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Verkehrsvermeidung, Mobilitätsmanagement und Zurechnung der Mobilitätskosten : Elemente einer innovativen Verkehrspolitik / diese Thesen wurden erarb. von Christoph Dänzer Vanotti ... Unter Federführung von Ulrich Pfeiffer. Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. - [Electronic Ed.]. - Bonn, 1995. - 9 S. = 26 Kb, Text
Electronic ed.: Bonn: FES-Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




VERKEHRSVERMEIDUNG, MOBILITÄTSMANAGEMENT UND ZURECHNUNG DER MOBILITÄTSKOSTEN - ELEMENTE EINER INNOVATIVEN VERKEHRSPOLITIK

I.

Nur wenige Themen werden in der Öffentlichkeit so emotional diskutiert wie das Thema Verkehr. Alle sind davon betroffen - sei es als Verkehrsteilnehmer, als Arbeitnehmer im Verkehrswesen oder auch als Geschädigte. Der als selbstverständlich empfundene Alltag der Bevölkerung ist in seiner gelebten Form nur durch ein komplementäres riesiges Verkehrssystem denkbar. Auch wenn sich im statistischen Durchschnitt die Anzahl der täglichen Wege je Person sowie der tägliche Zeitaufwand für Mobilität über Jahrzehnte kaum verändert haben, so ist die Anzahl der potentiell erreichbaren Ziele durch die Ausweitung des Mobilitätssystems rapide angewachsen. Die Möglichkeit, auswählen zu können, wird in unserer Gesellschaft überwiegend als positiv oder gar als ein wesentliches Stück Lebensqualität gesehen. Dennoch ist klar, Verkehr und Mobilität können in ihrer heutigen Qualität und Quantität nicht nur als Segen empfunden werden. Zwei Begrenzungen werden zunehmend spürbar:

  • Die ökologischen Folgelasten wachsen im expandierenden System schneller, als dies durch technische Verbesserungen aufgefangen wird.

  • Das Verkehrssystem wird aufgrund zunehmender Engpässe ineffizienter, der Zeitaufwand für Fahrten steigt und wird schlechter kalkulierbar.

II.

Die zentrale Größe der automobilen Mobilitätsexplosion ist die Entwicklung der Fahrzeugkilometer. Energieverbrauch, Emissionen, Stauphänomene, Straßenausbaumaßnahmen sind aufs engste mit der wachsenden Fahrleistung verknüpft. In NRW registrierte man von 1970 bis 1992 in etwa eine Verdoppelung von 54 Mrd. auf 108 Mrd. Fahrzeugkilometer im motorisierten Individualverkehr (MIV). Der Kraftfahrzeuggüterverkehr hatte etwas geringere Wachstumsraten als der MIV, vor allem war die Entwicklung stärker konjunkturabhängig. Auch der städtische Wirtschaftsverkehr hat aufgrund zunehmender Tertiärisierung zugenommen. Nicht zuletzt deshalb werden die Täler zwischen morgendlichen und abendlichen Verkehrsspitzen in den Städten immer flacher.

Alle Rahmendaten deuten auf eine weitere Intensivierung der individuellen Motorisierung hin. Mit steigendem Wohlstand und steigendem Freizeitinteresse wird der Mobilitätsbedarf in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen, wobei folgende Tatsachen synergetisch zusammenwirken:

  • steigende Freizeitbudgets werden in Verkehr umgesetzt;

  • steigende Kaufkraft wird in individuelle "Ein-Mann/Frau-Fahrzeuge" investiert;

  • deutliche Zunahme der älteren Fahrer/Fahrerinnen bei hoher Kilometerleistung (aktive "junge Alte");

  • Expansion der Mobilitätsinteressen der Babyboomgeneration, die es sich leisten kann, sich "voll zu motorisieren";

  • Erschließung des noch unausgeschöpften Potentials der Frauen als PKW-Käufer (bisher keinerlei Trend zur Sättigung);

  • Erhöhung des Komforts des PKW's (und möglicherweise der Motorleistung);

  • auf mittlere Frist keine Engpässe bei der Mineralölversorgung, so daß die Rohölpreise sich im Rahmen der gewohnten Schwankungen bewegen;

  • keine relativen Steigerungen der Kfz-Anschaffungs- und Wartungskosten;

  • Beschleunigte Fortsetzung des Trends einer großräumig dispersen Siedlungsentwicklung (Wege werden potentiell länger).

Auch im Güter- und Wirtschaftsverkehr gibt es verschiedene Trends, die für einen starken weiteren Zuwachs "auf der Straße" sprechen.

Nichts deutet darauf hin, daß der skizzierte Trend in Kürze ein "natürliches Ende" findet bzw. gesättigt sei. Auch eine nennenswerte Verlagerung des Personenverkehrs vom MIV auf den ÖV ist nicht in Sicht. Im Gegenteil wird trotz punktueller Erfolge eine große Kraftanstrengung nötig sein, um bei insgesamt stark expandierender Mobilität die Modal-Split-Anteile des ÖV in etwa zu halten. Die bisher angedachten oder auch praktizierten Lösungen und verkehrspolitischen Konzepte reichen nicht aus. Als zentrale lllusion erweist sich die Annahme durch Ausbau und Verbesserung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs und des schienengebundenen Verkehrs eine deutliche Verlagerung der Verkehrsnachfrage weg von der Straße auf die Schiene zu erhalten. Dies gilt insbesondere nicht im Berufsverkehr. Größere Erfolge dürften im Personenfernverkehr auf der Schiene zu erreichen sein.

Die jüngste Siedlungsentwicklung macht deutlich, daß in der Bundesrepublik eine lang anhaltende, großräumige Dispersion stattgefunden hat. Immer mehr Haushalte siedeln sich außerhalb der Stadtregionen in ländlich und mittelstädtischen geprägten Regionen an. Die Abwanderung junger Familien aus diesen räumlichen Stadtregionen ist gestoppt. Damit entsteht eine Siedlungsstruktur, die zu einer sehr viel größeren Autoabhängigkeit führt als in der Vergangenheit. Der Erwartung einer wachsenden Bedeutung des schienengebundenen, insbesondere öffentlichen Personennahverkehrs, steht seit langem ein Konsens, die Straßenkapazitäten, insbesondere im Fernstraßenbereich, nicht mehr oder nur noch an spezifischen Engpässen auszuweiten, gegenüber. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach (Fern) Straßenleistungen ist ohne nähere Analysen absehbar, daß dort Deutschland in einen gigantischen Stau fährt. Damit wachsen die Zeitverschwendungen und besonders unsinnigen Umweltbelastungen im Verkehr, denen keinerlei Nutzen gegenüber steht.

III.

Jede künftige Verkehrspolitik muß die Ursachen und Folgen einer expansiven Automobilität zur Kenntnis nehmen und Antwort auf die Frage finden, wie ökologische Belastungen und zu hoher Kapital-Zeitaufwand reduziert werden kann. Dabei wird in der bisherigen Verkehrspolitik der Zeitverlust und die Zeitverwendung offensichtlich zu wenig berücksichtigt. Wenig hilfreich sind die Visionen, die unbezahlbar sind. Visionen, deren Realisierung Alltagshandeln radikal ändern würde, ersticken im Geflecht der Gewohnheiten. Verkehrspolitische Leitlinien und Maßnahmen sollten allerdings deutliches Verhalten plausibel machen, wie deutliche Verhaltensänderungen erreicht werden sollen. Gleichzeitig müssen sie nahe genug am Alltag sein, um praktisch auch realisiert zu werden. Für eine Verkehrspolitik neuen Stils gelten folgende Leitlinien.

  • Die Kosten für Infrastruktur, Betrieb, ökologische Belastung und Nutzung knapper Infrastrukturkapazitäten müssen den Verkehrsformen zugerechnet werden.

  • Subventionen aller Art, die Mobilität unnötig verbilligen und damit der Mobilitätsexpansion Vorschub leisten, müssen abgebaut werden.

  • Eine Abkopplung des Mobilitätswachstums vom Wachstum der MlV-Fahrzeugkilometer muß eingeleitet werden.

  • Die ökologische Eingriffsintensität (Energieverbrauch und Emissionen) des Verkehrs muß gesenkt werden.

  • Die Kapitalintensität muß gesenkt werden. Diese Aufgabe gewinnt angesichts knapper öffentlicher Kassen eine wachsende Dringlichkeit.

  • Kurz- und mittelfristige Erfolge zählen mehr. Ein Wandel des Mobilitätssystems kommt nicht von heute auf morgen. Wichtig ist es durch schnell greifende Maßnahmen, in der Periode bis 2000/2010 Zeit zu gewinnen, um in der Zeit danach weitere Verbesserungen umsetzen zu können.

  • Pilotprojekte sind wichtig, weil mit ihnen heute mögliche Massenanwendungen für übermorgen erprobt werden.

IV.

Gemessen an diesen Leitlinien ist die ÖV dominierte Verkehrspolitik kein umfassender Ansatz zur Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Verkehrsprobleme. Es ist eine lllusion durch eine Verbesserung des ÖV einen Abbau der Staus auf den Straßen erreichen zu wollen. Vor allem wird die Komplementarität zwischen öffentlichen Personennahverkehr und dem Individualverkehr übersehen. Wer ÖV-Netze luxuriös ausbaut, erzeugt gleichzeitig Individualverkehr, weil der ÖV ermöglicht, sich weit entfernt vom Arbeitsort dispers anzusiedeln, mit dem Ergebnis, daß abgesehen vom täglichen Berufsweg alle anderen Mobilitätsbedürfnisse überwiegend mit dem Auto erfüllt werden. Jedes Verkehrssystem bzw. seine Steuerung steht vor der komplexen Aufgabe, den einzelnen entsprechend ihrer sehr unterschiedlichen Bedürfnisse, insbesondere über den Tag wechselnden Bedürfnisse, ein möglichst hohes Maß an Wahlfreiheit zu bieten. Das bisherige Steuerungssystem ist gemessen an diesen heterogenen, z.T. miteinander in Konflikt stehenden Nutzungsanforderungen zu wenig sensibel. Es mangelt an der Rückkopplung zu den ökologischen und volkswirtschaftlichen Gesamteffekten: Die Aggregation individueller Optimierungen führt zu einem suboptimalen Gesamtsystem. Wahlfreiheit im Verkehrssystem sollte deshalb erhalten bleiben. Es muß aber ein Steuerungssystem mit Rückkopplungsmechanismen entwickelt werden. Jeder Verkehrsteilnehmer muß die Folgelasten, die für Dritte beispielsweise durch Staus, Benzinverbrauch, Luft- und Lärmbelastung sowie Flächeninanspruchnahme entstehen, in seine Entscheidungen der Verkehrsmittelwahl mit einbeziehen.

Deutschland steht, wie alle anderen westlichen Länder, vor einer lang anhaltenden Verknappung öffentlicher und natürlicher Ressourcen. Das bedeutet, im Verkehr die vorhandenen Kapazitäten besser auszunutzen. Innovative Sparsamkeit muß deshalb mehr Mobilität ohne mehr Verkehr erreichen. Als Folge eines massiven und wachsenden Autobesitzes und Autoverkehrs kann eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik sich nicht auf eine reine ÖV-Politik konzentrieren. Das grenzt an Realitätsverweigerung. Notwendig ist eine umfassende Mobilitätspolitik, die die verschiedenen Verkehrsträger als System versteht und es optimiert, indem sie Zeitaufwand, Kapitaleinsatz und ökologische Belastungen für dieses System minimiert.

V.

Alle verkehrspolitischen Maßnahmen sollten darauf ausgerichtet sein, daß Mobilitätssystem effizienter zu gestalten. Dies gilt für die Ausnutzung von MIV, ÖV, Güterverkehr und städtischem Wirtschaftsverkehr genauso wie für Infrastruktur und Siedlungssystem. Eine Schlüsselrolle bei jeder künftigen Verkehrspolitik hat die Entscheidung eines generellen Abbaus aller Mobilitätssubventionen. Viele Probleme der jetzigen Übermobilität entstehen aus der Tatsache, daß jede Form von Mobilität subventioniert wird. Dies führt zu überzogener räumliche Arbeitsteilung zu einem Siedlungssystem, das sehr viel Verkehr erzeugt und zu Verkehrsformen, die sehr umweltbelastend sind. Vor diesem Hintergrund muß eine verkehrspolitische Strategie Maßnahmen in den Mittelpunkt stellen, die den individuellen Entscheidungen zur Nutzung von Verkehrsmitteln deren Folgelasten direkt zurechnen. Dazu gehören:

  • Die Einführung eines Fahrzeug-Nutzungsmanagements (evtl. im Rahmen eines breiter angelegten Verkehrs-Systemmanagements), damit die Mobilitätsexpansion nicht zwangsläufig mit einem Wachstum der Fahrzeugkilometer einhergeht. Ziel ist ein Anstieg der durchschnittlichen Besetzungsziffern im Pkw. Ein echtes Fahrzeug-Nutzungsmanagement muß aber wesentlich weitergehen als "gelegentliches Mitfahren".. Die Pkw-Nutzung muß ein Stückchen "kollektiver" werden. Mittels einer datengestützten "Fahrzeug-Management-Zentrale" müssen Fahrtenangebote und Fahrtennachfragen auch kurzfristig kombiniert werden können. Gleichzeitig ist rechtliche Sicherheit fürs "Mitnehmen" zu schaffen, wodurch auch "spontanes Mitfahren" erleichtert wird. Auch ein Abrechnungssystem ist erforderlich, mit dem Leistungen automatisch gebucht werden können.

  • Die Förderung von Logistikkonzepten für eine effizientere Ausnutzung von Transportkapazitäten im Güterverkehr und im städtischen Wirtschaftsverkehr. Die Aufgaben zielen in zwei Richtungen. Die Transportketten müssen optimiert werden, und die Fahrzeugkapazitäten müssen besser genutzt werden. GVZ, neue und schnellere Umschlagsysteme sowie die verstärkte Anwendung von Informations- und Kommunikationssystemen für "Mitfahrgemeinschaften im Güterverkehr" sind Schlüsseltechnologien.

  • Neben den Ansätzen, die Transportkapazitäten in den Fahrzeugen effektiver zu nutzen (Fahrzeug-Nutzungs-Management, Neue Logistikkonzepte), können Leitsysteme für eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Infrastruktur angewandt werden. Dies gilt für Straße und Schiene gleichermaßen. Während eine Effizienzsteigerung bei der Schienennutzung politisch unumstritten ist, wird gegen Leitsysteme auf der Straße eingewandt, sie würden ähnlich wie zusätzliche Straßen neue Verkehre nach sich ziehen. Daran ist vieles richtig, solange ein Ausbau von Verkehrsleitsystemen das zentrale oder gar einzige innovative verkehrspolitische Instrument ist. Eingebunden in andere Innovationen ist gegen Leitsysteme auf der Straße nichts einzuwenden, denn Staus sind als Steuerungsinstrument allemal unökologisch und unökonomisch.

  • Eine disperse Siedlungsstruktur und eine geringe Dichte bei gleichzeitiger funktionaler Trennung induziert in besonderem Maße Autoverkehr. Einzelne Wege sind relativ lang, und gleichzeitig ist es praktisch unmöglich, ohne Auto auszukommen, weil zu Fuß und mit dem Fahrrad nur wenige Ziele erreichbar sind. ÖV–Haltestellen sind oft nicht zu erreichen, und die linienhafte Erschließung deckt nur einen Teil der potentiellen Ziele ab. Täglich fallen neue Entscheidungen für disperse und dünnbesiedelte Siedlungsentwicklungen, die über Jahrzehnte nachwirken. Wenn Raum- und Siedlungsplanung zu einer mobilitätssparenden Entwicklung beitragen wollen, dann sind kurz- bis mittelfristige Entscheidungen und Weichenstellungen notwendig, um mittel- bis langfristig erste Wirkungen zu erzielen. Rd. vier Fünftel der Gebäude des Jahres 2010 stehen heute schon. Raum- und Regionalplanung bleiben mit ihren bisherigen Kompetenzen Papiertiger, die den Dispersionsprozeß nicht ernsthaft stoppen können. Wichtigster Schritt ist die Schaffung von Anreizmechanismen für geeignete Städte, langfristige Wachstumsprozesse mit verkehrssparenden Siedlungsformen auf sich zu nehmen. Veränderungen im kommunalen Finanzausgleich scheinen hier der wichtigste Ansatzpunkt zu sein.

  • Straßenbenutzungsgebühren (besser: "Stauverminderungspreise") werden auch in Deutschland zunehmend als mögliches verkehrssteuerndes Instrument der Zukunft diskutiert. Die Forschung konzentriert sich gegenwärtig auf technische Fragen, d.h. die Entwicklung eines Systems, welches auch bei größeren, fließenden Verkehrsströmen ohne Störung des Verkehrsflusses und ohne abrechnungstechnische Probleme eingesetzt werden kann. Auch rechtliche Fragen werden umfassend geprüft. Wenig Aufmerksamkeit wird aber dem Prozeß der "praktischen Einführung" und der "Akzeptanz" eines solchen Instrumentes gewidmet. Da in absehbarer Zeit flächendeckende Mautsysteme weder geplant noch technisch realisierbar sind, sollte man die verfügbare Zeit nutzen, um Pilotanwendungen punktuell zu erproben. Ziel eines solchen Pilotprojektes sollte nicht die "technische Reife" sondern das "Sammeln von Alltagserfahrungen" sein. Auch für den 1991 in Oslo eingeführten Mautring hat es in Norwegen viele Vorstufen gegeben, die ein städtisches Mautsystem überhaupt erst akzeptabel gemacht haben. Ein Mautpilotprojekt in NRW könnte beispielsweise die zu bauende Autobahnbrücke der A44 (nördlich von Düsseldorf zwischen dem Flughafen und der Westseite des Rheins) sein. An solchen Pilotprojekten könnte ein Mautsystem seine positiven Steuerungseffekte zeigen, während gleichzeitig dank des weiteren Vorhandenseins von Alternativstrecken denjenigen, die keine Straßengebühr zahlen wollen, umfassende Ausweichmöglichkeiten bleiben.

  • Der Abbau von Mobilitätssubventionen hat eine Schlüsselstellung, weil dadurch Veränderungen in verschiedenen Bereichen angestoßen oder leichter durchsetzbar werden. So dürften die verbesserten Möglichkeiten der Telearbeit (preiswerte Modems, Fax) bei höheren Mobilitätskosten eher genutzt werden als bei subventionierter Mobilität. Die gleiche Argumentation gilt bei der Anwendung von Logistiksystemen in Innenstädten und insbesondere im Güterfernverkehr. Auch die überzogene räumliche Arbeitsteilung wird dort abgebaut, wo eine Auslagerung von Produktionen nur geringe Kostenvorteile mit sich bringt. Die Neigung, Wohnen und Arbeiten räumlich immer weiter zu trennen, geht zurück. Ohne einen Abbau von Mobilitätssubventionen und ohne Zurechnung von Knappheiten, etwa durch Stauabgaben., wird das Ziel, mehr Mobilität bei möglichst wenig oder gar nicht steigendem Verkehr, nicht erreichbar sein.

  • Der Abbau von Mobilitätssubventionen und die Zurechnung von Umweltknappheiten wird auch die Suche nach neuen umweltfreundlichen Antriebsformen, neuen Werkstoffen und verbesserten Recyclingfähigkeiten intensivieren.

  • Eine Verteuerung von Benzin oder eine Belastung der Emissionen kann helfen, ökologische Ziele zu erreichen. In die gleiche Richtung wirken normative Vorgaben über den durchschnittlichen Benzinverbrauch von PKW-Flotten. Eine solche Verteuerung reicht jedoch als Steuerungsinstrument gegenüber den Staus nicht aus. Staus können nur mit spezifischen belastungsabhängigen Stauabgaben beeinflußt werden. Falls Energie verteuert bzw. Emissionen mit Abgaben belastet werden und falls zusätzlich Stauabgaben eingeführt werden, müßten an anderer Stelle, etwa in der Einkommensteuer, Einnahmeverringerungen erfolgen, damit eine steuernde und lenkende Verkehrspolitik nicht als Geldbeschaffungsinstrument des Fiskus diskreditiert wird.

Vl.

Alle Grundtrends sprechen für eine Ausweitung der Mobilität und insbesondere des MIV. Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen, die aus der jeweiligen Einzelbetrachtung vernünftig erscheinen, sind in der Aggregation unökologisch und unökonomisch. Dem individuellen Wohlfahrtsmaximierungsstreben steht ein kollektiver Wohlfahrtsverlust gegenüber. Der zentrale Ansatz zur Bewältigung der Verkehrsprobleme liegt in der "Domestizierung des Kfz-Verkehrs". Gerade weil das Auto weltweit eine immer stärkere Verbreitung und Anwendung findet, sind Konzepte, die die ökologischen und ökonomischen Folgen der massenhaften Motorisierung umfassend reduzieren, dringend geboten. Die ideologischen Exportschlager des Westens - individueller Wohlstand und Massenmotorisierung - sind in vielen Ländern (z. Zt. besonders in Südostasien) nicht mehr zu bremsen. Anstatt in den OECD-Ländern das Auto zu verteufeln und seinen Einsatz gleichzeitig auf hohem Niveau zu praktizieren und zu akzeptieren, muß das Mobilitätssystem (inkl. des Autos) so umgestaltet werden, daß es ökologisch und global anwendungsfähig wird. Dabei ist klar, das Auto von morgen ist nicht mehr das Auto von heute. Es muß "umweltfreundlicher" und "kollektiver" werden. Notwendig ist mehr Mobilität bei konstantem oder sogar sinkenden Verkehr. Veränderungen im Mobilitätssystem bieten die Chance, gleichzeitig ökologische und ökonomische Verbesserungen zu erzielen. Man sollte bei der Diskussion möglicher Instrumente immer die Frage stellen: Bewirkt die im System angestrebte ökonomische Verbesserung auch eine ökologische Verbesserung, und bewirkt eine ökologische Verbesserung auch eine ökonomische Verbesserung?

Eine Politik, die diesen Prinzipien folgt, wird auch konsensfähig sein, weil jedem, der die gegenwärtige Situation analysiert deutlich wird, daß die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten zu rasch wachsen. Gleichzeitig wird immer sichtbarer, daß eine Strategie der Rationierung von Straßenkapazitäten bei Ausweitung des öffentlichen Personennahverkehrs nicht ausreicht. Notwendig wird eine Systemsteuerung die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung als Einheit betrachtet und durch eine verkehrsvermeidende Siedlungsplanung und ein integriertes Verkehrsmanagement Mobilitätsbedarf verringert und mit gegebenem Verkehr mehr Mobilität erzeugt. Eine solche Strategie wird für große Mehrheiten spürbare Vorteile bringen. Es kommt darauf an diese langfristigen Vorteile deutlich zu machen, weil die Instrumente zum Einstieg in solche Systeme von den Betroffenen vielfach als einschränkende neue Regulierungen und Belastungen empfunden werden. Voraussetzung ist, daß den Adressaten glaubwürdig gemacht wird, daß es um eine Optimierung des Individualverkehrs und eine Optimierung des Mobilitätssystems insgesamt geht und nicht um eine Antiautopolitik die versucht den Modal Split zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs zu maximieren. Die formulierten Positionen setzen für die Realisierung z.T. ein Konsens innerhalb der EU voraus. Dieser Konsens ist heute nicht gegeben. Das darf allerdings nicht zum Vorwand genommen werden, eine Aufklärung erst gar nicht mehr zu versuchen und die schädliche Rundumsubventionierung der Mobilität als gegeben hinzunehmen. Der Verkehr und das Siedlungssystem sind langfristig weit gestaltbarer als es den Anschein hat.


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