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[Seite der Druckausg.: 5]



Michael Dauderstädt:
Osterweiterung und Entwicklungspolitik


Mit dem bevorstehenden Beitritt von voraussichtlich acht postkommunistischen Staaten aus Mittel- und Osteuropa zur EU verändert sich auch das Verhältnis zwischen ihnen, der erweiterten EU und den Entwicklungsländern. Wie in vielen anderen Politikfeldern auch, übernehmen die Kandidaten schon im Zuge der Vorbereitung des Beitritts Elemente der in der EU üblichen bzw. von der EU erwarteten Politik. Spätestens nach dem Beitritt, eventuell verlängert um eine Übergangsfrist, müssen sie sich voll den EU-Regeln anpassen. Dann werden sie aber auch die Möglichkeit haben, ihrerseits die künftige Politik der EU gegenüber Entwicklungsländern zu beeinflussen. Im folgenden betrachten wir einmal im Rückblick die Entwicklung der wichtigsten Kandidatenländer von der Rolle als Geber zum Empfänger und zurück zum Geber seit 1989, ihre gegenwärtigen Beziehungen zur Dritten Welt sowie ihren voraussichtlichen Einfluss auf die Politik der EU gegenüber Entwicklungsländern nach dem Beitritt.

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Mittel- und Osteuropa und Dritte Welt – ein Rückblick

Die kommunistischen Länder des ehemaligen Ostblocks, die sog. "Zweite Welt" konkurrierte mit der westlichen "Ersten Welt" um Einfluss in de Dritten Welt. Sie benutzte dazu auch die Instrumente der Handels- und Entwicklungspolitik. [Vgl. dazu die in den 70er Jahren regelmäßig erschienenen "Monatsberichte. Entwicklungspolitische Aktivitäten kommunistischer Länder" (ab 1977 unter anderen Titeln) des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung (Redaktion: Henrik Bischof); Heinrich Machowski/ SiegfriedSchultz (Hg.) "RGW-Staaten und Dritte Welt. Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungshilfe" Bonn 1981; Robert H. Donaldson "The Soviet Union and the Third World: Successes and Failures" Boulder/London 1981] Neben der bilateralen Zusammenarbeit beteiligten sie sich auch an multilateraler Hilfe im Rahmen der UN, deren Mitglieder sie waren. Polen und Ungarn (sowie das hier nicht näher betrachtete Rumänien) waren auch schon vor 1989 Mitglieder des Weltwährungsfonds (IWF) und der Weltbank. Die raschen Industrialisierungserfolge der Ostblockländer in den 50er und 60er Jahren waren für viele Entwicklungsländer ein Vorbild und führten zur Übernahme planwirtschaftlicher Ansätze in vielen Staaten der Dritten Welt. Umgekehrt konzentrierte sich die Hilfe des Ostblocks auf Länder die ein sozialistisches Entwicklungsmodell verfolgten und auch außenpolitisch einen zumindest neutralen oder mit dem Ostblock sympathisierenden Kurs verfolgten (Ausnahme: Türkei, die eines der wichtigsten Empfängerländer von Krediten war). Das Volumen der Hilfe lag 1980 mit 0,06% des BSP bei den osteuropäischen Ländern (0,14% bei der Sowjetunion) unter dem OECD Niveau. Der Außenhandel der kommunistischen Länder war ohnehin staatlich kontrolliert. Die Länder Ostmitteleuropas exportierten vor allem Industriegüter und importierten überwiegend Rohstoffe und agrarische Produkte. [Siehe Heinrich Machowski/ SiegfriedSchultz (Hg.) "RGW-Staaten und Dritte Welt. Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungshilfe" Bonn 1981, S.13 ff.]

Dem Zusammenbruch des Kommunismus folgten eine Neuordnung der Staatenstruktur in Mittel- und Osteuropa, ein massiver wirtschaftlicher Umbruch und eine ebenso drastische Veränderung der Außenbeziehungen. Während Polen und Ungarn (sowie Rumänien und Bulgarien) ihre staatliche Identität behielten, zerfielen die Tschechoslowakei, Jugoslawien und die Sowjetunion und die Beitrittsländer Tschechien, Slowakei, Slowenien, Lettland, Litauen und Estland entstanden als neue, unabhängige Staaten mit eigener Außen-, Entwicklungs- und Handelspolitik. Alle Länder traten alsbald der Weltbank, dem IWF und – ab 1995 – der WTO bei (vgl. Tabelle 1). Mitte der 90er Jahre wurden Tschechien, Ungarn, Polen und etwas später

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(2000) auch die Slowakei Mitglieder der OECD, womit sie formell in die Gruppe der Geberländer einzogen. Tatsächlich überwog und überwiegt bis heute die empfangene Hilfe, vor allem von der EU, bei weitem die gegebene.

Tabelle 1: Mitgliedschaft in internationalen Organisationen (Jahr des Beitritts)

Land

IWF

Weltbank

OECD

WTO

Estland

1992

1992


1999

Lettland

1992

1992


1999

Litauen

1992

1992


2000

Polen

1986

vor 1989

1996

1995

Tschechien

1990/93

1993

1995

1995

Slowakei

1990/93

1993

2000

1995

Ungarn

1982

vor 1989

1996

1995

Rumänien

1972

vor 1989


1995

Bulgarien

1990

1991


1996

Slowenien

1993

1993


1995

Quelle: EBRD Transition Report 1998 für OECD, WTO; Michael Dauderstädt, A Comparison of the Assistance Strategies of Western Donors, in: Transformation. Leipziger Beiträge zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr.3, Dezember 1996, S. 51 ff. für IWF und Weltbank.

Angesichts des schweren Rückgangs des Volkseinkommens in der ersten Phase des Systemwechsels konnte es auch nicht überraschen, dass die betroffenen Länder ihre Hilfe weitgehend einstellten, zumal auch ihre politischen Ziele aus der Zeit der Systemkonkurrenz weggefallen waren. Auch der Außenhandel mit Entwicklungsländern veränderte sich im Zuge der Transformation, die von einer massiven Umorientierung des Außenhandels Ostmitteleuropas vom Ostblock auf den Westen und insbesondere die EU begleitet war. Sieht man von statistischen Differenzen ab (Die Kategorisierung von Entwicklungsländern stimmte in den 90er Jahren in Ostmitteleuropa meistens nicht mit dem in der OECD üblichen System überein), so hat das Gewicht der Entwicklungsländer im Handel der Beitrittskandidaten zunächst deutlich abgenommen, um sich anschließend wieder zu stabilisieren. Dieser relativ stabile niedrige Anteil an einem insgesamt wachsenden Außenhandel bedeutete jedoch eine absolute Zunahme der Ein- und Ausfuhren. Dabei wuchsen die Importe schneller als die Exporte und alle drei großen Beitrittsländer weisen deutliche Handelsbilanzdefizite mit Entwicklungsländern auf, die überwiegend auf den Handel mit asiatischen Schwellenländern zurückzuführen sind.

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Die Hilfepolitik Ostmitteleuropas

Mit der Überwindung der Transformationskrise und der Vorbereitung auf den EU-Beitritt begannen die Kandidaten auch (wieder) mit eigenen entwicklungspolitischen Aktivitäten. Das Volumen der eingesetzten Mittel hielt sich aber noch in einem bescheidenen Rahmen. Wie die folgende Tabelle 2 zeigt, wendeten die Länder im Durchschnitt nicht mehr als 0,03 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Entwicklungszusammenarbeit - zum Vergleich: der OECD-Durchschnitt liegt fast zehnmal höher. Die OECD-Mitglieder unter den Beitrittsländern haben schon begonnen, sich den im Development Assistance Committee (DAC) üblichen Regeln anzupassen.

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Tabelle 2: Aufwendungen der Beitrittsländer für Entwicklungszusammenarbeit

Land

Jahr

Betrag
(in Tausend EUR)

Anteil am BIP
(in %)

Betrag 2001 *
(in Tausend EUR)

Estland

1999

450

0,009

470

Lettland

2001

70

0,0012

k.A.

Litauen

2002

27

0,00025

29

Polen

2000

40.000

0,026

48.700

Tschechien

2000

17.000

0,03

34.000

Slowakei

2000

6.360

0,03

2.000

Ungarn

1999

13.000

0,025

29.000

Slowenien

2000

2.500

0,00014

2.950

Quelle (außer letzte Spalte): Léna Krichewsky "Development Policy in the Candidate Countries" Trialog Wien 2002, OECD "Development Cooperation Report 2001", Paris 2002 und Beitrag von Judit Kiss in diesem Heft.

* EU-Kommission, Fortschrittsberichte 2002; alle Werte für das Jahr 2001 (außer Litauen, dort 2002), im Fall der Slowakei bezieht sich die Zahl auf zusätzliche humanitäre Hilfe im Jahr 2002.

Alle Länder mischen bilaterale und multilaterale Hilfe. Im Falle Tschechiens macht die multilaterale Hilfe etwa zwei Drittel aus, in Polen etwas über die Hälfte, in der Slowakei fast drei Viertel und in Ungarn 1999 sogar 85%. [Nach OECD-Angaben für Tschechien, Polen und die Slowakei; die Angaben für Ungarn nach dem Beitrag von Judit Kiss in diesem Heft.] Die baltischen Länder beteiligen sich daneben auch an einer trilateralen Kooperation mit Kanada in der ehemaligen Sowjetunion. Dazu kommt in den meisten Ländern humanitäre Hilfe.

Die regionalen Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden sich deutlich von anderen OECD-Ländern. Die Beitrittsländer konzentrieren ihre bilaterale Hilfe auf andere postkommunistische Länder, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion und auf dem Balkan. Ungarn unterhält umfangreiche Hilfsprogramme für die ungarischen Minderheiten in seinen Nachbarländern, vor allem in Rumänien, die aber nicht als offizielle Entwicklungshilfe zählen. Slowenien gibt fast seine gesamte Hilfe (95%) an das ehemalige Jugoslawien und (5%) an Albanien. Die regionale Verteilung zeigt gelegentlich auch noch Spuren der kommunistischen Vergangenheit, etwa in Form der Hilfe für Angola, Vietnam oder Jemen. Die sektoralen Schwerpunkte liegen einmal in der Transformationserfahrung (z.B. bei Ungarn und Polen), wo die fortgeschrittenen Reformländer die Nachzügler in Ost- und Südosteuropa beraten können. Zum anderen sind Landwirtschaft, Umwelt und Infrastruktur öfter genannte Politikfelder.

Die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit der Beitrittsländer spiegeln die auch bei klassischen Geberländern bekannte Mischung von außen- und wirtschaftspolitischen Interessen einerseits und entwicklungspolitischen Idealen andererseits, zwischen denen es allerdings nicht unbedingt Widersprüche geben muss. Die gebräuchlichen Ziele wie Good governance und Respektierung der Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Integration in die Weltwirtschaft tauchen als Kriterien für die Auswahl von Empfängern und Projekten auf.

Der immer noch relativ geringe Stellenwert der Entwicklungspolitik in den Beitrittsländern drückt sich nicht nur im winzigen Anteil der Ausgaben am BIP aus, sondern spiegelt sich auch in der organisatorisch-institutionellen Verankerung wider. Die staatliche Entwicklungspolitik wird nicht wie in Deutschland durch ein eigenes Ministerium geleitet und verwaltet, sondern – wie allerdings auch in vielen großen Geberländern – sondern durch Abteilungen im Außenministerium. Andere Fachministerien sind aber oft in die Projektabwicklung involviert. Die nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit der Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

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befindet sich ebenfalls noch in einem frühen Aufbaustadium, da der gesamte Sektor sich erst nach 1989 entwickelte. Vor allem in Polen und Ungarn sind NGOs schon recht aktiv. Die UNDP unterstützt diese Entwicklung u.a. durch einen Trust Fund im Rahmen des Emerging Donors Programme.

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Die Auswirkungen des EU-Beitritts...

Der bevorstehende EU-Beitritt hat schon jetzt die Handels- und Entwicklungspolitik der Kandidatenländer beeinflusst und wird nach seinem Vollzug diese Politikbereiche weiter stark prägen. Umgekehrt darf man davon ausgehen, dass sich die neuen Mitglieder in Zukunft an der Ausgestaltung der entsprechenden EU-Politiken beteiligen werden. Wenden wir uns erst den Beitrittsländern und anschließend der EU selbst zu.

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...auf die Beitrittsländer

Die Beitrittsländer müssen auch in der Handels- und Entwicklungspolitik den acquis communautaire der EU übernehmen. Das einschlägige Kapitel 26 "Außenbeziehungen", das diese Politikfelder abdeckt, ist in den Beitrittsverhandlungen mit allen Kandidaten vorläufig abgeschlossen. Auch die Fortschrittsberichte der EU vermelden hier wenig Konfliktstoff. Die meisten Anpassungen beziehen sich auf die Handelspolitik, dort aber weniger gegenüber Entwicklungsländern, sondern gegenüber anderen Ländern Mittel- und Osteuropas, mit denen die Kandidaten Freihandelsabkommen unterhalten. Dank der WTO-Mitgliedschaft halten sich die sonstigen Auswirkungen in Grenzen. Manchmal sind die Zollsätze der Beitrittsländer sogar niedriger als der EU-Außenzoll. Hier verteuert der Beitritt die Importwaren aus Drittländern. In anderen Fällen sind die Zölle jedoch höher (Vgl. Tabelle 3). Spezifische technische, administrative und fiskalische Barrieren fallen weg, was den Handelspartnern in der Dritten Welt eventuell den Zugang erleichtert, da sie die ihnen vertrauten EU-Verfahren anwenden können. Die Beitrittsländer müssen das Allgemeine Präferenzsystem (GSP) anwenden. Dabei werden sie in einigen Fällen Schwellenländern Handelspräferenzen einräumen müssen, deren Pro-Kopf-Einkommen über dem eigenen liegt.

Tabelle 3: Zollsätze der Beitrittsländer im Vergleich zum EU-Außenzoll

Land

Durchschnitt Meistbegünstigung

Agrarprodukte

Fischerei-erzeugnisse

Industrieprodukte

EU

6,3

16,2

12,4

3,6

Estland

3,2

14,9

3

0

Lettland

4,2

13

7,9

1,7

Litauen

5,3

15

3,8

2,4

Polen

15,1

33,8

18,5

9,9

Tschechien

6,1

13,4

0,1

4,5

Slowakei

6,1

13,2

0,1

4,4

Ungarn

11,7

30,9

14,8

7

Slowenien

8,9

(8,9)*

6,7

8

Quelle: EU-Kommission, Fortschrittsberichte 2002; im Fall der Slowakei bezieht sich die Zahl auf zusätzliche humanitäre Hilfe.
*Die Angaben im Fortschrittsbericht sind unklar.

Wenn die Beitrittsländer das Abkommen von Cotonou (Nachfolge der Lomé-Abkommen) übernehmen, werden sie auch den AKP-Ländern die entsprechenden Präferenzen einräumen bzw. die Liberalisierung im Rahmen des "Everything but Arms"-Programms mit vollziehen

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müssen. Ähnliches gilt für die Mittelmeerabkommen bzw. den Barcelonaprozess und eine Fülle von bi- und multilateralen Abkommen der EU mit einzelnen Entwicklungsländern bzw. regionalen Handelsblöcken (z.B. Mercosur). Die effektive Beteiligung der neuen Mitglieder an den in vielen dieser Abkommen vorgesehenen Gremien dürfte die knappen personellen Ressourcen an qualifizierten Fachleuten, vor allem der kleineren Länder, belasten. In den Beitrittsverhandlungen werden auch schon die in der Doha-Runde von den Kandidaten und der EU zu vertretenden Positionen abgestimmt.

In der eigentlichen Entwicklungshilfe werden sich die Beitrittsländer neben ihrem Anteil am EU-Haushalt auch am durch einzelstaatliche Beiträge finanzierten Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) beteiligen müssen, wenn auch wahrscheinlich erst für den nächsten, den zehnten EDF (die Laufzeit des jetzigen 9. EDF reicht bis 2007). Zwar gibt es keine festen Vorgaben für die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EDF, aber das derzeitige Gesamtvolumen von 13,5 Mrd. EUR entspricht etwa 0,15% des BIP der EU. Eine auch nur annähernd proportionale Beteiligung der Neumitglieder würde dazu führen, dass ihre bisher geringen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit deutlich ansteigen werden. Diese Fragen werden in den Beitrittsverhandlungen im Kapitel 29 "Haushalt" angesprochen, das bezeichnenderweise noch mit keinem Kandidaten abgeschlossen ist.

Hinsichtlich der Höhe der bilateralen Entwicklungshilfe ihrer Mitgliedstaaten bzw. der Gesamtausgaben dafür gibt es zur Zeit keine rechtsverbindlichen Auflagen der EU. In Monterrey sind aber solche Leitlinien (0,33% Anteil am BIP bis 2006) verabschiedet worden, die schon in der Alt-EU teilweise erhebliche Anpassungen erfordern. Für die Neumitglieder würden sie eine enorme Vervielfachung der derzeitigen Beträge bedeuten.

Wie in vielen Feldern internationaler Politik, hängt die Durchsetzung bestimmter Normen [Vgl. Tanja A. Börzel and Thomas Risse "Die Wirkung internationaler Institutionen. Von der Normanerkennung zur Normeinhaltung" in Markus Jachtenfuchs, Michèle Knodt (eds.) "Regieren in internationalen Institutionen" Opladen 2002, pp.141-181.], insbesondere im internationalen Bereich nicht nur von ihrer Akzeptanz, sondern auch von Interessen und Fähigkeiten der betroffenen Länder, d.h. der Staaten und ihrer Gesellschaften ab. Der EU-Beitritt wird in den Beitrittsländern Individuen und Organisationen mobilisieren und die Schaffung von Institutionen fördern, die dann ihrerseits die nationale Politik im Sinne einer Weiterentwicklung der Kooperation mit der Dritten Welt beeinflussen werden. Dazu gehören die Durchführungsorganisationen und Experten ebenso wie entwicklungspolitische Aktionsgruppen und NGOs. Ihre europaweite Vernetzung wird ihre Fähigkeiten und ihre Durchsetzungsbereitschaft stärken.

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...und auf die EU

Der Umbruch in Mittel- und Osteuropa löste – auch ohne unmittelbare Erweiterungsperspektive – schon Anfang der 90er Jahre eine Debatte über einen möglichen Bedeutungsverlust der Dritten Welt und der Entwicklungspolitik für Europa aus. [Vgl. Michael Dauderstädt "Entwicklungspolitik ’92. Europas Abkehr von der Dritten Welt" (FES, Reihe Eurokolleg Nr.3) Bonn 1990] Die Gründe hätten in dem Ende der Systemkonkurrenz (ein zentrales Entstehungsmotiv der Entwicklungspolitik als Politikfeld überhaupt), in den verringerten wirtschaftlichen Interessen und in der Priorität für die Stabilisierung der armen Nachbarregion gelegen. In der Tat konnte man einen relativen Rückgang des Gewichts der Entwicklungsländer als Handelspartner und Empfänger von Investitionen und Hilfe feststellen. Aber von einem massiven Einbruch konnte keine Rede sein.

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Stattdessen setzten sich auch in der EU wieder die traditionellen Interessen durch. Die südwestlichen Mitgliedstaaten korrigierten Mitte der 90er Jahre mit der Barcelonainitiative die Ostorientierung der EU durch ein neues Programm für die Mittelmeeranrainer. Die entwicklungspolitische community konnte ihr Politikfeld sowohl bilateral als auch multilateral erfolgreich verteidigen. Mit der relativen Stabilisierung in Ostmitteleuropa vollzog sich eine Neuaufteilung der Prioritäten: Krisengebiete in Mittel- und Osteuropa wie der Balkan, der Kaukasus oder Zentralasien zählen mehr und mehr zu den klassischen Aufgaben(gebieten) der Entwicklungspolitik, und die klassischen Entwicklungsländer (von denen einige inzwischen als reichere Schwellenländer der OECD angehören) sind zusammen mit diesen Ländern Gegenstand einer Entwicklungspolitik, die sich stärker als Innenpolitik einer globalisierten Welt sieht. Dieser Trend dürfte sich nach dem 11. September 2001 noch verstärken.

Die EU ist ein wichtiger Träger dieser Weltinnenpolitik. Ihre spezifischen regionalen und sektoralen Prioritäten, ihre Instrumente und Institutionen sind jedoch das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung, die häufig noch von der Kolonialzeit herrührt, die ja erst nach Gründung der EWG endete. Ihr verdankt sie den Bias zugunsten der AKP-Länder und des Mittelmeerraumes. Änderungen in der Dritten Welt, in der allgemeinen entwicklungspolitischen Debatte und vor allem auch die früheren Erweiterungen der EU haben die Strukturen der europäischen Zusammenarbeit weiter verändert und beeinflusst. Die nächste Erweiterung wird ebenfalls ihre Auswirkungen haben, die sich aber angesichts des geringen Gewichts (vor allem, was das Volkseinkommen und den Außenhandel betrifft) in bescheidenen Grenzen halten werden.

So sind beim Handel kaum noch große Umlenkungsprozesse zu erwarten, da die Liberalisierung schon weitgehend vollzogen wurde und sich der Handel zwischen EU und Beitrittsländern schon weitgehend in Niveau und Struktur dem nach Gravitationsmodellen zu erwartenden Zustand angenähert hat. In der Handelspolitik sind dank der WTO-Mitgliedschaft nicht mehr große Änderungen zu erwarten. Allerdings fallen mit dem Beitritt einige Sonderrechte für Transformationsländer weg. Bei künftigen Verhandlungsrunden könnten einige der Neumitglieder die EU zu einer weniger protektionistischen Politik drängen (z.B. Estland), während andere eher für einen stärkeren Schutz plädieren könnten – je nach Anpassungsdruck und wirtschaftspolitischer Grundeinstellung. Die Kandidaten könnten mit einer gewissen Plausibilität darauf drängen, dass die Handelserleichterungen nur wirklich armen (d.h. ärmeren als den Beitrittsländern) Partnern in der Dritten Welt gewährt werden. Im wichtigen Agrarbereich sind die Schutzinteressen der Kandidatenländer bezüglich tropischer und subtropischer (Oliven, Wein, Südfrüchte) Produkte geringer als bei der Süderweiterung. Schwieriger könnte es bei Getreide, Fleisch oder Milchprodukten sein, die allerdings in nennenswertem Umfang nur von wenigen Ländern im südlichen Afrika und Amerika (Argentinien, Südafrika, etc.) angeboten werden. Wo die EU Quoten für Importe anwendet (z.B. Bananen), muss eine Ausweitung oder Umverteilung erfolgen.

In der Hilfepolitik dürften die Kandidaten bei allem guten Willen [Siehe etwa die von Baginski in diesem Band zitierten Äußerungen der polnischen Regierung zu Monterrey.] noch längere Zeit für sich beanspruchen, dass sie als ärmere Länder einen geringeren Beitrag leisten müssen als andere EU-Mitglieder. Sie dürften in dieser Hinsicht auch die Haltung der EU bei internationalen Verhandlungen beeinflussen, wenn nicht im Vorfeld eine entsprechende interne Lastenverteilung abgesprochen ist. Hinsichtlich der regionalen Ausrichtung kann man davon ausgehen, dass die neuen Mitglieder weniger Verständnis für die traditionellen Strukturen der EU-Kooperation haben werden und eventuell auf eine Modifikation der AKP-Kooperation in Richtung auf eine Ausdehnung auf alle ärmeren Entwicklungsländer drängen könnten, also

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z.B. die Einbeziehung von eigenen historischen Partnern wie etwa Vietnam oder Jemen, wenn diese es ebenfalls wünschen. Auch die Zusammenarbeit mit Südosteuropa, Kaukasus und Zentralasien wird bei ihnen auf größeres Interesse stoßen. Im Zuge der in der EU üblichen package deals könnten sie verstärkte gemeinschaftliche Anstrengungen dort fordern, bevor sie Maßnahmen in für sie weniger interessanten Regionen (Afrika, Lateinamerika) zustimmen. Im Extremfall könnten die Neumitglieder auf eine Neubewertung des Politikfeldes in der EU drängen und eine Ausrichtung an engeren wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen fordern, um primär die nähere EU-Nachbarschaft zu entwickeln und zu stabilisieren.

Die EU, ihre Mitgliedstaaten und die in ihnen tätigen NGOs werden wahrscheinlich noch länger den Aufbau entwicklungspolitischer Institutionen und Organisationen, sowie die Ausbildung entsprechenden Personals in den Beitrittsländern (bzw. Neumitgliedern) unterstützen müssen. Multilaterale Projekte, bei denen Alt-Mitglieder, Partner außerhalb der EU und Neumitglieder kooperieren, könnten und sollten die besonderen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten der postkommunistischen Länder ausnutzen. Die EU muss auch daran interessiert sein, die Mitwirkung der Neumitglieder in internationalen Organisationen so zu koordinieren, dass gesamteuropäische Interessen dort besser zur Geltung kommen.


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