FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[INTERNATIONALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT]
TITELINFO



TEILDOKUMENT:




Der Fall Burundi
Theodor Hanf


Wenn man in einer Viertelstunde etwas über ein Land sagen soll, muß man sich auf ein paar Thesen beschränken. Da Herr Ganns gleich über die gegenwärtige Lage in Burundi referieren wird, möchte ich einige Vermutungen darüber anstellen, wie sich der Konflikt wahrscheinlich entwickeln wird.

Ich glaube, daß es zu einem lang hingezogenen Konfliktaustrag mit quantitativ begrenzter Gewaltanwendung kommen wird. Ein großer, baldiger und endgültiger showdown ist hingegen weniger wahrscheinlich. Warum? De-facto-Machthaber sind lernfähig, und die De-facto-Beherrschten sind es ebenfalls; erstere wollen die Macht behalten und sie sind dabei recht erfinderisch, letztere möchten zwar an die Macht, wollen aber vor allem überleben.

Eine friedliche Konfliktregelung in Burundi ist zwar nicht ausgeschlossen, aber außerordentlich schwierig. Konfliktregelungen sind normalerweise möglich, wenn eine von drei Bedingungen erfüllt ist. Eine erste ist die völlige Erschöpfung aller Konfliktparteien - wie sie zum Beispiel dem Ende des 30jährigen Krieges vorausging. Eine zweite ist die Einsicht der Führungen aller Seiten, daß eine Fortführung des Konflikts für sie ein größeres Übel darstellen würde als ein Kompromiß. Eine dritte ist die, daß bei einem Nullsummenkonflikt auch für den, der etwas abgibt, immer noch etwas übrig bleibt. Keine dieser Bedingungen ist in Burundi gegenwärtig erfüllt.

Von Erschöpfung kann nicht die Rede sein. Zwar haben die Burunder gesehen, wohin offener Konflikt im Nachbarland geführt hat; aber man tröstet sich leicht mit dem Gedanken, daß der Blitz in der Regel nicht in zwei Hütten nebeneinander einschlägt. Diejenigen, die weiterhin de facto die Macht besitzen, fühlen sich keineswegs erschöpft. Die Erfahrung, daß 30 Jahre lang Unterdrückung erfolgreich war, ist für sie eine Ermunterung dazu, es zunächst einmal damit weiterhin zu versuchen. Vorbeugende Konfliktregelung - der Versuch, durch demokratische Prozeduren die Macht zu erhalten - ist von einem Präsidenten versucht worden. Er hat die Wahlen verloren. Folglich wird von den Interessengruppen, die er vertritt, dieser Versuch als definitiv untauglich klassifiziert. Schließlich wird der Machtkampf als Nullsummenspiel gesehen. Und sie ist ein solches. Man kann nicht ein Stück Macht abgeben und genauso viel Macht behalten wie zuvor. In Burundi sind die materiellen Benefizien der Macht sehr begrenzt. Wer etwas abgibt, wird in der Tat etwas von dem wenigen los, was es gibt.

Kaum etwas spricht dafür, daß jemand dazu bereit sein wird.

Die externen Bedingungen des Konflikts sind nicht geeignet, seine friedliche Regelung zu befördern. Im Gegenteil: die Lust zur Erhaltung bestehender Machtverhältnisse auch mittels Gewalt wird verstärkt durch das, was der südafrikanische Dichter Breyten Breytenbach in der gestrigen Frankfurter Rundschau als die "Realmoral des Westens" bezeichnet hat. Sie hat die De-facto-Herrscher in Burundi sehr schnell gelehrt, daß Gewalt und Aggression sich auszahlen. Der Westen protestiert, der Westen bietet Hilfe an, der Westen hilft auch diplomatisch und humanitär. Aber solange nicht westliche Interessen ganz unmittelbar und massiv berührt sind, und zwar westliche Interessen in einem jeweils sehr eng definierten Sinne, passiert sonst nichts.

Stellen Sie sich vor, Sie gehörten zu den Leuten, die in Burundi seit 500 Jahren an der Macht sind, die auch in den letzten 30 Jahren an der Macht gewesen sind. Sie schauen über die Grenze nach Ruanda: da sind Leute, die vor 30 Jahren die Macht verloren hatten, mittels Gewalt wieder an die Macht gekommen - und ihnen wird geholfen. Im Nachbarland hat sich Aggression ausgezahlt, und auch Militärherrschaft zahlt sich aus. Warum sollte sich Gewalt hier eigentlich nicht auszahlen? Die Wahlen haben ein ärgerliches Ergebnis gebracht, das aber schnell und erfolgreich korrigiert werden konnte, indem man den Präsidenten umgebracht hat. Dann forderten die Verlierer der Wahlen eine Machtteilung, und sie erhielten sie. Und dann stellten sie weitere Forderungen, die über eine Machtteilung weit hinausgingen.

Zur Verdeutlichung mag ein hypothetischer Vergleich mit Südafrika dienlich sein. In Burundi ist eine Bevölkerungsgruppe, die ungefähr zahlenmäßig so stark ist wie die der südafrikanischen Weißen, das unglaubliche Risiko eingegangen, freie Wahlen durchzuführen. Sie hat verloren, forderte aber anschließend, an der Macht beteiligt zu werden. Die Konfliktparteien Südafrikas hatten von vornherein eine Machtteilung vereinbart, aber es ist völlig klar, wer bei südafrikanischen Machtteilung das Sagen hat, nämlich die Mehrheit. In Burundi aber beansprucht die Minderheit den größten Teil an der Macht. Die Mehrheit lernt daraus, daß ihr Eingehen auf Kompromisse nur dazu führt, daß ihr noch mehr abgefordert wird. Sie ist davon überzeugt, sie werde völlig um ihren Sieg in freien, demokratischen und international beobachteten Wahlen betrogen.

Im Falle Burundis wie auch in einer zunehmenden Zahl anderer Fälle wird die "westliche Realmoral" bedauerlicherweise genährt durch die publizistische Vulgarisierung der akademischen Debatte um "ethnische Konflikte". In der Wissenschaft hat es seit ein paar Jahren das gegeben, was man etwas gestelzt einen Paradigmenwechsel nennt - anders gesagt, einen Wandel der analytischen Mode. Solange die "herrschenden Lehren" in den Sozialwissenschaften von liberalen Modernisierungstheoretikern oder von Marxianern bestimmt wurden, galt Ethnizität den ersteren als ein zum Verschwinden bestimmtes Relikt traditionaler Gesellschaften, letzteren schlicht als falsches Bewußtsein. Heute ist das Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen; der Kulturalismus hat den Ökonomismus abgelöst. Kulturalisten halten Ethnizität für "primordial", für den eigentlichen Stoff, aus dem Geschichte gemacht ist. Brachte man zuvor jeden Konflikt auf den Nenner des Modernisierungs- oder des Klassenkonflikts, so besteht heute eine starke Tendenz, sehr freizügig mit der Etikette des ethnischen Konflikts umzugehen. War es noch vor wenigen Jahren notwendig, darauf hinzuweisen, daß Konflikte um Sprache, Religion oder Abstammung nicht ausschließlich auf deren ökonomische Aspekte reduziert werden können, so ist heute vor einer eindimensionalen "ethnischen" Erklärung von Konflikten zu warnen.

Es erscheint daher angezeigt, mit einigem Nachdruck daran zu erinnern, daß ethnische Unterschiede und ethnische Gegensätze nur dann politisiert werden und nur dann zu einem ethnischen Konflikt geraten, wenn sie mit Interessen verbunden sind. Auf Burundi angewandt, läßt sich daraus - wegen der gebotenen Kürze recht holzschnittartig - die These ableiten, daß die Etikettierung des dortigen Konflikts als ethnischer Konflikt zu seinem Verständnis nicht viel weiterhilft. Weitaus fruchtbarer ist es hingegen, ihn mit den Auseinandersetzungen bei uns in der Zeit der Bauernkriege zu vergleichen. Um die Dynamik der Bauernkriege zu verstehen, ist es von geringem Nutzen, die Frage zu diskutieren, ob der deutsche Adel eine ethnische Gruppe darstellt oder nicht.

In Ruanda hat der Bauernaufstand 1960 stattgefunden; die Bauern haben damals gesiegt und eine Republik errichtet. 1994 aber wurde die Bauernrevolution rückgängig gemacht. Zwar brachten radikale Bauernhorden Hunderttausende von Angehörigen der Adelskaste um, aber letztlich siegte der ruandische Franz von Sickingen. Die Herren sind wieder da, und sie haben erneut ungeteilte Macht errungen. In Burundi hatte sich der Ritterverein entschlossen, Wahlen durchzuführen, um einem Bauernaufstand vorzubeugen. Aber die Wahlen hat er verloren, weil die Bauern nun einmal zahlreicher sind als die Ritter. Jetzt macht der Adel das Ergebnis der Wahlen Zug um Zug rückgängig. Wenn die Bauernführer sich nicht fügen, dann werden sie eben umgebracht. Während Revolten von Mehrheiten oft zum Massenmord an der Minderheit führen, beschränken sich Minderheiten in der Regel darauf, selektiv die Eliten der Minderheiten umzubringen. Bauern werden schließlich gebraucht, während man auf ihre Führung verzichten kann. Selektiv zu morden, ist ein Privileg herrschender Kasten.

Minderheitsherrschaft kann langlebig sein. In Deutschland lagen zwischen den Bauernkriegen und der Bauernemanzipation einige Jahrhunderte. Geschichte mag im Zeitalter globaler Kommunikation schneller verlaufen. Dennoch haben Minderheiten gute Chancen, sich an der Macht zu halten, wenn sie in der Wahl ihrer Mittel ein ausreichendes Maß an Ruchlosigkeit anwenden, und wenn sich die Außenwelt nur in Maßen für das Land interessiert. Beides ist in Burundi der Fall.

Vor 30 Jahren habe ich eine Feier zur Gründung der Republik in Ruanda beobachten können. An ihrem Ende tanzten kurzbeinige und etwas plumpe Bauernmädchen den klassischen Kriegertanz des Adels. Er gelang ihnen nicht besonders gut. Hätten sie sich an "Schwanensee" versucht, wäre das Resultat kaum weniger überzeugend gewesen. Ästhetisch ist das Ende von Adelsherrschaft meist ein Verlust, aber solcher Verlust steht fast immer am Anfang einer Demokratisierung von Kultur. Dieser Anfang - und der Anfang von Demokratie überhaupt - ist in Ruanda auf längere Zeit zu Ende, und in Burundi, fürchte ich, geht er seinem Ende entgegen.

Harald Ganns

Dieses Seminar steht unter der Überschrift "Möglichkeiten einer Konfliktverhütung, Konfliktprävention, Konfliktvermittlung und ich will mich ganz bewußt darauf konzentrieren und die mehr grundsätzlich philosophischen Fragen mal, im Moment jedenfalls, weglassen, schon deshalb, weil ich fürchte, daß ich sonst mit meiner Zeit nicht auskommen werde.

Es geht eigentlich um vier oder fünf Themenkomplexe, nämlich Frühwarnung, Prävention, Vermittlung, Friedensprozesse, Friedenskonsolidierung. Im Falle Burundi geht es im Moment ganz sicher in erster Linie um den Punkt zwei, also Prävention, wobei ich den Punkt Vermittlung nicht ausschließen will. Das ist ein Teil der Präventionstätigkeit. Ich möchte mich darauf beschränken darzustellen, was versucht wurde seit dem Monat April 1994. Ich hätte ja auch etwas früher ansetzen können, denn die Wahlen waren im August 1993, die Ermordung des gewählten Präsidenten war im Oktober 1993. Ich glaube, es gab schon damals die Gefahr einer großen Explosion. Was passierte, war schlimm genug. Ich will da gar nichts beschönigen. Die internationale Gemeinschaft hat aber damals schon versucht, einen größeren Konflikt zu verhindern, indem sie ganz klar Stellung genommen hat zu dem, was passierte. Und Dank der Mithilfe vor allem auch der burundischen Bevölkerung ist jedenfalls im Oktober 1993 der große Konflikt, den man befürchtete, nicht ausgebrochen. Aber die Gefahr war natürlich sehr viel akuter noch nach April 1994, als der zweite burundische Präsident seit Oktober 1993, ja, man muß wohl sagen, ermordet wurde, gemeinsam mit dem ruandischen Präsidenten bei dem Flugzeugabschuß in Ruanda.

Es war natürlich die Befürchtung, insbesondere als man sah, was die Konsequenz dieses Flugzeugabsturzes in Ruanda war, daß etwas Ähnliches spätestens einige Tage später in Burundi passieren würde. Und natürlich hat die internationale Öffentlichkeit, die Medienwelt usw. ständig darauf hingewiesen: Vorsicht, Vorsicht. In Ruanda haben wir die Katastrophe bereits. Nebenan sind ähnliche Verhältnisse. Und was liegt näher, als zu vermuten, daß das sofort einen Overspill hat ins Nachbarland.

Also eigentlich der ganz typische Fall in meinen Bereich Afrika, sicher der typischste im Moment, wo man die Frühwarnung schon gar nicht mehr gebraucht hätte, sämtliche Warnleuchten sind tatsächlich schon an, und wo nun gefragt wird: Was tun wir da?

Ich will Ihnen darstellen, was seither versucht worden ist und was weiter geschieht. Staatsminister Schäfer hat ja schon darauf hingewiesen: Wenn Sie sich in einer Situation befinden, wo in einem Konflikt die Konfliktgegner zu einer Regelung im Grunde nicht bereit sind, dann haben Sie natürlich täglich Frustrationserscheinungen, weil Ihr ganzes großes Instrumentarium, was sie haben, letztlich untauglich erscheint oder jedenfalls nicht ausreichend. Ich werde es trotzdem darstellen, auch auf die Gefahr hin, daß Sie etwas lächeln, möchte aber gleichzeitig auch etwas sagen, woran mir sehr liegt und was mich auch beunruhigt:

Es scheint sich so ein wenig der Eindruck breit zu machen, daß alles das, was unterhalb der Schwelle einer militärischen Lösung liegt, im Grunde genommen nicht viel taugt. Und gerade von seiten derjenigen, die an Regierungen, auch an unserer Regierung nicht beteiligt sind, kommt immer wieder der Ruf, "Ihr müßt doch was tun!" Ich stelle dann dar, was getan wird. Dann kommt aus den an und für sich unverdächtigsten Ecken plötzlich die Forderung, hier müßten doch eigentlich die Vereinten Nationen mit Blauhelmen hinein. Worauf ich dann sage, ich dachte doch, von der politischen Philosophie her, sei dieses nun wirklich das allerletzte aller möglichen Mittel, wenn gar nichts anderes mehr geht. Und das kann doch wohl nicht sein, daß jetzt all die anderen Dinge abgewertet werden und damit die militärische Komponente in ihrer Bedeutung zunimmt. Das ist doch gerade das, was wir verhindern wollen. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, im geheimen Hinterstübchen hätte sie die Idee einer zunehmenden Militarisierung der Außenpolitik. Und wenn ich dann sehe, was uns alles empfohlen wird, was man in Burundi jetzt konkret machen soll, dann muß ich sagen, scheint da manchmal mit verkehrten Fronten gekämpft zu werden. Das ist ein Problem, was mir ganz große Sorgen macht. Wenn man alle diese Dinge wie Menschenrechtsbeobachter, politischer Dialog, usw. nur belächelt, dann ist die logische Konsequenz, daß jemand, der eine Waffe in der Hand hat, tätig werden muß. Das würde für mich bedeuten, daß meine Aufgabe eigentlich beendet ist, denn die Diplomatie ist dazu da, Konflikte zu lösen, ohne daß wir dazu Militär brauchen.

Nach den Ereignissen im Oktober 1993 hat zunächst einmal der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Initiative ergriffen und im Dezember 1993 einen Sondergesandten in Burundi, in Bujumbura stationiert. Dieser Sondergesandte der Vereinten Nationen, ein Mauretanier, ein sehr erfahrener Mann, versucht seither durch Gespräche mit allen Beteiligten an diesem Konflikt diese ständig wieder dazu zu bewegen, daß sie ihre Auseinandersetzung mit friedlichen Mitteln führen. Da gibt es die Familie der Parteien, darunter eine größere, führende, die gemeinsam die Regierung bilden aufgrund der Wahlen im August 1993. Und es gibt die Familie der anderen Parteien, wiederum geführt von einer größeren, dominierenden, die zunächst in der Opposition waren nach den Wahlen, die nicht akzeptieren wollen, daß nun die Mehrheit regiert und sie ihre traditionelle Stellung verloren haben. Und diese Minderheit hat den Trumpf in der Hand, daß die militärischen Kräfte und die Ordnungskräfte des Landes im wesentlichen zu dieser Gruppe zu zählen sind und deswegen die Machtinstrumente eigentlich bei der Minderheit liegen und nicht bei der Mehrheit. Dieses barg natürlich die ständige Gefahr eines Putsches der Minderheit, gestützt vom Militär, gegen die gewählte Mehrheitsregierung. Und nun mußte versucht werden, zwischen diesen Gruppen zu vermitteln. Das war in erster Linie die Aufgabe des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.

Und um das gleich zu sagen: die "Convention du Gouvernement", die dann im September 1994 abgeschlossen wurde, eine Art Koalitionsvereinbarung zwischen denen, die die Wahl gewonnen hatten und der Minderheit, die die Wahlen verloren hatte, war nicht zuletzt ein Ergebnis der Vermittlung dieses Sondergesandten, sehr stark unterstützt von der Gemeinschaft der dort vertretenen Botschafter, insbesondere, aber nicht nur, der westlichen Botschafter.

Die "Convention du Gouvernement" ist natürlich von den Gegnern dieses Papiers so interpretiert worden, daß hier die demokratischen Wahlen verfälscht werden, weil nun die Verlierer plötzlich doch wieder einen Großteil der Macht zurückbekommen. Das kann man selbstverständlich so sehen. Aber in der Krisensituation in Burundi war es wahrscheinlich ein richtiger Weg. Außerdem ist es auch nach demokratisch gewonnenen Wahlen natürlich einer Mehrheit nicht verwehrt, daß sie dennoch die Minderheit an der Regierung beteiligt. Daß sich diese Minderheit durchgesetzt hat aufgrund der Furcht, die im Land herrscht, daß ihr Anteil an der Regierung jetzt überproportional groß ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Es gibt eine Formel, 45 Prozent der wichtigen Posten, also sprich Minister, Botschafter usw. für die Minderheit, die natürlich in den Wahlen keine 45 Prozent hatte, 55 Prozent für die Mehrheit.

Was eigentlich noch gravierender ist: Der Staatspräsident, der zwar derzeit nicht ein vom Volk gewählter Staatspräsident sein kann, nachdem es zwei Präsidentenmorde gegeben hat, der aber ein gewählter Abgeordneter war, auf legale Weise dann zunächst Parlamentspräsident und später Präsident wurde, der kann im Grunde nichts alleine entscheiden, sondern er braucht die Gegenzeichnung des Ministerpräsidenten, der der anderen politischen Familie angehört. Das heißt also ganz klar, im Grunde genommen hat die Verliererpartei der Wahlen sich auf diese Art und Weise in die Macht wieder mit hineingebracht. Das mag man nun - wie die Hutu-Extremisten das tun - als ein völlig unzulässiges Verfahren ansehen. Man kann aber auch sagen, dadurch ist zur Zeit wenigstens Schlimmeres verhütet worden. Das ist ganz eindeutig die Position der Vereinten Nationen, vor allem auch der Europäischen Union. Wir sagen ganz klar, wir wollen, daß auf der Basis dieser Koalitionsvereinbarung in Burundi derzeit Politik gemacht werden sollte.

Ich habe gesprochen von der Tätigkeit des Vermittlers der Vereinten Nationen. Ich möchte an der zweiten Stelle nennen, daß sofort die OAE, die Organisation der Afrikanischen Einheit, nach Oktober 1993 beschlossen hat, daß sie tätig wird mit ihrem neuen Mechanismus zum Konfliktmanagement, um zu versuchen, die Lage unter Kontrolle zu halten. Die Absicht war zunächst, 200 militärische Beobachter in das Land zu schicken als eine Art vertrauensbildender Maßnahme mit Peace-keeping-Aspekten.

Die burundische Regierung, die ja eine demokratisch zustande gekommene Regierung ist, auch nach dieser Koalitionsvereinbarung immer noch - darauf muß man hin und wieder einmal hinweisen, wenn da nach Maßnahmen gerufen wird, ohne daß die Meinung der Regierung dazu überhaupt eingeholt wird - diese Regierung hatte unter dem Einfluß ihrer Armee diesen 200 Beobachtern nicht zugestimmt. Es gab ein langes Hickhack und Gezerre, bis dann endlich 47 Beobachter akzeptiert wurden, die seit Mitte vorigen Jahres in Burundi stationiert sind. Die Urteile darüber, wie nützlich deren Arbeit ist, gehen weit auseinander. Ich persönlich habe einen sehr positiven Eindruck von deren Tätigkeit. Ich habe die Beobachter dreimal an verschiedenen Orten innerhalb Burundis besucht und habe mich davon überzeugt, daß das wirklich zum Teil hervorragende, meist westafrikanische Offiziere sind, die in meinen Augen eine nützliche Arbeit tun, auch im Sinne der Vertrauensbildung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf dem flachen Lande. Die Bundesregierung hat sich übrigens an der Finanzierung beteiligt. Und inzwischen hat die burundische Regierung zugestimmt, daß das Kontingent um wenigstens noch einmal 20 Beobachter aufgestockt wird.

Dann hat die Europäische Union sich in unterschiedlicher Form beteiligt an Maßnahmen, die zur Verhütung eines endgültigen Ausbruchs eines großen Konflikts dienen sollten. Ich will mal die verschiedenen Zwischenstufen jetzt weglassen und direkt kommen auf die Erklärung der Außenminister in Carcassonne im März 1995, weil nämlich in dieser Erklärung eigentlich noch mal zusammengefaßt ist, was von seiten der Europäischen Union, d.h. also in erster Linie der Brüsseler Kommission, aber auch der einzelnen Mitgliedstaaten, gemacht wird. Ich habe das Dokument vor mir. Da gibt es eine Art Katalog. Zunächst wiederhole ich noch mal, Grundlage ist, daß wir möchten, daß sich alle an die "Convention du Gouvernement" halten - wobei man natürlich wissen muß, daß es mindestens eine wichtige Partei gibt, die nicht unterschrieben hat, die Parena des früheren Staatspräsidenten Bagaza.

Und wenn ich das hier mal in Klammern dazwischenschieben darf: Das Problem in Burundi ist ja nicht die große Mehrheit der Bevölkerung, und auch wohl nicht der überwiegende Teil der jetzigen Regierung. Diese alle sind die Konflikte leid und möchten Ruhe und Stabilität in ihrem Lande haben. Wir haben zwei Probleme; das eine sind die extremistischen Gruppen von beiden Seiten. Ich habe schon angedeutet, es gibt Hutu-Extremisten, die mit dieser neuen Machtteilung nicht einverstanden sind und die das auch zum Teil durch Gewaltaktionen zum Ausdruck bringen. Und es gibt Tutsi-Extremisten, die gerne nicht nur einen Teil der Macht, sondern die ganze Macht wieder für sich zurückhaben möchten. Und der Verdacht besteht, daß sie von einem Teil der Armee unterstützt werden.

Und das zweite große Problem ist die, jedenfalls sehr häufig, mangelnde Loyalität und Mitarbeit der Ordnungskräfte aus den Gründen, die ich eben dargestellt habe. Das sind die zwei Hauptprobleme. Wenn man diese beiden Probleme in den Begriff bekommen würde, dann wäre ich sehr viel zuversichtlicher, als ich es im Moment noch bin.

Zurück zu Carcassonne. Ich will Ihnen einfach mal ein paar Dinge aus diesem Katalog nennen.

- Die Europäische Union wird dabei helfen, die sogenannte nationale Debatte zu organisieren. Das ist etwas, was in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen ist, eine Art Runder Tisch, an dem nicht nur die Parteien, sondern auch Teile der sogenannten, wie man heute sagt, Zivilgesellschaft sitzen, also Frauen, Gewerkschaften, Kirchen usw. Hier soll eine Debatte darüber geführt werden, wie denn das Staatswesen in Zukunft organisiert werden soll, damit die Konflikte sich nicht ständig wiederholen. Da gibt es eine ganze Reihe von sehr technischen Dingen, die man tun kann. Das bedarf einer gewissen Organisation, das kostet Geld. Die Teilnehmer müssen z.B. zu gewissen Orten anreisen usw. Da ist die französische Präsidentschaft dabei, mit der Kommission zu klären, wie diese Hilfe im einzelnen aussehen kann. Die Burunder haben sich dazu auch geäußert.

- Dann das Kapitel Menschenrechte, vor allem die Frage, wäre es nützlich, außer den OAE-Beobachtern regelrechte Menschenrechtsbeobachter, ähnlich wie in Ruanda, zu haben. Die überwiegende Mehrheit denkt, daß das eine gute Sache wäre, wenn auch im Moment noch nicht ganz klar ist, wie man sie schützen kann. Die Situation in Burundi ist ja im Moment alles andere als sicher, gerade auf dem flachen Lande. In Ruanda haben wir die UNAMIR, die dabei mitwirkt, diese Leute zu schützen, die sich selbst ja nicht schützen können. Sie tragen ja keine Waffen. Kann man die Beobachter im Moment entsenden? Mehrheitsmeinung: Ja, das sollte man tun. Die Europäische Union ist dabei, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.

Da wir über Menschenrechte sprechen, möchte ich hier folgendes einfügen: Der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen unterhält in Burundi ein Projekt, ein Menschenrechtsprogramm. Aber zu diesem Programm, das wurde uns neulich von einer renommierten Organisation vorgeworfen, hat die Bundesregierung nur ihren Pflichtbeitrag bezahlt. Dies sei ja wirklich unerhört, so eine wichtige Initiative, könnte die Bundesregierung da nicht noch etwas drauflegen, nicht nur Pflichtbeiträge bezahlen?

Leider wieder einmal, wie so oft, mangelnder Informationsstand. Wir unterstützen mit einem Millionenbetrag ein Menschenrechtsprojekt in Burundi, von dem wir überzeugt sind, daß es besser ist als das VN-Projekt. Deswegen haben wir unseren Pflichtbeitrag bezahlt, aber im übrigen sagen wir, bitte nehmt euch lieber mal ein Beispiel an unserem Menschenrechtsprojekt und koordiniert euch vielleicht mal ein bißchen mit uns, wenn man das mal so aus dem Nähkästchen sagen darf. Auch da ist ja bei den Vereinten Nationen noch nicht alles so, daß man sagen könnte, es sei perfekt. Ich will das aber hier nicht weiter vertiefen.

- Wiederherstellung der Rechtstaatlichkeit, Stärkung des Rechtssystems, Ausbildung von Richtern, sicher nicht in erster Linie eine Aufgabe für uns mit anderer Sprache, anderem Rechtssystem. Aber beispielsweise die Belgier sind da tätig, die Kommission ist dabei, Programme auszuarbeiten. Die Frage der Gerechtigkeit ist nicht nur in Burundi, sondern auch in Ruanda ein ganz zentraler Punkt, die "Culture of impunity", wie man das genannt hat, die eigentlich in beiden Ländern herrscht, wird immer wieder dazu führen, daß sich die Katastrophen wiederholen. Wenn jeder weiß, wenn ich meinen Nachbarn umbringe, passiert mir überhaupt nichts, dann kann das auf Dauer nicht gutgehen. Also das Rechtswesen muß unbedingt wieder gestärkt werden.

Damit zusammenhängend die Frage nach der internationalen Untersuchungskommission für die Ereignisse im Oktober 1993. Umstritten ist in New York und in der Internationalen Gemeinschaft, ob das eher dazu dienen wird, noch mehr Lunte anzulegen und die Probleme zu vergrößern: Aber ich glaube, es ist inzwischen doch die Mehrheitsmeinung, daß das so schnell wie möglich passieren sollte. Das steht im übrigen auch in der Koalitionsvereinbarung, daß diese internationale Untersuchungskommission sobald wie möglich ihre Tätigkeit aufnehmen sollte. In New York ist man jetzt dabei, die nötigen Vorbereitungen endlich zu treffen.

- Nächster Punkt: OAE. Die Beobachtergruppe wird von der Europäischen Union weiter gefördert, zum großen Teil finanziert. Wir werden weiter Anstrengungen unternehmen, daß diese weiter ausgebaut wird.

- Dann gibt es noch einen Punkt, den ich hier nennen möchte, den ich aber im Moment mit etwas Skepsis sehe, nämlich die grundsätzlich richtige Überlegung, daß die wirtschaftliche und soziale Erholung und Entwicklung des Landes auch ein wichtiger Teil der Krisenprävention ist. Diese Überzeugung hat dazu geführt, daß man einen Runden Tisch der Geber einberufen möchte. Das fällt einem immer dann ein, wenn einem sonst nicht mehr viel einfällt. Ich habe den Eindruck, daß das zur Unzeit wäre, wenn man das jetzt täte. Im Moment ist unser Problem, beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland, überhaupt nicht, daß wir nicht genug Geld in der Pipeline hätten, sondern daß es sehr schwierig ist, in Burundi überhaupt vernünftige Projekte zu machen, schon aus Sicherheitsgründen. Wir haben z.B. unseren Experten mehr oder weniger verbieten müssen, in gewisse Teile des Landes überhaupt noch zu fahren, da dort inzwischen sogar tagsüber Überfälle stattfinden. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber unseren eigenen Leuten.

- Umsetzung der Empfehlungen der Flüchtlingskonferenz von Bujumbura. Da gibt es ja einen langen Katalog. Da muß man eben immer wieder mal reinschauen, was davon umgesetzt ist. Das steht auch in der Erklärung von Carcassonne.

- Dann gibt es die Forderung, daß man sich endlich mal mit den Ursachen, nicht nur mit dem Flüchtlingsphänomen, das ist ja eine Folge, sondern mit den Ursachen des Konfliktes in der Region beschäftigen muß. Da gibt es seit geraumer Zeit den Plan, unter Federführung der Vereinten Nationen alle Partner der Region zusammenzusetzen, natürlich auf der höchstmöglichen Ebene, sprich den Staatspräsidenten, um Lösungen zu überlegen für die Region, um schon durch die Tatsache, daß man gemeinsam solche Lösungen erörtert, vielleicht dazu beizutragen, daß die Probleme unter Kontrolle kommen.

- Es gibt einen Punkt in der Erklärung von Carcassonne, den man mit Zustimmung lesen kann, aber wo man auch nicht so recht weiß, wie man da denn nun weiterkommen soll. Da wird ausdrücklich alles unterstützt, was die Partnerstaaten tun, um Maßnahmen zu ergreifen, daß die extremistischen Elemente, die ja im wesentlichen bekannt sind, an freier Betätigung, vor allem auch an freier Reise gehindert werden. Oder um es konkret zu sagen: Wenn Herr Bagaza ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland beantragen würde, würde er das mit Sicherheit nicht bekommen. Nur: Herr Bagaza muß nicht selbst reisen, der hat seine Leute. Im übrigen kennen wir ja die Problematik der Geldwäscherei aus der Drogenproblematik und wissen, daß das gar nicht so einfach ist, solche Finanzquellen wirklich unter Kontrolle zu bekommen.

Soviel zunächst zu dem, was im Moment passiert. Sie haben in Ihrem Programm irgendwo stehen: "Handlungsmöglichkeiten der unterschiedlichen Akteure". Dazu will ich zum Abschluß nur sagen: Das kann man unter sehr verschiedenen Aspekten sehen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, eigentlich alle, die in diesen Ländern tätig sind, haben Aufgaben, jeder auf seinem Gebiet. Ich denke zum Beispiel an die NGOs, die im entwicklungspolitischen Bereich tätig sind, oder die Kirchen, schon im Bereich Frühwarnung. Natürlich wissen diese Organisationen manchmal sehr viel mehr als ein Botschafter in der Hauptstadt, und natürlich brauchen wir deren Mitwirkung. Und mit ihren jeweiligen Partnern, darauf lege ich besonderen Wert, haben diese Akteure dann natürlich auch Funktionen bei der Konfliktlösung, zum Beispiel die Parlamente bei der Zusammenarbeit mit den dortigen Parlamenten.

Was ich nur mit Zögern für begrüßenswert halten würde, ist, daß man nun alles in einen Topf wirft, NGOs, Parlament, unsere ganze zivile Gesellschaft, die Bundesregierung, und die marschieren gemeinsam los und versuchen, den Konflikt zu lösen. Das wird nicht funktionieren, da muß doch die Regierungsebene irgendwo getrennt sein, schon wegen der oft erforderlichen Diskretion und Vertraulichkeit.

Und da muß ich auch ein bißchen warnen jetzt ganz zum Schluß: Es gibt eine Tendenz, daß man in einer gewissen Selbstüberschätzung, auch in der Überschätzung der staatlichen Möglichkeiten übrigens, die Konflikte dieser Welt lösen möchte. Das schlägt sich bei uns im Auswärtigen Amt dadurch nieder, daß wir waschkörbeweise Briefe kommen, wie die Probleme gerade auch in Burundi zu lösen sind. Meistens Dinge, die längst passieren. Aber der Informationsstand ist nicht immer der beste. Ich nenne mal das Beispiel Internationales Tribunal für Ruanda. Da haben wir seit Januar diesen Jahres bis heute so knapp 2.000 Briefe bekommen, die Bundesregierung möge sich doch endlich dafür einsetzen, daß ein Internationales Tribunal für Ruanda geschaffen wird. Das gibt es seit November 1994. Dennoch werden alle 2.000 Briefe von uns beantwortet. Aber daß wir uns manchmal fragen, ob unsere teure Arbeitszeit nun unbedingt auch dafür noch eingesetzt werden muß, werden Sie verstehen. So ein wenig Koordination, auch mit denen, die solche Briefe anregen, wäre schon ganz nützlich.

Mein Vorschlag: vernünftige Arbeitsteilung und Subsidiarität, ähnlich wie in dem Beziehungsgeflecht Vereinte Nationen, regionale und subregionale Organisationen, wenn möglich bilaterale Vermittlung. Subsidiarität ist das richtige Stichwort. Und der politische Wille, der vorhin angesprochen worden ist? Bei mir ist er da. Ob dies für alle gilt, weiß ich nicht. Dies ist eine Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek

Previous Page TOC Next Page