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[Seite der Druckausg.: 50 ]


8.
Tansania: Neue Wege der Kooperation zwischen Staat und Zivilgesellschaft im Gesundheitssektor


Zu Beginn dieses Blocks führte die Moderatorin, Dr. Carola Donner-Reichle (Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe) kurz in die Problematik ein. Dabei schilderte sie die Schwierigkeiten aus der Sicht der Weltbank:

    Zuwenig Geld und falsche Mittelverwendung

„In Schwarzafrika leidet vor allem die ländliche Bevölkerung, die über nur ein sehr geringes Geldeinkommen verfügt, unter Krankheiten, die durch relativ preiswerte Versorgungsmaßnahmen verhindert bzw. durch einfache medizinische Maßnahmen geheilt werden könnten.

Die Diskussion über die Förderung sozialer Grunddienste hat an Bedeutung zugenommen. Dies vor dem Hintergrund, daß die untersten 20-30 Prozent der Einkommensskala der Bevölkerungen vieler schwarzafrikanischer Länder zunehmend aus der Versorgung mit sozialen Grunddiensten herausfallen. Erstens werden für soziale Grunddienste zu wenig Ressourcen ausgewiesen. Im Durchschnitt gaben Regierungen nach der Weltbank circa einen US-Dollar pro Kopf pro Jahr für das Gesundheitswesen aus, erforderlich wären aber vier US-Dollar pro Kopf.

Zweitens, ein weiteres Merkmal der Politik von Regierungen in Entwicklungsländern ist die falsche Allokation zwischen verschiedenen Sektoren. Sogar die Regierung von Tansania hat in den letzten Jahren anderthalb mal mehr für die Subventionierung von defizitären Staatsunternehmen ausgegeben als für das öffentliche Gesundheitswesen. Die Ausgaben für Infrastruktur und soziale Dienste werden oft auf Bereiche konzentriert, für die ein funktionierender Markt zur Verfügung steht. Diese Ausgabenpolitik begünstigt disproportional die Reichen, behindert eine Konzentration auf Basisdienste und fördert so die soziale Ungleichheit."

    Ausgabenpolitik begünstigt die Reichen

An diese Darstellung schloß Donner-Reichle eine Reihe von Fragen an:

„Wie kann eine Entwicklung hin zu mehr Eigeninitiative initiiert werden nach über dreißig Jahren eines Einparteiensystems? Welche Bedeutungen und Möglichkeiten sehen Sie für die NRO und die Kirchen in diesem Zusammenhang? Hat der Staat Instrumente, um die arme Bevölkerung unter Mobilisierung ihrer eigenen Selbsthilfekräfte in ihrem Recht zu stärken und zu schützen? Gibt es überhaupt ein sozial verträgliches Leistungsangebot? Ist der Staat überhaupt in der Lage, mit den Armen zu kommunizieren? Welche Wege der Partizipation müssen aufgebaut werden?"

    Mangelnde Steuereinnahmen gefährden Sozialleistungen

Prof. Dr. Costa Mahalu (Tansanische Botschaft in Bonn) ging als erstes kurz auf die Geschichte Tansanias ein. Er beschrieb die planwirtschaftliche Phase des Landes nach der Unabhängigkeit 1962 auch als eine „zu optimistische" Überreaktion auf die kolonialen Verhältnisse. Sicherlich habe jedoch guter Wille diese Politik bestimmt. Doch hätten sich seit Anfang der 80er Jahre „einige Probleme" eingestellt.

„Ein Problem liegt in den Steuereinnahmen. Nur die Unternehmen und einige Arbeiter beziehungsweise die Menschen, die ein gewisses Einkommen erzielen,

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zahlen Steuern. Es wurde schnell klar, daß der Teil des Budgets, der den sozialen Diensten zur Verfügung gestellt wird, nicht mehr ausreicht. Das hat erst zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung sozialer Dienste geführt und später zum Verfall des Sozialwesens."

Mahalu gab zu bedenken, daß das Einparteiensystem in Tansania keinen großen Einfluß auf die Qualität der sozialen Dienste ausgeübt habe. Überdies sei ein Einparteienstaat nicht mit einer schlechten Versorgung mit sozialen Dienstleistungen gleichzusetzen. Kuba sei ein gutes Beispiel dafür. Jetzt aber gehe die Entwicklung in Tansania hin zur Privatisierung sozialer Dienste:

„Die entsprechenden Vorstellungen wurden im Verlauf der frühen 90er Jahre konkretisiert. Seitdem erlaubt die Gesetzgebung private medizinische Leistungen und einige NRO konnten bei der Bereitstellung oder zumindest der Organisation von sozialen Diensten partizipieren. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Die Christliche Kommission für Soziale Dienste fördert soziale Leistungen, die von den Kirchen gesponsert werden. Doch es gibt auch andere Organisationen, die nicht wirklich soziale Dienstleistungen anbieten. Sie sind spezialisiert, mit Dingen wie AIDS umzugehen und anderes mehr.

Dies heißt nun aber nicht, daß sich der Staat von seiner Rolle in diesem Bereich verabschiedet. Einerseits war der Staat niemals so bedeutend auf diesem Gebiet, andererseits wollen die neuen Akteure gar nicht alleine arbeiten - sie suchen die Zusammenarbeit mit dem Staat."

Thomas Albert (Referatsleiter Ostafrika im Bundesdesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) stieg mit einigen Bemerkungen zur Bedeutung von Eigeninitiative im sozialen Sektor ein. In der zurückliegenden Phase sei in Tansania hier „viel zu viel" investiert worden. Deshalb gehe es jetzt vor allem darum, alle Beteiligten „solange zu schützen, bis sie sich äußern und bis wir wissen, wie stellt es sich dieses Land denn eigentlich selbst vor, sein Problem zu lösen".

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    Erst einmal herausfinden, was die tansanischen Partner wollen

Albert fuhr fort:

„Wir fühlen uns verpflichtet, mit allen zusammen ins Gespräch zu kommen, damit die Gesamtzahl der Aktivitäten sich auf erkennbare Prioritäten zurückführt. Das können nur die Prioritäten sein, wo der Staat Kernfunktionen hat. Und infolgedessen ist für uns das Mitwirken am Gesundheits- und Bildungsbereich in Tansania seit geraumer Zeit ein Schwerpunkt, den wir weiter ausformulieren wollen. Wir haben dem Land seit Anfang der 90er Jahre ungefähr 80 Millionen Mark zugesagt. Und allein in dem Bereich, der hier heute als Einzelthema zur Debatte steht, da sind wir immerhin mit 30 Millionen Mark dabei. Also, der wichtigste Punkt ist, Eigeninitiative zu bekommen, daß wir es aushalten, daß Tansania sich selbst äußert."

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    Privatisierung marktfähiger Staatsaufgaben, um Geld für den sozialen Sektor freizustellen

Als nächstes ging Albert auf die mögliche Rolle der Privatwirtschaft ein. Er bestätigte, daß es erste Ansätze von privatem Engagement gebe, daß aber „dies genau nicht der Bereich" sei, auf den die Hilfe der Bundesrepublik ziele. Er betrachtete die Frage aus einem anderen Blickwinkel:

„Wir müssen dahin, daß der Staat in Tansania seine Grundleistungen im Budget ausführen kann. Dazu braucht der Geld. Wenn er sich in vielen anderen Bereichen zu stark tummelt, in Bereichen, die eigentlich einer rein privatwirtschaftlichen oder gemischt-wirtschaftlichen Form viel näher sind als etwa Basisgesundheit und -erziehung, dann müssen wir da heran. Dann müssen wir mithelfen, daß wir ihn in diesen Bereichen so unterstützen, daß diese sich möglichst selber tragen und der Staat so Gelder frei bekommt, damit solche frei gewordenen Budgetteile in die wesentlichen Sozialsektoren mit hinein können."

Die NRO hätten in diesem Zusammenhang vor allem die Chance, den Kontakt zur Basis zu halten und frühzeitig Informationen zu bekommen, die in der zwischenstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit so nicht zur Verfügung ständen. Sie könnten damit die staatliche Zusammenarbeit „argumentativ ausstatten, um unseren Dialog auf staatlicher Ebene durchzusetzen". Ob der Staat überhaupt in der Lage sei, mit den Armen zu kommunizieren, beantwortete Albert nicht direkt. Er stellte jedoch klar, daß auch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit vor Ort direkt mit den Menschen verbunden sei.

Dr. Werner Schuster MdB (Ausschuß wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) lobte die friedliche Entwicklung Tansanias, die aber gleichwohl „eine wirkliche Aufbruchstimmung" vermissen lasse. Die Regierungspartei habe „systematische Berührungsängste" zu den NRO. Staatliche Unternehmen hätten in Tansania „ein sehr viel längeres Leben als erstens für die Bevölkerung gut ist und zweitens, als viele von uns gehofft haben".

    NRO müssen nicht nur vor Ort, sondern auch in Deutschland kooperieren

Seine weiteren Bemerkungen teilte Schuster in vier „Handlungsoptionen" ein. Als vordringlich bezeichnete er dabei den Dialog vor Ort. Die Prioritätensetzung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) verhindere eine ausreichende Präsenz. Im Gegensatz dazu seien die Kirchen ausdrücklich zu loben.

Das BMZ müsse bei Regierungsverhandlungen „vielleicht auch noch ein paar andere Leute fragen, und mal nachfragen, was könnten wir denn in den Regierungsverhandlungen festlegen für die Förderung der Zivilgesellschaft. Das wäre doch was. Oder die Förderung der Frauen, das würde schon was bewegen. Die zweite Sache, die man bereden müßte, wäre, wie ernst meinen wir es eigentlich mit dem 20:20-Vorschlag. Und der dritte Punkt, den man ansprechen muß, ist, wie ernst meint es eigentlich die Regierung mit der Dezentralisierung?"

Als „dritte Handlungsoption" bezeichnete Schuster die Aktivitäten der deutschen NRO. Er begrüßte, daß alle deutschen NRO, die in Tansania engagiert sind, im Sommer 1998 eine Dachorganisation gründen wollen. Dies sei eine Chance für einen vertieften Erfahrungsaustausch und erhöhe die Zahl der möglichen Ansprechpartner. Eine Vernetzung der NRO sei auch in Tansania sinnvoll.

Die Möglichkeiten der Privatwirtschaft schätzte er durchaus positiv ein. Zwar sei es „nicht so einfach", die Industrie- und Handelskammern „zwischen Moschi oder der Region Kilimandscharo" mit der IHK Wiesbaden zu vernetzen. Doch sei dies „die einzige Chance", da „eigentlich kleine und mittelständische Unternehmen gefragt seien" und die IHK in diesem Bereich mehr Erfahrung habe als andere.

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Seine Position faßte Schuster programmatisch zusammen:

„Es geht nicht primär um weniger Staat, sondern um einen anderen Staat, der gesellschaftliche Kräfte nicht verdrängt, sondern einbezieht und stärkt. Für den Aufbau einer Zivilgesellschaft in Tansania erscheint es unausweichlich, daß eigene Visionen für die Zukunft entwickelt werden."

Dr. Heidi Willer (Universität Bayreuth) stellte zunächst einmal klar, daß „eine armutsorientierte und breitenwirksame Gesundheits- und auch Bildungspolitik Grundvoraussetzungen für das Wirtschaftswachstum mit sozialem Gleichgewicht sind, diese Aufgaben also in einem elementaren Interesse eines entwicklungsorientierten Staates sind".

    Schuldenerlaß für den Aufbau von staatlichen Grunddiensten

Dafür habe der Staat nicht nur „klare politische Vorgaben" zu erarbeiten, sondern auch die Partizipation zu koordinieren. Die Finanzierung dieser Aufgaben müsse „gemeinsam vom Staat und den internationalen Gebern" gesichert werden. Dazu müßten die Geber einerseits Druck auf den tansanischen Staat ausüben. Zum anderen müßten sie sich aber auch „selbst in die Verantwortung nehmen". Dazu wiederum gehöre ein Schuldenerlaß, denn der ostafrikanische Staat gebe 40 Prozent seiner Einnahmen für den Schuldendienst aus. Würde ein Schuldenerlaß entsprechen konditioniert, böte dies „große Möglichkeiten" für den Gesundheits- und Grundbildungsbereich. Bei der „zunehmenden Pluralisierung des tansanischen Staates" würde eine solche Politik gerade in einem „Wahlsystem, einem offenen System" sicherlich die Legitimation und die Akzeptanz des Staates erhöhen. Sie läge deshalb auch im Eigeninteresse des Staates.

Ein weiteres Element sei „die Steuerung der Sozialpolitik hin auf Breitenwirkung mit einer Schwerpunktverlagerung hin zu Vorsorge und Aufklärung". Gerade international tätige NRO verfügten hier über reiche Erfahrungen, die auch in Tansania von Nutzen sein könnten. Ergänzt werden müßten diese Maßnahmen durch „eine aktive Beschäftigungspolitik, die insbesondere auch auf Frauen hin orientiert sein sollte". Doch das „wichtigste staatliche Instrument - auch für die Interessenvertretung der Armen" - bleibt die Budgetpolitik. Im Gegensatz zu Mahalu konstatierte Willer aber, daß in diesem Bereich in den letzten zwei Jahren Erfolge erzielt worden seien. In diesem Zeitraum hätten sich die Steuereinnahmen Tansanias „verdoppelt".

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    Investoren mit Steueranreizen anlocken

Zum Thema Privatwirtschaft schlug sie vor, potientielle Investoren mit Steuererleichterungen anzulocken. Dies müsse „mit staatlichen Vorgaben" gekoppelt werden, damit „diese Maßnahmen auch ärmere Gruppierungen" erreichten. Die Unternehmen hätten den Vorteil, daß sie mit dieser Investitionspolitik „auf das eigene Unternehmen aufmerksam machen könnten". Gerade die „ausländischen und sogenannten asiatischen Unternehmen in Tansania" ständen unter „sehr starkem Öffentlichkeitsdruck".

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    Der tansanische Staat: schwach aber wichtig

Heiner Knauss (Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe) faßte seinen Gedankengang in vier Abschnitten zusammen. Nach einer Vorbemerkung zu den Werten, die der kirchlichen Entwicklungspolitik zugrunde liegen, hob er als erstes auf die Rolle des Staates in dem ostafrikanischen Land ab:

„Die Staatenbildung in Tansania ist noch überhaupt nicht abgeschlossen, wenn es denn jemals Abschluß in diesem Zusammenhang geben kann. Erst vor wenigen Tagen wurde in der FAZ wieder die Frage aufgeworfen, ob die Union an der Sansibar-Frage zerbricht. Von daher die Notwendigkeit, diese Rolle zu stärken, wenn eine gerechtere Sozialpolitik unser Ziel ist. Der alte Einparteienstaat hat an dieser Stelle versagt, das heißt er war insofern auch nicht stark, sondern schwach."

Zum zweiten betonte Knauss die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Stärkung des tansanischen Staates. Es gebe zwar keine verbindlichen internationalen Verträge über derartige Hilfen, aber:

„Auch die Forderung nach Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Deutschland als Begründung für den Länderfinanzausgleich, den unsere Verfassung kennt, oder die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes standen in keiner früheren deutschen Verfassung. Und die Einrichtung eines Fonds zur Förderung strukturschwacher Gebiete innerhalb der Europäischen Union, der mit den Römischen Verträgen geschaffen wurde, ist ein völliges Novum der europäischen Geschichte. Ist es undenkbar, diese Überlegungen auch auf überkontinentale Beziehungen auszuweiten? Ich denke, mit der 20:20-Formel ist ein Anfang gemacht."

    Länderfinanzausgleich als Vorbild für internationale Entwicklungszusammenarbeit

Im dritten Teil seiner Anmerkungen befaßte Knauss sich mit der privaten Wirtschaft. Leider gebe es hier „bisher noch wenig Gutes zu berichten". Von daher sei die Frage berechtigt, was Tansania an sozialen Dienstleistungen aufrechterhalten könne. Nachdenken müsse man in diesem Zusammenhang sicherlich auch über eine „finanzielle Beteiligung der Patienten an den Kosten ihrer Behandlung". Darüber dürfe jedoch nicht vergessen werden, daß es bei der Gesundheitspolitik um die Umsetzung „eines der elementaren Menschenrechte" gehe, für den eine - wie auch immer geartete - Politik nur „Mittel zur Einlösung dieses Menschenrechtes" sein könne und „nie zum Selbstzweck" werden dürfe.

    Kosteneffizienz und Armutsrelevanz

Zusammenfassend beschrieb Knauss das Dilemma des tansanischen Gesundheitssektors als einen Widerspruch zwischen „der Kosteneffizienz der Gesundheitsversorgung einerseits und ihrer Armutsrelevanz andererseits". Im einzelnen argumentierte er wie folgt:

„Das heißt, Gesundheitsdienstleistungen müssen bezahlbar sein und sie müssen als subventionierte Dienstleistungen einer möglichst großen Zahl von Menschen zugute kommen, die dafür nicht selbst zahlen können. Wenn man dann noch hinzu nimmt, daß bi- und multilaterale Geber zu etwa einem Drittel zur Finanzierung des gesamttansanischen Gesundheitsbudgets beitragen, dann müssen wir uns mit der Frage befassen, wie wir unseren Beitrag möglichst armutsrelevant gestalten. Ich verkenne auch nicht, daß geringere Zuwendungen von außen unter bestimmten Voraussetzungen durchaus heilsame Wirkungen auf innerstaatliche und innergesellschaftliche Entscheidungsprozesse haben können - Stichwort Überförderung. Aus diesen Gründen ist es erforderlich, daß sich möglichst viele Beteiligte auf Standards einigen, auf einen Korridor dessen, was durch internationale Zusammenarbeit im Gesundheitssektor Tansanias gefördert wird und was nicht."

An die Kritik von Schuster anknüpfend, fragte Donner-Reichle in der zweiten Runde der Podiumsdiskussion Mahalu nach dem Umgang des tansanischen Staates mit den NRO vor Ort und nach den Möglichkeiten, eine Gesundheitsversorgung zu sichern.

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    Unklare Rolle der tansanischen NRO

Mahalu gab zu, daß es in dem Verhältnis zu den NRO Probleme gebe, versicherte aber, daß der Staat diese nicht vertusche und eine breite Diskussion darüber im Gange sei. Doch beständen die Schwierigkeiten nicht zuletzt darin, daß ihre Rolle nicht klar ausgesprochen werde. Viele NRO tummelten sich lieber in der Politik, als sich um die Dinge zu kümmern, um die sie sich kümmern sollten. Die Regierung versuche zur Zeit, ihre Rolle genauer zu definieren.

Über die Möglichkeiten des Staates, sich am Aufbau eines Gesundheitssektors aktiv zu beteiligen, äußerte Mahalu sich zurückhaltend. An die begrenzten finanziellen Möglichkeiten erinnernd, stellte er den Staat in Tansania als einen Akteur unter mehreren dar, der alleine kaum etwas ausrichten könne. Er betonte die große Bedeutung, die dem privaten Sektor im Gesundheitswesen zukomme - eine Rolle, die noch an Bedeutung gewinnen werde. Das werde auch Beschäftigung kreieren. Im günstigsten Falle könne sich das Gesundheitswesen sogar einmal selber tragen.

Die weitere Diskussion drehte sich vor allem um das oben bereits beschriebene Dilemma , Armutsrelevanz versus ,Kosteneffizienz'. Im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit staatlicher Leistungen ging vor allem Albert näher auf die Schuldenproblematik ein:

    Schuldenlast trotz bilateraler Entschuldung

„Ja, erstes Stichwort Schulden, in der Tat, es sind 40 Prozent des gesamten Budgets, die für Schulden weggehen, weitere 30 Prozent für seinen gesamten Staatshaushalt, also feste Ausgaben für Personal usw., und 30 Prozent hat er überhaupt nur übrig, um frei damit zu schalten. Wir Deutschen haben mit vielen anderen Ländern in einer UN-Initiative bereits 1978 sämtliche Schulden erlassen, die Tansania bilateral gegenüber Deutschland hat. Was an direkten Schulden aufläuft, ist nur noch das, was unsere Exportwirtschaft durch das Hermes-Versicherungssystem in Deckung nehmen läßt. Und diese Art Schulden, die werden normalerweise entschuldet, so daß man in bilateralen Folgeverhandlungen auf 60 bis 67 Prozent verzichtet und den Rest auf Rückzahlung in Raten in zwanzig Jahren verteilt.

Was Tansania drückt, sind nahezu ausschließlich multilaterale Schulden. Und da ist man langsam an das Ende dieser Politik gekommen und hat sich überlegt, wie können wir ein Schuldenentlastungssystem bauen. Uganda ist da schon in den Genuß gekommen. Allerdings, das kann man sich dann auch nicht so vorstellen, wenn 3,5 Milliarden Schulden bestehen, daß die dann plötzlich nicht mehr da sind. Und das Land Tansania, um konkret drauf zu kommen, ist ganz schlicht noch nicht in dem Korridor, weil es einfach noch nicht genug getan hat, um seine Rahmendaten in Ordnung zu bringen."

Einen weiteren Schwerpunkt der Debatte über das tansanische Gesundheitswesen bildete die in Kopenhagen vorgestellte 20:20-Initiative. Danach sollen die an ihr teilnehmenden Geber 20 Prozent der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit und die teilnehmenden Empfängerländer zwanzig Prozent des Staatshaushaltes für die Armutsbekämpfung („menschliche Prioritäten") verwenden. Diese Initiative kann als bi- oder multilaterale gegenseitige Verpflichtung zwischen Geber- und Nehmerstaaten ratifiziert werden.

    Was ist Armutsbekämpfung? 20:20 ist auch eine Frage der Definition

Hierzu noch einmal Albert: „20:20, ja, da haben wir erst mal - wie üblich, wenn neue. Gedanken kommen - ein Problem. In einer sehr mühsamen Veranstaltung ist es jetzt gerade gelungen bei uns im Hause, mit einem neuen Schlüssel mal alle seit 35 Jahren laufenden Aktivitäten, die wir mit den verschiedensten Ländern - immerhin weit über 100 Ländern - haben, danach zu kategorisieren, was trifft denn jetzt unter den 20 Prozent-Anteil und was nicht. Das ist nicht so einfach zu sagen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eine Wasserversorgung. Wir haben

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uns entschieden, nur die ländliche Wasserversorgung, die den armen Menschen hilft, unter diesen Aspekt 20:20 zu fassen.

Als ich vor einem Jahr bei den Regierungsverhandlungen in Tansania war, und ich glaube, 77 Millionen Mark dort zusagen konnte, da habe ich mir überlegt, wieviel von dem Kuchen geht denn jetzt in den Bereich hinein. Und da habe ich festgestellt, daß ich weit über 20 Prozent lag."

Donner-Reichle hielt dem jedoch entgegen, daß im „Gesamtvolumen der bilateralen deutschen Hilfe für die Grundbildung 1995 noch 8,5 Prozent ausgegeben worden sind und 1997 nur noch 4,2 Prozent". Im Gesundheitswesen seien es „1995 4,4 Prozent und 1997 noch 3,4 Prozent" gewesen. Peter Eisenblätter (terre des hommes) teilte die Skepsis von Donner-Reichle. Er bedauerte, daß es bis dato noch nicht möglich gewesen sei, die „detaillierten Rahmenplanungszahlen für 1998" aus dem BMZ zu erhalten. Eberhard Hitzler ergänzte, daß er die 20:20-Initiative nicht nur als Finanzierungsinstrument für eine verbesserte Sozialpolitik sehe, sondern darüber hinaus auch als Chance begreife, „einen gesellschaftspolitischen Impuls zu geben".

Adam betonte die Bedeutung des politischen Dialogs mit den Entwicklungsländern - auch im Bezug auf 20:20. Nach seinem Erleben hätten afrikanische Regierungen immer mit dem Gefühl gelebt, eigentlich das Richtige zu tun und durch mißliche äußere Umstände an der Verwirklichung ihrer Vorstellungen gehindert zu werden.

    Politischer Dialog muß Entwicklungshilfe begleiten

Wenn man aber von 20:20 spreche und von Eigenanstrengung und politischem Dialog, dann müsse man „mit den Regierungen dieser Länder anders sprechen:

Wo sind die Eigenanstrengungen? Wo schafft ihr es, eure eigenen Einkommenseliten an das Steuersystem heranzuführen? Wo ist die Möglichkeit, daß ihr selbst euren Finanzbeitrag leistet und nicht nur darauf wartet, daß irgendwo abgeschöpft wird, Renten hereinkommen oder Entwicklungshilfe geleistet wird. An der Stelle ist unser politischer Dialog aus meiner Sicht absolut notwendig."

Albert gab in diesem Zusammenhang zu, nicht genau zu wissen, ob die tansanische Regierung die 20:20-Initiative überhaupt wirklich wolle:

„Ich kann es jetzt leider nur so formal sagen: Tansania hat 20:20 unterschrieben. Tansania will es. Und ich werde sicherlich die nächsten fünf Jahre brauchen, um in den Dialog zu kommen. Das ist nämlich nicht eine Frage, daß die Bundesregierung das will, sondern man muß das überhaupt schaffen, den Partner zu finden."

In seinem Schlußbeitrag ging Mahalu noch einmal auf diese Frage ein. Er glaube, daß Tansania die Idee wirklich begrüße. Die Geber würden sich zusammensetzen und sehen, wo genau die 20 Prozent hingehen sollen, wobei die Prioritäten der Empfängerseite genannt werden müßten. Tansanias Hauptproblem sei zur Zeit der riesige Schuldendienst.

    Chaosförderung oder fehlende Prioritäten in den Entwicklungsländern?

Ein weiteres Stichwort, das öfter fiel, war das der Geberkoordination. Schuster hatte zuerst die „Chaosförderung" moniert, die in Tansania stattfinde. Die Runde erzielte Einigkeit darüber, daß eine Geberkoordination nur gelingen könne, wenn sich das Nehmerland an ihr beteilige und seine Prioritäten offenlege. Albert gelang es, dieses Problem sehr plastisch zu schildern:

„Was wir leisten können, ist, daß wir gar nicht erst wieder anfangen, mit Riesenbüros dieses Geschäft wieder selbst zu betreiben und dem Land und seiner Bürokratie überhaupt gar keine Chance zu geben, da mitzumachen. Das läuft also so, da werden Sitzungen vereinbart und dann darf irgendwann auch mal der

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Hauptgesprächspartner aus Tansania - und das ist dann sehr feinsinnig. Der ist dann leider zwischen drei Veranstaltungen eingekeilt und kommt mal schnell fünf Minuten für eine Freundschaftsadresse und dann sitzen die Geber da wieder allein."

In diesem Zusammenhang streifte die Diskussion noch einen Aspekt, der nur ungern angesprochen wird: Die Frage der Nehmermentalität in Entwicklungsländern.

Auch hierzu noch einmal Albert:

„Wir haben doch manchmal das Gefühl, wir würden genasführt, weil viele tansanische Politiker und Regierungsleute ungeheuer gut in der Lage sind, sich auf unseren Instrumentenkasten und unsere Psychologie einzufühlen. Die wissen, sie brauchen nur ein bißchen auszuhalten, nur ein bißchen länger noch, dann halten wir es nicht mehr aus und dann sind wir da mit unseren Mitteln und dann machen wir das alles selbst. Und genau das ist es eigentlich, was wir versuchen wollen, jetzt nicht mehr zu tun. Wir wollen das länger aushalten, bis die Tansanier merken, die haben ein Problem, nicht wir."

    Grundfunktionen des Staates gewährleisten

Einigkeit gab es - wie auch in allen Diskussionen davor - darüber, daß man den Staat aus bestimmten Grundfunktionen nicht entlassen dürfe. Ein Gast aus dem Sudan (Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung) meinte aber auch, daß Staaten an sich der afrikanischen Geschichte fremd seien. „Die Willkür des Staates" zerstöre oftmals „systematisch" die Zivilgesellschaft. Dies gelte es zu bedenken, wenn man die Selbsthilfebewegungen in Afrika aus ihrer Passivität herausholen wolle.

Beschlossen wurde die Runde mit einer Selbstkritik und einem Ausblick von Mahalu:

„Wir hatten die Vision, einen Wohlfahrtsstaat aus Tansania zu machen, und ich denke, das war gut gemeint. Der Staat versuchte alles zu nutzen, was ihm zur Verfügung stand, um sicherzustellen, daß die Bevölkerung oder Zivilgesellschaft es bequem habe. Nun, sie fühlte sich nicht wohl. Der Staat nahm alle Verantwortung auf sich, erschöpfte seine Ressourcen und übernahm sich finanziell. Die Konsequenz war, daß das Individuum vom Gemeinwesen abhängig wurde, das Gemeinwesen wurde abhängig vom Staat und der Staat wurde abhängig von der Gemeinschaft der Geberländer - ein Teufelskreislauf. Auf der anderen Seite fühlte sich der Einzelne nicht für sein eigenes Gemeinwesen verantwortlich. Er zahlte keine Steuern und dachte, daß der Staat schon alles tun werde.

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In den späten 80er Jahren begann sich in Tansania Kritik zu regen, zunächst vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten. 1991 kam dann das Treffen in Sansibar. In ihm ging es um die Frage, wie man versuchen könne, Tansania aus der Abhängigkeit von den Gebern herauszuführen. Nun gibt es wieder einen Versuch, einige Leute an der Diskussion zu beteiligen. Gerade jetzt hat eine Gruppe von 19 Intelektuellen dem Präsidenten einen ersten Report überreicht. Darin geht es um die Frage, was man tun sollte, nach der Untersuchung der wirtschaftlichen Situation Tansanias."

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Die Diskussion werde auch von den Medien aufgegriffen und kommentiert. Jeder könne seine Meinung äußern. Zum Abschluß erinnerte Mahalu daran, daß das Recht auf Gesundheit, das Recht auf ein würdiges Leben in Artikel 14 der tansanischen Verfassung festgeschrieben sei.


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