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Soziale Konidtionalisierung des Welthandels - Die Instrumente Sozialklauseln, Verhaltenskodex und Gütesiegel in der Diskussion

Gutachten im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung

KURZFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN



INHALT




[Seite der Druckausg.: I]

Derzeit werden ca. 10 Prozent des Warenwerts im Welthandel unter Verstoß gegen Kernarbeiterrechte hergestellt. Der Anteil der betroffenen Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der in der Exportwirtschaft tätigen Arbeitskräfte fällt aufgrund des geringeren Produktivitätsniveaus in den Ländern, in denen Arbeiterrechte mißachtet werden, jedoch deutlich höher aus. Im Zuge der zunehmenden Standortkonkurrenz droht diese Zahl noch drastisch zu steigen. Zur Behebung dieses Mißstandes stehen drei Instrumente in der politischen Diskussion:

  • Sozialklauseln in internationalen Handelsverträgen
  • Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen
  • Soziale Gütesiegel.

Das vorliegende Gutachten untersucht dieses drei Instrumente vor dem Hintergrund der bisher bei ihrer Anwendung gemachten Erfahrungen und empfiehlt Handlungsansätze für Politik, Gewerkschaften und Vermittlerorganisationen. Dabei wird die Einführung einer Sozialklausel in das WTO-System als zentrales und effizientestes Instrument empfohlen.

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I. SOZIALSTANDARDS UND WELTHANDEL: EIN ÜBERBLICK


Die Forderung nach Sozialklauseln in der WTO

Auf dem Weltkongreß des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften im Jahre 1996 wurde einstimmig die Forderung nach einer Sozialklausel in Handelsvereinbarungen (vor allem im Rahmen der Welthandelsorganisation, WTO) erhoben. Konkret soll die Gewährung von Handelsprivilegien von der Einhaltung zentraler Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) abhängig gemacht werden. Es handelt sich um die Konventionen zu den Bereichen Vereinigungsfreiheit (Nr. 87 und 98), Verbot der Zwangsarbeit (Nr. 105), Verbot der Kinderarbeit (Nr. 138) und Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Nr. 100 und 111). Bei Verstößen gegen diese völkerrechtlichen Normen soll, nach einer gewissen Frist, ein gemeinsames Beratungsgremium von WTO und ILO auch Handelssanktionen empfehlen können. Eine große Zahl von Nichtregierungsorganisationen (NRO) sowohl aus OECD-Ländern als auch aus Entwicklungsländern befürworten im Prinzip Sozialklauseln. Unter NROs bestehen jedoch auch Bedenken hinsichtlich eines möglichen protektionistischen Mißbrauchs solcher Klauseln und der Rolle der WTO als Sanktionsinstanz. Von den Regierungen haben sich vor allem die der USA, Frankreichs und der skandinavischen Länder, aber auch einiger südamerikanischer Länder für eine Sozialklausel innerhalb der WTO ausgesprochen. Auf starke Ablehnung stößt diese Forderung hingegen unter neoklassischen Ökonomen, in der Geschäftswelt und bei Regierungen vor allem aus Südostasien. Die Kritiker lehnen i. d. R. nicht die Einhaltung bestimmter grundlegender Mindestarbeits- und Sozialstandards ab (jedenfalls nicht öffentlich), sondern das vorgesehene Mittel zur ihrer Einhaltung: den Einsatz handelspolitischer Maßnahmen.

Die ökonomische Logik von Sozialklauseln

Ökonomisch lassen sich Kernarbeiterrechte auch innerhalb des neoklassischen Paradigmas begründen. Beispielsweise gehört das Verbot der Zwangs- und der Kinderarbeit zu den Grundprinzipien einer neoklassischen Marktordnung. Vor allem aber kann gezeigt werden, daß über den Konkurrenzmechanismus des Weltmarkts Verstöße gegen Kernarbeiterrechte in einigen Ländern zur Nichteinhaltung dieser Rechte in anderen Ländern führen können. Der Verdrängungswettbewerb findet dabei weniger auf der Achse Nord-Süd, als vielmehr auf den Achsen Nord-Nord und Süd-Süd statt. Die Konkurrenz ist dort am schärfsten, wo mit ähnlichen Produktionstechniken vergleichbare Produkte angeboten werden. Im Norden kann diese Konkurrenzsituation durch Weiterentwicklung der Produktionstechnik und Bemühungen um Produktspezialisierung teilweise entschärft werden. Solche Ausweichstrategien stehen den

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Produzenten des Südens weniger offen, da ihre Realisierung einen gewissen Industrialisierungs- und Bildungsgrad voraussetzt.

Im Rahmen einer solchen Konkurrenzsituation können bereits geringe Lohnkostenerhöhungen zu Marktanteilsverlusten führen. Zwar könnten sich alle Länder besser stellen, wenn sie Arbeiterrechte einhalten, doch besteht gleichzeitig für jedes einzelne Land ein Anreiz, die Rechte zu mißachten. Die Länder stehen somit vor dem Problem, wie sie ihr Handeln koordinieren können. Dieses Problem des kollektiven Handelns können Sozialklauseln überwinden helfen.

Konkrete Erfahrungen

Konkrete Erfahrungen mit Sozialklauseln liegen nur für sogenannte unilaterale Klauseln in der US-amerikanischen Handelsgesetzgebung vor. Diese wurden bisher weitgehend willkürlich nach dem jeweiligen außenpolitischen Kalkül des Präsidenten angewendet. Protektionistischer Mißbrauch konnte allerdings nicht festgestellt werden. Eine Fallstudie zu zwei Ländern, bei denen die US-amerikanische Sozialklausel zur Anwendung kamen - Guatemala und die Dominikanische Republik - ergab, daß die Aussicht auf Entzug von Handelsprivilegien in beiden Ländern arbeitsrechtliche Fortschritte auslöste, die allerdings recht bescheiden ausfielen. Im Vergleich beider Länder wird zudem deutlich, daß die stärkeren Gewerkschaften in der Dominikanischen Republik besser von der Drohung durch Sozialklauseln Gebrauch machen konnten.

Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen wurden - in Form von Empfehlungen - in den 70er Jahren sowohl von der OECD wie von der ILO entwickelt. Diese Kodizes wurden jedoch kaum aufgegriffen. Zugleich haben sich die Arbeitsbedingungen in vielen Produktionsstätten des Südens verschlechtert. Daher versuchen Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und entwicklungspolitische Vereine seit Beginn der 90er Jahre mittels öffentlicher Kampagnen, die transnationalen Unternehmen zur Übernahme von individuellen Verhaltenskodizes zu bewegen. Teilweise als Reaktion auf diesen direkten Druck, teilweise als präventive Strategie, gaben sich viele Firmen und einige Branchen Verhaltenskodizes.

Inhaltlich unterscheiden sich die einzelnen Verhaltenskodizes vor allem hinsichtlich ihres arbeitspolitischen Regelungsinhaltes, ihrer Verbindlichkeit und der für sie vorgesehenen Mechanismen zur Überwachung und Durchsetzung. In der Regel enthalten die Verhaltenskodizes weder das Recht auf Vereinigungsfreiheit noch das auf Tarifverhandlungen. Zudem fehlt ihnen eine vertragliche Verbindlichkeit sowie eine unternehmensunabhängige Überwachung.

Da die meisten Verhaltenskodizes erst vor wenigen Jahren entwickelt worden sind, liegen bisher nur spärliche Informationen zu ihrer Wirksamkeit vor. Bei einigen Firmen, wie z. B.

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Nike, war selbst für geringe Fortschritte hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in den südostasiatischen Fabriken ein hohes und anhaltendes Mobilisierungsniveau notwendig. Unter den Nichtregierungsorganisationen zeichnet sich daher ein Konsens darüber ab, daß ohne ein unabhängiges Monitoring die Firmen nur geringe Anstrengungen unternehmen, ihrem jeweiligen Verhaltenskodex Geltung zu verschaffen. Eine externe Überwachung der Verhaltenskodizes wird jedoch von den meisten Unternehmen abgelehnt (oder durch Beauftragung von vergleichsweise ungeeigneten Audit-Unternehmen unterlaufen). Sie ist darüber hinaus kostspielig (insbesondere wenn es nicht zu einer Vereinheitlichung der Kodizes kommt) und steht in der Gefahr, Gewerkschaften zu ersetzen. Letztere Probleme können durch betriebliche bzw. tarifvertragliche Vereinbarungen überwunden werden, doch sind nicht in jeder Branche und in jedem Großkonzern starke Gewerkschaften oder betriebliche Interessenvertretungen vorhanden. Auch ist diese Lösung kaum in solchen Ländern möglich, wo die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit massiv unterdrückt wird.

Soziale Gütesiegel sind grundsätzlich geeignet, durch unmittelbaren Konsumentendruck Anreize für die Einhaltung von Verhaltenskodizes zu schaffen. Dies gilt allerdings lediglich für international gehandelte Konsumartikel und insbesondere für Markenartikel, deren Hersteller und Händler imagesensibel sind. Über die Probleme von Verhaltenskodizes hinaus - die analog für die den Gütesiegeln zumindest impliziten Kodizes gelten (insbesondere die umfassende Kontrolle der Zuliefererbetriebe betreffend) - steht die Strategie der Gütesiegel vor folgenden Problemen: Erstens reagieren die KonsumentInnen bei der Kaufentscheidung stärker auf Preissignale als auf moralische Ansprache. Zweitens können Gütesiegel zur Produktdifferenzierung mißbraucht werden: Im oberen Marktsegment rechtfertigt das Gütesiegel hohe Preise, im unteren Marktsegment können niedrige Preise dank weiterhin bestehender „unfairer" Produktionsbedingungen den Massenabsatz garantieren. Drittens kann es zur Konkurrenz der Gütesiegel und damit zur Verwirrung der KonsumentInnen kommen.

II. BEWERTUNG DER INSTRUMENTE


Eine international verbindliche Regelung zur Einhaltung von Kernarbeiterrechten einschließlich eines effektiven Sanktionsmechanismus - also eine Sozialklausel in der WTO - ist den anderen Instrumenten eindeutig vorzuziehen. Eine solche Sozialklausel würde nicht nur imagesensible Markenartikeler betreffen, sondern alle Exportunternehmen in den WTO-Mitgliedsstaaten. Da die Anerkennung der ILO-Kernarbeiterrechte innerhalb der WTO mit deren Ratifizierung im Rahmen der ILO einhergehen würde, wären die Mitgliedsländer der WTO zudem angehalten, diesen Rechten auch gegenüber den Produzenten für die jeweils heimischen Märkte Geltung zu

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verschaffen. Der Sanktionsmechanismus für Exportunternehmen bestraft die kurzfristige Vorteilnahme durch Nichteinhaltung dieser Rechte. Deshalb versprechen Sozialklausel eine höhere Einhaltungsquote. Diese selbst trägt dazu bei, daß sich einzelne Länder bei der Duldung von Verstößen nicht auf das Verhalten der Konkurrenz berufen können. Die Multilateralität der WTO stellt zudem die Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer besser sicher, als Verhaltenskodexe und Gütesiegel, die auch ohne Zustimmung des jeweiligen Herstellerlandes vereinbart werden können. Die Multilateralität stellt zudem eine Sicherung gegen protektionistischen Mißbrauch dar. Da eine solche Klausel jedoch auf starken Widerstand stößt, sollten die anderen Instrumente weiterhin zusätzlich in Betracht gezogen werden. Doch führt letztlich kein Weg an einer Reform des Regelwerkes der WTO vorbei, da derzeit die Gefahr besteht, daß Gütesiegelprogramme als Wettbewerbsverzerrungen und somit nicht WTO-konform gewertet werden können.


III. AKZEPTANZ UND MOBILISIERUNGSCHANCEN

- Für die Aufnahme einer Sozialklausel in das Vertragswerk der WTO wurde bisher in Deutschland kaum mobilisiert. Das seit dem NAFTA-Vertrag veränderte handelspolitische Kräfteverhältnis in den USA sowie die aufgeschlossenere Haltung der neuen deutschen Bundesregierung gegenüber einer sozialen Konditionalisierung des Welthandels lassen derzeit jedoch ihre Durchsetzung wahrscheinlicher werden. Eine Mobilisierung könnte sich mithin lohnen.

- Für Verhaltenskodizes konnte in breiten Bündnissen, z. T. mit Regierungsbeteiligung, bisher relativ gut mobilisiert werden. Es bestehen durchaus gute Chancen, für einzelne Branchen einheitliche Verhaltenskodizes zu vereinbaren, die sich explizit auf zentrale ILO-Normen beziehen. Diese Chancen stehen umso besser, je mehr die Durchsetzung von Sozialklauseln als wahrscheinlich angesehen wird. Die Vereinbarung einer unabhängigen Aufsicht (zumindest wenn diese über eine Zertifizierung nach einem SA-8000-Standard hinausgeht) und insbesondere eines Erzwingungsmechanismus wird jedoch auf ähnlich großen Widerstand stoßen wie die Forderung nach Sozialklauseln.

- Soziale Gütesiegel sind bislang über ein Nischendasein nicht hinaus gekommen. Derzeit deutet sich in den USA eine gewisse Popularisierung an, doch werden damit auch die Probleme prononcierter - analog zur „Öko-Lüge" unglaubwürdiger Umweltsiegel könnte es zur „Sozio-Lüge" kommen. Es gilt, das Potential für die dringend notwendige Vereinheitlichung der Siegel, für den Bezug auf ILO-Konventionen einschließlich des Vereinigungsrechtes und für effiziente Kontrollmechanismen auszuloten. Auch wenn sich im Bereich der Zertifizierung durchaus von einer Vereinheitlichungstendenz sprechen läßt, die Bereitschaft der Unterneh-

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men, die vermutlich zur Vermeidung von Mißbrauch notwendige staatliche Kontrolle zu akzeptieren, ist als gering einzustufen.

IV. PRAKTISCHE GESTALTUNGSVORSCHLÄGE

Inwieweit handelspolitische Instrumente ansatzweise zur Sicherung von Arbeiterrechten beitragen können, hängt entscheidend von ihrer Ausgestaltung ab. Im folgenden sollen die Mindestanforderungen an diese Instrumente vorgestellt werden.

Sozialklauseln

  • Der Vorschlag des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) für eine multilaterale Sozialklausel in der WTO sollte zentraler Orientierungspunkt in der Debatte bleiben. Allerdings muß die berechtigte Kritik der Entwicklungsländer an den Dominanzverhältnissen in der WTO und an der Mißachtung des Gleichbehandlungsprinzips bei der Anwendung von unilateralen Sozialklauseln – diese bilden den einzig vorhandenen Erfahrungshintergrund für die Diskussion – energisch aufgegriffen werden. Zumindest muß dafür Sorge getragen werden, daß Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften im Rahmen einer multilateralen Sozialklausel über Klagerechte in einem öffentlichen, transparenten Petitionsverfahren verfügen. Auch ein multilaterales Verfahren wird mit politischen und strategischen Erwägungen wichtiger Teilnehmer umgehen müssen, da Multilateralität keineswegs das Prinzip der Gleichbehandlung garantiert. Ein teilöffentlicher Aushandlungsprozeß wie im Petitionsverfahren der Sozialklausel im Allgemeinen Präferenzsystem der USA stellt zumindest sicher, daß die Anwendung der Sozialklausel öffentlich eingefordert werden kann und daß der Verzicht auf Sanktionen bei nachgewiesenen Verstößen gut begründet werden muß.

  • Unilaterale Sozialklauseln sind generell vertretbar, weil zur Gewährung von Handelspräferenzen keine Verpflichtung besteht - insbesondere dann nicht, wenn der Nutznießer des Vorteils gegen wichtige Prinzipien des Präferenzgebers bzw. gegen universelle Rechte verstößt. Die Aufarbeitung der Erfahrungen mit unilateralen Sozialklauseln in der US-amerikanischen Außenhandelsgesetzgebung zeigt, daß ihre Anwendung oder Androhung zu Verbesserungen bei der Einhaltung von elementaren Arbeiterrechten beitragen kann. Doch ihre politisierte Anwendung in den USA macht deutlich, daß dringender Verbesserungsbedarf bei der Sicherstellung einer konsistenten Normenanwendung besteht. Eine verpflichtende Bindung an Entscheidungen der ILO wäre am ehesten dazu geeignet, den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Androhung und Anwendung unilateraler Sozialklauseln zu erreichen. Zumindest aber muß für unilaterale Sozialklauseln sichergestellt werden, daß in

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    einem transparenten Antrags- und Überprüfungsverfahren Möglichkeiten zur Partizipation für gesellschaftliche Akteure bestehen. Ein solches Verfahren erhöht die Akzeptanz und Legitimität der Sozialklauseln. Regierungsverhandlungen hinter verschlossenen Türen wären dagegen kontraproduktiv. Folgende Elemente sollten gewährleistet sein: Öffentliche Anhörungen, flexible Petitionsverfahren, Überprüfung aller eingereichten Petitionen, die Einrichtung von unabhängigen Expertenausschüssen mit Inspektions- und Vorladungsrecht, Informationspflicht und Beweislast der betroffenen Regierung, klar definierte Konfliktlösungsprozesse und ein effektiver Sanktionsmechanismus.

  • Es bietet sich an, die verschiedenen Präferenzzollsysteme der Industriestaaten zu vernetzen und mit einer gemeinsamen Sozialklausel auszustatten. Dadurch könnte die Umleitung von Handelsströmen verhindert werden. Angesichts der unterschiedlich ausgestalteten Präferenzsysteme und Sozialklauseln müßte Einigkeit über die anzuwendenden Kataloge elementarer Arbeiterrechte und Sanktionen sowie über die Verfahren ihrer Überprüfung erreicht werden. Dies kann am ehesten durch multilaterale Verhandlungen unter Einbezug der Entwicklungsländer und von Nichtregierungsorganisationen geschehen. Die Bereitschaft der Entwicklungsländer, ein solches Arrangement zu akzeptieren, könnte durch ein abgestimmtes System positiver und negativer Sanktionen erreicht werden sowie durch deutliche Erweiterung der Palette der zu begünstigenden Produkte.

  • Analog zum US-Verfahren sollten die Überprüfungsverfahren bzw. Erzwingungsinstrumente im Rahmen der kombinierten Klausel Maßnahmen anderer Programme auslösen, z.B. das Aussetzen von Kreditsicherungen – über eine Sozialklausel im Kreditsicherungsverfahren der Hermes-Kreditbank sollte zusätzlich nachgedacht werden. Gleichzeitig sollte aber eine enge Abstimmung mit anderen entwicklungspolitischen Maßnahmen erfolgen, insbesondere sollten konkrete Hilfeleistungen in den angemahnten Bereichen angeboten werden, auch für die betroffenen gesellschaftlichen Akteure.

Verhaltenskodizes

Für Verhaltenskodizes besteht seit Ende 1997 ebenfalls ein detaillierter Vorschlag seitens der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Dieser Verhaltenskodex enthält eine klare Bezugnahme auf zentrale ILO-Normen, macht die transnationalen Konzernen für die Arbeitsbeziehungen bei ihren Zulieferern verantwortlich und sieht ein unabhängiges Monitoring vor. Sollen die Konsumenten nicht verwirrt werden und soll verhindert werden, daß Firmen sich durch einen eigenen Kodex den ILO-Normen entziehen können, dann gilt es, auf einen Verhaltenskodex für alle Firmen hinzuarbeiten, der möglichst völkerrechtlich verankert wird (als verbindlicher Kodex einer Internationalen Organisationen). Geeignete Zwischenschritte sind

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konzernweite tarifvertragliche Vereinbarungen oder zumindest durch Gütesiegel mittels Konsumentenmacht sanktionierbare Kodizes.

Gütesiegel

Bislang existiert weder ein überzeugendes Vorbild eines Gütesiegels noch ein rückhaltlos zu unterstützender Vorschlag. Im Bereich der Zertifizierung deutet sich mit dem Standard SA 8000 eine Vereinheitlichungstendenz für die zugrundeliegenden Standards (auf der Basis zentraler ILO-Konventionen) und die Vergabemethoden an; jedoch steht SA 8000 noch in der Konkurrenz. Angesichts des Glaubwürdigkeitsproblems von Gütesiegeln mangels Vereinheitlichung und nachvollziehbarer Kontrolle böte sich hier eine Gelegenheit für die nationale Gesetzgebung oder zumindest für nationale Arrangements. Da aber ungeklärt ist, ob selbst die freiwillige Kennzeichnung prozeßbezogener Informationen im WTO-Nichtdiskriminierungsregime Bestand hat, ist zunächst vor allem auf dieser Ebene - der WTO - Initiative gefordert.


V. HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN


Bundesregierung

Für die Außenhandelspolitik ist zwar die Europäische Kommission zuständig, doch verfügt die deutsche Regierung über entscheidenden Einfluß auf die europäische Außenhandelspolitik. In der Vergangenheit nutzte sie ihren Einfluß zur Verhinderung einer sozialen und arbeitsrechtlichen Regulierung des Welthandels.

  • Die neue Bundesregierung könnte zusammen mit Frankreich und den skandinavischen Ländern bei der nächsten WTO-Ministerratstagung im November 1999 die europäische Position hinsichtlich einer Arbeitsrechtsklausel der amerikanischen Position annähern oder zumindest neutral halten. Die deutsche Delegation könnte eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen, und zwar einerseits aufgrund dessen, daß Deutschland als Exportnation über den Vorwurf des Protektionismus erhaben ist und andererseits, indem sich die Bundesregierung bereit zeigt, zur Finanzierung flankierender Maßnahmen (Ausbildung von Inspektoren, Entwicklung von Beschäftigungsalternativen) beizutragen. Letztlich wird es zur Durchsetzung von Sozialklauseln in der WTO erforderlich sein, den Entwicklungsländern im Gegenzug schrittweise verbesserten Zugang zu den (Agrar- und Textil-)Märkten der OECD-Welt zu gewähren oder ihre Entschuldung voranzutreiben.
  • Die Bundesregierung kann sich auch dafür einsetzen, daß das Implementationsverfahren der Sozialklauseln innerhalb des Europäischen Allgemeinen Zollpräferenzsystems transparent gemacht wird, eine Vereinheitlichung mit dem amerikanischen System angestrebt wird und die osteuropäischen Nicht-Beitrittsländern miteinbezogen werden.

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  • Zudem könnte sie die Aufnahme der zentralen ILO-Übereinkommen in die Liste der Vergabekriterien für Mittel im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Unterstützung der deutschen Exportwirtschaft (Hermes-Bürgschaften) in Betracht ziehen.
  • Darüber hinaus könnte sich die Bundesregierung bei der Ausarbeitung des europäischen Unternehmensrecht dafür einsetzen, daß konzernweite Verhaltenskodizes mit Bezug zu ILO-Konventionen verbindlich gemacht werden. Denkbar wäre auch die Ausarbeitung einer nationalen Gütesiegelrichtlinie inklusive staatlicher Genehmigung zur Sicherstellung der Glaubwürdigkeit.

Die deutschen Gewerkschaften

Ausgangspunkt der gewerkschaftlichen Beschäftigung mit Sozialklauseln, Verhaltenskodizes und Gütesiegeln sollte die Erkenntnis sein, daß mittels dieser Instrumente zumindest in ihrer derzeit diskutierten Form keine heimischen Arbeitsplätze gesichert werden können. Diese Einsicht sollte jedoch nicht vorschnell zur Schlußfolgerung führen, daß sich deshalb für Gewerkschaften die Beschäftigung mit diesen Instrumenten nicht lohnen würde.

Aufgrund der Globalisierungsprozesse und den gesteigerten Möglichkeiten für die Unternehmen, Standorte und Belegschaften gegeneinander auszuspielen, wird die konkrete Ausübung internationaler Solidarität immer dringlicher. Der Einsatz für eine arbeitsrechtliche Flankierung des Welthandels kann in diesem Zusammenhang als Investition in eine künftig auch reziprok angelegte solidarische Beziehung angesehen werden. Falls die Durchsetzung einer Sozialklausel oder verbindlicher Verhaltenskodizes gelingen sollte, wäre ein wichtiger Präzedenzfall geschaffen, der der weiteren sozialen Flankierung des Weltmarktes größere Legitimität verschaffen würde. Ein solcher Erfolg würde sich sicherlich günstig auf die Durchsetzung einer effektiven Europäischen Sozialcharta auswirken und könnte auch Bedeutung für eine sozialpolitische Flankierung des Liberalisierungsprozesses der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen gewinnen. Und schließlich bietet das Engagement für diese Instrumente bündnispolitische Anknüpfungspunkte zu Umwelt-, Menschenrechts- und entwicklungspolitischen Gruppen.

  • Konkret könnte die Forderung nach einer Sozialklausel in der deutschen Öffentlichkeit dadurch an Legitimation gewinnen, daß die deutschen Gewerkschaften bei deren Propagierung Gewerkschaftsaktivisten aus dem Süden, insbesondere aus Brasilien und Südafrika aber auch von den Philippinen, stärker einbeziehen.
  • International können die deutschen Gewerkschaften aufgrund ihrer starken Position innerhalb der Exportwirtschaft eine Vermittlerrolle einnehmen zwischen den Gewerkschaften des Südens und jenen im Norden, deren Mitglieder überwiegend in Branchen arbeiten, die unter Importdruck stehen.

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  • Obgleich Sozialklauseln vorzuziehen sind, sollten sich die deutschen Gewerkschaften angesichts der Kräfteverhältnisse direkt und über ihre Berufssekretariate an der Ausarbeitung und vor allem an der Vereinheitlichung von Verhaltenskodizes und Gütesiegeln beteiligen.
  • Zudem können sie die Bemühungen engagierter Betriebsräte unterstützen, Verhaltenskodizes vertraglich zu vereinbaren, und zwar insbesondere durch Aufarbeitung bisheriger Erfahrungen, durch Vereinheitlichung der Kodizes und, soweit rechtlich möglich, durch Übernahme in die Tarifverträge. Schließlich können sie für die von ihnen mit ausgearbeiteten Gütesiegel innerhalb ihrer Mitgliedschaft werben.
  • Alle untersuchten Instrumente, auch Sozialklauseln, bedürfen zu ihrer effektiven Wirksamkeit der Mobilisierung von zivilgesellschaftlichem Druck. Sie bieten mithin die Möglichkeit zu konkreter internationalistischer Arbeit auch für die gewerkschaftliche Basis und eignen sich zur Organisation von Bündnissen zur Gestaltung der Weltwirtschaft. Stichwort: Globalisierung der Zivilgesellschaft.

Vermittlerorganisationen

Vermittlerorganisationen mit weltweiter Präsenz - wie die deutschen politischen Stiftungen - könnten einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Sozialklauseldebatte aus ihrer Nord-Süd-Polarisierung herauszuführen.

  • Inhaltlich könnte dies gelingen, indem zum einen die entwicklungspolitische Dimension von Sozialklauseln - also der potentielle Nutzen für den Süden - herausgestellt wird.
  • Auf der anderen Seite sollte die gewerkschaftliche Öffentlichkeit im Norden - die keinen unmittelbaren Nutzen aus solchen Klauseln ziehen wird - von der Bedeutung solcher Klauseln als Verkörperung des Prinzips einer sozialer Regulierung des Weltmarktes überzeugt werden. Praktisch gilt es zudem, die Möglichkeiten des Austausches zwischen diversen Aktivisten und Regierungsvertretern des Nordens mit dem Süden (und auch mit dem Osten) zu fördern.
  • Obgleich Umweltorganisationen und Gewerkschaften das Ziel verbindet, zu verhindern, daß mühsam erkämpfte Rechte und Errungenschaften durch den liberalen Welthandel außer Kraft gesetzt bzw. unterlaufen werden, verlaufen die Diskussionen zu Umwelt- bzw. Sozialklauseln weitgehend isoliert voneinander. Vermittlerorganisationen könnten die diversen Diskursstränge zur Regulierung des Weltmarktes durch die Organisation von Begegnungen zusammenzubringen.

[Seite der Druckausg.: XI]

Vermittlerorganisationen könnten auch einen Beitrag zur Schließung folgender Forschungslücken leisten:

  • Was ist der Umfang von Arbeitsrechtsverstößen im deutschen Außenhandel;
  • Europäische Handelspolitik: (a) wie kann die Sozialklausel im Allgemeinen Zollpräferenzprogramm der Europäischen Union transparenter gestaltet und effektiver eingesetzt und mit Klauseln in den Präferenzprogrammen anderer Länder vernetzt werden, (b) wie kann der Handel mit den osteuropäischen Nicht-Beitrittsländern sozial flankiert werden, (c) inwiefern ist eine arbeitsrechtliche Flankierung der sich abzeichnenden transatlantischen Freihandelszone notwendig;
  • Verknüpfung zwischen Umwelt- und Sozialklauseln: Inwieweit können Sozialklauseln zur Strategie der „nachhaltigen Entwicklung" beitragen;
  • Welche Erfahrungen sind bisher mit tarifvertraglich vereinbarten Verhaltenskodizes gemacht worden;
  • Inwiefern ist es sinnvoll, Arbeiterrechte in die Liste der Vergabekriterien im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufzunehmen.

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