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Alejandro Valencia Villa
Die Lage der Menschenrechte in Kolumbien: Einige Empfehlungen zu ihrer Verbesserung


Die Lage der Menschenrechte in Kolumbien ist nach wie vor besorgniserregend. Im Land herrscht ein dramatischer und spürbarer Gegensatz zwischen der namentlichen Verankerung der Grundrechte und ihrer kritischen Situation in der Praxis.

Diese Menschenrechtsverletzungen kommen nicht nur im Rahmen der staatlichen Aktionen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Abwehr der ungerechten Aggression bewaffneter Aufständischer und zur Bekämpfung verschiedenster Arten von Kriminalität vor. Sie sind auch in der Mißachtung bzw. Bedrohung politischer und sozio-ökonomischer Rechte zu beobachten, so z.B. die Verletzung des Rechts auf Sozialsicherheit durch die Behörden, die sich schuldhaft den Postulaten der Effizienz, Allgemeingültigkeit und Solidarität entziehen, also jenen Postulaten, die laut Verfassung in der Erbringung der Leistungen der Gesundheitsbetreuung und der Anerkennung der Rentenansprüche Anwendung finden müssen; oder die Verletzung des Petitionsrechts, das den Behörden, die entsprechende Eingaben unberücksichtigt lassen, unbekannt ist. Durch die Nichtbearbeitung von Beschwerden und Reklamationen oder die Nichteinhaltung von Fristen bei ihrer Beantwortung oder der Beschlußfassung ignorieren diese Behörden die richtungsweisenden Prinzipien der Verwaltungsarbeit.

Nach über sechs Monaten seit Amtsantritt des Präsidenten Samper dürfen wir weder übersehen noch verkennen, daß die Regierung einige beachtenswerte Bemühungen unternommen hat, um eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Kolumbien zu erreichen:

* Die Annahme des II A-Protokolls der Genfer Abkommen von 1977, Hauptinstrument des humanitären Völkerrechts, das auf nationale bewaffnete Konflikte anwendbar ist.

* Die Schaffung von Menschenrechtseinheiten innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft der Nation.

* Das Bestehen einer Fachkörperschaft zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen - was auf eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft hinausläuft, die hoffentlich zur Überwindung der Straffreiheit führt.

* Die Ankündigung einer integralen Politik zugunsten der Vertriebenen, eines sehr schwerwiegenden, besorgniserregenden und wachsenden Problems in Sachen Menschenrechte.

* Die Schaffung eines Menschenrechtssekretariats in den Amtszimmern des Verteidigungsministers und von Menschenrechtsbüros in allen Militäreinheiten, was ein entschlosseneres Engagement der öffentlichen Sicherheitsorgane auf diesem Gebiet bedeuten könnte.

* Die Konstituierung einer vielseitig zusammengesetzten Kommission für Reformen im Militärstrafrecht, die hoffentlich zu Ergebnissen zur Bekämpfung eines der gravierendsten Faktoren der Straffreiheit, nämlich besagtes Militärstrafrecht, gelangt.

* Die Unterstützung der Arbeit der Untersuchungskommission der gewaltsamen Geschehnisse in Trujillo vor fünf Jahren. Die Kommission wurde unter der Schirmherrschaft des Interamerikanischen Menschenrechtsausschusses gebildet und untersuchte dieses abscheuliche Verbrechen gegen die Menschenrechte; sie formulierte ausdrückliche Empfehlungen, die öffentlich vom Präsidenten der Republik akzeptiert wurden und nun von der Regierung in die Tat umgesetzt werden.

Diese Entwicklungen beweisen ein entschlosseneres Vorgehen seitens der Regierung, doch kann und muß noch viel mehr getan werden, um die Menschenrechtslage in Kolumbien tatsächlich zu verbessern.

Im folgenden werde ich ohne weiteren Kommentar eine Reihe von Empfehlungen wiedergeben, die schon seit einigen Jahren von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, Einrichtungen unter staatlicher Kontrolle und sogar von zwischenstaatlichen Institutionen ausgesprochen werden. Die Empfehlungen werden in vier Gruppen gegliedert: Frieden, Menschenrechte und bewaffneter Konflikt; Gerechtigkeit und Menschenrechte; verfassungsmäßige und gesetzliche Entwicklungen, sowie einige Empfehlungen in internationaler Hinsicht. Es ist offensichtlich, daß sich viele dieser Empfehlungen überlappen, doch wird diese Gliederung aus didaktischen Gründen vorgenommen.

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Frieden, Menschenrechte und bewaffneter Konflikt

Erstens: das Streben nach Frieden ist vielleicht der sehnlichste Wunsch der Kolumbianer. Den Krieg menschlicher zu machen bis der Frieden erreicht werden kann, ist angesichts des bewaffneten Konflikts im Land eine dringende Priorität. Hierzu gibt es verschiedene Vorschläge:

* Die Anwendung des humanitären Völkerrechts durch die am Konflikt beteiligten Parteien. Dieses sollte sowohl in ergänzendem als auch in mäßigendem Sinn erfolgen: die politischen Bemühungen ergänzen und die Grausamkeit der Auseinandersetzung mäßigen.

* Die Verbreitung des humanitären Völkerrechts unter den Konfliktparteien, einschließlich der bewaffneten aufständischen Organisationen, als ein Mechanismus zur Bewußtseinsbildung der beteiligten Parteien.

* Die Weiterentwicklung des Zweiten Protokolls, in dem wichtige Aspekte besagten Instruments eine Regulierung erfahren, wie zum Beispiel der Schutz der Grundgarantien jener Menschen, die nicht direkt oder nicht mehr an den Kampfhandlungen teilnehmen sowie Feststellung des Status und der Rechte der Personen, die im Zusammenhang mit dem Konflikt ihrer Freiheit beraubt sind.

* Typifizierung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts als Disziplinarvergehen in der einheitlichen Disziplinarordnung und als strafbare Handlung im Strafgesetzbuch.

* Anpassung der Handbücher über militärische Operationen der öffentlichen Sicherheitsorgane an die Prinzipien des humanitären Völkerrechts.

Zweitens: ein eindeutiges und entschiedenes Vorgehen gegen die paramilitärischen Gruppierungen, die sich in verschiedenen Regionen des Landes ausbreiten, wie zum Beispiel im Bezirk des Flusses Meta, im südlichen Gebiet des César und im Nordgebiet des Golfes von Urabá. Die Regierung muß klare und nachdrückliche Maßnahmen auf militärischem und rechtlichem Gebiet ergreifen, um diese Gruppen der Selbstjustiz, die in zunehmendem Maße Menschenrechtsverletzungen begehen, aufzulösen.

Drittens: die Dienstentlassung der Mitglieder der Streitkräfte und Sicherheitsorgane, die an schweren und wiederholten Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren. So wie die Regierung einen in die abscheulichen Ereignisse von Trujillo verwickelten Armeeoffizier vorlud, um seine Verantwortung zu klären, kann und muß sie auch mit anderen an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligten Mitgliedern der öffentlichen Sicherheitsorgane verfahren.

Viertens: systematische Unterweisung der Angehörigen der öffentlichen Sicherheitsorgane in Sachen Menschenrechte. Lehrziele, Lehrinhalte und Unterrichtszeiten müssen klar festgelegt und umrissen und die Anforderungen an diejenigen, die diese pädagogische Tätigkeit ausüben werden, präzisiert werden. Das könnte in Form einer Gesetzesvorlage erfolgen.

Fünftens: ein Programm zur integralen Betreuung der Opfer von Gewalttaten entwerfen, insbesondere der gewaltsam Vertriebenen. Das Programm sollte sich auf ausreichend finanzielle Mittel stützen und schnell und flexibel Hilfe leisten können. Diese Empfehlung erfolgt aufgrund des Umstandes, daß eine Politik in diesem Sinne bisher nicht angekündigt wurde. Ganz im Gegenteil, es ist ein Mangel an Koordination zu beobachten, viel Improvisation seitens der Regierung und die Furcht davor, in nicht wenigen Fällen die Verantwortung übernehmen zu müssen.

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Gerechtigkeit und Menschenrechte

Erstens: das Militärstrafgesetzbuch tiefgreifend reformieren. Wir hoffen, daß die kürzlich gebildete Kommission mit der entschlossenen Unterstützung der Regierung zu solch grundlegenden Schlußfolgerungen kommt, wie zum Beispiel der Notwendigkeit, Verbrechen von Militärangehörigen, die unmittelbar mit der Ausübung des Dienstes in Zusammenhang stehen, als militärische Strafhandlungen einzustufen; ein Untersuchungs- und Urteilsfindungsverfahren einzuführen, das mit dem heute gültigen Verfassungsmodell in Einklang steht; das Anklagesystem anzuerkennen; die vocales (stimmberechtigte Mitglieder) abzuschaffen; und, die rechtliche Vertretung der Opfer, die Einschaltung der Staatsanwaltschaft und die gesetzliche Fachverteidigung einzurichten.

Zweitens: die Arbeit der Nachrichtendienste rechtlich regeln. Die Tätigkeit der zivilen und militärischen Mitarbeiter der Nachrichtendienste ist so zu regulieren, daß sie in strikter Wahrung der Menschenwürde ausgeübt wird.

Drittens: die Reform der Staatspolizei vorantreiben und weiterentwikkeln. Die strukturelle Reform der Polizei hat noch keine volle und erfolgreiche Entwicklung genommen. Der Comisionado Nacional para la Policía (Nationaler Polizeikommissar) hat bisher seine Aufgabe der inneren Kontrolle nicht erfüllen können. Die Mechanismen zur Mitwirkung der Gemeinden an Polizeiangelegenheiten sind weiterhin reine Absichtserklärungen. Es ist notwendig, den öffentlichen Sicherheitskräften klare Grenzen bei der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Pflicht der Verbrechensaufklärung zu setzen. Es ist erforderlich, daß die Regierung Maßnahmen zugunsten der Sicherheit der Bürger entwickelt und vervollständigt.

Viertens: die Generalstaatsanwaltschaft der Nation stärken, insbesondere Programme zur Feststellung des Schicksals verschwundener Personen unterstützen; das Programm zum Schutz von Opfern und Zeugen neu formulieren; ein landesweites Register von Verhafteten und Gefangenen anlegen und entschlossen die neu geschaffenen Menschenrechtseinheiten fördern. Diese vier Aspekte sind wesentlich, damit das kolumbianische Volk wieder Vertrauen in seine Justizeinrichtungen fassen kann.

Fünftens: die Einhaltung von Mindestanforderungen an die Behandlung von Gefangenen anstreben sowie der Prinzipien der Vereinten Nationen zum Schutz aller verhafteten oder sonstwie in Gewahrsam genommenen Menschen, da - ohne die Bemühungen der Regierung in den letzten Jahren zu verkennen - die Gefängnisinsassen und die in den - irreführenderweise - "psychiatrische Anbauten" genannten Einrichtungen eingewiesenen Menschen sich in einem Teufelskreis befinden, in dem unmenschliche Behandlung die Regel ist.

Sechstens: freien Zugang zu den Konfliktgebieten gewährleisten, für: Gerichtsbeamte und Vertreter der Staatsanwaltschaft, damit sie ihren verfassungsmäßigen und gesetzlichen Pflichten nachkommen können; Angehörige des medizinischen und paramedizinischen Personals der unparteiischen humanitären Organisationen, damit sie ihre Arbeit im Dienste der Menschen leisten können, sowie Journalisten und Berichterstatter, damit sie wahrheitsgetreu und sachlich über die Geschehnisse, die mit dem Konflikt und den Verletzungen der humanitären Regeln in Zusammenhang stehen, informieren können.

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Andere verfassungsmäßige und rechtliche Entwicklungen

Es ist unerläßlich, über zusätzliche Mechanismen zur Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien zu verfügen. In diesem Sinne sind, unter anderem, die nachstehend aufgeführten verfassungsmäßigen sowie rechtlichen Maßnahmen erforderlich:

Ein wirksames Verfahren entwickeln, so daß sich ein jeglicher Mensch, wann immer nötig und vor jeder Rechtsinstanz auf das Habeas-Corpus-Recht berufen kann, damit ein unparteiischer Beamter die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung überprüft. Die Ausübung der öffentlichen Erfüllungsklage regeln. Den Gesetzentwurf über die Ausübung der Popularklage annehmen. Das grundlegende Petitionsrecht gegenüber Privatorganisationen regeln. Das Grundrecht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen einführen. Das allgemeine Arbeitsstatut, so wie es in Artikel 53 der Landesverfassung vorgesehen ist, umsetzen und sich dabei von den darin angeführten Prinzipien leiten lassen.

Auch muß die Regierung ersucht werden, dem Kongreß zwecks Billigung die Gesetzentwürfe zur Übernahme einer Reihe internationaler Instrumente vorzulegen, wie z.B. der Amerikanischen Konvention über vermißte Personen von 1994, das Übereinkommen von 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßiges Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, der Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus dem Jahre 1968 sowie der Konvention von Den Haag zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, von 1954, u.v.a.; Instrumente, denen sich Kolumbien nicht angeschlossen hat.

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In internationaler Hinsicht

Es ist unumgänglich, daß die Regierung bedingungs- und vorbehaltlos die multilateralen Empfehlungen, wie zum Beispiel die Resolutionen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und des Komitees des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, sowie die anderer Mechanismen der Vereinten Nationen, z.B. der Berichterstatter und der Arbeitsgruppen der VN, die verschiedentlich unser Land besucht haben, akzeptiert.

Letztendlich werden alle im öffentlichen Dienst stehenden Personen aufgerufen, die Disqualifizierung, Beeinträchtigung oder Behinderung der legitimen Aktivitäten, die Nichtregierungsorganisationen und Einrichtungen unter staatlicher Kontrolle zwecks Verteidigung der Menschenrechte durchführen, zu unterlassen.

Die Heilige Teresa Jesu sagte einst, der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert. Hoffentlich werden in nicht allzu weiter Ferne in Kolumbien diese Empfehlungen, oder zumindest einige von ihnen, nicht mehr nur gute Vorsätze sein, sondern zum Teil eines Weges werden, der uns weg von der Hölle und hin zu einer menschlicheren und würdigeren Welt führt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 8.1. 1998

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