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Teildokument:

Andreas Gettkant
Biologische Vielfalt - Impuls für gemeinschaftliches globales Handeln?
Zusammenfassung des Seminars und Ausblick


Im ersten Teil des Seminars wurden zwei Positionen präsentiert, wie sie eigentlich gegensätzlicher nicht sein können. Auf der einen Seite war da die malaysische Rechtsanwältin, die seit Jahren in einer der international bedeutendsten Nichtregierungsorganisationen des Südens die Interessen der Opfer einer - nach ihrer Ansicht - fehlgeleiteten globalen Entwicklung vertritt, die sich für die Rechte der lokalen Bevölkerung und der indigenen Völker in Lateinamerika, Asien und Afrika einsetzt. Ihr gegenüber stand der Schweizer Professor, der von den USA aus ein von Stiftungen und Privatwirtschaft gesponsortes Technologietransferprogramm im Agrarbereich leitet, das Biotechnik-Konzerne zu einer verstärkten Kooperation mit Entwicklungsländern bewegen möchte.

So sehr sich ihre Einschätzungen über die Situation der lokalen Bevölkerungen und der Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen auch unterscheiden, beiden gemeinsam war - und ist - die Überzeugung, daß mit der Konvention über die biologische Vielfalt ein internationales Regelwerk in Kraft getreten ist, daß das Potential besitzt, einen wichtigen Bestandteil der unterschiedlichen Nord-Süd-Beziehungen von Grund auf neuzugestalten. Ihnen gemeinsam ist auch die Besorgnis über die weltweite Bedrohung der biologischen Vielfalt, daß unvermindert zunehmende Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, die anhaltende Gen-Erosion im Bereich von Nutzpflanzen und -tieren und die fortschreitende Zerstörung von Lebensräumen. Schließlich waren es genau diese Entwicklungen, welche die internationale Völkergemeinschaft vor wenigen Jahren bewog, den Schutz der Biodiversität auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen.

Trotz des sehr schnellen Ratifizierungsprozesses ist die Zwischenbilanz nach drei Jahren, seit dem die Konvention zur Unterzeichnung in Rio auslag, recht ernüchternd. Einerseits waren die angekündigten Verheißungen neuer Finanzierungsquellen und ökonomischer Anreize ein geeignetes Lockmittel für viele Staaten, das Übereinkommen zu zeichnen und rasch zu ratifizieren, andererseits unterstützen die unterschiedlichen Erwartungen an umfassenden Schutz und ökonomische Gewinne aber auch den Umstand, daß das Gesamtwerk der Konvention je nach Interessenlage des jeweiligen Vertragsstaaten und der gesellschaftlichen Gruppen nur in Einzelaspekten wahrgenommen bzw. betont werden. Die Folge ist, daß bei den internationalen Verhandlungen zwar über dasselbe Übereinkommen geredet wird, aber stark divergierende Vorstellungen über dessen Prioritäten und den notwendigen Handlungsbedarf bestehen.

Auch in unserem Seminar wurde die unterschiedliche Wahrnehmung des Übereinkommens deutlich. So stehen für Prof. Krattiger die Themenbereiche Biodiversität und Biotechnologie in engem Zusammenhang. Es geht in erster Linie darum, einen sich allmählich herausbildenden Markt von genetischen Ressourcen und Informationen zu organisieren. Neue Technologien können dabei helfen, das Problem der Lebensraumvernichtung und der Übernutzung von genetischen Ressourcen einzudämmen. Da ein unverzichtbarer Akteur in diesem Bereich die Privatwirtschaft ist, kann auf deren Engagement nicht verzichtet werden. Unter anderem bedeutet dies, daß die marktwirtschaftlichen Spielregeln wie z.B. Schaffung eines günstigen Investitionsklimas durch ausreichenden Patentschutz deutliche Berücksichtigung im Nord-Süd-Verhältnis erfahren muß. Frau Chee setzt andere Schwerpunkte dagegen: für sie ist die biologische Vielfalt untrennbar mit der weltweiten kulturellen Vielfalt verbunden. Letztere wird aber durch die Dominanz des westlichen Entwicklungsmodells immer stärker eingeebnet. Lokale Bevölkerungsgruppen wie Kleinbauern, Fischer u.a. sowie indigene Völker stehen unter massiven Druck. Sie, die eigentlichen Hüter über der biologischen Vielfalt in den tropischen und subtropischen Zonen dieser Erde erfahren einen zunehmenden Verlust an Kontrolle über die Lebensräume, in denen sie leben, und über die Ressourcen, von denen sie leben. Die Technologien des Nordens haben zu dieser Entmachtung und zur Zerstörung der Lebens- und Kulturwelten wesentlich beigetragen. Jüngstes Beispiel aus ihrer Sicht ist die forcierte Anstrengung des Nordens, genetisch modifizierte Organismen zu produzieren und vorzugsweise in den Entwicklungsländern zu testen. Die neuesten Entwicklungen im Patentschutz - nach der Uruguayrunde des GATT - insbesondere die Möglichkeit, die Patentierung massiv auf alle Lebensformen auszudehnen, unterstützen den Prozeß, ungerechte Strukturen zugunsten der Mächtigen zu zementieren.

Die anschließende Diskussion zwischen Vertretern der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen offenbarte ebenso deutlich, die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessenlagen. Die Komplexität des Sachverhaltes provoziert eine Wertediskussion, in der Problemslösungskapazitäten neuer Technologien und ihre Bedrohungspotentialen gegeneinander abgewogen werden müssen, in der das dominante Entwicklungsmodell der westlichen Welt, aufbauend auf der ökonomischen Sicht der Dinge, herausgefordert wird von ganzheitlichen Lebensanschauungen in anderen Kulturkreisen und von der Betonung des intrinsischen Wertes der Lebensformen. Innerhalb dieses Szenarios ist die Politik, von der erwartet wird, daß sie die Rahmenbedingungen für einen umfassenden Schutz der biologischen Vielfalt und der nachhaltigen und gerechten Nutzung genetischer Ressourcen setzt, in besonderem Maße gefordert.

Die Diskussion der Seminarteilnehmer verdichtete sich im Verlauf des Tages immer weiter auf die Frage, wie den ökonomische Gewinne aus der Nutzung des weltweiten Genreservoirs gerecht und ausgewogen aufgeteilt werden können. Zwar gibt es einige konkrete Beispiele - vornehmlich Verträge zwischen privaten Unternehmen und dem nicht-staatlichen Sektor - die Hinweise auf ein gerechteres Verhältnis geben. (Immer wieder gern zitiert wird in diesem Zusammenhang der Vertrag zwischen dem parastaatlichen Instituto de Biodiversidad in Costa Rica und dem US-Konzern Merck, Sharp & Dohme). Allerdings bleiben bislang zentrale Fragen des "benefit-sharings" unbeantwortet:

* Wie wird der ökonomische Wert der biologischen Vielfalt bemessen? Welche Möglichkeiten bestehen, die anderen Werte (kulturell, sozial, ökologisch) in diese Rechnung einfließen zu lassen? Nicht unbedeutend ist dabei die Frage, welche Akteure den Wert bemessen.

* Welche Formen der Aufteilung des Gewinns sind adäquat? Welche Rolle spielen Technologietransfer und Kompetenzförderung? Ist das neue Verhältnis zwischen Anbietern genetischer Ressourcen und Nachfragern geeignet, die Rechte von traditionellen Gruppen und indigenen Völkern zu stärken?

Antworten auf diese Fragen verlangen nach einer umfassenden Debatte, an der Nord und Süd gleichgewichtig beteiligt sein müssen. Daher kann diese Diskussion nicht der Politik alleine überlassen werden, denn sämtliche Handelnde haben ein Anrecht darauf, ihre Interessen und Vorstellungen, ihre Ängste und Zweifel in den Entscheidungsprozeß einzubringen.

Von entscheidender Bedeutung ist zum jetzigen Zeitpunkt, daß der kooperative Geist des Übereinkommens nicht durch nationale Egoismen und das Pochen auf einseitige Sichtweisen gefährdet wird. Noch sind die Einstellungen und Erwartungen an die Konvention sehr unterschiedlich. Beispielhaft sollen hier der Umsetzungsprozeß in Deutschland und Indonesien skizziert werden.

Die Situation in Deutschland: Umsetzungsprozeß zum Nulltarif?

Seitdem die Bundesrepublik auf der Rio-Konferenz die Biodiversitäts-Konvention zeichnete, bewegt sich auf politischer Ebene bei der Umsetzung nur spürbar wenig. Zu sehr hatte sich die Bundesregierung im Rahmen der internationalen Verhandlungen erst auf den Waldschutz - während der Riokonferenz - und später auf den Klimaschutz konzentriert, als daß die Konvention für sie als relevantes völkerrechtliches Werk angesehen wurde. Angesiedelt im Umweltministerium - und dort in der Naturschutzabteilung, die sich nicht gerade durch besondere politische Durchsetzungskraft auszeichnet - schlummert das Werk vor sich hin. Bereits das Ratifizierungsgesetz, im Dezember 1993 vom Bundestag angenommen, verhieß nichts Gutes bezüglich eines notwendigen Kurswechsels auf dem Felde der biologischen Vielfalt. Wörtlich heißt es dort: "Im übrigen [abgesehen von Kosten im Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung von Entwicklungsländern und Beiträgen für die Errichtung des Sekretariats - Anm. des Autors] werden durch die Umsetzung der Maßnahmen des Übereinkommens in der Bundesrepublik Deutschland Bund, Länder und Gemeinden nicht mit weiteren Kosten belastet, weil diese Maßnahmen bereits umgesetzt sind oder im Rahmen der laufenden nationalen Naturschutzpolitik und der dortigen spezifischen Regelungen ohnehin umgesetzt werden. Auch für die inländische Wirtschaft ergeben sich aus der Umsetzung der Maßnahmen des Übereinkommens keine unmittelbaren zusätzlichen Belastungen, so daß auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf Einzelpreise, das Preisniveau und insbesondere das Verbraucherpreisniveau zu erwarten sind."

Ein Übereinkommen, das gesetzliche Reformen erforderlich macht und neue Regelungen als notwendig erscheinen läßt, paßt in Zeiten einer allgemeinen Deregulierungsstimmung ganz offensichtlich nicht in die politische Landschaft. Entsprechend zögerlich verläuft daher auch der Prozeß, eine nationale Umsetzungsstrategie zu erarbeiten. Ein verbindlicher Zeitplan ist bislang nicht vorhandeln und eventuell kann für Ende nächsten Jahres ein Strategieentwurf erwartet werden.

Zögerliche Ansätze, strategische Überlegungen über die Umsetzung der Konvention anzustellen, sind in dem Bericht, den die Bundesregierung nun zur zweiten Vertragsstaatenkonferenz in Jakarta vorlegt, zwar zu erkennen, jedoch scheint das Diktat der Haushälter im Bundestag und die mächtige Hand des Finanzministeriums jegliche Maßnahme, die auch nur im Ansatz zusätzliche Kosten erahnen läßt, in der jetzigen Zeit zu verbieten. Statt dessen werden die eigenen Naturschutzvorhaben und die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, deren Umsetzungsfrist die Bundesrepublik allerdings schon überzogen hat, als hinreichende Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention in Deutschland deklariert. In der internationalen Zusammenarbeit fällt den Verfassern auch kaum mehr ein, als den Export von Naturschutzvorhaben als hervorragendste Leistung der deutschen Entwicklungshilfe im Bereich Biodiversität darzustellen. Eher verschämt und leise werden die Themenkomplexe Zugangsregelungen zu genetischen Ressourcen, wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit und Kooperationsmodelle im Verbund mit der Privatwirtschaft genannt. Die Umsetzung der Konvention zum Nulltarif scheint das Wunschziel der Bundesregierung zu sein.

Ihr zu Gute kommt, daß sie lange Zeit weder von der parlamentarischen Opposition noch von Umwelt- und Naturschutzverbänden oder den entwicklungspolitischen Organisationen wegen ihres nachlässigen Verhaltens kritisiert wurde. So kann erst in den letzten beiden Jahren ein allmählich aufkeimendes Interesse an dem Übereinkommen von Seiten der Nichtregierungsorganisationen festgestellt werden.

Da Naturschutz von der überwiegenden Mehrheit der Ministerien eher als Hindernis für die Entfaltung ökonomischer Aktivitäten wahrgenommen wird und in Zeiten der Sorgen um den Wirtschaftsstandorts Deutschland keine Konjunktur hat, wird "biologische Vielfalt" als dessen Synonym verwendet und man erhofft sich davon, daß es irgendwie gefälliger klingt. Die leisen Töne zu den ökonomisch relevanten Kerninhalten des Übereinkommens werden nur bei wenigen Einzelaspekten von markigen Rufen übertönt, dann nämlich wenn eine akute Bedrohung für die Aktivitäten der Privatwirtschaft befürchtet wird. Beispiel dafür ist das Verhalten der Bundesrepublik bezüglich eines im Rahmen der Konvention diskutierten völkerrechtlich bindenden Protokolls über den sicheren Umgang mit genetisch modifizierten Organismen (GMOs), auch "Biosafety-Protokoll" genannt. Da - wenn es nach dem "Zukunftsminister" Rüttgers ginge - Deutschland zur Jahrtausendwende auf europäischer Ebene führend im Bereich der Gentechnologie sein sollte, wären neue rechtliche Reglementierungen für die so arg durch deutsche Gentechnikgesetze gebeutelte Industrie reines Gift. Vorgreifend wird von Regierungsseite festgestellt, daß potentielle Gefährdungen, die von genetisch modifizierten Organismen (im Verhandlungsjargon als lebend modifizierte Organismen bezeichnet, da dies freundlicher klingt) auf die menschliche Gesundheit und die natürliche Umgebung ausgehen könnten, bislang der abgesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis entbehren. Daher sollte doch von unnötigen bürokratischen Hürden Abstand genommen werden. Lange Zeit verharrte Deutschland somit, an der Seite einiger anderer Industrieländer wie den USA, Japan und Australien, auf dem Minderheitenstandpunkt in der Völkergemeinschaft, daß ein Protokoll vollständig überflüssig wäre und nicht-bindende Richtlinien erfolgversprechender sein würden. Auf der nun stattfindenden zweiten Vertragsstaatenkonferenz, durch den gemeinsamen Beschluß der europäischen Umweltminister gebunden, wird die Bundesrepublik zumindest ein Protokoll zu nach wissenschaftlicher Erkenntnis gefährlichen, grenzüberschreitenden GMOs und zur Einrichtung eines Informationssystems beim Export unterstützen.

Da in der breiten Öffentlichkeit "biologische Vielfalt", wenn der Begriff überhaupt mit irgend etwas assoziiert wird, dem Artenschutz gleichgestellt wird, sieht die Regierung zumindest einen erheblichen Bedarf, Aufklärungsarbeit über den Themenbereich zu leisten. Ob dies auf einer theoretische Ebene und mit nur sehr geringen finanziellen Mitteln gelingen wird, da ja konkrete Maßnahmen nur im spärlichen Umfang bislang erfolgen, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, daß der Begriff "Biodiversität" und die internationale Konvention eher über die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Eingang in die inländische Diskussion erhält. Die Behebung der offensichtlichen Ungerechtigkeiten in den weltwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nord und Süd sowie die zugesagte Unterstützung der Entwicklungsländer im Rahmen des Technologietransfers und der finanziellen Unterstützung werden nämlich von den genetisch reichen Staaten auf zunehmend deutlicherer Weise eingefordert. Es häufen sich Fälle, in denen Forschungserlaubnisse an deutsche Wissenschaftler von Tropenländern nur noch gegen gesalzene Gebühren ausgestellt werden. Und Gesetzesnovellierungen, wie in den Philippinen, die jegliche Ausfuhr von genetischen Ressourcen zu kommerziellen Zwecken durch ausländische Unternehmen untersagen, wenn nicht zuvor die anteilmäßige Gewinnbeteiligung des philippinische Staates ausgehandelt worden ist, deuten auf wachsende Spannungen im internationalen Verhältnis hin. Auch wenn der Erfolg solcher staatlichen Alleingänge - wie im aufgezeigten Fall - und die Möglichkeiten einer restriktiven Ausfuhrkontrolle in Zeiten einer eng vernetzten Weltwirtschaft, die von transnationalen Konzernen angeführt wird, ernsthaft bezweifelt werden kann, ist nicht auszuschließen, daß die Industrieländer früher oder später zu einer allseits geforderten gerechteren Partnerschaft gedrängt werden könnten.

Die Situation in Indonesien: Biologische Vielfalt als Entwicklungsmotor

Indonesien hat die Konvention über die biologische Vielfalt am 23. August 1994 ratifiziert und ist dieses Jahr Gastgeber der zweiten Vertragsstaatenkonferenz. Bereits die von der Regierung dargestellte Motivation zum Beitritt zeigt die im Gegensatz zu Deutschland grundsätzlich unterschiedliche Perspektive auf:

1. Das Übereinkommen schafft aus Sicht Indonesiens eine stärkere rechtliche Basis für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt.

2. Es dient ebenfalls als rechtliche Grundlage dafür zu verhindern, daß Indonesien als Testgebiet für genetisch modifizierte Organismen mißbraucht wird, und schützt dadurch vor dem Transfer gefährlicher Biotechnologien.

3. Schließlich beweist es den Willen des Staates zur internationalen Zusammenarbeit im Rahmen von Schutzmaßnahmen.

Nationale Strategien und Aktionspläne zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt sind bereits entworfen worden und momentan werden diese in den nationalen Entwicklungsplan integriert.

Von einem Staat wie Indonesien, dessen annähernd 200 Mill. Einwohner mehr als 300 ethnischen Gruppen angehören und dessen Staatsfläche sich auf über 17.000 (davon 11.000 bewohnten) Inseln verteilt, darf wahrlich angenommen werden, daß die Herausbildung einer nationalen Identität eine der größten Herausforderungen darstellt. Nicht zuletzt ist die energisch durchgesetzte Einführung der Kunstsprache Indonesisch Ausdruck für die Bestrebungen des Staates, ein Zugehörigkeitsgefühl zur Nation zu erzeugen. Darüber hinaus hat die Regierung ein höchst eigenes Verständnis davon, wieviel Demokratie und Mitbestimmung ihrer Bevölkerung "zumutbar" ist und die Verletzung von Menschenrechten ist Teil des politischen Alltags. Unterdrückung von ethnischen Minderheiten und demokratischen Bewegungen lassen Indonesien für viele Menschenrechtsorganisationen als typischen Vertreter eines in dieser Weltregion weit verbreiteten staatlichen Entwicklungsrassismus gelten.

Allerdings hat die Entdeckung der biologischen Vielfalt als attraktives ökonomische Gut auch eine Wiederentdeckung der kulturellen Vielfalt auf der politischen Ebene erbracht. Jahrhundertealte Praktiken der unterschiedlichen Völker, von denen schätzungsweise mehr als 6.000 Pflanzen- und Tierarten im Alltag von den lokalen Gemeinschaften genutzt werden, scheinen für die Regierung nicht nur eine reizvolle Quelle für Innovationen zu sein, sondern sind stolz postulierter Ausdruck Jahrhunderte alter nachhaltiger Nutzungsverfahren genetischer Ressourcen. In der Einschätzung des Staates finden Kosmetikindustrie und Pharmazie in der traditionellen Medizin ein wahres Inspirations-El Dorado, weshalb die indonesische Regierung auch bemüht ist, die moderne Verwendung der biologischen Vielfalt in enger Kooperation mit der Privatwirtschaft zu organisieren. Inwieweit die Gradwanderung zwischen der Anerkennung des ökonomischen Wertes kultureller Vielfalt einerseits und der systematischen Unterdrückung kultureller Identität andererseits glaubhaft durchgehalten werden kann, ist fraglich. Jedoch stellt es bereits einen Fortschritt dar, traditionelle Nutzungsverfahren grundsätzlich als mögliche Bestandteile von integrativen Managementsystemen anzuerkennen. Gerade im Herbst 1995, in der Vorbereitungsphase auf die Vertragsstaatenkonferenz, konnten sich die indonesischen Nichtregierungsorganisationen und Vertreter traditioneller Völker einer stärkeren internationalen Beachtung erfreuen und sind mehr als zuvor im Stande, die von staatlicher Seite früher nur als Lippenbekenntnis dargebotene Partizipation am politischen Prozeß massiver einzufordern. Auch wenn die Regierungsstellen häufig eher mitleidig lächelnd mit den Organisationen der Zivilgesellschaft in den Dialog treten und nicht müde werden, eine systematische, subversive Unterwanderung dieser Gruppen durch das Ausland zu unterstellen, führt der Tatbestand, durch eine UN-Konferenz in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit zu geraten, zu einer nicht unerheblichen Versachlichung der gegenseitigen Beziehungen.

Das Übereinkommen wird insgesamt als Chance gesehen, die immense natürliche Vielfalt des Landes stärker als bisher wirtschaftlich nutzbar zu machen. Nicht von ungefähr stellen die Anwendung von Wissenschaft und Technologie auf die biologische Vielfalt, die Diversifizierung der Nutzung und das integrative Bewirtschaften genetischer Ressourcen die Hauptelemente der nationalen Strategie dar. Schutzgebiete haben einen wichtigen Stellenwert innerhalb des Landes, unterschwellig schwingt dabei allerdings immer auch die Wahrnehmung dieser Gebiete als "Ressourcen-Erwartungsland" mit.

Diese ökonomisch geprägte Perspektive führt in der Konsequenz dazu, daß eine Diskussion über biologische Vielfalt immer auch eine Diskussion über gerechte Zugangsmöglichkeiten zum Weltmarkt, über den Aufbau technologischer Kompetenz und über die Verbesserung der Lebensqualität der ärmeren Bevölkerungsschichten mittels neuer Einkommensquellen ist. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, daß Fragen des Technologietransfers, der Gewinnbeteiligung an biotechnologischen Erzeugnissen, des Patentschutzes und der biotechnologischen Sicherheit einen viel höheren Stellenwert genießen als z.B. die Frage nach neuen Managementmethoden von Nationalparks. Es darf also im Prinzip nicht verwundern, daß aus Industrieländern importierte Konzeptionen von Naturschutzgebieten - zumal wenn deren Übernahme als Kondition für ausländische finanzielle Unterstützung dienen - nicht unbedingt auf gesteigertes Interesse stoßen. Tatsache ist, daß die positive Einstellung zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt in der indonesischen Regierung weniger aus der Besorgnis über die unwiederbringlicher Zerstörung oder die fragile Überlebensfähigkeit von naturnahen Restflächen - wie es bei den staatlichen Stellen in Deutschland der Fall ist - herrührt, als vielmehr auf dem Willen beruht, durch pfleglichen Umgang das reichhaltige Potential genetischer Ressourcen für den nationalen Entwicklungsprozeß nutzbar zu machen.

Unterschiedliche Sichtweisen -Gemeinsame Verantwortung

Die gesamte Bandbreite von unterschiedlichen Erwartungen und Befürchtungen kann durch diese beiden kurzen Fallbeschreibungen bei weitem nicht wiedergegeben werden, auch steht keines der Länder für die extremsten Haltungen.

Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika spielen im Konzert der Staatengemeinschaft eine Sonderrolle. Sie haben die Konvention zwar im Juni 1993 unterzeichnet, nach dem Sieg der Republikaner in Kongreß und Repräsentantenhaus und durch deren energischen Widerstand gegen das Übereinkommen sind sie allerdings von einer Ratifizierung weit entfernt. Diese Position hält jedoch die US-amerikanische Regierungsdelegation, zumeist im erheblichen Maße mit Industrievertretern besetzt, nicht davon ab, auf den Vertragsstaaten- und Nebenorgankonferenzen kräftig als Beobachter bei den Verhandlungen mitzuwirken. Dabei nehmen sie immer mehr die Rolle von Neinsagern an, war es doch schon zu Zeiten der Unterzeichnung eines der größten Befürchtungen der USA, daß die Verpflichtungen im Rahmen des Abkommens in erheblicher Weise die in- und ausländischen Aktivitäten der heimischen Industrie beeinträchtigen könnten, sei es beim industriellen Patentschutz, der notwendigen Einführung von verschärften nationalen Naturschutzbestimmungen oder bei der Übermittlung von Informationen und Technologien.

Die größte Sympathie für das Übereinkommen entwickeln hingegen die Regierungen größerer tropischer und subtropischer Flächenstaaten wie Kolumbien, Indien oder Malaysia. Nicht nur, daß diese Staaten im hohem Maße nationale Maßnahmen (Strategien und Aktionspläne) für eine höhere Wertschätzung der biologischen Vielfalt nachweisen können. Auch betonen verschiedene Regierungen aus dieser Gruppe immer wieder, die Ungerechtigkeiten beim Zugang zu Technologien aus dem Norden, die Gefahren, welche die Patentierung von Lebensformen mit sich bringen, und klagen über den geringen Zahlungswillen der Industriestaaten. Insgesamt werden für den weltweiten Schutz der biologischen Vielfalt für einen Zeitraum von drei Jahren 800 Mill. US-$ über die Globale Umweltfazilität - also dem momentanen Finanzierungsmechanismus der Konvention - zur Verfügung gestellt. Zur Einordnung dieser Summe ist es hilfreich, den kritischen Kommentar eines Ratsmitglieds der Fazilität zu zitieren, nachdem dieser Betrag in etwa den Kosten für den Bau eines Atomkraftwerkes gleichkommt oder den bisherigen Bohrkosten für das vermeindliche Endlager Gorleben entspricht.

Es wäre jedoch falsch, die Befürworter des Übereinkommens lediglich in den Tropen und die Verweigerer nur in den Industriestaaten zu sehen. Die Mannigfaltigkeit an Interessenlagen unter den Vertragsstaaten läßt eine künstliche Nord-Süd-Teilung nicht zu, wie sie auch im Rahmen der Klimakonvention oder selbst bei den letzten GATT-Verhandlungen viel zu kurz greifen würde.

Allerdings muß es als Gefahr angesehen werden, daß grundsätzliche Mißverständnisse oder Fehleinschätzungen unter den Vertragsstaaten zu einer verschärften Polarisierung der Positionen führen können. Notwendig für einen wirklichen Fortschritt im Umsetzungsprozeß, sollte es für alle Vertragsparteien sein, sich des ursprünglichen Motivs der Konvention zu erinnern, nämlich weltweit Maßnahmen gegen die zunehmende Gefährdung der biologischen Vielfalt zu ergreifen. Diese oberste und grundsätzlichste Gemeinsamkeit muß das Fundament für partnerschaftliches Handeln und der Verständigung über unterschiedliche Sichtweisen werden. Es muß klar sein, daß weder nationale Egoismen noch das Beharren auf alten Denkschemata (Nord-Süd-Gegensatz) für die Lösung dieser Aufgabe hilfreich ist. Alle Beteiligten sollten sich darüber bewußt sein, daß die in Rio bekräftigte Notwendigkeit für einen Kurswechsel in der internationalen Entwicklung nicht umsonst zu haben ist, und auch nicht unter Ausschluß gesellschaftlicher Gruppen erreichbar sein wird. Ein Wertewandel, wie er als Konsequenz aus der Zusammenschau der globalen Umweltzerstörungen als erforderlich gilt, verlangt von allen Staaten, Lernbereitschaft und Verantwortlichkeit. In besonderem Maße trifft dies auf die Industriestaaten des Nordens zu, die nicht nur über die meisten Finanzmittel verfügen und den technologischen Innovationsprozeß dominieren, sondern gleichzeitig in hohem Maße Unbeweglichkeit und Trägheit bei der Einleitung von Veränderungen aufweisen. Es darf auf der 2. Vertragsstaatenkonferenz in Jakarta im November 1995 nicht dazu kommen, daß durch einen unnützen Streit um noch offene Fragen der Geschäftsordnung und um Abstimmungsprozeduren zeitraubende Nebenschauplätze eröffnet werden und die Behandlung der Sachfragen hinausgeschoben wird, wie es auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Berlin der Fall gewesen ist. Zu wichtig sind die Themen auf der Tagesordnung wie z.B.: die Einrichtung eines Clearinghouse-Mechanismus für technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit, Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt von Küsten und Meeren, die Ausgestaltung des Technologietransfers, die Verhandlung eines Protokolls zur biologischen Sicherheit oder Zugangsregelungen zu genetischen Ressourcen. Sie verlangen nach einem intensiven Dialog und nach der Abstimmung konkreter Handlungsschritte. Drei Jahre nach UNCED und nach Unterzeichnung der Konvention erzielt kein Staat mehr allein durch brillante Rhetorik eine ausreichende Glaubwürdigkeit. Die Handlungs- und Kooperationsbereitschaft der Vertragsstaaten wird in entscheidendem Maße über den Erfolg oder den Mißerfolg des Übereinkommens bestimmen.

Ein essentieller Indikator für den Handlungswillen stellt dabei die Formulierung und Umsetzung von nationalen Strategien dar. Eine halbherzige Herangehensweise - wie sie für die Bundesrepublik zum jetzigen Zeitpunkt konstatiert werden muß - ist allerdings kaum geeignet, den Anspruch einer internationalen Vorreiterrolle in der Umweltpolitik zu erfüllen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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