Dokumentation einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Marie-Schlei-Verein am 6. Dezember 1999 in Bonn
Inhalt
Vorbemerkung
Peter Schlaffer
Arbeits-
und Lebensumstände von Frauen auf dem Lande
Dr. Waltraud Fleischle-Jaudas,
Landfrauenverband Baden-Württemberg
Textilarbeiterinnen
im Projekt Pan Mai
Duanmang-Tulaphan, Thailand
Kleinbauerngenossenschaften
in Costa Rica
Patricia Jimenez, Costa
Rica
Welches sind die Voraussetzungen,
damit die Frauen auf dem Land bleiben und menschenwürdig leben können?
Expertengespräch:
Duanmang-Tulaphan
Patricia Jimenez
Dr. Waltraud Fleischle-Jaudas
Marianne Klappert, MdB (SPD)
Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten
Ruth Islinger (IG Bau -
Agrar - Umwelt)
Moderation: Doris Götting,
MA, Deutsche Welle, Köln
Demokratieförderung ist eine der Kernaufgaben der Friedrich-Ebert-Stiftung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, das heißt die Schaffung von mehr demokratischer Mitwirkungsmöglichkeit aller Teile der Gesellschaft. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Neubestimmung des Verhältnisses der Geschlechter, mehr Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen im Sinne des Gender-Konzepts, das auch das Kernstück der Forderungen und Verpflichtungen der UN-Frauenkonferenz von Peking und ihres Folgeprozesses darstellt.
Die Unterstützung und Förderung von Frauen speziell in den Entwicklungsländern ist die Hauptaufgabe des Marie-Schlei-Vereins, mit dem die Friedrich-Ebert-Stiftung seit Jahren in diesem Bereich aktiv zusammenarbeitet.
Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Frauen auf dem Lande standen im Mittelpunkt einer gemeinsamen Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Marie-Schlei-Vereins, die im letzten Dezember in Bonn stattfand. Frauen aus dem „Süden“ (Ecuador und Thailand) berichteten von ihrer konkreten Situation auf dem Lande, wo sich im Zeichen der Globalisierung die traditionellen Lebensbedingungen immer mehr verändern. Der Vergleich mit der Situation hierzulande bildete dazu zwar einen erheblichen Kontrast, zeigte aber auch viele Gemeinsamkeiten auf, vor allem, was die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern angeht.
Im folgenden dokumentieren wir die Diskussion, die von der Rundfunkjournalistin Doris Götting moderiert wurde und an der sich zahlreiche Interessierte und Betroffene aus Gewerkschaft, Politik, Nichtregierungsorganisationen und Medien beteiligten.
Peter Schlaffer
Projektgruppe Entwicklungspolitik
Arbeits-
und Lebensumstände von Frauen auf dem Lande
Dr. Waltraud Fleischle-Jaudas
Das Thema dieser Fachtagung
berührt mich auch in meinem persönlichen Lebensumfeld. Von Beruf
bin ich Landwirtin und lebe heute mit meiner Familie in einem kleinen Dorf
am Fuß der Alb. Vor meiner Familienphase habe ich mehrere Jahre im
Bereich der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit in Kongo/Zaire gelebt,
so dass in meine Schilderung auch diese Erfahrungen miteinfließen.
Im Landfrauenverband Württemberg-Baden bin ich Mitglied des entwicklungspolitischen
Arbeitskreises, der die Aufgabe hat, sich mit der Lebens- und Arbeitssituation
von Frauen in verschiedenen Ländern zu befassen. Wir geben Anregungen
zur Beteiligung an Solidaritätsaktionen und Kampagnen auf politischer
Ebene und organisieren Spendenaktionen zur Unterstützung ausgewählter
Entwicklungsprogramme. Ich bin für den Verband auch als Referentin
tätig.
Im ersten Teil meines Referates
möchte ich am Beispiel meiner Heimatregion Baden-Württemberg
einige charakteristische Merkmale des ländlichen Raums heraus arbeiten,
welche die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen beeinflussen.
Im zweiten Teil behandle
ich die Aufgaben und Ziele des Landfrauenverbandes Baden-Württemberg.
Zum Abschluss mache ich
ich thesenartig ein paar Anmerkungen zu der Lebens- und Arbeitssituation
in anderen Teilen der Welt. Mit den konkreten Beispielen aus Thailand und
Costa Rica können die einzelnen Facetten dieses Themas deutlicher
werden.
Der
Strukturwandel in der Landwirtschaft
Den ländlichen Raum
als einheitlichen Lebensraum gibt es nicht. Dazu sind die geographischen,
klimatischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Standortfaktoren
zu unterschiedlich. Der ländliche Raum wird jedoch charakterisiert
durch eine ganz wichtige Funktion: er liefert die Lebensmittel für
die Bevölkerung.
Früher bildeten der
ländliche Raum und die Landwirtschaft eine Einheit. Die Bauern und
Bäurinnen prägten nicht nur den Naturraum und die Landschaft,
sondern auch die dörfliche Gesellschaft und Kultur.
Heute sind sie in Deutschland
nur noch eine Minderheit. Von 1.646.750 Betrieben 1949 mit 4.819.000 Hektar
Land sind 1997 noch 525.000 Betriebe mit 928.000Hektar Land übrig.
Dieses Ausmaß des Bauernsterbens und der Strukturwandel in der Landwirtschaft
hatte hauptsächlich ökonomische Ursachen - steigende Produktionskosten
bei gleichzeitig sinkenden Preisen für Agrarprodukte - die durch die
Konzentrationsprozesse in der nachgelagerten Verarbeitungsindustrie und
im Lebensmittelhandel verstärkt wurden. Diese Entwicklung lässt
sich auch für das kleinräumig strukturierte Land Baden-Württemberg
nachzeichnen. Die Statistik erfasst 1949 hier noch 324.000 Familienbetriebe,
1997 ist ihre Zahl auf 81.000 zurückgegangen. Bei den verbleibenden
Betrieben ist die Arbeit nicht weniger geworden. Frauen sind im allgemeinen
in den Arbeitsablauf mit einbezogen. Wenn sich Betriebe mit Hilfe einer
Weiterverarbeit-ung durch Brotbacken oder Käseherstellung und Direktvermarktung
ihrer Produkte ein zusätzliches Standbein schaffen, ist das in den
allermeisten Fällen eine Initiative der Bäurinnen.
Landwirtschaftlicher Strukturwandel in Deutschland
Arbeits-
und Lebenssituation im ländlichen Raum Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg
haben wir einen hohen Anteil an Nebenerwerbsbetrieben, bei denen ein Teil
des Einkommens im nicht-landwirtschaftlichen Sektor erwirtschaftet wird
und gleichzeitig der Betrieb weitergeführt wird. Da sind die Familienangehörigen
ebenfalls mit eingebunden.
Durch den Strukturwandel
in der Landwirtschaft ist bei uns die Einwohnerzahl im ländlichen
Raum kaum zurückgegangen. In Baden Württemberg nahm insbesondere
seit Beginn der 90er Jahre die Bevölkerung zu. Der ländliche
Raum wird wegen seiner Lebensqualität als Wohnstandort von Pendlern
und Pendlerinnen geschätzt, die in den städtischen Zentren der
Umgebung arbeiten. Durch die Einführung der modernen Informations-
und Kommunikationstechnologien erfordern viele Arbeiten nicht mehr eine
Dauerpräsenz in einem Büro im Stadtzentrum. Deshalb nehmen viele
Arbeitnehmer auch größere Entfernungen zum Arbeitsplatz in Kauf
und ziehen mit ihrer Familie aufs Land. Die jeweilige Zuwanderung hängt
stark vom Standort und von der Verkehrsanbindung ab. Damit ändert
sich aber auch der Charakter der Ortschaften: der Straßenverkehr
und die Anonymität nimmt zu. Immer wieder kommt es dabei auch zu Interessenkonflikten
zwischen den bäuerlichen und den neu zugezogenen Bürgern, wenn
diese zwar auf dem Lande wohnen wollen, aber keinen Hahnenschrei oder Gülleduft
ertragen.
Auswirkungen
der Verwaltungsreformen
Der Landesentwicklungsplan
von Baden-Württemberg unterscheidet schematisch vier Kategorien:
Mangelnde
Infrastruktur auf dem Lande
Die ländliche Infrastruktur
hat sich in den letzten Jahren ebenfalls ausgedünnt. In vielen, früher
autonomen Dorfgemeinden gibt es keine Grundschule, keinen Laden zum Einkaufen,
keine Bank und keine Poststelle mehr - sie hängen ab von zentralen
Nachbarorten. Die größeren Entfernungen gehen vor allen zu Lasten
der Kinder, der Frauen und der alten Menschen. Dazu kommt, dass die Einbindung
in den öffentlichen Personennahverkehr in vielen Fällen nicht
ausreichend ist. Einrichtungen für die Kinderbetreuung sind ebenfalls
dünn gestreut. Insbesondere besteht kaum ein Angebot zur Betreuung
von Kleinkindern. Für Kinder im Kindergartenalter ist die Situation
besser, wenngleich nicht immer ein Kindergarten im Wohnort vorhanden ist.
Kernzeitenbetreuung in der Grundschule in ländlichen Gebieten wird
in der Regel nicht angeboten.
Das mangelnde Angebot zur
Kinderbetreuung erschwert eine Berufstätigkeit von Frauen während
der Familienphase. Das trifft alleinerziehende Mütter genauso wie
diejenigen, die in einer Partnerschaft leben. Die Versorgung und Erziehung
der Kinder liegt ja nach wie vor überwiegend in den Händen der
Frauen. Der Anteil der Väter, die einen “Erziehungsurlaub” beanspruchen,
liegt bundesweit bei 1,5 Prozent.
Höhere
Arbeitslosenrate bei Frauen trotz Chancengleichheit
Die Wirtschaftsstruktur
und der daraus resultierende Arbeitsmarkt ist in Baden-Württemberg
regional ganz unterschiedlich. Natürlich sind in den Verdichtungsräumen
viele Industriebetriebe angesiedelt, doch manche Großunternehmen
produzieren im ländlichen Raum und beliefern von dort aus den internationalen
Markt.
Die Arbeitslosenquoten in
den ländlichen Räumen sind nicht höher wie in den industriellen
Zentren der Verdichtungsräume. Die höchste Quote findet man im
Bezirk Mannheim. Vergleicht man jedoch die durchschnittlichen Quoten mit
den Arbeitslosenquoten der Frauen, dann ist in einigen Arbeitsamtbezirken
die Arbeitslosenquote von Frauen deutlich höher. Im Bezirk Tauberbischofsheim
liegt die durchschnittliche Arbeitslosenquote beispielsweise bei 8,4 Prozent,
während die Quote der Frauen bei 9,3 Prozent liegt.
Baden-Württemberg hat
im Vergleich zu anderen Bundesländern eine niedrige Arbeitslosenquote.
Die durchschnittliche Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg liegt
im November 1999 bei sechs Prozent. Aber in der Arbeitslosenstatistik werden
nur die Stellenverlierer erfasst. Es werden nicht diejenigen erfasst, die
gerne einen Arbeitsplatz hätten, zum Beispiel Frauen, die nach der
Familienphase wieder in ihren Beruf einsteigen wollen oder Frauen, die
sich weiter qualifizieren möchten und neue Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten
suchen.
Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt
hängen stark von der Ausbildung und Qualifikation ab. Heute haben
Mädchen und Frauen auf dem Land bei uns die gleichen Chancen. Kindern,
die auf dem Land leben, stehen inzwischen die gleichen Qualifikationen
offen wie den Stadtbewohnern. In der Generation unserer Mütter sah
das anders aus. Da gab es noch ein geschlechtsspezifisches Bildungsgefälle
wie auch ein Stadt-Land-Gefälle.
Dieser vielfältige
Strukturwandel hat zu größeren Einheiten geführt.: In der
Landwirtschaft, im Verwaltungsbereich, im Handel und im Gewerbebereich.
Das hat auch das Leben der Frauen verändert: Frauen auf dem Land sind
keine homogene soziale Gruppe mehr, sie haben verschiedene Tätigkeitsbereiche,
verschiedene Lebensentwürfe und ganz verschiedene Interessenbereiche.
Der
Landfrauenverband Württemberg-Baden
Das spiegelt sich auch in
der Arbeit des Landfrauenverbandes wieder, die eine Bildungseinrichtung
und Interessenvertretung für Frauen aus dem ländlichen Raum ist.
In Baden-Württemberg gibt es drei eigenständige Landfrauenverbände.
Einer davon ist der Landfrauenverband Württemberg-Baden e.V. Er wurde
1947 als Selbsthilfeorganisation für Frauen im ländlichen Raum
gegründet. Am Anfang stand der Erfahrungsaustausch und die Weiterbildung
von Frauen im ländlichen Raum im Vordergrund. Die Mitglieds- und Vorstandsfrauen
erkannten aber früh die Notwendigkeit einer politischen Interessenvertretung,
damit der ländliche Raum in seiner Infrastruktur gestärkt und
die Lebensqualität erhalten bzw. verbessert wird. Sein Bildungs- und
Serviceangebot ist auf Landes-, Kreis- und Ortsebene breit gefächert,
da immer wieder Antworten auf den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Wandel gesucht werden müssen. Neben den geschilderten Aufgaben bemüht
sich der Landfrauenverband seit einigen Jahren gezielt, die Chancen der
Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und ihnen das Rüstzeug für
eine Erwerbstätigkeit mitzugeben.
Verkaufsförderung
und moderne Dienstleistungen
Dazu laufen derzeit zwei
Projekte: Die Verkaufsförderung mit Landfrauen aus Baden-Württemberg
und moderne Dienstleistungen im ländlichen Raum.
Das erst Projekt wird zusammen
mit dem Ministerium Ländlicher Raum und den Agrar-Marketing-Gesellschaften
CMA und MBW durchgeführt mit dem Ziel, den Absatz von regionalen Produkten
zu verbessern und damit die landwirtschaftlichen Betriebe zu unterstützen.
Auf der anderen Seite erhält der Verbraucher konkrete Produktinformationen.
Vor ihrem Einsatz erhalten die Frauen eine qualifizierte Ausbildung. Die
Fachfrauen für Verkaufsförderung arbeiten auf Anfrage und auf
Honorarbasis. Eine Koordinationstelle übernimmt die Vermittlung.
Das zweite Projekt - moderne
Dienstleistungen im ländlichen Raum - ist ein Modellprojekt des Landfrauen-Service.
Dieses Projekt unterstützt arbeitssuchende Frauen im strukturschwachen
Raum um Schwäbisch-Hall und in der Region Hohenlohe. In der Staatlichen
Akademie für Landbau und Hauswirtschaft in Kupferzell ist eine Koordinationsstelle
eingerichtet, die zur Orientierung und Beratung zur Verfügung steht.
In Kursen und Seminaren werden derzeit - in Zusammenarbeit mit anderen
Trägern - folgende Qualifizierungsmöglichkeiten angeboten :
Die
Situation in den Entwicklungsländern
Das Stadt-Land-Gefälle
tritt in den armen Ländern des Südens viel stärker zu Tage.
Zugang zu sauberem Trinkwasser, Gesundheitseinrichtungen und Bildung sind
deutlich schlechter. Die Arbeitsbelastung von Frauen ist sowohl in den
Industrie- wie auch in den Entwicklungsländern, insbesondere auf dem
Land, deutlich höher als die von Männern. Frauen sind in noch
viel stärkerem Maß verantwortlich für die Versorgung der
Familie. Oft liegt die Last ganz auf ihren Schultern, wenn die Männer
im Krieg geblieben oder in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die nächste
Stadt gezogen sind.
Bericht über die menschliche Entwicklung 1995, UNDP
80 Prozent der Nahrungsmittel in Afrika werden von Frauen erzeugt. Neben der riesigen Belastung gibt es ihnen aber auch eine starke Eigenständigkeit und eine unabhängige soziale Stellung.
Frauen erzeugen und vermarkten in Schwarzafrika 80 % der erzeugten
Lebensmittel
Die ländliche Infrastruktur muss noch erheblich verbessert werden, wenn der ländliche Raum an klein- oder großräumige Wirtschaftskreisläufe angeschlossen werden soll. Arbeitserleichterungen und angepasste, innovative Techniken, die Frauen zugute kommen, bewegen viele Prozesse. Die Frauen können damit Kraft und Zeit gewinnen, die sie woanders einbringen und investieren können, z.B. in ihre Weiterbildung. So ist zum Beispiel eine Mühle der Wunschtraum von vielen Frauen, da das Mehlstampfen im Mörser eine mühsame Arbeit ist. Wenn eine Frauengruppe eine solche Mühle in eigener Regie betreibt, erwerben sie gleichzeitig eine Kompetenz im Bereich der betrieblichen Organisation.
Traditionelle
Familienstrukturen und modernes Rechtswesen
Polygamie ist im Kongo von
der Tradition her bis heute legitim - auch in den Augen der Frauen - solange
keine der Frauen bevorzugt wird. Für die einzelne Frau ist es eine
Art Arbeits- und Aufgabenteilung. Solche Vielehen sind aber heute wegen
des hohen Brautpreises eher die Ausnahme. Familiäre und gesellschaftliche
Strukturen werden brüchig, im positiven wie im negativen Sinne.
So enthält das Bodenrecht,
wo das gemeinnützige Bodenrecht mit dem modernen, privaten Eigentumsrecht
konkurriert, bei dem der Boden ein persönlicher Besitz ist, viel Sprengkraft.
Ähnlich ist es beim Familien- und Erbrecht. Da brauchen insbesondere
Frauen eine starke und fachkundige Interessenvertretung, sowohl gegenüber
den traditionellen, wie auch gegenüber staatlichen Autoritäten.
Die Interessen der ländlichen
Bevölkerung spielen in der Politik aber keine große Rolle. Die
Regierung sorgt eher dafür, die Bedürfnisse der städtischen
Bewohner zu befriedigen, auch wenn das auf Kosten der Landbevölkerung
geht. In Scheindemokratien wird die ländliche Bevölkerung vor
der Wahl zwar oft als Stimmvieh benutzt. Dabei werden die Frauen, die die
andere Hälfte der Bevölkerung stellen, oft vergessen. Ihre überproportionale
Leistung für die Gesellschaft wird weder anerkannt noch entlohnt.
Die politische Partizipation
von Frauen ist nicht nur in Afrika mangelhaft. Diese Forderung läßt
sich überall auf der Welt nur in ganz kleinen Schritten umsetzen.
Auch in meiner Heimatgemeinde sitzen im 20-köpfigen Gemeinderat nur
vier Frauen. Diese magere Verteilung entspricht in etwa auch dem Landesdurchschnitt.
Politische Mitbestimmung der ländlichen Bevölkerung: Die
Bauern werden von vielen Politikern nur als Stimmvieh wahrgenommen und
gefüttert. Doch auch diese kritische Karikatur übersieht die
Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, obwohl gerade sie einen überpropoertionalen
Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leistet.
Ansatzpunkte
für die Frauenförderung
Zum Abschluss möchte
ich die Faktoren und strukturellen Rahmenbedingungen von Frauen im ländlichen
Raum systematisch zusammenfassen. Sie sollten bei der Suche nach Ansatzpunkten
in der Frauenförderung im Auge behalten werden.
Die Lebens- und Arbeitsumstände
von Frauen sind abhängig von
Textilarbeiterinnen
im Projekt Pan Mai
Duanmuang-Tulaphan
Ich bin Geschäftsführerin der “Appropriate Knowledge Association” (Vereinigung für angepasstes Wissen AKA). Seit mehr als zehn Jahren haben wir Frauen unterstützt, die gewebte Produkte herstellen. Aber ich arbeite nicht nur mit der AKA zusammen, sondern auch mit dem “Home Net Thailand”. Home Net ist eine Organisation, die die Heimarbeiter in Thailand zu organisieren versucht. Wir arbeiten mit Arbeitern zusammen, die nur zeitlich begrenzte Verträge oder überhaupt keine festen Arbeitgeber haben. Diese Gruppe wird in ganz Thailand zunehmend größer. Zunächst werde ich mich aber auf die Geschichte der Frauen im Nordosten Thailands konzentrieren.
Die
Folgen der veränderten Strukturpolitik in der Landwirtschaft
Vor ungefähr vierzig
Jahren versuchte die Regierung Thailands, eine neue Politik einzuführen.
Unser Land, das hauptsächlich auf der Landwirtschaft basiert, sollte
industrialisiert werden. Dies brachte viele Probleme für die ländliche
Bevölkerung mit sich. Die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden
sollten verändert werden. Wir produzierten für gewöhnlich
nur für den Eigenverbrauch, aber nun sollten wir für einen wesentlich
größeren Markt produzieren. Das erforderte den Einsatz großer
Mengen Düngemittel, was uns auf den Weg in die Großstadt Bangkok
zwang, um uns dort das Geld dafür zu verdienen.
Auch die Kinder, ungefähr
70 Prozent von ihnen, haben keine andere Wahl, als nach ihrer Schulausbildung
nach Bangkok zu gehen. Auch viele Männer ziehen für einige Zeit
nach Bangkok, um dort auf dem Bau zu arbeiten. In den Dörfern bleiben
nur Kinder und Frauen zurück. Und das war der Grund für unser
Projekt.
Das
Projekt der Textilarbeiterinnen
Unsere Zielgruppe besteht
aus 491 Frauen aus 24 Dörfern. Die meisten von ihnen sind Hausfrauen
im Alter zwischen 28 und 60 Jahren. Sie sind Analphabeten oder können
nur mit großen Schwierigkeiten lesen und schreiben. Sie haben kein
zusätzliches Einkommen und kennen nur die traditionelle Weberei und
die häusliche Landwirtschaft. Sie nehmen nur eine untergeordnete Stellung
in der Gemeinschaft ein. Man könnte die Familie in Thailand mit einem
Elefanten
vergleichen – in unserer Kultur sind die Männer die Vorderbeine, die
Frauen die Hinterbeine. Wir müssen den Männern folgen.
Das Ziel unseres Projektes
besteht darin, die traditionellen Webetechniken mit natürlichen Färbemitteln
zu entwickeln und zu verbessern. Unsere Arbeitsmethode vom AKA ist technisch
ausgerichtet, das heißt, dass wir mit angepasster Technologie in
die Dörfer gehen. Wir wollen auf diesem Wege das Einkommen der Hausfrauen
verbessern und ihre betriebswirtschaftlichen Potentiale nutzen. Wir wollen
gleichzeitig die kulturelle Identität des Kunsthandwerks im
Nordosten erhalten und fördern, aber auch die nationalen Ressourcen
und die Umwelt schonen.
Zehn
Jahre Projektarbeit
Wir haben vier Hauptziele
bei der Produktentwicklung:
1. Wir wollen die Leistung
der Frauen verbessern,
2. das Kleingewerbe unterstützen,
3. die Frauen wirtschaftlich
stärken
4. und ihnen soziale Sicherheit
bieten.
Bei der Produktentwicklung
arbeiten wir mit natürlichen Färbemitteln. Wir unterstützen
die Frauen wissenschaftlich. Zunächst untersuchen wir ihre traditionellen
Techniken, entwickeln diese weiter in Form einer modernen Technologie und
entwickeln gleichzeitig die natürlichen Färbemittel. Ich schule
sie darin, verschiedene Gerbemittel und viele Baumsorten auszuprobieren
und damit zu experimentieren. Danach können sie die Versuche selbst
durchführen. Sie haben damit eine wissenschaftliche Arbeitsmethode,
und wir gehen davon aus, dass sie auch entsprechend denken.
Ebenso verfahren wir beim
Produktdesign und dem fertigen Produkt. Die Vermarktung der Produkte und
Qualitätskontrollen sind die wesentlichen Bestandteile dabei. Wir
fungieren als technische Berater in der Weberei und stellen den Frauen
zinsgünstige Kredite zur Verfügung. Wir selber erhalten keinen
Zins, aber sie müssen einen Zins an die Gruppe zahlen. Es wurde festgelegt,
monatlich ungefähr drei Prozent Zins an die Gruppe zu entrichten.
Das ist sehr günstig, weil sie sonst manchmal bis zu 20 Prozent im
Monat zahlen müssten.
Grundbildung
und betriebswirtschaftliche Schulung
Zur Verbesserung ihrer Leistung
bilden wir zunächst betriebswirtschaftlich aus: wie man Preise gestaltet,
Qualitätsstufen festlegt, verarbeitet und vermarktet, wie man Geschäftsunterlagen,
Lizenzen, Quittungen und andere Dinge ausstellt. Dabei müssen auch
Führungsqualitäten entwickelt werden. Wir informieren sie über
Entwicklungskonzepte, mit denen die Gruppe überleben kann. Aber langfristig
müssen sie sich selber helfen. Dazu zeigen wir ihnen, wie man eine
Sitzung vorbereitet, Konflikte löst und wie eine perfekte Planung
und Auswertung aussieht. Sie sind ebenfalls an der Auswertung des Projektes
beteiligt. Wir machen eine partizipatorische Auswertung und Planung. Dann
schulen wir sie im Gruppenmanagement. Auch ihre Allgemeinbildung muss gefördert
werden. Sie müssen rechnen und schreiben können. Wir gingen davon
aus, dass sie bestimmte Dinge schon wissen, aber tatsächlich fehlten
ihnen die elementarsten Grundlagen.
Informationen
zu Gesundheit und Politik
Auch über gesundheitliche
Dinge informieren wir sie, zum Beispiel über Aids. Als Touristenland
haben wir viele Prostituierte. Aber auch die thailändischen Männer
suchen manchmal eine Prostituierte auf und infizieren sich mit HIV. Wenn
sie dann zurückkehren, stecken sie auch ihre Ehefrauen an. Deshalb
müssen die Frauen darüber Bescheid wissen. Dazu machen wir auch
manchmal einen Ausflug ins Rotlichtviertel von Bangkok. Wir führen
sie herum und zeigen ihnen, was an einem solchen Ort vor sich geht. Wenn
die Kinder dann nach Bangkok ziehen müssen, kümmern wir uns um
sie, damit sie mit den Problemen, in einer solchen Stadt zu leben, besser
fertig werden.
Daneben informieren wir
auch über politische Vorgänge, besonders vor den Wahlen. Wir
klären über den Naturschutz und die Umweltproblematik auf. Dazu
haben wir Exkursionen in den Dschungel unternommen. Das Problem der nachhaltigen
Nutzung ist allen besonders deutlich, weil ja ihr Lebensunterhalt davon
abhängt.
Das
Projekt Pan Mai
Pan Mai ist ein Gemeinschaftsunternehmen,
um unsere Produkte auszustellen und zu vermarkten. Es besteht aus 491 Mitgliedern.
Jedes Mitglied muss einen Anteil am Unternehmen zeichnen. Das ist Vorschrift:
wenn die Frauen ihre Produkte durch die Gruppe vermarkten wollen, müssen
sie einen Anteil am Unternehmen erwerben. Um das Geld dafür aufzubringen,
organisieren sie sich deshalb in Dreiergruppen. Auch wir investieren in
diese Gruppe. Aber die Zahl der Anteilseignerinnen an der Gesamtmitgliedschaft
wird zunehmend größer: 1991 waren es nur 25 Prozent, aber die
Zahl stieg auf 31 Prozent und 1999 auf 45 Prozent an.
Wir engagieren uns auch
dafür, dass die Frauen wirtschaftlich unabhängig und sozial abgesichert
werden. Mit zunehmender Emanzipation beginnen die Frauen, auch über
ihre soziale Situation nachzudenken. Sie denken an ihre Kinder, an deren
Schulausbildung. Sie denken an ihre Krankenversicherung oder eine Lebensversicherung
und an Kredite.
Da ich aus der AKA komme,
kannte ich mich in der Sozialversicherung nicht aus, denn die Bevölkerung
in Thailand hat keine Sozialversicherung. Wir haben uns deshalb informiert
und ich machte einige Studien dazu. Wir haben unser Projekt entsprechend
um die Frage der sozialen Sicherheit erweitert.
Zusatzprojekte
zur Erwirtschaftung von Zukunftssicherung
Um soziale Sicherheit wie
eine Lebens- oder Krankenversicherung zu erlangen, reicht das Einkommen
vom Weben allein nicht aus. Die Frauen versuchten deshalb, ihre Geschäftstätigkeit
zu erweitern, dieses Mal auch mit Beteiligung der Männer. Wir gründeten
eine Tankstelle und eine Bäckerei. Die Ölgesellschaft wollte
dabei unsere Gruppe unterstützen. Dieses Unternehmen kümmert
sich um Umweltfragen und hat uns deshalb ein Sonderprogramm angeboten.
So kamen wir auf die Idee mit der Tankstelle.
Wir haben 869 Mitglieder,
die sich nicht nur auf die Pan Mai Gruppe beschränken. Weitere Dörfer
wurden dabei in dieses Projekt mit einbezogen. Sie akzeptieren das Projekt
und treten deshalb bei und erwerben einen Anteil. Ein Anteil kostet 100
Baht (circa vier US-Dollar). Das ist viel Geld für diese Menschen,
aber sie investieren, weil sie mehr Produkte verkaufen wollen.
Außerdem überlegen
wir, ob wir nicht weitere Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen
sollen, damit die Menschen im Dorf bleiben, zum Beispiel eine Nähgruppe,
die Bekleidung herstellt und Näharbeiten für Pan Mai erledigt.
Und dann haben wir noch
ein Spar- und Kreditprogramm. Man kann sich Geld leihen, muss aber mindestens
15 Prozent davon sparen. Dieses Projekt arbeitet schon jahrelang, denn
die Frauen brauchen Geld für ihre Investitionen: Für den Kauf
von Rohmaterialien wie Seiden- oder Baumwollgarn. Manchmal müssen
sie fast 70 Prozent dazu kaufen und dafür brauchen sie einen Kredit.
Inzwischen haben schon drei der Dörfer innerhalb von drei Jahren genug
Geld zusammengespart und brauchen keinen Kredit mehr aufzunehmen. Außerdem
gibt es ein Lebensversicherungsprogramm.
Verbesserter
Status der Frauen
Im Rückblick haben
wir bei der Auswertung von 1991 festgestellt, dass den Frauen damals für
vier Monate 100 US-Dollar zur Verfügung standen. 1993 belief sich
diese Summe auf ungefähr 140 US-Dollar und 1998 waren es ungefähr
180 US-Dollar. Das mag wenig erscheinen im Vergleich mit den Lebenshaltungskosten
in Deutschland. Aber hiermit sind sie in der Lage, Geld zu verdienen und
ihrer Armut zu entrinnen.
Wir können die wirtschaftliche
Situation der Frauen verbessern. Frauen sind für gewöhnlich eher
reproduktiv tätig. In diesem Falle können sie aber selber Geld
verdienen, sie können sich produktiv einsetzen und etwas für
die Familien verdienen. Folglich verändert sich wirtschaftlicher Status.
Daraus gewinnen sie Selbstvertrauen, sie setzen sich zur Wehr, sie treffen
Entscheidungen und stellen sogar Forderungen.
Sie haben Zugang zu Ressourcen
und wurden von Regierungsorganisationen unterstützt. Es entstand auch
mehr Unterstützung innerhalb der Familien und Dorfgemeinschaften.
Gleichzeitig verbessert sich ihre soziale Stellung. Sie nehmen am Leben
der Gemeinschaft und der Organisation der Verwaltung auf lokaler Ebene
teil. Einige von ihnen wurden zu Dorfältesten gewählt oder an
die Spitze einer Kreisverwaltung. Früher hätten sie nicht im
Traum daran gedacht, dass sie das erreichen könnten.
Wir bieten auch Informationen
über Fragen der Geschlechterbeziehung und der geschlechtsbezogenen
Arbeitsteilung. Die Einkommensstruktur verändert sich. Unsere Untersuchung
aus dem Jahr 1991 stellte fest, dass 38 Prozent der Männer sogar im
Haushalt mithelfen. Sie kümmerten sich um die Kinder, machten manchmal
das Essen, wenn die Frauen in der Gruppe arbeiteten und zur Schulung waren.
Gleichzeitig sind sie auch bei der Weberei beteiligt, was früher nicht
erlaubt war; vieles ist in Bewegung gekommen. Männer leisten produktive
Arbeit, aber auch die Frauen können für solche Arbeit ausgebildet
werden. Die Männer erlauben es den Frauen inzwischen sogar, das Dorf
für ihre Erledigungen zu verlassen
Entwicklungs-
und Geschäftskonzept
Es gibt auch einige Probleme,
die man in drei Punkte zusammenfassen kann:
1. Betriebswirtschaftliche
Probleme,
2. Probleme mit der Kombination
von Entwicklungs- und Geschäftskonzept sowie
3. mangelndes Selbstbewusstsein
der Frauen
Wir haben sowohl bei der
Tankstelle wie auch in der Sozialversicherung Verluste gemacht, weil es
uns an entsprechender Erfahrung fehlte. Ein weiteres Problem ergibt sich
aus der Kombination von Entwicklungs- und Geschäftskonzept. Beim Entwicklungskonzept
müssen wir die Armen bevorzugt behandeln und besonders fördern.
Wenn die Frauen eine schlechte Phase in der Familie durchleben, kann es
passieren, dass sie nicht so gut arbeiten. Wir bezahlen ihre Arbeit trotzdem.
Aber von der geschäftlichen Seite ist das schwierig, weil ein misslungenes
Produkt schwer verkäuflich ist. Das führt manchmal zu Schwierigkeiten.
Wir müssen verhindern, dass die Frauen glauben, sie könnten sich
nicht entwickeln und seien unfähig. Genau dieses Denken hat Frauen
immer wieder enge Grenzen gesetzt und viele denken auch heute noch so.
Soziale
Sicherheit als langfristige Investition
Wir glauben, dass man zunächst
die reale Situation der Frauen zum Ausgangspunkt nehmen muss. Wir wollen,
dass sie das, was sie lernen, verinnerlichen und auch auf andere Bereiche
in ihren Leben anwenden. Wenn man von dem ausgeht, was sie können,
ist es für sie auch einfacher, sich in der Gruppe zu engagieren und
sich zu verbessern. Sie sollen lernen, ihre Leistung insgesamt zu verbessern.
Wir haben ihnen die Möglichkeit gegeben, mit der AKA-Gruppe Ausflüge
zu machen. Wir machen mit ihnen Informationsreisen innerhalb, aber auch
außerhalb des Landes und sind im Umweltbereich tätig. Wir nehmen
Kontakt mit Vertretern anderer Organisationen auf. Wenn wir Gruppen aus
den städtischen Slumgebieten treffen, stellen sie fest, dass es diesen
Frauen noch schlechter geht als ihnen. Wenn Frauen soziale Sicherheit genießen,
dann sichert das unserer Meinung nach auch ihre Arbeitskraft und gibt ihnen
einen sozialen Status.
Aber die Einstellung der
Frauen beschränkt uns dabei manchmal. Die Frauen müssen selber
erkennen, wozu sie fähig sind. Manchmal ist es aber schwer, ihre Einstellung
entsprechend zu verändern. Das braucht viel Zeit.
Kooperation
von Männern und Frauen
Sowohl Männer wie Frauen
müssen sich um alternative Strukturen bemühen. Denn nicht nur
die Frauen haben ein Problem. Wenn die Frauen sich entwickelt haben, führt
dies häufig zu Konflikten innerhalb der Familien. Die Männer
können es nicht akzeptieren, dass die Frauen jetzt mehr wissen als
sie. Deshalb versuchen wir auch die Männer anzusprechen. Wir laden
die Ehemänner zu den Treffen ein. Wir informieren sie über alles,
als ob wir sie um Erlaubnis bitten würden. Wir sagen beispielsweise:
Ihre Frau muss jetzt eine Woche lang zur Marketing-Schulung. Sie müssen
ihr deshalb erlauben, daran teilzunehmen. Danach verstehen die Männer
es dann besser. Inzwischen wollen sie auch eine Ausbildung, sie wollen
die gleichen Chancen haben wie die Frauen. Wir müssen sie also darüber
informieren, warum wir den Frauen zur Verbesserung und zur Entwicklung
ihres Potentials den Vorzug geben. Aber wir bilden die Männer für
die Arbeit an der Tankstelle und im landwirtschaftlichen Bereich aus und
arbeiten so auch mit den Männern.
Deshalb läuft unser
Projekt immer noch. Das ist Geschichte unseres Projekts von 1985 bis 1994.
Nach 1994 haben wir uns aus dem Projekt zurückgezogen. Die Frauen
müssen Pan Mai seitdem selber organisieren. Von 1994 bis 1999 zahlen
sie noch für unsere vier Mitarbeiter. Dann werden auch diese zurückgezogen.
Aber wenn es Probleme gibt, gehen wir auch heute noch manchmal zu ihnen
und beraten sie.
Kleinbauergenossenschaften
in Costa Rica
Patricia Jimenez
Der Titel meines Vortrags
lautet: Wie können wir eine bessere Welt für Frauen im ländlichen
Raum, ihre Familien, ihre Gemeinden und ihr Land schaffen?
Eine bessere Welt schaffen
setzt zunächst voraus, die Träume unserer Frauen zu kennen. Einige
Träume der Frauen habe ich kennen gelernt. Wir haben auf verschiedenen
Tagungen mit ihnen zusammengearbeitet, und vor kurzem gab es einen Kongress
der genossenschaftlich organisierten Frauen aus Mittelamerika und der Karibik.
Hier einige ihrer Wünsche:
Frauen
sind von Armut besonders betroffen
Gegenwärtig leben annähernd
377 Millionen Menschen in Lateinamerika, davon 50 Prozent Frauen. 1994
konnten noch nicht einmal 55 Prozent von ihnen ihre Grundbedürfnisse
befriedigen und 33 Prozent lebten in extremer Armut. Der Weltalmanach stellte
fest, dass Frauen 1997 zwar 50 Prozent der Weltbevölkerung und ein
Drittel der Beschäftigten ausmachten. Sie leisteten auch zwei Drittel
der Arbeitsstunden. Aber sie erhielten nur ein Zehntel des Welteinkommens
und besaßen weniger als ein Prozent des Vermögens auf dieser
Welt.
1980 war nur jeder fünfte
Beschäftigte im formellen Sektor in Lateinamerika eine Frau. 1990
gehörte jede dritte Frau zur arbeitenden Bevölkerung. Im gleichen
Jahr waren nur neun von 43 Millionen Arbeitnehmern weiblich, fünf
Millionen von ihnen arbeiteten auf dem Feld in der Landwirtschaft, besonders
während der Ernte. Trotzdem erwirtschafteten Frauen im nicht-formellen
Sektor 30 Prozent der Familieneinkommen.
Regelmäßig verrichtet
eine Frau in Lateinamerika im Laufe eines Tages folgende Arbeiten:
Wie
sieht das Leben der nächsten Generationen aus?
In vielen Ländern gibt
es noch immer eine Diskussion darüber, ob Frauen ein Recht darauf
haben, die Anzahl der Kinder, die sie haben wollen und die sie versorgen
können, selber zu bestimmen. In Costa Rica können Frauen um die
Dreißig kaum lesen oder schreiben. Nach einer im letzten Jahrzehnt
durchgeführten Untersuchung hatten 96 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe
die Grundschule nicht abgeschlossen.
Dazu kommt, dass 45 Prozent
der Bevölkerung Mittelamerikas unter 15 Jahren sind. Viele junge Menschen
sind noch nicht darauf vorbereitet, Mütter oder Väter zu werden.
Das hat beträchtliche Auswirkungen auf Mittelamerika und ist auch
gesellschaftlich brisant. Lateinamerikanische Frauen heirateten 1970 durchschnittlich
im Alter von 19 Jahren; bis 1990 war das Durchschnittsalter nur auf 22
Jahre gestiegen. Wenn sie 18 Jahre sind, heiraten sie und leben mit ihrem
Mann zusammen. Ihr Partner ist gewöhnlich sieben Jahre älter.
Deshalb bleiben sie auch häufig als Witwen zurück, die die letzten
Jahre ihres Lebens von der Unterstützung der Kinder abhängig
sind. In 20 Prozent der mittelamerikanischen Familien ist eine Frau das
Familienoberhaupt.
Die
Kooperative
Einige der Lösungen
all dieser Probleme liegt darin, dass wir im Gebirge leben. Dort ist es
wichtig, die Ressourcen zu pflegen, die wir haben, denn sie sichern uns
ein Einkommen. Außerdem können wir auf unseren Farmen bleiben.
Wir bleiben in der Nähe der Wälder und verdienen dort unseren
Lebensunterhalt. Obwohl wir nicht im Luxus leben, haben wir unser Auskommen.
Viele NRO sind bereit, den
Frauen dabei zu helfen, an der Gesellschaft teilzunehmen, und sie zu qualifizieren,
damit die Entscheidungsprozesse in unserer ländlichen Organisation
einen größeren Nutzen bringen. Das ist die Organisation, mit
der die Friedrich-Ebert-Stiftung in Costa Rica Kontakt hat und die aus
acht Kaffeekooperativen besteht. Traditionell zeigte sich, dass die Frauen
nicht an den Entscheidungen im Kaffeegeschäft beteiligt wurden, obwohl
sie und ihre Kinder diejenigen waren, die in der Erntesaison die Kaffeesträucher
versorgten. Sie erhielten noch nicht einmal selber das Geld dafür,
sondern es wurde an ihre Ehemänner ausbezahlt. Deshalb versucht eine
dieser Organisationen jetzt auch, Frauen in die Geschäfte der Organisation
einzubeziehen.
Dann haben wir noch die
Einkaufszentrale der Kooperativen und die nationale UPA, die Vereinigung
der Kleinunternehmer in Costa Rica. Wir haben auch genossenschaftliche
Organisationen wie das CNMC, das Nationale Komitee der Frauen Costa Ricas,
das mit der kanadischen Alliance International zusammenarbeitet und von
ihr auch finanziert wird.
Entscheidungen
selber treffen
Unsere Stiftung hat sich
zum Ziel gesetzt, Ausbildung und Managementkurse für die Besitzer
kleiner Plantagen anzubieten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt
uns bei der Ausbildung in einer Art und Weise, die keine enormen Kosten
für die Menschen verursacht. Es ist ihr besonders daran gelegen, die
Menschen dazu zu bringen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und Verantwortung
zu übernehmen. Auch die Männer im ländlichen Raum haben
mit Problemen zu kämpfen. Sie haben andere Probleme, aber auch darum
müssen wir uns kümmern und mit ihnen zusammenarbeiten.
Die Kirche sieht dies im
Licht der Nächstenliebe und zitiert die Paulus-Briefe, in denen er
die Menschen aufruft, sich alle als Teil eines Körpers zu verstehen
und deshalb liebevoll mit ihren Mitmenschen umzugehen. Ich erwähne
dies, weil in unseren Ländern die Religion eine sehr wichtige Rolle
spielt. Früher war die katholische Kirche zum Beispiel gegen Geburtenkontrolle.
Auch viele evangelischen Kirchen bei uns auf dem Lande sprechen sich dafür
aus, dass die Frauen hinter den Männern gehen und keine führende
Rolle übernehmen; oder die Zeugen Jehovas, die sagen, dass Männer
das Oberhaupt der Familien sein sollen.
Das alles sind Dinge, mit
denen wir uns auseinandersetzen müssen: nicht, indem wir uns direkt
dagegen aussprechen, sondern indem wir sie wirklich verändern und
unsere Ziele mit Hilfe unserer Religion erreichen.
Partizipation
von Frauen
Christa Müller, die
Frau von Oskar Lafontaine, hat sich beispielsweise für eine gesetzliche
Frauenförderung eingesetzt. Das ist ein wichtiges Thema, was noch
immer in Costa Rica in Diskussion ist, denn das Gesetz ist zwar gut und
sehr allgemein formuliert, aber viele unterschiedliche Themen werden gar
nicht berücksichtigt. Viele Frauen wissen gar nicht, dass dieses Gesetz
existiert. Sie können es nicht lesen, geschweige denn anwenden.
Ein weiteres wichtiges Thema
für Costa Rica ist das Genossenschaftsgesetz. Genossenschaften haben
eine offene Mitgliedschaft. Das Genossenschaftswesen steht den Männern
wie den Frauen gleichermaßen offen. Aber so wie es formuliert ist,
unterstützt es zwar die Beteiligung der Männer, aber nicht die
Beteiligung von Frauen. Wir setzen uns dafür ein, diese Formulierungen
so zu verändern, dass auch wir damit arbeiten können.
Die
Organisation der Kooperative
Wir haben verschiedene Bereiche
in unserer Kooperative, einer davon ist das Komitee der Handwerker. In
diesem Bereich, in dem Güter für den täglichen Bedarf an
die Bevölkerung verkauft werden, arbeiten 145 Frauen und acht Männer.
Wir verkaufen Reis, Bohnen, Zucker, aber auch Saatgut, landwirtschaftliche
Betriebsmittel und Medikamente für Tiere.
Es gibt auch Spar- und Darlehenseinrichtungen,
das heißt, wir sammeln Geld von allen Kleinerzeugern und Mitgliedern
der Kooperative ein. Dieses Geld wird dann wiederum den Menschen in der
Produktion zur Verfügung gestellt, wie den Milchbauern, Kaffeepflanzern,
den Handwerkern und Schweinezüchtern etc.
Der letzte Bereich wird
von uns einfach als landwirtschaftlicher Sektor bezeichnet. Dort konzentrieren
wir uns hauptsächlich auf den Anbau von Kaffee, weil Kaffeesträucher
die Bodenerosion verhindern. Wir versuchen auch, Flächen wieder zurückzugewinnen,
die vorher für die Milchwirtschaft genutzt wurden und die große
Flächen zerstört hat.
Mit dem Kaffee geht es ein
bißchen besser. Wir haben auch eine Farm, die uns von einigen Quakern
aus den Vereinigten Staaten geschenkt wurde, die vom Einklang zwischen
Natur und sozialen Aspekten ausgehen. Deshalb wollten sie in diesem Bereich
etwas tun. Dabei ging es ihnen nicht nur um die Ressourcen. Sie gaben uns
50 Hektar Land unter der Bedingung, dass wir es niemals auf dem Immobilienmarkt
verkaufen. Wir haben diese Farm an 24 Familien weitergegeben, die somit
jeweils zwei Hektar zur Verfügung haben, um dort Nahrungsmittel anzubauen.
Auch hier sind von den 700
bis 800 Mitgliedern der Kooperative die meisten Männer. Wir haben
zwischen 200 und 250 Frauen, die hin und wieder in der Kooperative mitmachen.
Jeder dieser Bereiche hält Jahresversammlungen ab - mindestens einmal,
wenn möglich, zweimal im Jahr. Sie ernennen Delegierte, die sie bei
der Generalversammlung oder der Delegiertenversammlung vertreten, wo wir
die Geschäftssituation besprechen und entscheiden können, was
mit unserer Kooperative in Zukunft geschehen soll.
Heimarbeit
für Frauen
Der erste Bereich unserer
Kooperative war die Heimarbeit, die 1982 gegründet wurde. Die Frauen
hatten den Wunsch, etwas herzustellen, mit dem sich Geld verdienen läßt.
Die meisten Frauen arbeiten hart, erhalten aber kein Geld dafür. Wenn
sie also Geld verdienen wollen, müssen sie noch mehr arbeiten. Wir
konzentrieren uns darauf, die Fertigkeiten in der Handstickerei und im
Malen zu verbessern. Wir verkaufen sie an Touristen als Souvenirs. Wir
haben uns selber Regeln gesetzt. Unser Regelwerk umfaßt ungefähr
20 Seiten, die in den 18 Jahren unserer gemeinsamen Arbeit zusammengestellt
wurden. Wir versuchen, soweit wie möglich ohne Hilfe von außen
auszukommen. Die Frauen werden angemessen für ihre Arbeit bezahlt
und der Tourist wird nicht übervorteilt. Unsere Frauen verdienen ungefähr
einen US-Dollar pro Stunde für diese Arbeit.
Die
Kaffeekooperative
In diesem Bereich verarbeiten
wir die frisch geernteten Kaffeebohnen für die Erzeuger. Wir entfernen
die Schale, wir trocknen sie, exportieren oder rösten die Bohnen für
den einheimischen Verbrauch oder verkaufen sie direkt an unsere Besucher.
Dies ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit, denn wir sind nur ein
kleines Land und müssen uns deshalb besonders um die wenigen natürlichen
Ressourcen kümmern, die wir haben. Früher haben wir viel Wasser
verbraucht, nur um die Bohnen zu reinigen. Heutzutage verbrauchen wir nur
kleine Mengen Wasser und lassen die Bohnen von der Sonne trocknen. Das
ist in unserer Lage sehr wichtig. Wir wollen auch keine großen Kaffeeplantagen,
sondern setzen uns dafür ein, dass zwischen den Kaffeesträuchern
Bäume gepflanzt und andere Produkte angebaut werden, damit es landwirtschaftliche
Vielfalt gibt. Das hilft auch der Vogelpopulation dabei, in unseren gebirgigen
Gegenden zu überleben.
Veränderungen
der Strukturen durch Weiterbildung
Der Bereich, mit dem unsere
Kooperative ihren Betrieb 1971 aufnahm, waren Güter und Geräte
des täglichen Bedarfs. Ursprünglich durften nur die Männer
entscheiden, was im Hause gebraucht wurde. Sie kauften, was sie wollten
und nicht, was gebraucht wurde und nicht unbedingt in den Mengen, die für
den Haushalt notwendig waren. 20 Jahre später sind es nun die Frauen,
die diese Entscheidungen treffen und den Einkauf für die Familien
machen, während die Männer weiterhin die Sachen für die
Farm einkaufen.
Einer der wichtigsten Gründe
für all diese Veränderungen liegt in der Unterstützung von
Seiten anderer Frauen, die mehr Erfahrung haben und bereit sind, diese
mit uns zu teilen. Wir legen zehn Prozent des Verkaufserlöses zur
Seite für Ausbildungskurse von Frauen in den Themenbereichen, in denen
es gerade erforderlich ist.
Dabei handelt es sich normalerweise
um Buchführung, standardisierte Produktion, Computertechnik, Vermarktung,
Selbstwertgefühl und öffentliche Gesundheit. Aber es geht dabei
auch darum, Verantwortung für die Entscheidungen unserer Gruppe zu
übernehmen. Dies ist auch eine wichtige Voraussetzung, wenn man sich
politisch im Land engagieren möchte. Viele von unseren Frauen beschweren
sich, dass sie bestimmte Dinge nicht haben. Aber sie haben schreckliche
Angst davor, einen Schritt weiterzugehen und an Entscheidungen teilzuhaben,
zum Beispiel auf der Ebene der Gemeinde- oder der Bezirksräte. Denn
dabei handelt es sich in den meisten Fällen um die Domäne der
Männer.
Besonders wichtig ist es
für uns, auch etwas zu lernen und Informationen darüber auszutauschen,
wie man Konflikte löst und komplizierte Beziehungen innerhalb der
Kooperative behandelt. Eine friedliche Konfliktlösung bedeutet für
uns, zu lernen, nicht mehr gewaltsam zu reagieren und für die zukünftigen
Generationen ein Umfeld der Vielfalt zu schaffen.
Die
Vergabe der Kredite
Das Spar- und Kreditwesen
ist für uns ein wirklich interessanter Bereich. Wir haben ihn in den
letzten zehn Jahren umstrukturiert, weil es uns oft passierte, dass wir
Geld brauchten, um das arbeitende Kapital der Kooperative aufzustocken
und es gleichzeitig an Mitglieder ausleihen wollten. Wir mussten feststellen,
dass es mit der Vergabe von Krediten nicht so einfach ist. Es gibt in Costa
Rica viele Kontrollen, viele Verfahrensregeln, und besonders bei uns auf
dem Lande ist man nicht an Regeln und ihre Einhaltung gewöhnt. Wir
haben uns deshalb besonders darum bemüht, die Kredite zu kontrollieren.
Frauen sind sehr viel disziplinierter bei der Rückzahlung von Krediten.
Männer gehen eher ein Risiko ein, um Geld für Projekte zu beschaffen.
Aber wenn es um den Schuldendienst geht, sind sie nicht unbedingt gut organisiert.
Nach diesen Erfahrungen
haben wir diese Abteilung bei uns so umstrukturiert, dass wir das Geld
kontrollieren, das in die Kooperative fließt und auch das Geld, das
nach draußen geht. Das wird entsprechend in den Büchern vermerkt.
Nur selten werden Kredite aufgenommen, um eine Schulbildung oder Freizeit
zu finanzieren. Einige Institutionen benutzen aber gerne diese Leistungen,
weil es sich auch sozial positiv auswirkt.
Mehr
Frauen in Entscheidungspositionen
Wir haben uns für eine
größere Beteiligung der Frauen eingesetzt, damit sie nicht in
die Großstädte ziehen. Bei uns gibt es diese extreme Landflucht
nicht. Unsere Frauen sind in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr in
so grosser Zahl in die Stadt gezogen wie früher. Tatsächlich
gibt es sogar Menschen, die zu uns aufs Land ziehen. Wir haben versucht,
alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, mit denen
man Geld verdienen kann. Wir achten besonders darauf, dass Frauen mehr
fachliche Ausbildung in ihrem Interessengebiet erhalten. Besonders wollen
wir aber ihr Selbstwertgefühl, ihre Führungs- und Konfliktlösungsqualitäten
stärken. Wir sind auch dafür, dass das Bankwesen den Frauen Zugang
zu Krediten oder Bankdarlehen erleichtern sollte. Bisher wurden Kredite
vorzugsweise an Männer vergeben, weil die Banken davon ausgingen,
dass den Männern der Besitz gehörte oder dass sie für die
Produktion zuständig seien. Beim Zensus interessierte uns besonders,
wie gut die Frauen ihre Kreditschulden abbezahlt haben. Wir sind daran
interessiert, dass mehr Frauen politische Ämter einnehmen, damit die
Bedürfnisse der Familien besser berücksichtigt werden - zum Wohle
der ganzen Gesellschaft.
Dabei geht es uns um die
Gesetze, die verabschiedet werden und die etwas mit dem wirklichen Leben
der Menschen zu tun haben sollten. Und es geht darum, Gesetze zu machen,
die für Frauen und Männer gleichermaßen gelten.
Männer
müssen lernen, mit Frauen zu kooperieren
Wir möchten, dass die
Regierung mehr Geld für die schulischen Bedürfnisse der Frauen
zur Verfügung stellt. Es ist besser, heute ein Kind auszubilden, als
einen Erwachsenen morgen zu bestrafen. Sie werden feststellen, dass man
in den Großstädten Mittelamerikas viel mehr Geld einsetzt, um
die Menschen hinter Gitter zu bringen. Es wäre besser, wenn wir unsere
jungen Menschen ausbilden und ihnen geben würden, was sie brauchen,
anstatt die Gefängnisse zu vergrößern.
Männer müssen
sich der Rolle der Geschlechter und wie sie sich verändert hat, bewusst
werden. Wir wollen nicht ohne Männer handeln, aber sie müssen
verstehen lernen: wie wir fühlen und wer wir sind. Wir haben erkannt,
dass Männer sensibel sind, dass sie sich kümmern und dass wir
ihnen bisher keine Chance gegeben haben, das auszudrücken. Vielleicht
waren sie auch überfordert. Für gewöhnlich ist es der Mann,
der die materiellen Dinge für die Familie beschaffen muss. Manche
Männer wollen lieber etwas anderes tun, aber wenn sie kochen oder
die Wäsche machen oder sich um die Kinder kümmern, halten die
Leute sie für ‚Waschlappen‘. Wir müssen diese ganzen Einstellungen
ändern.
Wir wollen, dass die internationalen
NRO sich stärker für einen wirksamen Erfahrungsaustausch unter
den Frauengruppen einsetzen. Wir müssen herausfinden, wie ein Erfahrungsaustausch
funktionieren kann und wie wir einander besser helfen können.
Bildung
für Frauen vor Ort
Man muss auf der wirtschaftlichen
Ebene ansetzen: auch Frauen in den ländlichen Gebieten sollten etwas
Geld verdienen können, um jemanden zu bezahlen, der sich um ihre Kinder
kümmert, während sie sich weiterbilden lassen und ihr Leben verbessern,
wo immer sie leben. Diese Ausbildung muss da gemacht werden, wo diese Frauen
leben und auf einer Ebene, die ihren Bedürfnissen entspricht. Es ist
sehr wichtig, dass dies mit berücksichtigt wird. Man sollte den Menschen
Anerkennung zollen für das, was sie leisten. Sich um die Kinder kümmern
ist eine der wichtigsten Aufgaben für Lateinamerika. Deshalb brauchen
wir eine gute Betreuung, damit wir vertrauensvoll das Haus verlassen können.
Eine Frau muss also sehr viel mehr Geld aufwenden und sich mehr Gedanken
machen über das, was sie zurücklässt.
Wenn sie dort ausgebildet
wird, wo sie auch lebt, kann sie sich ihre Zeit besser einteilen und sich
auf den Lernstoff konzentrieren. Man muss dabei mit ganz einfachen Dingen
anfangen, denn diese Frauen haben noch nie mit akademischen Formen des
Lernens zu tun gehabt.
Auf diese Weise hoffen wir,
eine etwas bessere Welt für die Frauen im ländlichen Raum, ihre
Familien, ihre Gemeinden und ihre Länder zu schaffen.
Expertengespräch
Welches sind
die Voraussetzungen, damit die Frauen auf dem Land bleiben und menschenwürdig
leben können?
Marianne Klappert,
MdB, Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Forst, äußerte sich zu diesem Thema wie folgt:
“Ich glaube, es sind nicht
nur die klassischen ‚Landfrauen‘, die aus dem Bereich der Landwirtschaft
kommen, die von mangelnder Infrastruktur betroffen sind. In den ländlichen
Gebieten gibt es auch sehr viele andere Frauen, die es von ihrer Ausbildung
und den Arbeitsmöglichkeiten her schwer haben, einen Wiedereinstieg
in das Berufsleben zu bekommen. In der Politik halte ich es für wichtig,
sowohl für die Landfrauen – für die es bei zunehmender Industriealisierung
der Landwirtschaft immer weniger Arbeitsmöglichkeiten gibt – wie auch
für die anderen Frauen, Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. Das
bezieht die Dörfer mit ein. Wir müssen Förderinstrumente
finden, in denen Frauen zum Beispiel Kurse zum Einstieg besuchen können.
Darüber hinaus sollte man sie auch bei neuen Wegen unterstützen.
Ich denke, das kann man miteinander verknüpfen. Wir müssen uns
auch die Frage stellen: Was können wir tun, um nicht immer nur in
einem bestimmten Bereich zu fördern? Wie können wir Projekte
miteinander vernetzen und übergreifende Maßnahmen entwickeln?”
Selbstständigkeit
von Frauen muss gefördert werden
Duanmang-Tulaphan
berichtet aus ihrer Sicht als Projektleiterin: “Obwohl wir viele Frauen
erreicht haben – im Projekt Pan Mai 500 Frauen und im Netzwerk fast 2000
Menschen – gibt es in dieser Region noch sehr viele Frauen, die von der
Regierung unterstützt werden müssten. Es ist schon einige Zeit
her, dass wir darüber in einer UN-Konferenz diskutiert haben. Es gibt
unzählig viele Frauengruppen in Thailand. Aber wir brauchen mehr als
das. Wir brauchen nicht nur Produkte, wir brauchen einen Prozess, der gefördert
werden muss. Es wäre eine gute Chance für die Regierung, mit
solchen Projekten zu arbeiten. Wie Sie wissen, ist die Situation der Frauen
in Thailand schlimmer als vorher. Es stimmt nicht, dass von der Finanzkrise
nur die Frauen in den Städten betroffen sind. Im Moment gibt es eine
Rückkehr von denjenigen, die bislang noch einen Job in der Stadt hatten.
Sie kehren zu ihren Familien aufs Land zurück, die sie nun nicht mehr
unterstützen können. Im Gegenteil: Sie müssen nun wieder
mit ernährt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass Erwerbsmöglichkeiten
für Frauen geschaffen werden und sie außerdem eine Weiterbildung
erhalten und sich qualifizieren können. Frauen arbeiten enorm viel,
aber sie werden nicht dafür bezahlt und erhalten keine Anerkennung.
In richtigen Jobs können Frauen Geld verdienen und dafür anerkannt
werden. Aber es geht nicht nur um Jobs, Geld und Bildung. Die Frauen müssen
grundlegend befähigt werden, ihr Leben meistern zu können.”
Aus ihrer merhrjährigen
Erfahrung in Kongo/Brazzaville heraus schilderte Waltraud Fleischle-Jaudas
vom Landfrauenverband Baden-Württemberg die Position der afrikanischen
Frauen in der Gesellschaft. Oft ökonomisch unabhängig und entsprechend
selbstbestimmt, haben Frauen in Afrika keine Entscheidungsgewalt. Zwar
komme es vor, dass in den Ratsversammlungen, zu denen Frauen offiziell
keinen Zugang haben, erfahrenen und in der Dorfgemeinschaft hoch geachteten
Frauen Gehör geschenkt würden, aber einen direkten Einfluss haben
sie nicht.
Frauen
sind schwerer zu motivieren
Bei der Frage nach Erwerbsmöglichkeiten
kam auch zur Sprache, wie man Frauen trotz schlechterer Chancen ermutigen
kann, neue Wege zu gehen. Hierzu schilderte Ruth Islinger von der
Industriegewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt (IG BAU) ihre Erfahrungen aus
Deutschland:
“In der Landwirtschaft waren
vor und nach der Wende viele Frauen organisiert. Aber durch den enormen
Stellenabbau in der Landwirtschaft ist der Frauenanteil sehr stark zurück
gegangen. Es gibt jetzt weniger als zehn Prozent organisierte Frauen in
der Landwirtschaft. Fort- und Weiterbildung im eigenen Tagungshaus, die
für unsere Mitglieder angeboten werden, werden überwiegend von
Männern wahrgenommen. Dass Frauen so schwer zu bewegen sind, mag auch
mit ihrer Doppelbelastung von Beruf und Familie zu tun haben. Wir sprechen
nicht nur die Frauen an, die in der Landwirtschaft tätig sind, sondern
alle Frauen, die auf dem Land wohnen und nach der Familienphase wieder
beruflich tätig werden wollen.”
Männer
müssen ihre Privilegien aufgeben
Wie aus den am Vormittag
vorgetragenen Berichten aus den Projekten ersichtlich wurde, sind Frauen
bereit, ihre Männer zunehmend mehr an dem Prozess der Selbständigkeit
zu beteiligen Auf die Frage der Moderatorin Doris Götting,
ob auch Männer ihre Familien in ihre Überlegungen mit einbeziehen,
antwortete Patricia Jimenez: “Bei unserer Gender-Erfahrung haben
wir heraus bekommen, dass die Frauen bereit sind, mehr Jobs, mehr Herausforderungen
und Kompromisse anzunehmen. Aber wenn es dazu kommt, Macht zu teilen und
Entscheidungen zu fällen, sind Männer nicht bereit, ihre Privilegien
aufzugeben. Bis jetzt verstehen wir nicht, warum das so ist. Vielleicht
haben sie Angst, nicht mehr so gebraucht zu werden, ihren Platz in der
Gesellschaft zu verlieren. Oder sie glauben, dass sie die Sklaven der Frauen
werden, wenn sie ihnen nachgeben. Wir diskutieren das immer wieder. Die
Gesellschaft verändert sich überall um uns herum, aber die ländlichen
Regionen in unserem Land sind immer noch sehr stark von der Macho-Kultur
geprägt. Die Männer finden Möglichkeiten, die neuen Positionen
zu unterminieren. Diese Form ist ein neuer Typ von Gewalt. Es ist nicht
immer einfach, den Finger darauf zu legen. Frauen werden dadurch wieder
häuslicher. Anstatt zu kontrollieren, was sie gewonnen haben, kehren
sie in alte Strukturen zurück. Es geht darum, sowohl Männer wie
Frauen auf dem Land zu halten und beide einzubinden. Wir brauchen verschiedene
Dienste von der Regierung vor Ort, dort, wo die Menschen auch leben: Gesundheitsdienste,
Bildungseinrichtungen, bessere Straßen.
Was geschieht mit einer
Gesellschaft, in der Menschen mehr und mehr durch Technologien ersetzt
werden? In unserem Projekt waren wir durch die Fülle der Informationen
gezwungen, Computer zu benutzen. Aber das bedeutet, dass wir die Menschen
dafür nicht mehr brauchen. Wie sehen die Lösungen für diese
Probleme aus? Das ist nicht nur die Frage von Frauen und wie sie ihr Leben
meistern können. Die Kinder lernen in den Schulen über Dinge,
die nicht notwendig sind für die Landwirtschaft und für das,
was man braucht, um auf dem Land zu leben, eine Farm zu bewirtschaften
und nicht abzuwandern. Wenn wir das nicht diskutieren, werden wir auch
keine Lösungen für unsere Kinder finden.”
Männer
und Frauen sind oft von denselben Problemen betroffen
Götting: “Dieses
Problem, dass das menschliche Potential durch Computer ersetzt wird, betrifft
Männer und Frauen gleich. Das könnte den Kampf der Geschlechter
verschärfen. Aber es könnte genau so gut dazu führen, gemeinsam
nach Alternativen zu suchen. Gibt es darüber eine Diskussion in Costa
Rica?”
Jimenez: “Ja, diese
Diskussion findet in verschiedenen Regionen statt und in unserer Kooperative
ist das einer der Aspekte, die wir verstärkt im Auge haben. Unser
Hauptziel ist es, die Menschen auf dem Land zu halten. Das bedeutet aber
auch: Wenn die Wirtschaft vorschreibt, für eine bestimmte Größe
an Land eine bestimmte Anzahl an Waren zu produzieren, zwischen den Bedürfnissen
der Menschen vor Ort - die ja Geld verdienen wollen - und dem Wettbewerb
darüber, was und wieviel wir produzieren müssen, zu entscheiden.
Es ist also die Konkurrenz zwischen den kleinen und den großen Farmen.
Mehr und mehr raten uns auch die Politiker, eine Allianz zwischen diesen
beiden Produktionsformen – Subsistenz- und Exportproduktion - anzustreben,
zum Beispiel den Zusammenschluss aller Kaffeekooperativen unserer Region.
Das ist vielleicht der Grund, warum die Frauen auf dem Land sich so schwer
tun, in den Entscheidungsprozess einzusteigen. Denn je größer
unsere Kooperative wird, desto stärker müssen sie selbst werden
und ihre Positionen erkämpfen. Sie können kaum ihre häuslichen
Probleme und die ihrer Frauengruppe managen. Wir müssen sie schulen
und nach Lösungen dafür suchen. Aber wir fragen uns auch, wie
lange wir das noch können. Es sind immer mehr Menschen und immer mehr
Probleme involviert. Wir stellen uns auch die Frage, wieviel wir von dem
Land, das wir haben, bewirtschaften sollen und wieviel wir davon aus ökologischen
Gründen unbewirtschaftet lassen sollen. Das alles sind Probleme, an
denen sowohl Männer und Frauen sehr hart arbeiten müssen. Aber
in unserer Kultur, in der wir leben, sind Frauen ständig darin unterwiesen
worden, dass es ihnen nicht erlaubt ist, zu diskutieren. Sie sind gut für
die Küche und die Kinder. Ansonsten haben sie sich zurück zu
halten. Männer sind es gewohnt, die Entscheidungen zu fällen.
Aber wie können sie sinnvolle Entscheidungen fällen, wenn sie
nichts über die Probleme der Frauen wissen?”
Regierungen
und NRO – Partner oder Gegner?
Doris Götting
fragte nach dieser Schilderung, wie die Regierungen sich zu den Selbsthilfeprojekten
stellen. Von Projekten aus Industrieländern wisse man, dass solche
sozialen Folgewirkungen von den Regierungen auch gar nicht gewünscht
werden. Müssten sie zusätzlich gegen staatliche Macht ankämpfen
oder würden sie unterstützt?
Tulaphan: “Unsere
Regierung akzeptiert unser Projekt, weil wir ja schon zehn Jahre darin
gearbeitet haben. Die Art, wie wir uns den Frauen angenähert haben,
findet ihre Zustimmung. Als NRO haben wir nur sehr begrenzte Ressourcen
und können damit nur in einigen wenigen Regionen arbeiten. Deshalb
ist es sehr wichtig, unsere Anliegen für die Regierungspolitik zu
formulieren. Und das versuchen wir auch. Unsere Aktivitäten haben
einen großen Einfluss auf unsere Frauen. Es gibt mehrere Seiten der
Regierung – die eine Seite versucht, mit NRO zusammen zu arbeiten. Sie
fragen uns zum Beispiel, ob wir nicht in einem industriellen Projekt arbeiten
wollen. Und zur selben Zeit geben sie unseren Frauengruppen Unterstützung.
Ich glaube, wir verlieren den Weg zur Entwicklung, wenn wir versuchen,
ein industrialisiertes Land zu werden. Wir haben unsere eigene Art zu denken.
Wir denken über selbstgenügsame Aktionen nach, über eine
selbstgenügsame Ökonomie. Es ist notwendig, die Region, in der
man arbeitet, genau zu studieren. Das lokale Wissen ist unser Eigentum,
nicht aber das Land. Die Regierung versucht immer, Aktivitäten ins
Leben zu rufen, ein paar Erfolgsgeschichten über NRO in ihrem Land
zu produzieren, ohne die Ideen der selbstgenügsamen, ökologischen
Wirtschaft zu verstehen.”
Frauen
sind in der Politik nicht erwünscht
Jimenez: “Unsere
Regierung ist mit uns darüber einig, dass alle Aktivitäten gut
sind, die die Region schützen und fördern. Aber es gibt kein
Interesse daran, Frauen zu stärken. Obwohl wir circa 40 Prozent Frauen
in politischen Positionen haben, heißt das nicht, dass sie wirklich
die Möglichkeiten haben, Entscheidungen zu fällen. Zwar ist die
Regierung tatsächlich gewillt, die Dinge besser zu machen. Die Menschen
haben aber Wünsche und Bedürfnisse, die darüber hinaus gehen.
Inzwischen sind sich Frauen jetzt mehr ihrer Verantwortung bewusst und
beziehen Position, obwohl viele dieser Frauen einfache Hausfrauen sind.
Das ist bereits ein großer Fortschritt. Dennoch arbeiten wir immer
noch daran, dass sie auch die Entscheidungen selber fällen, damit
wirklich das geschieht, was sie auch wollen. Für diejenigen, die auf
dem Land bleiben wollen ist es wichtig, die entsprechenden Bedingungen
dafür herzustellen. Die Regierung bemüht sich um Schulen, um
Möglichkeiten für soziale Sicherheit - vor allem für Frauen
im Reproduktionsalter. Aber wir brauchen auch Straßen und Erholungszentren.”
Weiter-
und Fortbildung für Frauen
Ruth Islinger beantwortete
diese Frage aus deutscher Sicht: “Bei uns hat die Technisierung enorm viele
Arbeitsplätze wegrationalisiert. Und das fast nur im Frauenbereich.
Deshalb versuchen wir, die Frauen zu animieren – zum Beispiel in Form von
Kursen – dass sie sich des Problems annehmen und sich diese Technologien
auch selbst aneignen, sich weiterbilden und dann noch einmal neu bewerben.
Der Wiedereinstieg in den Beruf geht nicht ohne Weiter- und Fortbildung.
Es ist ja nicht so, dass es keine Angebote gibt, aber die Frau muss aktiv
daran arbeiten, um sie nutzen zu können.
Marianne Klappert:
“Dem muss ich widersprechen: Es ist keinesfalls so, dass die Frauen nur
zugreifen müssten. Gerade im ländlichen Bereich ist es immer
ein schwerer Kampf, Weiterbildungs- oder Qualifikationsangebote zu bekommen.
An vielfältigen Faktoren wie Arbeitslosenzahlen und Regionalstrukturen
entscheidet sich, ob eine Gleichstellungsbeauftragte etwas für Frauen
anbieten kann, die wieder in den Beruf einsteigen wollen. Da gibt es immer
noch zu viele Hürden. Selbst wenn in einer Region beispielsweise nur
acht Prozent Arbeitslosigkeit herrscht, so ist das immer noch kein Grund,
Frauen abzulehnen, die dringend auf Arbeit angewiesen sind. Da muss die
Politik noch weitaus flexibler werden. Wir haben uns bei der Diskussion
in der EU sehr bemüht, die Voraussetzungen für eine entscheidende
Stärkung der ländlichen Region zu schaffen. Es nützt nichts,
wenn Menschen einfach Jobs in den städtischen Zentren annehmen, weil
sie dort besser verdienen. Denn das gestaltet die Situation derjenigen,
die auf dem Land bleiben, noch schwieriger. Gerade die Probleme der Landwirte
wachsen erheblich, das zu erbringen, was wir alle ja so gerne haben möchten:
Kulturlandschaften und gesunde Nahrungsmittel. Deshalb halte ich es für
wichtig, dass die modernen Kommunikationsmittel auch die ländlichen
Regionen erreichen. Frauen müssten auf der kommunalen Ebene noch viel
mehr vertreten sein und mit diskutieren, um den Politikern in der Kommune
ihre Bedürfnisse zu verdeutlichen. Denn die Probleme und Wünsche
sind im Münsterland andere als im Siegerland oder im Sauerland, obwohl
alle aus demselben Bundesland Nordrhein-Westfalen stammen. Das sehe ich
als eine der Hauptaufgaben an: Der Kommunalpolitik klar zu machen, was
unmittelbar vor Ort gebraucht wird.”
Frauen
als Partner in der Politik
Patricia Jimenez:
“Wir sind uns darüber einig, dass Frauen Partner in der Politik werden
sollten. Eine der Möglichkeiten, das herbei zu führen, wäre
vielleicht, kleinere anstatt von großen Kongressen zu organisieren,
damit die Kommunikation erleichtert wird und dort durch einen Repräsentanten
vertreten zu sein, der unsere Probleme kennt und uns von den Entscheidungen
auf solchen Kongressen berichtet. Es gibt eine Tendenz, dass sich alles
in den Städten konzentriert: die Verwaltung, die Informationszentren,
die politische Entscheidungsgewalt. Wenn wir mehr Informationszentren dort
hätten, wo die Farmer lebten, dann könnten sie auch teilnehmen
und die Politik besser mitbestimmen. Die Politiker fordern uns immer wieder
auf, uns mit anderen Kooperativen zu verbinden. Aber wenn wir größer
werden, verlieren wir die Kontrolle und den Kontakt mit den Menschen, um
die es geht. Wir brauchen eine Balance zwischen kleinen Entscheidungsgremien
und den Makrostrukturen von Politik.
Auch in der Diskussion mit
dem Publikum kamen die globalen Strukturen immer wieder zur Sprache. Waltraud
Fleischle-Jaudas plädierte für kurzfristige Koalitionen mit
internationalen Organisationen - trotz der erwähnten Einwände.
Die Landminenkampagne oder die Aktion “Saubere Kleidung” seien solche internationalen,
länderübergreifenden Bündnisse, die Erfolge vorzuweisen
hätten. Bei der Initiative “Saubere Kleidung” haben Verbraucherinnen
aus den Industrieländern sich mit Textilarbeiterinnen aus den Produktionsländern
solidarisiert, um soziale und ökologische Mindeststandards zu erreichen.
Deshalb müsse man aber nicht die eigenen Strukturen in den Kleingruppen
aufgeben.
Auch Frau Tulaphan
ergänzte hierzu, dass in ihrem Land die Zusammenarbeit mit großen,
internationalen Initiativen notwendig sei. Deshalb müssten die kleinen
Kooperativen ihre Themen und Aktionen erweitern. Aber der Kontakt zu den
Menschen vor Ort sei unerläßlich.
Zwei Redebeiträge aus
dem Publikum wiesen darauf hin, dass in Thailand auch der industrielle
Sektor viele Probleme für die Menschen berge, die die Kampagne “Saubere
Kleidung” zu lösen versuche. Ein anderes Problem seien die vielen
thailändischen Frauen, die in den Nahost-Ländern als Haushaltshilfen
ausgebeutet würden und zudem notorisch sexuellen Übergriffen
ausgesetzt wären. Viele kleine Projekte könnten solche durch
die Armut erzeugten Strukturen nicht verändern. Auch die deutsche
Entwicklungshilfe könne nur wenig ausrichten.
Lokal
handeln und global denken
Immer wieder wird angesichts
der globalen Probleme deutlich, dass - wie es eine Rednerin formulierte
– alle Bildungsarbeit nichts nützt, wenn die globalen Rahmenstrukturen
nicht verändert werden. Deshalb haben die NRO die Devise vom lokalen
Handeln und globalem Denken entwickelt. Wenn Frauen denken, so die Rednerin,
habe das den Männern noch nie geschadet. Aber sie dürften eben
nur denken. Bei der WTO in Seattle sei es zum ersten Mal möglich gewesen,
auf globaler Ebene friedlich auf die Interessen der NRO zu verweisen. Dass
die Verhandlungen der WTO gescheitert seien, sei besser als ein fauler
Kompromiss.
In der Diskussion wurde
mehrfach hervorgehoben, dass die NRO viel effektiver vor Ort tätig
sein können als die Regierungen. Denn Beamte seien von ihrer Aufgabe
her keine Unternehmer, vielmehr arbeiteten sie oft defensiv. Ziel müsse
sein, den informellen Sektor, in dem sehr viel Analphabeten arbeiten, schlagkräftiger
zu machen: Durch Beratung, Ausbildung, Kredite.
Die Devise vom lokalen Handeln
und globalem Denken bedeute auch, viele kleine Projekte in eine gemeinsame
Richtung zu bringen. Allerdings sei für die Menschen in den Entwicklungsländern
die Arbeit in Exportindustrien viel lukrativer: In Indien sei zum Beispiel
eine ganze Software-Branche entstanden, in der fast nur Frauen arbeiten.
Sie seien die Nachfolgerinnen der Textilarbeiterinnen.
Bürgerkriege
und Globalisierung vernichten Erfolge
Die Finanzkrisen in Asien
haben viele Ansätze zur Verbesserung vernichtet. Davon waren in Thailand
nicht nur die Frauen in den Städten betroffen. Vielmehr haben sie
durch die Rückkehr in ihre Dörfer ihren Familien ebenfalls die
wirtschaftliche Basis entzogen. Auch haben viele Landfrauen Angst, von
diesen Frauen, die überwiegend auch besser ausgebildet sind, aus ihren
Projekten vertrieben zu werden.
Aus Angst vor dem Gesichtsverlust
sind aber auch viele in den Städten geblieben. Mit ihnen ist nun eine
neue städtische Schicht von armen, alleinerziehenden Frauen entstanden,
die es vorher in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.
Ein anderes Problem für
NRO-Projekte sind Bürgerkriege. Oft zerstören sie die mühsam
aufgebaute Arbeit und den Betroffenen geht es hinterher noch schlechter
als vorher. Wie kann man diese Menschen wieder für einen erneuten
Anfang motivieren? Die Motivation sei – so eine Stimme aus dem Publikum
– ihrer Meinung nach das Wichtigste. Erst die Motivation von Menschen habe
bewirkt, dass Projekte entstanden seien. Motivationsträger vor Ort
wie zum Beispiel die Kirchen könnten die Menschen dazu bewegen, die
Arbeit in den Projekten wieder aufzunehmen. Aber auch die Unabhängigkeit
von der Hilfe von außen könne verhindern, dass Projekte untergehen,
wenn die Situation eines Landes Hilfe nicht zulasse.
Ein Beispiel, wo Makrostrukturen
eine Initiative vernichtet habe, sei Jamaica. Dort sei die örtliche
Milchwirtschaft unterstützt und gestärkt worden. Als Nestlé
mit subventionierten Produkten auf den jamaicanischen Markt einbrach, konnte
sie zu einem konkurrenzlos niedrigen Preis anbieten und verdrängte
die örtlichen Anbieter. Mit Nestlé hängen auch etliche
Arbeitsplätze in Europa zusammen. Global Handeln heiße in diesem
Fall auch, die Arbeitsplätze teilen. Zudem müssten höhere
Preise für die Produkte aus den Entwicklungsländern gezahlt werden.
Technischen
Fortschritt sinnvoll einsetzen
Im Laufe der Diskussion
wurde festgestellt, dass manche Probleme sich weltweit sehr ähneln.
Unterschiedlich ist nur die Intensität der Probleme, aber die Forderungen
sind die gleichen: Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge und Verkehrsanbindung.
Das Mithalten mit dem technischen Fortschritt gestaltet sich hier wie dort
als Problem. Nicht jeder technische Fortschritt ist immer ein Fortschritt
für die Menschheit. Aber man kann sich von manchen technischen Fortschritten
nicht abkoppeln. Aus einer technikfeindlichen Haltung heraus von den Partnern
in den Entwicklungsländern zu erwarten, sich nicht mit neuen Technologien
auseinander zu setzen, hieße, sie weiter in Verzug zu bringen. Eine
Rednerin berichtete, dass deshalb Computerkurse in Malaysia, Nicaragua
und Südafrika für Frauen angeboten werden, um sie für den
Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Ein weiteres Beispiel sei
Tansania: Hier habe eine organisierte Frauengruppe und nicht die Männer
einen Traktor bekommen. Damit habe man die Stellung der Frauenkooperative
enorm gestärkt.
Die
Rolle der Jugendlichen
Die Integration von jungen
Menschen in Selbsthilfeinitiativen, so betonte Frau Jimenez, sei
sehr wichtig, weil sie besonders gefährdet seien. Junge Menschen fühlen
sich von den städtischen Ballungszentren sehr angezogen. Dort kämen
sie mit Drogen und Prostitution in Kontakt. In Costa Rica versuche man
deshalb die Trainingskurse besonders attraktiv zu gestalten und auf junge
Menschen zuzuschneiden. Man versuche herauszufinden, ob sie wirklich auf
dem Land bleiben wollen und welches die Gründe für ihre Entscheidung
sind. Das sei bisher das große Manko gewesen: Man habe nicht untersucht,
warum die Menschen so handeln wie sie handeln. Für die Wirtschaft
müsse auch von Interesse sein, wieviel Zeit häusliche Arbeit
beansprucht und wie hoch die Kosten sind, eine Familie zu ernähren.
Auch die Lebensqualität einer Familie mit vier Kindern, die in einer
ländlichen Region lebt, müssten in Rechnung gesetzt werden und
nicht nur die weltweiten Profite. Nur dann könne man wirklich feststellen,
ob diese globalen Veränderungen Verbesserungen erbracht hätten
- in einer menschlichen, einer ethischen Dimension.
Auffallend sei auch – so
ein weiterer Kommentar – dass das Wirtschaftsrecht viel besser durchgesetzt
sei als das Menschenrecht. Das ergäbe kein Gleichgewicht. Die Wirtschaftsakteure,
die ja nicht demokratisch gewählt seien, entwickelten dabei mehr Macht
und entschieden viel nachdrücklicher die Geschicke in der Welt als
die Politik. Der Druck von der Zivilgesellschaft müsse daher noch
viel größer werden.
Sexuelle
Aufklärung und Aids
In Costa Rica werden die
Jugendlichen sexuell aufgeklärt, aber das alleine hielte sie nicht
davon ab, dieselben Fehler zu machen wie die Generationen zuvor, in denen
man nicht verhütete und Mädchen mit 16 Jahren schwanger werden.
Jugendliche müssten angehalten werden, sich zu fragen, welches Leben
sie führen möchten.
Auch Frau Tulapahan bestätigte,
dass Aufklärung nicht davon abhalte, dass junge Mädchen in die
Stadt aufbrechen. Sie wollten das moderne Leben kennen lernen und ihr eigenes
Geld verdienen, um sich ihre Wünsche erfüllen zu können.
Zur Sexualaufklärung werden Dias und Videos gezeigt. Auch Kondome
kommen zur Sprache. Die Frauen werden aufgefordert, ihre Männer auf
jeden Fall zu informieren, wenn sie HIV-positiv sind. Aber die Frauen auf
dem Lande tun sich sehr schwer mit der Anwendung von Kondomen.
Frau Jimenez wies
in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der Kirche in ihrem Lande hin.
Patricia Jimenez: “Die Rolle der Kirche hat in Costa Rica großen
Einfluss. Ihr Frauenbild ist sehr traditionell und bestärkt sie nicht
gerade darin, ihr eigenes Leben zu führen. Die Kirche will all die
familiären Probleme nicht sehen, mit denen Frauen sich herumschlagen.
In den 70er und 80er Jahren hat es viele Diskussionen um Geburtenkontrolle
gegeben. Viele Frauen stehen deshalb vor der Entscheidung, die Kirche aufzugeben,
wenn sie selber bestimmen wollen, wieviel Kinder sie haben wollen. Denn
die Kirche ernährt ihre Kinder nicht. Aber viele Frauen sind von Schuldgefühlen
geplagt, wenn sie so entscheiden. Auch Sterilisation von Frauen und Abtreibung
kamen dabei zur Sprache. Männer und Frauen müssen beginnen, als
Partner miteinander zu kommunizieren und alle Aspekte des Lebens, auch
die Familienplanung, mit einzubeziehen. Oft herrscht in den Familien ein
regelrechter Krieg, der jede Kommunikation verhindert.”
Wie
erreicht man nachhaltige Projekte?
Auch das Kriterium der Nachhaltigkeit
kam in der Diskussion zum Tragen. Ein Mitglied einer NRO, die Projekte
in den Entwicklungsländern unterstützt, berichtete, dass nachhaltige
Projekte dann zu erreichen seien, wenn die Projektteilnehmer schon bei
der Planung dabei seien. Es gebe Projekte, die nur auf Anfrage bewilligt
werden. Diese Anfrage müsse aus dem Land selbst kommen und begründet
sein. Die Experten kommen nicht aus Europa, sondern aus dem betreffenden
Land. Wenn man auf den vor Ort vorhandenen Sachverstand setze, sei es für
viele Initiativen einfacher, nach ein bis drei Jahren unabhängig zu
werden. Auf diese Weise könnten die vielen einzelnen Projekte ein
Gesamtbild schaffen, dass auch in größeren Zusammenhängen
etwas bewirken kann.
Das aber sei kein Argument,
die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Vor Ort mag sich etwas
verändern, die Rahmenbedingungen müssen von Politik und Wirtschaft
verändert werden. Der Weltsozialgipfel in Stockholm habe immer wieder
auf die Stärken und die Einbeziehung der NRO abgehoben. Aber das bedürfe
auch der entsprechenden Mittel, um diese Arbeit effektiv leisten zu können.
Diese müssen immer noch von der Politik bereitgestellt werden.
In der Abschlussrunde kamen alle Referentinnen darin überein, dass der ländliche Raum erhalten bleiben muss, was nur möglich ist, wenn die Menschen dort nach ihrer Vorstellung entsprechend leben könnten. In den Entwicklungsländern sind die Lebensumstände auf dem Land - so sie verbessert werden könnten - weitaus besser als in den Städten. Dort muss sich auch die Vorstellung durchsetzen, dass unterschiedliche Auffassungen es nicht verhindern, sich auszutauschen und Kooperation - auch zwischen den Geschlechtern – zu Erfolgen führe. Langfristig müsse sich vielleicht auch ein anderer Fortschrittsbegriff etablieren, der die Modernisierung mit einbezieht, ohne den Menschen ihre Lebensbasis zu rauben.
Frau Poonsap Suanmuang
Tulaphan
Geschäftsführerin
der Vereinigung für Angepasstes Wissen („Appropriate Knowledge Association“
- AKA), Thailand
Frau Patricia Jiménez
Geschäftsführerin
des Vorstands der Kaffeegenossenschaft CoopeSanta Elena, Costa Rica
Frau Dr. Waltraud Fleischle-Jaudas
Mitglied im entwicklungspolitischen
Arbeitskreis des Landfrauenverbandes Württemberg-Baden
Frau Marianne Klappert
MdB
Mitglied im Bundestagsausschuß
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (SPD-Fraktion)
Frau Ruth Islinger
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt
(IG BAU)
Moderation:
Frau Doris Götting
MA
Deutsche Welle, Köln
Herausgeber: Friedrich-Ebert-Stiftung
Godesberger Allee 159
53175 Bonn
Redaktion: textlink Ina Zeuch
Koordination: Peter Schlaffer
ISBN 3-86077-926-5
Layout-Hinweise:
Die mögliche Verteilung
der Abbildungen zum Vortrag von Dr. Fleischle-Jaudas:
Abb. 1: S.5 (Der Strukturwandel
in der Landwirtschaft)
Abb.2: ebenda
Abb.3: S.7 (Auswirkungen
der Verwaltungsreformen)
Abb.8: S.10 (Die Situation
in den Entwicklungsländern)
Abb.10: ebenda
Bildnachweise (über
alle von Frau Fleischle-Jaudas vorgeschlagenen Abbildungen)
Die Abb.1,6,9,10,11) stammen
von der Autorin.
Abb.2: Argumente 1999. Trends
und Fakten zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Landwirtschaft. Deutscher
Bauernverband / Land-DAKA GmbH
Abb.3: Neue Wege im ländlichen
Raum - Soziallehre 2000, Sozialinstitut Kath.Landvolk , Stuttgart
Abb.4 : Neue Wege im ländlichen
Raum - Soziallehre 2000, Sozialinstitut Kath. Landvolk , Stuttgart
Abb.5 : Weltbildungsbericht
1995, UNESCO
Abb.7 : Bericht über
die menschliche Entwicklung 1998, UNDP
Abb.8 : Bericht über
die menschliche Entwicklung 1995, UNDP
Abb.12: Titelbild der Zeitschrift
“agripromo”, Nr.84, 1994, INADES-formation, Abidjan