine Union der Rumänischen Gewerkschaften) monopolisiert und war Teil der kommunistischen Führung. Nach der Revolution ging die Neuformierung geradezu rasant vonstatten. Innerhalb von zwei Jahren ist eine ausdifferenzierte, landesweite Gewerkschaftbewegung von Konföderationen und unzähligen Föderationen und Einzelgewerkschaften entstanden. Bis Ende 1994 war das Gewerkschaftsumfeld in Rumänien dann auch nach parteipolitischer Ausrichtung organisiert. Unter dem damaligen Vorsitzenden Victor Ciorbea spaltete sich ein Teil von der CNSLR - Frăţia und wurde zur eher christdemokratisch orientierten CSDR.

Gewerkschaftler spielten in der Nachwende-Zeit Rumäniens eine erhebliche politische Rolle. 1991 kam es zu putschähnlichen, gewalttätigen Auseinandersetzungen der Bergarbeiter, sogenannten Mineriaden, gegen Premier Petre Roman, Studenten und Intellektuelle. Auch noch 1999 versuchten sie aus Protest gegen Entlassungen nach Bukarest zu kommen, wurden aber von der Polizei zusammengeschlagen.

Aber auch jetzt noch 14 Jahre nach der Revolution ist in der Gewerkschaftslandschaft noch Bewegung. Ein- und Austritte von Einzelgewerkschaften und Fusionsgerüchte sind eher die Regel als die Ausnahme.

Die wichtigsten Gewerkschaftskonföderationen in Rumänien

Confederatia Nationala a Sindicatelor Libere din România- Frăţia, CNSL - Frăţia
(Nationale Konföderation Freier Gewerkschaften Rumäniens- Brüderschaft)

Gründungsjahr:
Gründung 1990, Zusammenschluss erfolgte 1993

Mitgliedszahl:
800 000 (landesweit), 1996/7 ca. 2 Mio.

Vorsitzender:
Petcu Marius von Federatia SANITAS din Romania

Bedeutendste Branchen:
alle, Petrom, Gesundheit

Mitgliedschaften:
ETUC, IFTU

Politische Ausrichtung: sozialdemokratisch, gilt als Nachfolgeorganisation der UGSR und steht der Regierung nah

Blocul Naţional Sindical- BNS
(Nationaler Gewerkschaftsblock)

Gründungsjahr:
15 Oktober 1991

Mitgliedszahl:
375,000 (in 36 von 41 Kreisen), 1996/7 ca. 700 000

Vorsitzender:
Dumitru Costin

Bedeutendste Branchen:
Maschinenbau, Bau, Energie, Post, Telekommunikation, Kultur

Mitgliedschaften:
ETUC, IFTU

Politische Ausrichtung:
eher sozialdemokratisch, will 2004 eine eigene Partei gründen

Confederaţia Sindicatelor Democratice din România- CSDR
(Demokratische Gewerkschaftskonföderation Rumänien

Gründungsjahr:
Oktober 1994

Mitgliedszahl:
345 000 (in 20 von 41 Kreisen)¸ 600 000 (1996/7)

Vorsitzender:
Iacob BACIU

Bedeutendste Branchen

Mitgliedschaften:
ETUC, WCL

Politische Ausrichtung:
christdemokratisch, gute Beziehungen zur Regierung 1996-2000

Confederaţia Naţionala Sindicală Cartel Alfa

Gründungsjahr:
1990

Mitgliedszahl:
325 000 (in 39 von 41 Kreisen), 1996/7 ca. 1,2 Mio.

Vorsitzender:
Bogdan Iuliu HOSSU

Bedeutendste Branchen:
Schwer- und Leichtindustrie, plus Bergbau, Landwirtschaft und Bildung,

Mitgliedschaften:
ETUC, WCL

Politische Ausrichtung:
eher christdemokratisch

Meridian

Gründungsjahr:

Mitgliedszahl:
170 000 (eigene Umfrage), 600 000 (1996/7)

Vorsitzender
: Ion Popescu

Bedeutendste Branchen:
Bergbau, Chemie- und Kunststoff, Leichtindustrie, Transport, Medien

Mitgliedschaften:
keine, aber seit 2003 Allianz mit Konsumgenossenschaft CENTROCOOP und der Handwerkergenossenschaft UCECOM

Politische Ausrichtung:
unabhängig

Hinzu kommen noch die Branchengewerkschaften

besonders einflußreich: Bergbau, Metallverarbeitung, Bildung, Einzelhandel, Landwirtschaft und Gesundheit

Mitgliedszahlen beziehen sich auf eigenen Angaben.

Bis 1989 hatten sich die Gewerkschaften vornehmlich damit Verdienste erworben, indem sie Sportveranstaltungen organisierten und Urlaube bezahlten. Seither sehen sich die Gewerkschaften Rumäniens aber gezwungen, ihre Strategien dem Umstand anzupassen, dass ihnen die Mitglieder förmlich davonlaufen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Rumänien von annähernd 90% 1990 über 70% 1996/7 auf 30% 2001 geschrumpft (geschätzte Werte der Open Society Foundation). Lediglich in den traditionellen Gewerkschaftsbranchen Öl, Gas und Chemie, Bergbau und in der Schwerindustrie blieben die Werte auf kommunistischer Höhe. Am schwächsten ist ihre Verankerung in der Land- und Forstwirtschaft sowie im öffentlichen Sektor. Zu bedenken bleibt, dass über die Stärke der Gewerkschaften ohnehin nur gemutmasst werden kann. Gezählt wird nämlich die gesamten Belegschaft eines Unternehmens, nicht das einzelne Mitglied.

Soft Korporatismus und hard deals

Nach wie vor ist Armut und prekäre Beschäftigung in Rumänien weit verbreitet. Daran ändert auch das hohe Wachstum der letzten Jahre erstmal wenig. Das durchschnittliche Lohnniveau im formellen Beschäftigungssektor ist extrem niedrig gemessen an den kontinuierlich wachsenden Konsumpreisen. Erdgas stieg 2003 um 22%, Strom um 17,5% und die Post um 21% an. Zwar wurden die Agrarrenten verdoppelt, aber bei 21 Euro monatlich klingt dies besser, als es sich für die rurale Bevölkerung letzlich auswirkt. Dabei stehen einige größere Modernisierungs- und Entlassungswellen noch an.

Rumäniens Arbeitsbeziehungen werden noch immer von den Beben der Transition erschüttert. Erhebliche Spannung entluden sich jüngst im Bildungsektor, bei der Bahn und nach wie vor bei den Bergbauarbeitern. Aufmerksamkeit erregte der Hungerstreik der Beschäftigten der Republica im Frühjahr 2004. Ihr Maschinenbauunternehmen gehörte zu den privatisierten Staatsbetrieben, bis sich die Investoren definitiv wieder zurückzogen. Der Regierung bleibt keine Wahl, als immer wieder die Überlebenssicherung des Unternehmens mit den Mitarbeitern zu verhandeln, will sie nicht den unpopulären Verlust einiger Tausenden von Arbeitsplätze riskieren.

In den letzten Jahren versucht der Staat die sozialen Konflikte durch die Einrichtung von Dialoginstitutionen unter Kontrolle zu bringen. Solche tripartistischen Gremien gab es bis 1998 in Rumänien schlichtweg nicht. Inzwischen sind Kommissionen des sozialen Dialogs in allen Ministieriun und auch der Privatisierungsbehörde eingerichtet. 2002 entstand auch eine tripartäre Nationale Kommission für Beschäftigungsförderung.

Als Hauptinstrument dieses staatlich verordneten Tripartismus wurde der Wirtschafts- und Sozialrat (CES) 2003 neu geordnet. Auf Geheiss der Regierung setzt sich der Rat aus den Sozialpartnern sowie NGOs zusammen und hat den Auftrag, Stellungnahmen zur Geld-, Finanz-, Steuer- und Einkommenspolitik abzugeben. Im Ergebniss hiess dies allerdings größtenteils, dass der CES den Gesetzesentwürfen der Regierung seine Zustimmung erteilt.

Der Dialog hat klar dafür gesorgt, dass es zu weniger Streiks kam. Waren es 1999 noch 85, so fiel die Zahl bereits 2 Jahre später auf 5, 2002 auf 13 und 2003 auf weniger als 10. Die tripartistischen Kommissionen können für Konsultationen und Transparenz sorgen, auf die separat geführten Lohnverhandlungen haben sie so gut wie keinen Einfluss.

Was die Tarifpolitik angeht, so weist Rumänien einige Besonderheiten auf:

1. Der nationale Mindestlohn ist Teil eines Sozialabkommens zwischen Gewerkschaft und Staat. Es soll Ergebnis eines jährlichen Verhandlungsprozess sein, bietet den Gewerkschaften aber de facto keine anderen Einflussmechanismen als das Veto.

Das Sozialabkommen 2002 verhiess ein Anstieg von 25%, wodurch der Mindestlohn auf 64 Euro (!) stieg. 2003 kam es nicht zu einer Übereinkunft. Auch 2004 liegen die Forderungen weit auseinander. Die Gewerkschaften forderten bereits im Herbst 2003 eine Anhebung auf 100 Euro, während die Regierung bislang nur 70 Euro anbot.

2. Zu den Besonderheiten der Tarifpolitik in Rumänien zählt auch der Umstand, dass die Ergebnisse erst auf Unternehmerebene substantiell werden. Das national verhandelte Einkommen wie das Mindesteinkommen liegt weit entfernt von dem, was einem Metallarbeiter letzlich zum Leben zugestanden wird.

Dementsprechend bezog sich nur 5% der 11 200 abgeschlossenen Tarifverträgen auf Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten (Angaben von EIR von 2003). Nur selten schliessen sich Unternehmen zur gemeinsamen Verhandlung zusammen. Landesweit gibt es so in Rumänien 12 Unternehmerverbände.

3. Es entspricht rumänischen Verständnissen durchaus, dass Löhne real auch sinken können, also nicht über die Inflationsrate hinaus angepasst werden.

Die langjährige Forderung der Gewerkschaften nach einer landesweit einheitlichen Indexierungsregel verhallt unbeantwortet, was zur Folge hat, dass der Lohnanstieg in den letzten Jahren von ca. 2% nicht nur unter der Produktivitätssteigerung, sondern auch unter der Inflationsrate blieb. Gewerkschaftler haben somit einen schlechten Stand angesichts der Mainstream-Argumentation, Investitionen seien durch Niedriglöhne anzuziehen.

4. Gleichzeitig ist der Staatsanteil am Lohn überdurchschnittlich hoch. Die Einkommenssteuer von bis zu 40% des Bruttolohns macht informelle Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitgeber attraktiv und zwingt Arbeitnehmer in prekäre Anstellungsverhältnisse.

Bewegung kam in dieses Thema, als die Regierung die Einführung einer Flat-Tax von 23 % diskutierte. Die Gewerkschaften protestierten klar gegen diesen Vorschlag der Abschaffung der progressiven Einkommensversteuerung und verstärkten ihre Position der Anhebung des Mindesteinkommens.

Gewerkschaftliche Positionen im gesamtgesellschaftlichen Auftrag-

Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik

Seit Ende des Kommunismus müssen Gewerkschaften nun nicht nur die Verhandlung der Arbeitsbedingungen der arbeitenden Bevölkerung in die Hand nehmen, sondern auch neue gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die aktive Gestaltung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie der Privatisierung und Umstrukturierung der Wirtschaft angehen.

Dabei haben sich die Gewerkschaften zunächst selbst gebremst. Nach 1989 haben sich die Gewerkschaften selbst aus der Politik herausgedrängt, indem sich von der kommunistischen Politik distanzierten und politische Ämter verweigerten.

Die Diktaturerfahrung verhindert an vielen Stellen auch jetzt noch eine sachliche, politische Auseinandersetzung. Die Gewerkschaftsgrundidee wird immer noch eng verknüpft mit dem kommunistischen Systems gesehen. Beispielsweise ist das Thema Betriebsverfassung Tabu, weil es als identisch mit dem "Rat der Werktätigen" unter Ceauşescu aufgefasst wird.

Dies schafft eine komplizierte Ausgangslage für die heutige politische Arbeit und führt zu teilweise bizarren Beziehungen der Gewerkschaften zur Macht. Die CNSLR-Fratia verbrüderte sich geradezu mit der Regierung für das Wahljahr 2004, indem sie einen "Partnerschaftsvertrag für eine gemeinsame Zusammenarbeit" mit Premier Adrian Nastase abschloss und das Regierungsprogramm der PSD offen unterstützt. Der BNS hat dagegen jüngst nach einer Mitgliederbefragung den Schluss gezogen, noch 2004 eine eigene Linkspartei zu gründen.

Womöglich ist es unter anderem auch den Gewerkschaften zuzuschreiben, dass Rumänien im Vergleich zu seinen postkommunistischen Nachbarn eher als Spätzünder einer pro-aktiven Arbeitsmarktpolitik und Privatisierung gilt. Es ist äusseren Einflüssen wie EU und IMF zu verdanken, dass 2003 schlagartig eine neue Verfassung sowie die Rahmengesetze zu den Gewerkschaftsrechten, den Arbeitsbeziehungen und die Arbeitsgesetzgebung Rumäniens verabschiedet wurden(1). Rumänien wurde damit zumindest legislativ auf europäischen Standard gebracht.

Der äussere Einfluß zeigt sich auch darin, dass als Folge der Verhandlungen zwischen Regierung und IMF 19 300 Mitarbeiter der 3 Eisenbahngesellschaften nach und nach entlassen werden. Im Anschluss an die Parlamentswahlen soll der Privatisierungsprozess, insbesondere im Energiesektor, abgeschlossen werden und die Verwaltung kräftig effizient gestutzt werden. Damit steht Rumänien an dem Punkt, den die rumänischen Regierungen bisher immer aufschob und die die Nachbarländer bereits in den 90er Jahren durchgemacht haben; eine weitere Verteuerung der Energiepreise und schmerzhafte Massenentlassungen.

Herausforderungen

Die Harmonisierung der Sozialbeziehungen ist dem Umstand des EU-Beitritts zu verdanken. Viel wird davon abhängen, wieviel Herz auch in Monitoring und Umsetzung gesteckt wird und wieviel Druck Gewerkschaften hierauf auslösen können.

Viel kann noch herausgeholt werden, bis die Gewerkschaften ihren Platz im neuen gesellschaftlichen und politischen Umfeld ausfüllen. Blinde politische Verbrüderung und Versteifung auf die Nein-Sager- Rolle tut den Gewerkschaften nicht gut. Sie müssen eigene Positionen entwickeln, die im politischen Diskurs nutzbar gemacht werden können. Verkrustete Strukturen müssen durch intelligente Öffentlichkeits- und Lobbypolitik ersetzt werden, Anwaltschaft für zentrale gesamtgesellschaftliche Fragen unabhängig und wertbezogen übernommen werden. Kommunikation und Service muss modernisiert werden. Mitgliederumfragen wie die des BNS dürfen keine Ausnahme mehr sein. Dachverbänden, aber auch einzelne Gewerkschaften dürfen sich nicht mehr ohne Internetseite präsentieren, sondern müssen offensiv auf Menschen und ihre Probleme zugehen.