Vorsichtiger Optimismus– 
Aktuelle Entwicklungen in Myanmar / Birma

Norbert von Hofmann, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Februar 2001

Myanmar / Birma liegt an der strategischen Trennlinie zwischen Süd- und Ostasien, zwischen Indien und der VR China. Es ist der größte Flächenstaat in Südostasien mit ca. 51 Millionen Einwohner. Myanmar / Birma ist eine Föderative Union bestehend aus 7 Staaten, die überwiegend von Nicht-Birmanen (7 Nationalitäten, etwa 130 Minoritäten) bewohnt werden und 7 Distrikten, die Hauptsiedlungsgebiete der Birmanen. Das birmanische Volk hat einen Anteil von 70 % an der Gesamtbevölkerung Birmas. Der überwiegende Teil der Birmanen (mehr als 90 %) sind Buddhisten, während die Minoritäten sich zu großen Teilen zum Christentum bekennen. 

1948 wurde das Land unabhängig. Die Geschichte der letzten 50 Jahre ist geprägt von mehr oder weniger repressiven Militärregierungen und von zaghaften – immer gescheiterten – Demokratieversuchen. Am 18.9.1988 übernahm die heutige Militärregierung nach blutiger Niederschlagung der Demokratiebewegung die Macht. Die neue Regierung gab sich den Namen SLORC - State Law and Order Restauration Council und wurde im November 1997 in SPDC – State Peace and Development Council umbenannt. Das SPDC ist die höchste militärische und zivile Autorität im Lande. Dem 19 -köpfigen SPDC gehören die 12 regionalen Militärkommandeure sowie die Befehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe sowie andere hochrangige Generäle an, nicht aber alle Kabinettsmitglieder. 

Die drei mächtigsten Männer innerhalb des SPDC sind:

  • Senior General Than Shwe, Vorsitzender der SPDC, Staatsoberhaupt und 
  • Verteidigungsminister;
  • General Maung Aye, Vizevorsitzender des SPDC und Oberbefehlshaber der Armee; 
  • Generalleutnant Khin Nyunt, Sekretär Nr. 1 des SPDC und Chef des militärischen Geheimdienstes.
Aus den von SLORC im Mai 1990 organisierten Wahlen ging die NLD – National League for Democracy unter der Führung der Generalsekretärin Aung San Suu Kyi als klarer Sieger hervor. Sie gewann 60 % der Stimmen und 392 der 485 Sitze im Parlament. Der Wahlausgang kam für die Militärs völlig überraschend. Mit dem Ruf der Wahlsieger nach Verurteilung der bisherigen Militärregierung war die Schmerzgrenze schnell erreicht: „We did the only thing we soldiers knew, we digged in.“ Die Militärs zogen den Schluss: Die zukünftige Verfassung muss den Militärs weitreichende Rechte einräumen und ihre Unantastbarkeit bzw. ihre Rolle in der Gesellschaft festschreiben.

Die verfassunggebende Versammlung trat allerdings zum letzten Mal 1996 zusammen, als die NLD wegen der oben genannten Forderungen die Zusammenarbeit aufkündigte. 

Erstmals seit 1994 gibt es seit Oktober 2000 wieder direkte Gespräche zwischen Aung San Suu Kyi und dem SPDC. Als mögliche Gründe für die Wiederaufnahme des Dialogs bzw. für das Einlenken der Militärs werden genannt:

  • Die ILO - Sanktionen;
  • die Vermittlungen durch den UN Sonderbeauftragten Razali Ismail und indirekt auch durch den malaysischen Premierminister Mahathir Mohamad;
  • die schwierige wirtschaftliche und soziale Situation des Landes;
  • die gescheiterten Versuche, die Rolle von Aung San Suu Kyi zu marginalisieren. 
Zwei weitere interessante These sind: 
  • Khin Nyunt sucht Verbündete im Kampf um die Nachfolge von General Than Shwe, der alt ist und nicht mehr ganz gesund sein soll. Als mögliche Nachfolger sind Maung Aye und Khin Nyunt im Gespräch. Das Gerangel um die Nachfolge darf aber nicht zu dem Schluss führen, es gäbe eine Spaltung innerhalb des Militärs, die von Dritten genutzt werden könnte. Das Militär tritt nach Außen nach wie vor geschlossen auf.
  • Zur Eindämmung des chinesischen Einflusses in Birma möchte das Militär alle nationalistischen Kräfte des Landes bündeln.
Die ILO - Beschlüsse vom November 2000 sorgen für große Aufregung in Myanmar, obwohl nur 8 % des Handels mit westlichen Ländern einschließlich der USA abgewickelt werden. Die lokale englischsprachige ’Myanmar Times’ schrieb am 22.1.2001 von der möglichen zwangsweisen Ausmusterung von 20.000 birmesischen Seeleuten, deren Geldüberweisungen einen wichtigen Teil der Deviseneinnahmen des Landes ausmachen. Zum Verbot der Zwangsarbeit hatte der SPDC zwar noch im letzten Moment ein entsprechendes Dekret erlassen, doch waren darin Umsetzung und Monitorring nicht ausreichend garantiert. Hinzu kommt, dass die regionalen Militärkommandeure relativ eigenständig handeln und dies auch nicht immer im Interesse der Zentralregierung. 

Es wird in Myanmar / Birma generell von drei Formen der Zwangsarbeit gesprochen:

  • Kommunale Arbeiten im Bereich der Infrastruktur, die u.U. als traditionelle Form der Besteuerung akzeptiert werden könnten;
  • Arbeiten an nationalen Infrastrukturmaßnahmen, wie Straßen- und Eisenbahnbau;
  • alle Arten von Hilfsdiensten für das Militär, bis hin zum Minenräumen. 
Die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes ist prekär. Dies hängt auch mit der unkoordinierten und unberechenbaren Wirtschaftspolitik des SPDC zusammen, die selbst asiatische Investoren abschreckt. Im Gegensatz zum offiziellen Wechselkurs von 6 Kiat pro US$, lag der Schwarzmarktkurs im Januar 2001 bei 435 Kiat, Tendenz steigend. Während 1997 noch 80 % der Kinder zur Schule gingen, waren es in 2000 nur noch 68 %. Das Wirtschaftswachstum lag im Jahr 2000 bei etwa 5 %, doch fehlen fast alle notwendigen Daten für eine genauere Berechnung. Der SPDC leugnet die schwierige Lage nicht und ist sich auch darüber im Klaren, dass eine rasche Erholung der Wirtschaft ohne ausländische Hilfe nicht möglich sein wird. 

Die lokale Presse hat bislang nicht über den Dialog berichtet. Es wird nicht einfach sein, dem Volk zu erklären, warum man von dem langjährigen Boykott gegenüber Aung San Suu Kyi abgegangen ist. Warum Aung San Suu Kyi bereit war, von ihrer bisherigen Maximalforderung ‘Anerkennung der Wahlen von 1990 und Übergabe der Macht’ abzuweichen, ist auch nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass es Razali Ismail gelungen ist, das Vertrauen der Generalsekretärin zu gewinnen, ebenso wie das des SPDC.

Der lange Hausarrest hat gezeigt, dass Aung San Suu Kyi durchaus in der Lage ist, ihre Prioritäten selbst zu setzen und zu vertreten. Sie steht nicht, wie immer vom SPDC behauptet wurde, in der Abhängigkeit westlicher Berater und Diplomaten. Um diese Unabhängigkeit weiter zu dokumentieren, verzichtet Aung San Suu Kyi vorläufig auf die Forderung, den Hausarrest aufzuheben. Lediglich ein Vorstandsmitglied der NLD besucht Aung San Suu Kyi zweimal pro Woche.

Alle Beobachter der Entwicklung in Myanmar / Birma sprechen mit gewisser Hochachtung von Razali Ismail, der auch als ein enger Vertrauter von Premierminister Mahathir gilt. Der Westen wäre allerdings gerne stärker in den Dialog eingebunden, zur Zeit wird er allenfalls auf der informellen Schiene unterrichtet. Auch die Opposition ist der Meinung, Razali Ismail sollte sich um mehr internationale Rückendeckung für seine Mission bemühen. Doch fordert Razali Ismail ausreichenden Spielraum für seine Verhandlungen und bittet die westlichen Länder um Zurückhaltung.

Über die Inhalte der Gespräche gibt es keine Informationen. Nach Meinung westlicher Diplomaten in Rangun aber auch der Opposition in Bangkok wurde bislang nur über die Rahmenbedingungen des Dialogs sowie über eine mögliche Agenda gesprochen.

Die wichtigsten Forderungen der Opposition lauten:

  • Einrichtung von Kommunikationssträngen zwischen Exil und Inland;
  • Unterrichtung der Bevölkerung über den Dialog;
  • klare Signale bezüglich der Ernsthaftigkeit des SPDC. Die Freilassungen des stellv. Vorsitzenden der NLD, Tin Oo und weiterer 84 Aktivisten sind bereits erste positive Zeichen.
Der Ablauf der Verhandlungen könnte aus Sicht der NLD wie folgt aussehen:
  • Vertrauensbildende Maßnahmen;Ausfüllen des Dialoges mit konkreten Inhalten;
  • Zusammenarbeit auf der Basis der derzeitigen Machtverhältnisse;
  • Einigung auf Wechsel, Verabschiedung einer neuen Verfassung, Neuwahlen.
Zusammenarbeit auf der Basis der derzeitigen Machtverhältnisse bedeutet wahrscheinlich eine Übergangsregierung, bestehend aus dem SPDC, der NLD und Vertretern der Minoritäten. Im Bezug auf die später anstehenden Neuwahlen sagte Premierminister Mahathir: „Tan Shwe ist bereit, zur gegebenen Zeit Wahlen abzuhalten, jedoch nicht in diesem oder dem nächsten Jahr. Es sollten noch ein paar Jahre vergehen.“ Die Opposition ist sich darüber im Klaren, dass diese Wahlen nur eingeschränkt demokratisch sein können.

Seit 1988 hat der SPDC mit 17 der 18 bewaffneten Widerstandsgruppen der Minoritäten Waffenstillstandsabkommen geschlossen, lediglich die KNU (Karen National Union) ist dazu noch nicht bereit. Die Streitkräfte der Minoritäten wurden nicht entwaffnet und der SPDC hat kaum Autorität, in den von den Minoritäten gehaltenen Gebieten. Für die betroffenen Bevölkerung hat der Waffenstillstand kaum Vorteile gebracht. Zwar hat sich der Bewegungsspielraum der Menschen durch die Einstellung der Kampfhandlungen vergrößert, doch wurden andere Freiheiten wieder eingeschränkt: „We are only allowed to enter the compound, but not yet the door of the house“.  Die verschiedenen Waffenstillstandsgruppen werden von der SPDC systematisch zur 3. Kraft im Lande aufgebaut und man wirft den westlichen Ländern vor, diese Gruppen nicht ausreichend zu beachten.

Die meisten Waffenstillstandsgruppen, einschließlich der KNU, begrüßen den Dialog zwischen NLD und SPDC und fordern, in diesen zur gegebenen Zeit einbezogen zu werden. Wie die Vertreter der Minoritäten in den Dialog eingebunden werden sollen, ist jedoch noch völlig offen. Es gibt weder eine gemeinsame Strategie noch gemeinsame Forderungen. Auch fehlen demokratische oder sonst wie legitimierte Gremien, die für die sieben Nationalitäten bzw. 18 Widerstandsgruppen sprechen könnten. 

Wie schwierig die Verhandlungen sein werden, zeigt die Geschichte Birmas seit der Unabhängigkeit. Eines haben NLD und SPDC schon heute gemeinsam, beide rekrutieren sich hauptsächlich aus birmesischen Nationalisten, die kaum bereit sein werden, allzu sehr auf die Minoritäten einzugehen. Dass die zukünftige Verfassung starke föderale Elemente enthalten muss, ist allen Beteiligten klar, doch wie die Autonomie von Minoritäten unterhalb der Nationalitätenebene und damit für alle 135 ethnischen Gruppierungen aussehen könnte, ist noch lange nicht geklärt.