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[Seite der Druckausg.: 177]



Dirk Schüller
Schluss mit dem Brain Drain aus Deutschland?
Der Stand der Planungen zur Universitätsreform


Im Thema meines Beitrages wird die Frage gestellt, ob der Brain Drain aus Deutschland gestoppt werden kann. Dies macht deutlich, dass wir uns erst am Anfang einer Entwicklung befinden, an deren Ende die Wiederherstellung der Attraktivität und vollen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems stehen soll.

Die Wissenschaftspolitiker haben ebenso wie die Hochschulen den Brain Drain aus Deutschland als gravierendes Problem erkannt und bereits eine Vielzahl von Projekten gestartet. Mit ihrer Hilfe sollen deutsche Wissenschaftler aus dem Ausland zurückgeholt oder für ein Verbleiben im Inland gewonnen werden.

Das wichtigste dieser Projekte ist die Reform des Hochschuldienstrechts. Damit unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen künftig im internationalen Wettbewerb bestehen können, brauchen wir ein neues Hochschuldienstrecht.

Konkret geht es dabei um die Lösung folgender zentraler Probleme:

  1. Die Qualifikationsdauer des wissenschaftlichen Nachwuchses ist zu lang.
  2. Im internationalen Vergleich erhalten Postdoktoranden in Deutschland zu spät Eigenverantwortung.
  3. Das Erstberufungsalter von Professoren ist zu hoch.
  4. In der Professorenbesoldung haben die Alterstufen gegenüber den Leistungselementen ein Übergewicht.
  5. Die Möglichkeiten, im Wettbewerb mit der Industrie und mit ausländischen Hochschulen konkurrenzfähige Gehälter zur Gewinnung von Wissenschaftlern anbieten zu können, sind unzureichend.
  6. Schließlich fehlen in der Professorenbesoldung Leistungsanreize, insbesondere für ein Engagement in der Lehre.

Am 30. Mai 2001 hat das Bundeskabinett die Regierungsentwürfe für ein neues Hochschulrahmengesetz und ein Professorenbesoldungsreformgesetz beschlossen. Die Gesetzesentwürfe umfassen eine Neuordnung der Personalstruktur und der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Hochschulen sowie ein flexibles und stärker leistungsorientiertes System für die Besoldung der Professorenschaft. Beide Gesetze sollen Anfang 2002 in Kraft treten.[Fn_1]

Die Kernpunkte der Dienstrechtsreform sind:

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  1. die Einführung einer Juniorprofessur mit dem Recht zu selbständiger Forschung und Lehre,
  2. die ausschließliche und umfassende Bewertung der Qualifikation für eine Professur in Berufungsverfahren unter Verzicht auf die Habilitation,
  3. die Eröffnung des Karriereweges an der eigenen Hochschule durch Begrenzung des Hausberufungsverbots und Ermöglichung von Besoldungsverbesserungen ohne Hochschulwechsel,
  4. die besoldungssystematische Gleichstellung von Universitäten und Fachhochschulen und schließlich
  5. die Ersetzung der leistungsunabhängigen Altersstufen der Besoldung durch variable Gehaltsbestandteile im Sinne einer wettbewerbsfähigen und flexiblen Vergütungsstruktur.

Zentraler Punkt der HRG-Novelle ist die Einführung der Juniorprofessur. Mit ihr soll erreicht werden, dass junge Wissenschaftler bereits mit Anfang 30 selbständig und unabhängig lehren und forschen können. Wir können es uns nicht länger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort attraktivere Arbeitsbedingungen vorfinden.

Das in Deutschland bisher praktizierte System der Bestenauswahl auch noch unter den Habilitierten ist für viele hochqualifizierte Postdoktoranden unattraktiv. Ihre Analyse der Chancen und Risiken bringt sie zu dem Schluss, nach der Promotion lieber eine Karriere in der Industrie oder im Ausland als an deutschen Hochschulen anzustreben. Insofern handelt es sich auch nur um eine relative Bestenauswahl, da nur ein Teil der hochqualifizierten Nachwuchskräfte überhaupt dazu bereit ist, den riskanten Weg der Hochschullaufbahn in Deutschland einzuschlagen.

Die neue Juniorprofessur soll in möglichst zeitnahem Anschluss an die Promotion beginnen und ist im Grundsatz auf eine Dauer von sechs Jahren angelegt. Verlängerungsmöglichkeiten sind im Bereich der Medizin sowie bei Vorliegen besonderer Gründe wie zum Beispiel bei Kindererziehung vorgesehen.

Die Juniorprofessor soll im Regelfall die Einstellungsvoraussetzung für eine Universitätsprofessur sein. Regelfall heißt, dass zumindest mehr als die Hälfte der zukünftigen Professoren, die den wissenschaftlichen und nicht – wie Ingenieure – den berufspraktischen Qualifikationsweg beschritten haben, zuvor Juniorprofessoren waren.

Alternative Wege zu einer Berufung auf eine Universitätsprofessur wird es auch künftig geben. Die im Entwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regelung lässt ausreichend Raum für die Berufung

  • sowohl von Nachwuchswissenschaftlern der Forschungseinrichtungen
  • wie auch von wissenschaftlichen Mitarbeitern der Hochschulen,

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  • von Bewerbern aus der Industrie und
  • von Bewerbern aus dem Ausland.

Sinn des Regelerfordernisses ist es, sicherzustellen, dass dem wissenschaftlichen Nachwuchs tatsächlich durch die Juniorprofessur die frühe Selbständigkeit in Forschung und Lehre eingeräumt wird. Dies wäre nicht gesichert, wenn die Nutzung der beiden hochschulinternen Wege zur Professur, nämlich die Tätigkeit als Juniorprofessor oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter, in das Belieben der Hochschulen gestellt wäre.

In der Anhörung des Deutschen Bundestages am 24. September 2001 haben einige Sachverständige gefordert, über die im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen hinaus auch einen "tenure-track" zuzulassen, d. h. die Berufung auf eine Dauerprofessur ohne Ausschreibung der Stelle und damit ohne Konkurrenz mit anderen Bewerbern. Begründet wird dies mit der im deutschen System unzureichenden Planbarkeit wissenschaftlicher Nachwuchskarrieren. Dies sei ein wesentlicher Grund des Brain Drains.

Wesentliches Element der neuen Bewährungsphase ist, dass künftig nicht mehr die "abgebenden", sondern die "aufnehmenden" Institutionen darüber entscheiden, ob Juniorprofessoren sich als Hochschullehrer bewährt haben und damit über die für die Berufung auf eine Lebenszeitprofessur erforderliche Eignung und Befähigung verfügen. Dies entspricht internationalem Brauch und ist deshalb eine wichtige Voraussetzung für die Herstellung der internationalen Kompatibilität des deutschen Hochschulsystems. Es ist zugleich Bedingung dafür, dass unser Hochschulsystem für deutsche und ausländische Nachwuchswissenschaftler attraktiver wird.

Die Bundesregierung teilt die Feststellung des Wissenschaftsrates, dass das Habilitationsverfahren nicht zur Realisierung der mit der Dienstrechtsreform verfolgten Ziele beiträgt. Die Habilitation als Prüfungsverfahren steht vor allem der gewollten größeren Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses entgegen.

Das Argument, dass unser wissenschaftlicher Nachwuchs noch bis zum vierzigsten Lebensjahr Anleitung brauche, ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht überzeugend. Spätestens mit Anfang 30 haben Erwachsene in allen Bereichen der Gesellschaft volle Verantwortung übernommen, privat und auch beruflich. Warum sollte hiervon der Bereich Forschung und Lehre ausgenommen sein, während junge Menschen in anderen gesellschaftlichen Bereichen schon mit 30 Jahren ein Unternehmen gründen und leiten können, als Arzt Patienten operieren oder als Richter über Freiheit oder Freiheitsentzug von Mitbürgern entscheiden können?

Die für die Berufung auf eine Professur erforderlichen zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen sollen deshalb künftig nicht mehr zum Gegenstand eines Habilitationsverfahrens gemacht, sondern nur noch einmal, und zwar im Berufungsverfahren, bewertet werden. In die Bewertung des Berufungsverfahrens werden alle

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erbrachten wissenschaftlichen Leistungen einbezogen, unabhängig davon, ob sie zuvor schon Gegenstand eines Habilitationsverfahrens waren.

Zur Beruhigung derjenigen, die im Augenblick bereits an einer Habilitationsschrift arbeiten oder überlegen, mit einer Habilitation zu beginnen, kann ich sagen, dass es auf Grund einer im Gesetzentwurf vorgesehenen Übergangsregelung noch bis Ende 2009 möglich bleiben soll, Habilitationsverfahren abzuschließen.

Wie sollen sich post-docs künftig weiterqualifizieren? In den Naturwissenschaften vor allem durch Veröffentlichungen in international führenden Zeitschriften, in den Geisteswissenschaften eher durch das "zweite Buch", das aber künftig – anders als die Habilitation – eine unabhängige und keiner Hochschulprüfung unterliegende Forschungsarbeit sein wird.

Die Bundesregierung will die Länder bei der Einrichtung von Juniorprofessuren durch eine Förderung der Grundausstattung für die Forschung unterstützen. Sie beabsichtigt hierzu, ab 2002 für 3 000 Juniorprofessuren insgesamt bis zu 180 Mio. € zur Verfügung zu stellen.

Im Rahmen einer Vorgriffförderung, die aus UMTS-Mitteln finanziert wird, werden bereits in diesem Jahr die ersten Nachwuchswissenschaftler gefördert, die nach dem Inkrafttreten der neuen Personalstruktur zu Juniorprofessoren berufen werden sollen.

Die zweite wesentliche Neuerung der Dienstrechtsreform ist die Stärkung der Leistungsgerechtigkeit bei der Besoldung der Professoren.

Nicht mehr das Älterwerden bestimmt in Zukunft das Gehalt der Hochschullehrer, sondern die Qualität ihrer Arbeit. Es soll leistungsgerechter, aber insgesamt keinesfalls weniger gezahlt werden.

Mit dem neuen System soll im Wettbewerb mit ausländischen Hochschulen und der Industrie in Zukunft auch auf Marktgegebenheiten bei der Gewinnung von Nachwuchswissenschaftlern und Professoren besser reagiert werden können.

Gleichzeitig soll der Karriereweg an der eigenen Hochschule eröffnet werden: Leistungsgerechte Gehaltssteigerungen sollen künftig unabhängig von Berufungsverhandlungen und ohne den Zwang zum Weggang an eine andere Hochschule möglich sein.

Um diese Ziele zu erreichen, soll eine neue Besoldungsordnung für den Bereich der Wissenschaft eingeführt werden. Sie sieht drei Besoldungsgruppen vor:

  • für Juniorprofessoren an Universitäten die Besoldungsgruppe W1,
  • für alle anderen Professoren und die Mitglieder der Hochschulleitungen die Besoldungsgruppen W2 und W3.

Die Besoldungsgruppen W 2 und W 3 können sowohl an Fachhochschulen als auch an Universitäten vorgesehen werden. Die Entscheidung, welche dieser beiden Professorenämter an welcher Hochschule eingerichtet werden, soll nicht im Besol-

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dungsrecht des Bundes getroffen werden. Sie soll vielmehr in der Verantwortung der Haushaltsgesetzgeber der Länder liegen.

Dem liegt die ordnungspolitische Vorstellung zu Grunde, bundesrechtlich Handlungsmöglichkeiten zu schaffen, Entscheidungen über deren Nutzen aber den Ländern zu überlassen. Die Länder erhalten damit die Möglichkeit, die entsprechend den jeweiligen hochschulspezifischen Gegebenheiten und Zielsetzungen jeweils von ihnen für richtig gehaltene Stellenstruktur einzuführen.

Durch die Besoldungsreform werden die Fachhochschulen mit den Universitäten besoldungssystematisch gleichgestellt. Damit werden im Bereich der Besoldung zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die Fortentwicklung des Hochschulsystems geschaffen.

Für die insgesamt für die Professorenbesoldung zur Verfügung stehenden Mittel wird bundesrechtlich ein Personalbudget festgelegt werden. Dieses Personalbudget wird sicherstellen, dass die Reform der Professorenbesoldung auch in der Praxis nicht zu Besoldungskürzungen führt. Anderslautende Darstellungen von Professorenverbänden waren und sind nach wie vor unzutreffend.

Bei den Besoldungskategorien W 2 und W 3 setzt sich die Besoldung aus einem Mindestbetrag und zusätzlichen variablen Gehaltsbestandteilen zusammen.

Die variablen Gehaltsbestandteile werden individuell im Rahmen des Personalbudgets der Hochschule verhandelt und vereinbart werden. Sie können vergeben werden

  1. aus Anlass von Berufungs- oder Bleibeverhandlungen,
  2. für die Übernahme von Funktionen und besonderen Aufgaben sowie
  3. für die individuellen Leistungen in den Bereichen Forschung, Lehre, Weiterbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Da variable Gehaltsbestandteile in der Regel auch schon bei der Erstberufung vereinbart werden – zumindest bei allen Professoren, die älter als Anfang 30 sind - , ist der Mindestbetrag der Besoldung nicht gleichzusetzen mit dem Anfangsgehalt für Professoren.

Die Mindestbeträge von 3 500 € bzw. 4.750 €, die als zu niedrig kritisiert werden, orientieren sich an der C 3- und C 4-Besoldung junger Professoren und liegen damit zum Teil sogar über der heutigen Besoldung von C 2-Professoren an Fachhochschulen und C 3-Professoren an Universitäten.

Für die individuelle Besoldung gibt es nach dem Regierungsentwurf keine Obergrenze mehr. Die Hochschule ist bei der Festsetzung der Besoldung frei, soweit sie das für alle Professoren zur Verfügung stehende Personalbudget nicht überschreitet.

Darüber hinaus sollen die Länder ermächtigt werden, bei der Besoldung der Professorenschaft das bundesrechtlich vorgesehene Personalbudget – über eine Er-

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höhung im Rahmen von Besoldungsanpassungen hinaus – um weitere 2 % in jedem Jahr zu überschreiten. Und dieses erhöhte Personalbudget ist dann wiederum der Maßstab für das Personalbudget des Folgejahres.

Angesichts dieser Öffnung des Personalbudgets nach oben ist es auch nicht zutreffend, von einem Diktat der Kostenneutralität zu sprechen, unter dem die Besoldungsreform angeblich stehe.

Der Verzicht auf eine feste Obergrenze und die Öffnung des Personalbudgets nach oben ermöglichen es uns, herausragende Hochschullehrer, die auch von der Wirtschaft und ausländischen Hochschulen umworben werden, an deutsche Hochschulen zu holen oder an deutschen Hochschulen zu halten und damit das deutsche Wissenschaftssystem international erheblich wettbewerbsfähiger zu machen.

Ein leistungsorientiertes Besoldungssystem setzt die Bewertung individueller Leistungen voraus. Eine solche Bewertung ist im akademischen Bereich nichts völlig Neues, sondern z. B. im Rahmen von Berufungsverfahren, bei der Bewilligung von Drittmitteln sowie bei der Evaluation von Forschungseinrichtungen, Hochschulfachbereichen und Lehrleistungen durch Studierende durchaus üblich. Dementsprechend können die dabei angewandten Kriterien grundsätzlich auch im Zusammenhang mit der Bewertung individueller Leistungen herangezogen werden.

Es gibt zwar bislang in Deutschland noch keine umfassende Evaluations-, Bewertungs- und Entscheidungskultur. Diese muss erst in den kommenden Jahren entwickelt werden. Positive Beispiele von ausländischen Hochschulsystemen[Fn_2] zeigen aber, dass dies möglich ist. Deshalb sollten wir uns nicht scheuen, auf die dortigen Erfahrungen zurückzugreifen.

Abschließend möchte ich eines ganz deutlich feststellen: Wer als Professor bislang schon engagiert gearbeitet hat, der muss in Zukunft weder mehr leisten noch gar eine Besoldungskürzung befürchten. Die gute Leistung kann vielmehr besser und damit auch gerechter bezahlt werden als bisher, und dies schafft gleichzeitig einen Anreiz, nicht ins Ausland oder in die Industrie abzuwandern.

Ich bin davon überzeugt, dass die Hochschuldienstrechtsreform die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems ganz erheblich verbessern wird. Hierdurch sollte es gelingen, in Zukunft eine Situation zu erreichen, in der kein Brain Drain mehr beklagt werden muss, vielmehr von einem sinnvollen Maß an Wissenschaftlermobilität von und nach Deutschland gesprochen werden kann.

[Fußnoten]

1. - Dies ist inzwischen geschehen.

2. - Luis G. Tornatzky, Paul G. Waugaman, Jennifer Judd, Detlef Wilke, Leistungsbegutachtungssysteme an staatlichen US-Universitäten, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bonn/Berlin 2001; vgl. auch die Beiträge von Till Geiger, oben S. 41 ff. und Rainer Fremdling, oben S. 73 ff.


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