Indonesien: Terror und kein Ende

Die Ursachen des Extremismus, Arbeitslosigkeit, Verelendung und Korruption, wären nur durch eine armutsorientierte Entwicklungspolitik zu bekämpfen - Ein Bericht von Hans J. Esderts, FES Jakarta

"Terror Strikes Again" - so lautete die Schlagzeile der "Jakarta Post" vom 5.8.2003 nach dem Anschlag auf das Hotel Marriott in Jakarta. Dass man sich in Indonesien an solche Überschriften schon fast gewöhnt hat, signalisiert, dass die Sicherheitslage trotz neuer Gesetze und restriktiver administrativer Maßnahmen noch immer weit davon entfernt ist, das Leben und die Unversehrtheit der Bürgerinnen und Buerger nachhaltig zu schützen. Ein Blick auf die politischen Hintergründe und auf die Ursachen des Terrors in diesem Land soll zu erklären versuchen, warum das Land bei der Transformation in eine Demokratie in die gegenwärtige Sicherheitskrise geraten ist.

Die indonesische Demokratie ist weit entfernt von den vor wenigen Jahren gesetzten Zielen der “Reform Agenda“. Fünf Jahre nach dem Sturz des Suharto Regimes und zwei Jahre nach der Ernennung von Präsidentin Megawati ist die Reform, die zu einer modernen Demokratie mit spezifischen indonesisch-asiatischen Elementen führen sollte, weiter entfernt von diesem Ziel als vor Megawatis Machtantritt. Das herrschende System ist am treffendsten definiert als eine "Anocracy", ein Hybridsystem, in dem Elemente von autoritären Strukturen mit solchen einer Demokratie im politischen System und im politischen Prozess vermischt sind. Darüber hinaus verfügt es über ausgeprägte plutokratische Elemente, deren Charakterisierung in der Herrschaft des Geldes über fast alle anderen Werte der Gesellschaft liegt. Ob es Parlamentsentscheidungen, Ernennung in wichtige, d.h. einkommenssteigernde Ämter, Erlangung von Lizenzen oder schlicht die Aufnahme in Bildungseinrichtungen geht, Geld regiert. Korruption ist verbal geächtet, aber tägliche Praxis in fast allen Lebensbereichen.

Hunderte politischer Parteien bemühen sich gegenwärtig, bei den im April 2004 anstehenden Wahlen einen Anteil an den zu vergebenden Parlamentssitzen zu erreichen. Ihre Ziele sind meist unklar und oft nicht einmal artikuliert. Sowieso ist schon jetzt offensichtlich, dass das neue Wahlgesetz kaum einer kleinen Partei oder einer Neugründung eine Chance einräumt. Die bereits im Parlament etablierten Parteien haben die Zugangsschranken für neue Parteien erheblich erhöht. Wahlerfolge werden dennoch anhand der verfügbaren finanziellen Mittel kalkuliert. Jede Partei mit hinreichend reichen Sponsoren erhofft sich Sitze im nationalen Parlament in den oder regionalen Parlamenten "erwerben" zu können.

Die politisch Machtelite steht unter erheblichem Einfluss der konservativen Kräfte des Militärs und der restaurativen politischen und wirtschaftlichen Kräfte des alten Regimes. Die Führungsschwäche der Präsidentin führt zu einem Machtvakuum, das regierungserfahrene (GOLKAR) Gruppen, das Militär und andere, den Konglomeraten der Wirtschaft nahestehende Gruppen ausnutzen, um die politischen Entscheidungen wesentlich zu beeinflussen. Beispiele dafür: Der Krieg in der Nordprovinz der Insel Sumatra war vom Militär gewollt, obgleich Megawati sich  ebenso wie ihre Vorgängerpräsidenten bei Besuchen in der Aceh-Provinz für eine politische Lösung ausgesprochen hatten und sich für die Gewaltmaßnahmen früherer Regime im Namen der Republik entschuldigt hatten.

Bombenterror zur Ehre Gottes oder als Ausdruck politischer Machtansprüche?
Die Führungsschwäche und politische Konzeptionslosigkeit der Regierung zeigt sich auch im Bereich des zunehmenden islamisch-fundamentalistischen Terrors, der Indonesien nicht erst seit des verheerenden Bombenanschlags in Bali heimsucht. Die Kette des Bombenterrorismus reißt nicht ab, wie einige Bespiele aus jüngster Zeit belegen:

Der jüngste Anschlag ereignete sich am 5. August zur Mittagszeit, als zahlreiche Gäste sich in der Hotellobby trafen. Der Anschlag folgte nach dem gleichen Muster wie der von Bali im vergangenen Oktober: Ein Minibus, beladen mit Sprengstoff und Benzin, wurde mittels eines Mobiltelefonsignals zur Explosion gebracht - offensichtlich bevor alle Insassen das Fahrzeug verlassen konnten. So wurde z.B. der Kopf des Geldbeschaffers der indonesischen JI-Gruppe durch die Explosion vom Körper getrennt und in den 5. Stock des Hotels geschleudert. Die Sprengstoffmischung aus TNT, HMX und RDX gleicht ebenfalls dem Anschlag vor dem Sari-Club in Kuta/Bali. Ein Teil der an dem Bombenanschlag von Bali Beteiligten sind vermutlich auch die bisher identifizierten Beteiligten an dem Anschlag  auf das Hotel Marriott. Sie sind zum großen Teil Schüler von Abu B. Ba’sshirs Ngruki-Schule nahe Surakarta.

Insgesamt sind seit Beginn der Regierungszeit von A. Wahid bis heute weit mehr als 200 Sprengsätze meist gegen zivile Ziele (soft targets) zum Einsatz gelangt, da öffentliche Gebäude, Botschaften und sicherheitssensitive Einrichtungen besser geschützt sind als Hotels, Kirchen oder Freizeiteinrichtungen. Die Ermittlungen weisen immer eindeutiger auf eine militante islamisch–fundamentalistisch orientierte Gruppe hin, die auf regionaler Ebene (Südostasien) organisiert ist, die Jammah Islamiyah (Islamic Community.) Zielsetzung dieser Gruppe ist, einen islamischen Regionalstaat (Daulat Islam) zu etablieren, der den Süden der Philipinen und Südthailands, Malaysia, Singapur und Indonesien umfassen soll. Diese Idee verfolgt man bereits seit 1930. Untergruppierungen der JI gibt es in allen genannten Ländern. Sie bilden ein gemeinsames Netzwerk, dessen Anführer der Prediger und Schulleiter der Ngruki-Schule, Abu Bakr Ba’ashir, sein soll. Er steht gegenwärtig wegen Visavergehens, einem geplanten Mordanschlag auf die damalige Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri und wegen der Verantwortung für eine Serie von Bombenanschlägen gegen diverse Kirchen im Lande an Weihnachten 2002 vor Gericht. Ba’ashir ist gleichzeitig der Vorsitzende des MMI (Indonesian Mudjahidin Council), einer radikal-islamlischen Organisation, die sich für die Einführung der Scharia in Indonesien einsetzt und der viele islamische Organisationen und politische Parteien in religiösen Fragen nahe stehen. Ba’ashir ist offensichtlich gut in einflussreichen Kreisen vernetzt, so dass anfangs der Vizepräsident sich für ihn einsetzte, ihn in der Untersuchungshaft besuchte und die Existenz Al Kaida-naher Netzwerke in Indonesien bestritt.

Erst nach dem Anschlag auf Bali, dessen Verursacher relativ schnell identifiziert und ihre organisatorische und ideologische Zugehörigkeit herausgefunden worden war, hielt sich der Vizepräsident mit Äußerungen seiner falsch verstandenen Solidarität mit der islamischen Ummah (Gemeinschaft aller Moslems) zurück. Es wäre von enormer Wichtigkeit, dass die Regierung Bereitschaft zeigt, jene Scharfmacher und geistigen Verführer zu verurteilen und aus Bildungseinrichtungen, auch aus Moscheen, zu verbannen, die Fanatismus, Hass, Intoleranz und religiösen Extremismus verbreiten. Dies ist bisher nicht geschehen, möglicherweise weil die Präsidentin jeden Konflikt mit  radikaleren moslemischen Gruppen vermeiden möchte. Und dies nicht nur wegen der bevorstehenden Wahlen, sondern auch, weil sie nicht als Erfüllungsgehilfin der USA in ihrem Kampf gegen „das Böse“ in Indonesien gelten möchte. Darüber hinaus befürchtet sie Vergeltung.

Religiös begründeter Terror muss als Erscheinungsform der politischen, wirtschaftlichen, sozialen Probleme sowie einer ethisch-moralischen Krise verstanden werden, um die wahren Ursachen des Terrors zu erkennen. Der Kreislauf von Arbeitslosigkeit, Verelendung und Desorientierung nach dem Fall des alle Lebensbereiche beherrschenden und kontrollierenden Suharto-Regimes führt u.a. dazu, dass die Eltern nicht mehr in der Lage sind, die Schulgebühren, Uniformen und Bestechungsgelder für Lehrer und Rektoren ihrer Kinder zu zahlen. Islamische "Bildungsreinrichtungen" wie die Ngruki-Schule des Predigers Ba’ashir offerieren kostenfreie Unterbringung in Internaten und freie "Bildung". Die Finanzierung solcher Schulen erfolgt vielfach aus Saudi-Arabien durch die dem Wahabismus verbundenen einflussreichen und finanzkräftigen Gruppen. Diese Schulen indoktrinieren die noch sehr jungen Menschen auf der Basis einer engstirnigen Interpretation des Korans. Dort werden das Christentum und andere Religionen, insbesondere das Judentum und die Amerikaner, als Feinde des Islam verteufelt. Man trachtet danach, Ungläubige (khafir) durch Anwendung des jihad möglichst auszulöschen oder zumindest aus dem Land zu treiben (Sweeping-Kampagnen in Solo in 2002). Die oftmals auch unter islamischen Wissenschaftlern, Gläubigen, Gelehrten und selbst ernannten Predigern herrschende Unwissenheit über den Islam und die arabische Sprache führen dazu, dass diese halbgebildeten und selbsternannten islamischen Führer zu radikalen Überreaktionen tendieren, um möglichst gottesfürchtig und als islamische Respektspersonen zu erscheinen.

Während die Suharto-Regierung mit drastischen Maßnahmen gegen radikal-islamische Bewegungen vorging, nutzten diese Gruppen in der liberalen Phase der "Reformasi" und orientierungsloser Sicherheitskräfte das Vakuum, sich neu zu formieren und alte Ziele mit radikalen Methoden zu erreichen. Kurzfristig versuchten diese Gruppen in Kooperation mit den meisten etablierten islamischen Parteien zunächst, in der Präambel der reformierten Verfassung die Einführung der Scharia in einzelnen Provinzen oder auch landesweit zu verankern (sog. Jakarta Charta). Dies gelang wegen des Widerstands der säkular ausgerichteten PDI-P und GOLKAR sowie der TNI-Fraktion (Indonesisches Militär und Polizei) im Parlament (DPR) und in der Beratenden Volksversammlung (MPR)) nicht. Frustrierend für die selbstbewusster werdenden islamischen, zur Militanz neigenden Moslemgruppen!

Aktionen, wie die Kriege der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und Irak, provozierte sie erneut. Die bereits in Afghanistan unter den Taliban ausgebildeten Indonesier kehrten in die Heimat zurück, schlossen sich teilweise der Lashgar Jihad an, um gegen die "Ungläubigen" in Ambon, Halmahera, Sulawesi und anderswo zu kämpfen, und gaben ihre Kenntnisse im Umgang mit Waffen, Sprengstoffen und im Bombenbau weiter an die bereits zum Einsatz in islamischen Madrassas (Koranschulen) motivierten jüngeren Talibs (Koranschüler). Die Muster des Missbrauchs der religiösen Bildungsstätten gleichen sehr der in Pakistan und Afghanistan angewandten Praxis. Es ist davon auszugehen, dass es bereits eine sehr große Gruppe solcher militanten radikalislamisch motivierten jungen Menschen gibt. Wegen mangelnder Chancen auf dem Arbeitsmarkt bleiben sie abhängig von kollektiven Zwängen in der militanten islamischen Gruppengemeinschaft. Sie bilden weiterhin eine ernste Gefahr für die Sicherheit der Bewohner, sie tragen zum Ruin der Wirtschaft bei. Denn mangelnde Sicherheit und Terrorgefahr führen zu geringerer Investitionsneigung, sinkendem Wachstum, reduziertem Tourismus und Reduzierung des internationalen Ansehens. Darüber hinaus bedroht Terrorismus die regionale Sicherheit und Stabilität und beunruhigt die ASEAN-Länder.

Was tun?
Zur Bekämpfung der Ursachen müsste die Regierung eine armutsorientierte Entwicklungspolitik betreiben, diese flankierend mit sozialpolitischen Programmen versehen, sich um 'good governance' bemühen und gleichzeitig seriös den Kampf in den eigenen Reihen gegen die Korruption beginnen. Die vorhandenen Gesetze gegen Terror, Geldwäsche, Vollmachten für Polizei, Geheimdienste und Militärs sind zu weitgehend und helfen, wie man beobachten kann, der Terrorbekämpfung wenig. Sie tragen wesentlich zur Beeinträchtigung der verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte bei. Das neue Bildungsgesetz stellt die religiöse Bildung in den Vordergrund und verhindert so, dass wirklich Pluralismus, Toleranz und indoktrinierungsfreie Ausbildung zum selbständigen Denken (statt Auswendiglernen) gelehrt wird. Notwendig wäre die staatliche Kontrolle privater, religiöser Schulen, wie der des Abu Bakr Ba’ashir. Andere, wie die Schulen und Universitäten der großen islamischen Organisationen, wie NU und Mohammadyih leisten hingegen komplementäre Bildungsangebote von oft guter Qualität.

Die Ausbildung und die Einsatzkontrolle der Polizei, der Geheimdienste und der TNI sind unzureichend, in Teilen schlecht. Mangelnde Koordination aller Sicherheitsorgane macht es den Terroristen auch weiterhin einfach, ihre Bomben zu platzieren. Aus diesen Gründen bleibt es wohl auf absehbare Zeit unvermeidbar, dass die Schlagzeilen der Medien weiterhin terroristische Anschläge zum Thema haben und die Menschen dies zunehmend als eine aufgezwungene "Normalität" zu akzeptieren lernen.

Eine besondere unmittelbare Bedrohung könnte aus der vor wenigen Tagen erfolgten Verurteilung des Bali-Terroristen Ambrosi resultieren; Revanchemaßnahmen waren für diesen Fall bereits angedroht worden. Der vor kurzem angeblich erfolgte tonnenweise Transport von Sprengstoffen nach Jakarta und der Fund von Dutzenden Zündern und Pottasche, Kalium und anderen Chemikalien, die als Grundlage für den Bombenbau gebraucht werden, weist darauf hin, dass weiterhin Terror den Alltag unterbrechen wird.

Hans J. Esderts
FES-Jakarta, 10. August 2003