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[INTERNATIONALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT]
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Elke Bröder
Zusammenfassung der Diskussion


In ihrem einführenden Vortrag beleuchtete die philippinische Politologin Annabelle Gambe die Rolle, die Frauen im Geflecht der gängigen Entwicklungsstrategie spielen: Lückenbüßer und Opfer fehlgesteuerter Entwicklung.

Produktion für den Export galt und gilt, ebenso wie Investitionen aus dem Ausland, als Wachstumsschlüssel für die Entwicklungsländer. In den Fabriken ausländischer Konzerne, so Gambe, stellten Frauen die Mehrzahl der Arbeiter: geduldig, produktiv und gering entlohnt. Ländliche Gebiete, wo die Mehrzahl der Menschen lebt, fallen hinter die systematisch staatlich geförderten Industriegebiete zurück und die Bewohner strömten auf der Suche nach Arbeit in die Metropolen. Doch die Arbeitsplätze reichten nicht aus.

In ihrem Heimatland, den Philippinen, sei die Regierung Marcos aus Angst vor drohender sozialer Unruhe deshalb auf die Idee verfallen, Arbeitslosigkeit und Devisenmangel mit dem gleichen Mittel zu bekämpfen. 1982 propagierte Marcos die Arbeit im Ausland. Annabelle Gambe erklärte, daß Frauen sehr bald die Hälfte aller Filipino-Gastarbeiter ausmachten. Auf ein bis zwei Jahre befristet arbeiten beispielsweise rund 80.000 philippinische Haushaltshilfen in Hongkong. Die große Mehrheit der exportierten Arbeiterinnen verdingt sich im Ausland nicht nur als Haushaltshilfe, sondern auch als "Entertainerin", ein Deckname für die Arbeit als Barfrau oder Prostituierte.

Ob der Export sexueller Dienstleistungen denn mit Wissen der Regierung geschehe, fragte eine Teilnehmerin aus dem Publikum. Annabelle Gambe bejahte. Die Frauen erhielten eine staatliche Lizenz für den Beruf der "Entertainerin".

In Kauf genommen oder sogar mehr als indirekt gefördert werde auch die Prostitution im Gefolge des Tourismus. Für viele Staaten des Südens sind die Einnahmen aus dem Urlaubsgeschäft nach dem Öl die wichtigste Devisenquelle. Auf 500.000 bis eine Million bezifferte Annabelle Gambe die Zahl der Thailänderinnen, die sich prostituieren. Wie in den meisten Staaten ist der käufliche Sex auch hier verboten. Dennoch kommen viele Touristen vor allem wegen der preiswerten und als exotisch empfundenen Frauen.

Lea Ackermann, katholische Ordensfrau und Mit-Autorin einer Studie des Bundesministeriums für Frauen und Jugend, belegte die Bedeutung des Sextourismus mit Zahlen. So seien 1990 von Thailands fünf Millionen ausländischen Besuchern 70 Prozent alleinreisende Männer gewesen. Jeder zweite war, Studien zufolge, auf der Suche nach käuflichem Sex. Auch auf den Philippinen stellten Männer weit mehr als die Hälfte aller Auslandsurlauber. "Der typische Prostitutionstourist kommt aus dem Westen und Norden. Er stellt in den Ländern sein Geld und seine 'Wichtigkeit' zur Schau", sagte Lea Ackermann, die acht Jahre lang in afrikanischen Ländern mit Prostituierten gearbeitet hat.

Was die Touristen für eine Nacht zahlten, sei ihrem Maßstab nach wenig, für die Frauen aber viel. Eine Touristenprostituierte in Kenia verdiene in einer Schicht teilweise mehr als eine Marktfrau im Monat, berichtete Lea Ackermann. Wenn aber zwei Nächte lang kein Kunde auftauche, würden die Bordellbesitzer die Kleider der Frauen verkaufen und damit ihr Betriebskapital. Die Zimmer kosteten rund 10 Mark am Tag. Und im Alter müßten sich die Frauen in den Elendsvierteln für die Einheimischen prostituieren, nur mit ein paar Pfennigen entlohnt und oftmals krank.

An den Frauen, berichtete Lea Ackermann, verdienten nicht nur die Zuhälter, sondern auch die Polizei. Wo, wie in Kenia, Prostitution illegal ist, haben Polizisten die rechtliche Handhabe für Razzien. Die Alternative für die Frauen laute dabei oftmals: sechs Monate Haft oder 200,- Mark Bestechungsgeld für den Polizisten. Solidarität der Frauen sei trotzdem eine Ausnahme, bilanzierte Lea Ackermann. Die Konkurrenz um Kunden und Einkommen verhindere den Zusammenschluß.

Auch Annabelle Gambe konnte am Fall der Philippinen nicht von regelrechten Organisationen der Prostituierten berichten. Es gäbe aber Versuche vor allem engagierter Kirchenfrauen, auf sie einzuwirken. Wesentlicher Bestand dieser Arbeit sei die Aufklärung über Gesundheitsgefahren und ein Werben um den Einsatz von Kondomen. Aids, fügte Lea Ackermann hinzu, sei eine reale Bedrohung für die Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt mit sexuellen Dienstleistungen sicherten. In Zentral- und Ostafrika werde die Zahl der aidskranken Frauen auf 3 Millionen geschätzt.

Juliane von Krause von der Kampagne gegen Kinderprostitution im Sextourismus berichtete, daß Kinder, Mädchen wie Jungen, eine zunehmende Rolle in dem Geschäft spielten. Insbesondere Thailand, Taiwan, die Dominikanische Republik und Brasilien seien beliebte Urlaubsziele von Pädophilen. Im Gegensatz zu der wohlwollenden Haltung vieler Regierungen der Frauenprostitution gegenüber stößt das Geschäft mit den Kindern auf Widerstand. So greife Thailands neue Regierung mit Razzien in den Zentren der pädophilen Touristen durch. Auch auf den Philippinen gelte seit dem Sommer ein striktes Gesetz: Touristen, die mit einem einheimischen Kind ohne Begleitung in dem Hotelzimmer angetroffen werden, können bestraft werden.

Für den "normalen" Sextourismus, so Annabelle Gambe, gilt dennoch, daß die Abhängigkeit der Staaten von den Devisen jedes harte Vorgehen verbietet. Es kommt hinzu, daß der Sextourist, wenn er nicht pädophil ist, für die deutschen Strafbehörden kein Übeltäter ist.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Brigitte Adler äußerte ihren Unmut über die passive Haltung der Bundesregierung in dieser Frage. Auf eine Anfrage im Bundestag, die den Sextourismus von Deutschen in Richtung Thailand und Philippinen bewertet wissen wollte, habe die Regierung geantwortet, sie sehe keinen Handlungsbedarf. Brigitte Adler hatte bei einem Parlamentariertreffen in Thailand Eindrücke von der Kinder- und Frauenprostitution bekommen. Sie sei schockiert gewesen, 12- oder 13jährige auf dem Strich zu sehen und auch darüber, daß Eltern sie regelrecht verkauften.

Pädophile Kunden aus der Bundesrepublik können bislang noch im Ausland ihrer zwanghaften Vorliebe frönen, ohne bestraft zu werden. Aber wie Friedrich-Wilhelm Schulte vom Bundesjustizministerium erläuterte, liegt eine Gesetzesvorlage im Bundestag, die erlaubt, die Strafe auch auf im Ausland begangene Sexualdelikte auszudehnen. Der Gesetzesentwurf widme sich speziell dem Kinder-Sextourismus. Bislang hätte das Strafrecht in der Bundesrepublik für diesen Bereich Lücken aufgewiesen, die jetzt geschlossen worden seien, sagte Schulte.

Die Verjährungsfrist für sexuellen Mißbrauch an Kindern sei verlängert worden. Hinzu habe die Bundesregierung auch die Gesetzesbestimmungen gegen Kinderpornographie verschärft. Friedrich-Wilhelm Schulte räumte ein, daß der damit gesteigerte Druck im Inland dazu führen könnte, daß die Kundschaft kinderpornographischer Videos und Bildbände, ebenso wie die Produzenten, ins Ausland auswichen. Schon seien die ersten Kinder-Sexfilme aufgetaucht, die offensichtlich in Ceylon oder in Thailand gedreht worden waren. Männer, die direkten sexuellen Kontakt mit Kindern wünschen, ziehe es ohnehin schon ins Ausland.

Juliane von Krause bemängelte, daß Polizeibehörden in den entsprechenden Ländern und die deutschen Dienststellen faktisch nicht zusammenarbeiteten. Friedrich-Wilhelm Schulte betonte, daß Gespräche mit Thailand liefen, um die Zusammarbeit zu verbessern. Aber Herr Schulte warnte vor allzu großen Hoffnungen. Ohne Vernehmungsprotokolle und Zeugenaussagen aus den betreffenden Staaten und vor allem ohne Anzeige, funktioniere die Strafverfolgung auch bei den besten Gesetzen in Deutschland nicht.

Gesetzes- und Kontrollücken beklagte Lea Ackermann auch im Falle der deutschen Heiratsvermittler, die Frauen aus Dritte-Welt-Ländern offerierten. Die Frauen würden dabei regelrecht gehandelt. Oftmals seien es Prostituierte, die sich, angelockt vom Reichtum der Urlauber, in ihre Heimatländer mitnehmen oder in diese Länder vermitteln ließen. Im "gelobten Land" würden sie teilweise wie Sklavinnen behandelt. Erfahrungen von Lea Ackermann: Ein Mann heiratete eine Frau aus Kamerun, die das Haus nicht verlassen durfte und sich um seinen schwerkranken Vater kümmern mußte. Und ein Haftentlassener "besorgte" sich eine Angetraute aus der Dominikanischen Republik, die auf dem Strich anschaffen sollte. Meist ohne deutsche Sprachkenntnisse und Freunde seien die Frauen hilflos und ihren Ehemännern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Bei einigen Eheanbahnungsinstituten erkaufen sich Kunden für 7.000 bis 15.000 Mark das Recht, Frauen nach Katalog auszusuchen, sie für drei bis vier Wochen auszuprobieren und sie unentgeltlich zurückzugeben. Bei diesen Ehen auf Probe sind die Frauen aus dem Süden besonders ungeschützt, weil sie kein dauerndes Aufenthaltsrecht haben. Und in nicht wenigen Fällen, so Lea Ackermann, würden sie dabei schwanger. Die Ordensfrau berichtete von einer Ratsuchenden, die als neunte Probefrau zu ihrem Gatten in spe gekommen war, von ihm geschwängert wurde und wieder nach Hause sollte.

Das geltende Recht, klagte Lea Ackermann, benachteiligt solche Frauen. Wenn die Männer sie nicht mehr wollten, würden sie oftmals zur Ausländerbehörde gehen, die dann die Frauen abschieben würde. Den Heimflug müßten sie aus eigener Tasche zahlen, es sei denn, sie fänden eine Institution, die ihnen helfe.

Brigitte Adler sprach in diesem Zusammenhang eine parlamentarische Anfrage an. In der Antwort habe die Bundesregierung erklärt, daß sie besondere Schutzregelungen für ausländische Ehefrauen nicht für erforderlich halte. Die Politik agiere hier wenig überzeugend, denn schließlich erteilten deutsche Dienststellen im Ausland den Frauen Einreisegenehmigungen und Visa, in manchen Fällen sogar, wenn der Grund der Einreise auf der Hand liege. So erhielten Frauen aus dem Süden eine Arbeitserlaubnis als "Folkoretänzerin".

Unter folkloristischem Tanz sei allerdings eindeutig knappe Bekleidung und Arbeit in Barbetrieben und Bordellen zu verstehen. Wenn in einigen Fällen der Schwindel auffliege, so Lea Ackermann, würden jedoch nicht die Zuhälter oder Barbesitzer belangt, sondern die Frauen. Sie würden kurzerhand ausgewiesen.

Gegen den Vorwurf der staatlichen Untätigkeit verteidigte Friedrich-Wilhelm Schulte die Bundesregierung und verwies auf eine Strafrechtsänderung, die am 22.7.1992 in Kraft getreten sei. Sie erschwere den Heirats- und Menschenhändlern, den Organisatoren der Zwangsprostitution das "Handwerk" und schütze die betroffenen Frauen besser als vorher. Früher sei es äußerst schwer gewesen, Frauenhändler zu bestrafen. Ausgerechnet ein Spruch des Bundesgerichtshofes habe dazu beigetragen, denn die Richter hätten als Strafvoraussetzung verlangt, daß die "gehandelte" Frau getäuscht worden sei. War sie beispielsweise schon in ihrer Heimat als Prostituierte tätig, war für das Gericht nicht klar, daß und ob sie in der Bundesrepublik zu ihrem Nachteil auf den Strich gezwungen wurde.

Heute sei der Begriff Menschenhandel weiter gefaßt, erklärte Herr Schulte. Dazu gehöre nicht nur Frauenhandel für die Prostitution, sondern nach den Strafrechtsänderungen auch die organisierte Vermittlung von Frauen in Peep Shows und als sogenannte Ehekandidatin. Ein Mehr an Strafverfolgung und Verurteilung, bilanzierte er, sei heute möglich. Aber da die Gesetzesänderung erst ein Jahr zurückläge, hätte das Bundesjustizministerium noch keine Übersicht, ob und wie sich die Reform bewährt hätte.

Zu dieser gehörten auch Bestimmungen im Rahmen des Gesetzespakets gegen die organisierte Kriminalität, wozu Menschenhandel gerechnet wird. So sei der Zeugenschutz verbessert worden, eine Maßnahme, die vor allem den Frauen Sicherheit verleihen soll. Vor Gerichten habe sich immer wieder herausgestellt, daß die jungen Frauen aus dem Süden eingeschüchtert worden waren und sich sehr ängstlich verhielten.

Bliebe die Frage, wer die Organisatoren des Geschäfts mit den Frauen überprüft. Josef Limbach vom Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalens erklärte, daß die Heiratsinstitute der Kontrolle von Gewerbeaufsichtsämtern unterliegen. In Bayern und Nordrhein-Westfalen hätten die Beamten ein Nachschaurecht bei Eheanbahnungsinstituten. Wenn die Geschäftstätigkeit gegen das Gemeinwohl verstieße, könnten die Gewerbekontrolleure tätig werden.

Doch Herr Limbach ließ wenig Hoffnung, daß das Gewerberecht ein geeignetes Instrument gegen die schwarzen Schafe der Branche ist. Letztlich sei es nur ein "Zwickel". Beispielsweise habe er seine untergeordneten Behörden, die Aufsichtsämter, angewiesen, den Hinweisen der Frauenministerin in NRW nachzugehen. Die Liste der üblen Frauenhändler entpuppte sich für die Gewerbeaufsichtsbeamten als "Schuß in den Ofen". Seine Beamten hätten nichts gefunden. Denn die Kompetenzen der Mitarbeiter seien beschränkt und mit der von Polizisten nicht zu vergleichen, sagte Herr Limbach. Die Buchführung könne wohl geprüft werden, aber in den Büchern spiegelten sich keine illegalen Dinge wider. Hinzu komme, daß die Mitarbeiterzahl nicht ausreiche, um jedes Eheinstitut regelmäßig zu überprüfen. Sie seien schon mit dem politisch verordneten Aufspüren von Schwarzarbeit mehr als ausgelastet. Herr Limbach plädierte aber nicht dafür, die Gewerbeaufsichtsämter schlicht zu vergessen. Er bat, den Dienststellen konkrete Hinweise zukommen zu lassen, dann könnten sie aktiv werden. Die härteste Konsequenz, die einem betrügerischen Ehevermittler droht, sei ein Gewerbeuntersagungsverfahren, das bis zum Bundesverwaltungsgericht gehen könnte.

Juliane von Krause plädierte in jedem Fall für mehr Information. In laufenden Gesprächen mit Reiseveranstaltern will die Kampagne gegen Kinder-Sextourismus erreichen, daß die Großen der Branche in den Verträgen mit den Hotels im Urlaubsland einen Passus einführen sollen, nachdem einheimische Kinder nicht mit aufs Zimmer genommen werden dürfen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich zum Schluß der Veranstaltung einig, daß rechtliche Bestimmungen das Problem nicht allein lösen können. Aber gerade die Frauen wünschten sich deutlich mehr Aktivität des Staates, um Frauenhandel von Süd nach Nord zu verhindern.

Brigitte Adler schlug vor, generell Tourismusprojekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit strengen Maßstäben zu bewerten. Und Annabelle Gambe mahnte eine Wirtschaftspolitik an, die den Süden begünstige, nicht wie im Weltwirtschaftssystem bisher, benachteilige. Lea Ackermann betonte den engen Zusammenhang zwischen Ferntourismus und Prostitution im Süden. Sie möchte vor allem für die Frauen, die von Eheinstituten nach Deutschland geholt werden, rechtliche Verbesserungen. So etwa die Pflicht der Männer, eine Kaution für die Rückreise der Frau zu zahlen und für die Frau ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik, auch wenn der Gatte in spe sie nach einer Probezeit verstößt.


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