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Die Rolle der nationalen Parlamente in der EU durch den Ausbau bestehender Mechanismen stärken / Friedrich-Ebert-Stiftung, Internationale Politikanalyse, Arbeitsgruppe Europäische Integration - [Electronic ed.] - Bonn, 2002 - 12 S. = 51 KB, Text . - (Arbeitspapier / Arbeitsgruppe Europäische Integration, Analyseeinheit Internationale Politik, Friedrich-Ebert-Stiftu ; 13) Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002 © Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Rolle der Nationalen Parlamente in der EU durch den Ausbau bestehender Mechanismen stärken
Die Rolle der Nationalen Parlamente in der EU
"Die Europäische Union bezieht ihre Legitimität aus den demokratischen Werten, für die sie eintritt, den Zielen, die sie verfolgt, und den Befugnissen und Instrumenten, über die sie verfügt. Das europäische Projekt bezieht seine Legitimität jedoch auch aus demokratischen, transparenten und effizienten Organen". Mit diesen Worten leitet die Erklärung von Laeken (zur Zukunft der Europäischen Union) in die Fragestellung ein, wie "mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der Europäischen Union" sichergestellt werden können. Als Meßlatte für eine transparente und demokratische Kontrolle wird dabei aus Sicht der Mitgliedsländer der EU meist das jeweilige nationale politische System angelegt, insbesondere das Zusammenspiel von Regierung und Parlament. Es liegt daher nahe, zu überlegen, ob die demokratische Legitimierung und die Transparenz der europäischen Politikverfahren entsprechend den Strukturprinzipien der EU durch eine veränderte Rolle der nationalen Parlamente erhöht werden können. Hierzu führt die Erklärung von Laeken drei Fragen an: "Sollen sie [die nationalen Parlamente] in einem neuen Organ - neben dem Rat und dem EP - vertreten sein? Sollen sie eine Rolle in den Bereichen europäischen Handelns spielen, in denen das Europäische Parlament (EP) keine Zuständigkeit besitzt? Sollen sie sich auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten konzentrieren, indem sie beispielsweise vorab die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kontrollieren?" 1. Die parlamentarische Demokratie stärken und Organversagen verhindern Durch die Vertiefung der europäischen Integration haben die nationalen Parlamente mehr und mehr ihrer Befugnisse auf die europäische Politikgestaltungsebene verlagert. Hierdurch ermöglichen sie die Ausübung geteilter Souveränität zwischen 15, in absehbarer Zeit zwischen mehr als 25 Staaten. In der Regel wurden die Parlamentsbefugnisse zuerst der Regelungsgewalt des Ministerrates zugeschrieben und erst in einem zweiten, dem Kompetenztransfer zeitlich nachgeordneten Schritt dem Europäischen Parlament. Im Hinblick auf die Gestaltungsspielräume in der Europapolitik ergibt sich somit ein doppeltes Defizit an parlamentarischer Mitwirkung und Kontrolle:
Dieser Prozess fand und findet vor dem Hintergrund statt, dass der Ministerrat und die Kommission aufgrund der genuinen Konstruktion der EU mit wesentlichen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden, ohne einer politikbereichsübergreifenden, sanktionsmächtigen Kontrolle durch ein aufgrund von Wahlen direkt legitimiertes Organ zu unterliegen. Mit der Forcierung der Integration seit dem Maastrichter Vertrag hat sich dieses Demokratieproblem verstärkt:
Dem Verlust parlamentarischer Mitwirkung und Kontrolle sollte auf beiden Parlamentsebenen, der europäischen und der nationalen, entgegen getreten werden. Wichtigstes Reformziel des Konvents sollte es dabei sein, das Europäische Parlament als dem Ministerrat gleichberechtigten Partner zu stärken und den Europaabgeordneten in allen Fällen, in denen der Ministerrat über Gesetzgebungsvorhaben beschließt, das volle Mitentscheidungsrecht zu gewähren. Das Parlament sollte zudem in seinen Kontrollfunktionen gegenüber der Kommission gestärkt werden und ein formelles Recht zur Wahl des Kommissionspräsidenten erhalten. In der Außen- und Sicherheitspolitik wäre die Rechenschaftspflicht des Rates gegenüber dem Parlament zu festigen, in dem die Ratspräsidentschaft und der Hohe Repräsentant der EU gegenüber dem zuständigen Parlamentsausschuss berichtspflichtig ist. Die Stärkung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente ist auf die Tätigkeit des Ministerrats zu konzentrieren: Nicht die Kommission und auch nicht das Europäische Parlament, sondern die Minister sind als demokratisch legitimierte Regierungsglieder gegenüber den nationalen Parlamenten rechenschaftspflichtig. Hierbei sollten die nationalen Parlamente auch die Möglichkeit nutzen, eine ex-ante-Kontrolle ihrer Regierung für sich zu reklamieren und bereits bestehende Kontrollrechte auch effektiv zu nutzen. 2. Bereits der Amsterdamer Vertrag bietet bislang ungenutzte - Ansatzpunkte für eine stärkere Rolle der nationalen Parlamente in der EU Der Ausgleich der Funktionen und Interessen parlamentarischer Akteure innerhalb des europäischen Mehrebenensystems beschäftigt die politischen Entscheidungsträger der EU seit Anfang der 1990er Jahre. So führte der Amsterdamer Vertrag bereits in der rechtlich verbindlichen Form eines Vertragsprotokolls zu einer Anerkennung der Kontrollrechte nationaler Parlamente. Außerdem wurden der 1989 eingerichteten COSAC, der "Konferenz der auf EU-Angelegenheiten spezialisierten Ausschüsse der Parlamente in den Mitgliedstaaten" (Conférence des Organes spécialisées en Affaire communautaires), Selbstbefassungs- und Entschließungsrechte zugestanden. 2.1. Die parlamentarischen Anreize des Amsterdamer Vertrages Auf der Amsterdamer Regierungskonferenz wurde die Stärkung der Rechte nationaler Parlamente in einem rechtlich verbindlichen Vertragsprotokoll verankert. Demnach umfasst der den Parlamenten zugestandene Kontrollumfang sowohl die prälegislativen Konsultations-dokumente der Europäischen Kommission (Weißbücher, Mitteilungen etc.) als auch deren Legislativvorschläge. Es wird aber keine Aussage darüber getroffen, welche Institution für die Übermittlung der prälegislativen Konsultationsdokumente verantwortlich ist. Präziser ist dagegen die Bestimmung über die Zuleitung von Legislativvorschlägen. Sie sollen den mitgliedstaatlichen Regierungen rechtzeitig übermittelt werden, damit diese dafür Sorge tragen können, "dass ihr einzelstaatliches Parlament sie gegebenenfalls erhält". Die Definition dessen, was unter den Vorschlägen der Kommission verstanden werden kann, obliegt allerdings dem Ministerrat. Gerade in den Bereichen, in denen das Europäische Parlament nicht oder nur als kontrollierendes Organ beteiligt ist - also in der GASP/ESVP, der polizeilichen und strafrechtlichen Zusammenarbeit sowie den Entscheidungen zum Eintritt in die verstärkte Kooperation - hat diese Definitionsmacht dazu geführt, dass zahlreiche Entwürfe der Kommission oder der Mitgliedstaaten schlicht als nicht-legislativ eingestuft werden und sich damit auch der Beratung in den nationalen Parlamenten entziehen. Gegen die enge Interpretation der Kommissionsvorschläge steht jedoch die im Protokoll verankerte Mindestfrist für die Beratung eines Vorschlags in den nationalen Parlamenten. Denn hier wird konkretisiert, dass ein "Vorschlag für einen Rechtsakt oder ein Vorschlag für eine Maßnahme nach Titel VI des EUV" (Justiz- und Innenpolitik / Dritte Säule) mindestens sechs Wochen vor dem Zeitpunkt, an der er zur Beschlussfassung auf die Tagesordnung des Rates gesetzt wird, an Ministerrat und EP übermittelt werden muss. Mit anderen Worten, die mitgliedstaatlichen Regierungen können ihren Parlamenten eine Sechswochenfrist für die Beratung eines Vorschlags der Kommission gewähren, solange es sich um einen Rechtsakt handelt. Damit gelten aber offensichtlich erhebliche Einschränkungen für die demokratische Mitwirkung der nationalen Parlamente an europäischen Entscheidungs-prozessen:
Das Protokoll erhöht damit die politische Verantwortung der mitgliedstaatlichen Regierungen gegenüber ihren Parlamenten. In denjenigen Mitgliedstaaten, die keine oder nur rudimentäre Informations- und Kontrollmechanismen praktizieren, schafft das Protokoll selbst jedoch keinerlei Veranlassung zur Überprüfung der europapolitischen Beziehungen zwischen Parlament und Regierung. Auch die geringe Beteiligung des Europäischen Parlaments in der GASP/ESVP, in der Justiz- und Innenpolitik und der verstärkten Zusammenarbeit wird nicht dadurch kompensiert, dass den nationalen Parlamenten in diesen Politikfeldern eine vertiefte Kontrolle der Regierungen ermöglicht würde. Diese Defizite wären im Rahmen einer pragmatisch angelegten Reform des Amsterdamer Vertragsprotokolls zu beheben. Möglich wäre eine verbindlichere Verpflichtung der Regierungen zur Information ihrer Abgeordneten über anstehende EG-Vorhaben sowie zur Einhaltung der Sechswochenfrist, um den Parlamenten ausreichend Zeit zur Prüfung vorgelegter EU-Dokumente zu geben. Diese Reform kann vom Konvent vorbereitet werden. Wichtig wäre dabei, eine Protokollrevision im Lichte der noch zu führenden Debatte über die Stärkung des EP durchzuführen. Denn von der substanziellen Stärkung des EP in den oben angeführten Bereichen hängt es ab, ob und ggf. wie die Mitwirkung der nationalen Parlamente innerhalb der COSAC vertieft werden sollte. 2.2. Die COSAC: Das praktikable Gremium der Parlamente Im Rahmen der COSAC (Conférence des Organes Spécialisées en Affaire Communautaires, "Konferenz der auf EU-Angelegenheiten spezialisierten Ausschüsse der Parlamente in den Mitgliedstaaten") treffen sich seit 1989 Vertreter der EU-Ausschüsse der nationalen Parlamente in halbjährlichem Rhythmus. Durch das Amsterdamer Vertragsprotokoll über die Rolle der nationalen Parlamente wurde die Rolle der COSAC gestärkt, sie verfügt seitdem über ein formelles Selbstbefassungs- und Entschließungsrecht in EG/EU-Angelegenheiten. Die COSAC kann nun solche "Vorschläge oder Initiativen" in der Justiz- und Innenpolitik prüfen, die "unmittelbare Auswirkungen auf die Rechte und Freiheiten des Einzelnen nach sich ziehen". Neben der Justiz- und Innenpolitik ermächtigt das Protokoll die COSAC außerdem dazu, dem Europäischen Parlament, der Kommission und dem Ministerrat Beiträge "über die legislativen Tätigkeiten der Union, insbesondere hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie der die Grundrechte betreffenden Fragen" vorzulegen. Die Amsterdamer Protokollvorschriften zur COSAC konzentrieren sich auf die Justiz- und Innenpolitik sowie den Schutz der Grundrechte. Mit dieser thematischen Verengung wurde beabsichtigt, rechtlich bestehende Kontrolldefizite des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente durch politisch gehaltene, in ihrer konkreten Ausformung variable Regeln zu kompensieren. Eine thematische Verbreiterung der COSAC-Beratungen war von den Regierungen nicht erwünscht. Es stellt sich die Frage, warum die COSAC eine derart dominante Stellung gegenüber anderen Formen interparlamentarischer Kooperation einnimmt. Als Konferenz der in den meisten Mitgliedstaaten auf die horizontalen, fachübergreifenden Aspekte der Europapolitik spezialisierten Ausschüsse hat die COSAC bis Ende der 1990er Jahre v.a. institutionelle Fragen erörtert und sich nur am Rande mit spezifischen Politikfeldern beschäftigt. Die Geschäftsordnung der COSAC erlaubt den Delegationen, Abgeordnete aus EU-Ausschüssen zusammen mit Mitgliedern anderer Fachausschüsse in die COSAC zu entsenden. Diese Option wurde allerdings bisher kaum genutzt, obwohl sich beispielsweise die Bonner COSAC 1994 mit Fragen der Justiz- und Innenpolitik beschäftigte. Erst die COSAC-Sitzung in Helsinki im Dezember 1999 war durch eine stärkere Mischung der jeweiligen Parlamentsdelegationen gekennzeichnet. Insgesamt stellt die COSAC nach über 10 Jahren Übung ein praktikables und entwicklungsfähiges Forum für die nationalen Parlamente dar. Zwar besitzt die COSAC keine unmittelbare demokratische Legitimation die Abgeordneten sprechen nicht im Namen ihrer Parlamente -, gleichwohl nimmt das Gros der COSAC-Delegierten ihr Gremium als ein sinnvolles Instrument zum informellen Austausch über strategische Fragen der Weiterentwicklung der EU wahr. Gerade der informelle Charakter der COSAC wirkt sich dabei fruchtbar auf die Europäisierung der nationalen Debatten über die EU aus. Die Weiterentwicklung der COSAC sollte sich daher auf der Basis ihres mittlerweile eingeübten Institutionalisierungsgrads bewegen. 3. Die Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente: Optionen und ihre Realisierbarkeit Im Zentrum der gegenwärtigen Diskussion über die Demokratisierung der EU steht die verstärkte institutionelle Einbeziehung nationaler Parlamentarier auf der Brüsseler Institutionenebene. Insbesondere Frankreich und Großbritannien drängen hier. Weniger im Vordergrund stehen dagegen Vorschläge zur Stärkung des EP (Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens, Budgetrecht, eigene Steuer, einheitliches Wahlrecht). Nationale Parlamente werden auch in Zukunft die grundsätzliche Übertragung von Hoheitsbefugnissen der Mitgliedstaaten auf die EU legitimieren. Hieraus lassen sich Demokratisierungsoptionen ableiten, die sich auf das Legitimationsreservoir der nationalen Parlamente konzentrieren. Mehrere Demokratisierungsstrategien sind denkbar:
Je nachdem, für welche Option der stärkeren Einbeziehung nationaler Parlamente man sich entscheidet, verändern sich Funktionsweise und Zusammensetzung der europäischen Legislative aus EP und Rat. Das EP würde auf jeden Fall an Bedeutung verlieren. Zur Diskussion steht damit nicht nur die Reform einzelner Institutionen, sondern ebenso die institutionellen Beziehungen zwischen diesen. 3.1. Eine zweite (Subsidiaritäts-)Kammer? Bundesaußenminister Joschka Fischer entwarf in seiner Berliner Rede im Mai 2000 "den Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer Europäischen Föderation." Für Aufregung und Widerspruch sorgte sein Vorschlag, diesen Weg durch die Gründung eines europäischen Parlaments zu gehen, das aus zwei Kammern bestehen sollte, "wobei eine Kammer durch gewählte Abgeordnete besetzt wird, die zugleich Mitglieder der Nationalparlamente sind." In seiner Rede vor dem belgischen Abgeordnetenhaus im November 2000 unterbreitete Fischer den weiteren Vorschlag, der zweiten Kammer - wie bereits 1992 der französische Senator Poniatowski - die Funktion einer "Chambre de Subsidiarité" zuzuweisen: "Die Lösung könnte in einem Zweikammersystem liegen - einer ersten, europäischen Kammer, die vom Volk direkt gewählt würde, und einer zweiten nationalen Kammer. Diese wäre der Garant der Subsidiarität. So würde es keinen Gegensatz geben zwischen der nationalen Ebene und der europäischen, zwischen Nationalstaat und Europa." Auch Tony Blair entwarf in seiner Warschauer Rede im Juni 2000 die Institution einer zweiten Kammer der nationalen Parlamente, die sich der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes und der Kontrolle der GASP widmen sollte. Für die Einrichtung eines Subsidiaritätsausschusses spräche die damit einhergehende Möglichkeit der zielgerechten Mitwirkung der Parlamente im Hinblick auf die vorrausschauende Effektivierung des Verwaltungsvollzugs verabschiedeter Rechtsakte der EG. Durch eine zweite parlamentarische Kammer wäre aber eine weitere, nicht direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Institution geschaffen, welche die ohnehin komplizierte europäische Institutionsarchitektur weiter belasten würde. Selbst bei einer klaren Begrenzung der Aufgaben und Befugnisse einer zweiten Kammer käme es zu Überschneidungen in den Aufgabenbereichen der neuen Kammer und der anderen parlamentarischen Organe: Nicht nur gegenüber dem Europäischen Parlament, sondern auch gegenüber den nationalen Parlamenten und dem Ausschuss der Regionen wäre erneut zu definieren, welche Aufgaben die verschiedenen parlamentarischen Organe zu welchem Zeitpunkt gegenüber welcher nationalen oder europäischen Institution wahrzunehmen hätten. Sollten die nationalen Parlamente beispielsweise auf eine eigenständige Prüfung der EG/EU-Vorlagen anhand des Subsidiaritätsprinzips verzichten? Oder wären sie dazu berufen, ihren Vertretern in der Kammer bindende Abstimmungsmandate zu überweisen? Wäre das EP von seiner selbstständigen Subsidiaritätsprüfung entbunden? Im Falle der GASP/ESVP wäre danach zu fragen, unter welchen zeitlichen und inhaltlichen Bedingungen welche Instruktionsgewalt den Verteidigungsausschüssen beider Parlamentsebenen zukäme, wenn eine der beiden Kammern der Parlamente Vorentscheidungen im Bereich der personellen und finanziellen Ausstattung von EU-Maßnahmen zu treffen hätte. Die Einrichtung einer Subsidiaritätskammer erscheint auch angesichts der Gesamtdynamik des europäischen Entscheidungssystems fragwürdig. Sollte die zweite Kammer bereits zu Beginn jedes Gesetzgebungsprozesses die Vorschläge der Kommission prüfen? In diesem Falle würde die Kammer zu einem Zeitpunkt mit Gesetzgebungsvorhaben befasst, der angesichts der darauffolgenden Verhandlungssequenzen mit bis zu drei Lesungen im Rat und im EP zu früh erscheint, um effektiven Einfluss auf das Endergebnis zu nehmen. Sollte die Kammer daher erst nach Abschluss der Verhandlungen zwischen Rat und Europäischem Parlament eingreifen dürfen? Die in der Kammer arbeitenden Abgeordneten hätten dann den Auftrag, den von ihren Ministern mitverantworteten Rechtsakt in Frage zu stellen. Die Abgeordneten würden somit entweder den Entscheidungen ihrer Minister zustimmen oder aber ihre nationalen Auseinandersetzungen auf der europäischen Kammerebene nachexerzieren. Eine Subsidiaritätskammer würde dem bestehenden Institutionengefüge der EU nur dann ein qualitativ neues Element hinzufügen, wenn ihre Zusammensetzung auf die nationalen Oppositionsfraktionen beschränkt würde. Aber selbst der Charme einer solchen Kammer würde wahrscheinlich ähnlich schnell verblassen wie der des Ausschusses der Regionen: Einmal in Brüssel angesiedelt, entfalten neue Institutionen rasch eine der Funktionslogik der Brüsseler Entscheidungskontexte angepasste Eigendynamik. Im Ergebnis geraten dabei auch jene Gremien, die für sich das Dispositiv der Bürgernähe beanspruchen, in den von den Medien angerichteten Topf der Brüsseler Wasserköpfe und Eurokraten. Schließlich ist generell zu bezweifeln, ob nationale Parlamente überhaupt geschlossen gegenüber den Regierungen auftreten können, wenn die parlamentarischen Regierungsmehrheiten in ein Loyalitätsgeflecht eingebunden sind, das der Kontrolle der Regierungen enge Grenzen setzt. 3.2. Eine ständige Konferenz der Parlamente oder ein Parlamentekongress? Die Idee des ehemaligen französischen Premierministers Jospin, eine "Ständige Konferenz der Parlamente bzw. einen Kongress" ins Leben zu rufen, liefe dagegen auf eine flexiblere Strukturierung der Beziehungen zwischen den EU-Organen und den nationalen Parlamenten hinaus, so dass die nationalparlamentarische Mitwirkung in der Europapolitik deutlich sichtbar gemacht würde. Einem solchen Kongress sind mittlerweile eine Reihe möglicher Aufgaben zugesprochen worden: Diese Vorschläge reichen von der Wahl eines EU-Präsidenten bis hin zur Prüfung der EG-Gesetzgebung anhand des Subsidiaritätsprinzips. Allerdings berücksichtigt die Kongress-Idee nicht die derzeitige Rolle und das Potenzial bereits bestehender Gremien wie der COSAC oder der gemeinsamen Fachausschusssitzungen der Parlamente, die sich als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen anbieten. Die der COSAC durch den Amsterdamer Vertrag übertragenen Informations- und Konsultationsrechte sind zwar nicht ausreichend, um das parlamentarische Kontroll- und Mitwirkungsdefizit zu reduzieren. Notwendig wäre dann aber nicht die Schaffung eines neuen Gremiums, sondern eine Reform der Funktion, Arbeitsweise und Zusammensetzung der COSAC selbst (variable Delegationen aus den jeweils betroffenen Fachausschüssen) sowie die Verknüpfung der COSAC mit gemeinsamen Fachausschusssitzungen zwischen EP und nationalen Parlamenten. Die COSAC könnte sich dann zu einem Gremium entwickeln, in dem nationalparlamentarische Denkweisen, Rollen und Vorstellungen zur Europapolitik offen gelegt würden. Die COSAC und ihre Mitglieder könnten den Konvent zur Zukunft Europas nutzen, um Unterstützung für ihre bereits im Jahr 2000 vorgelegten Reformvorschläge zur Effizienzsteigerung des Gremiums zu mobilisieren. Auf jeden Fall besteht weitgehender Konsens unter den COSAC-Delegierten, das seit 1989 entwickelte Modell der interparlamentarischen Kooperation auch im Konvent selbst zu nutzen und für dessen Verstetigung zu werben. Ein Kongress der Parlamente würde sich dann erübrigen, wenn die politikfeldbezogenen Beratungen zwischen den nationalen Parlamenten und dem EP innerhalb der COSAC Einzug fänden. Hierbei wäre schließlich auch zu überlegen, ob nicht im Rahmen dieser Sitzungen geplante Rechtsetzungsvorhaben der EU im Lichte des Subsidiaritätsprinzips geprüft werden könnten. Andererseits könnte sich ein in der Öffentlichkeit sichtbarer Kongress der Parlamente als profiliertere Erweiterung der COSAC durchaus eignen, um die Zusammenarbeit der Parlamente sichtbarer zu machen. In diesem Sinne sollte der Kongress zusammentreten, um die europäische Öffentlichkeit für Großvorhaben der EU zu schaffen - so beispielsweise auch bei der alle fünf Jahre stattfindenden Diskussion über das Programm der neuen EU-Kommission. 3.3. Die Parlamente in einem föderalen Zweikammernsystem? Die Idee einer langfristigen Entwicklung des EU-Institutionensystems hin zu einem föderalen Zweikammernsystem wurde zunächst von EU-Kommissar Barnier aufgegriffen und anschließend vom deutschen Bundeskanzler und SPD-Parteivorsitzenden Schröder weiterverfolgt. Im Mittelpunkt der Diskussion steht der Vorschlag Barniers, den Ministerrat zu einer Staatenkammer fortzuentwickeln, an dessen Sitzungen auch nationale Abgeordnete teilnehmen könnten. Diese Teilnahme könnte in einem ersten Schritt analog zur qualifizierten Mitwirkung des deutschen Bundesrates oder der belgischen Regionalvertretungen gestaltet werden. Bedingung hierfür wäre aber aus Gründen der Transparenz des Brüsseler Systems die weitgehende Überführung der Exekutivkompetenzen des Ministerrates zugunsten der Europäischen Kommission; auch und gerade im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Im ersten Schritt wäre Artikel 203 EG-Vertrag wie folgt zu ändern: Der Rat besteht aus je einem Vertreter der Regierung der Mitgliedstaaten, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln. Der Regierungsvertreter kann sich in den nach dem Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente bestimmten Fällen durch einen Abgeordneten des nationalen Parlaments gemäß den verfassungsrechtlichen Vorschriften vertreten lassen. Alternativ wäre auch folgende Formel denkbar: ... Die Regierungen können zu den im Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente bestimmten Fällen jeweils einen Vertreter der nationalen Parlamente beiordnen. Der konkrete Modus der Repräsentanz der Mitgliedstaaten bliebe diesen überlassen, entsprechend ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften. Ob also Minister wie bisher oder Parlamentarier als beigeordnete Senatoren das Rede- und Entscheidungsrecht im Ministerrat wahrnähmen, bliebe den Mitgliedstaaten überlassen. Sollte sich die in Sevilla vereinbarte Reform des Rates dahingehend weiterentwickeln, dass die einzelnen Fachräte langfristig durch einen ständigen Europaministerrat als Vorstufe einer Staatenkammer koordiniert würden, wäre die Mitwirkung der nationalen Parlamente in diesem Koordinierungsrat erneut zu prüfen. Eine Institutionalisierung der Abgeordneten als Senatoren im Rat zum jetzigen Zeitpunkt ist aber verfrüht. In der Praxis könnten also regierungsdominierte Systeme wie in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal oder Griechenland im Rat der EU weiterhin durch Minister und nicht durch nationale Parlamentarier vertreten werden. Die jeweiligen national entwickelten Mitwirkungssysteme der Parlamente würden zur Geltung kommen, denn: Warum sollten nationale Abgeordnete in der Europapolitik mehr Rechte ausüben dürfen als im nationalen Kontext? Aber: Wenn nationale Abgeordnete nur im Ministerrat teilnehmen dürfen, auf eine Reform ihrer national praktizierten Mitwirkungsmechanismen aber verzichten, bleibt ihnen der interessantere weil ausschlaggebendere Teil der legislativen Ratsarbeiten im Ausschuss der Ständigen Vertreter und in den Ratsarbeitsgruppen verschlossen. An diesen Ebenen werden sie wahrscheinlich schon aus Prestigegründen nicht direkt teilnehmen wollen. Um dieses Informationsdefizit auszugleichen, müssten sie entweder auf nationaler Ebene eine effektivere Mitwirkung an den vorbereitenden Ratstätigkeiten erreichen, oder aber auf europäischer Ebene ihre teilweise bereits vorhandenen Büros im Gebäude des EP funktionsadäquater ausstatten. Alternativ besteht natürlich die Möglichkeit des häufigeren Rückgriffs auf die gemeinsamen Fachausschusssitzungen mit dem EP. Allerdings wären dann zahlreiche Abgeordnete der nationalen Parlamente genötigt, ihre Arbeitsplanung stärker auf Brüssel auszurichten als es ihnen aufgrund der Verpflichtungen ihres national erworbenen Mandats lieb sein dürfte. 3.4. Der Konvent als Modell zur Parlamentarisierung europäischer Verfassungsfragen? Der im Frühjahr 2002 zusammengetretene Konvent bietet sich ebenfalls als Zukunftsmodell der Parlamentarisierung europäischer Verfassungsfragen und Vertragsreformen an. Zwar haben sich die Staats- und Regierungschefs im Mandat zum Konvent zahlreiche Optionen offen gehalten, um das parlamentarische Moment des Konvents abzufedern. Gleichwohl verfügt aber die parlamentarische Mehrheit im Konvent erstmals in der Integrationsgeschichte über die Chance, ein Deliberationsmodell unter Beweis zu stellen, das selbst als Referenz für die künftige Ausgestaltung des europäischen Mehrebenenparlamentarismus dienen könnte. Der Erfolg dieses Vorhabens hängt wesentlich von der Bereitschaft der Abgeordneten beider Parlamentsebenen (EP und nationale Parlamente) ab, sich nicht auf die Funktion des Konvents als offenes Diskussionsforum und Spiegel politischer Gestaltungskonflikte über die Zukunft der erweiterten EU zu beschränken. Soll der Konvent als Modell für einen neuartigen Akteur europäischer Verfassungsfragen über die Zeit nach 2004 erhalten bleiben, müssen die Abgeordneten nach Innen (in ihre jeweiligen Parlamente und Öffentlichkeiten) und nach Außen (gegenüber den Vertretern der Staats- und Regierungschefs) mit konsistenten Reformansätzen beweisen, dass sie als Gremium zur ständigen und bewussten Aktivierung des Mehrebenencharakters europäischer Problemlagen in der Lage sind und natürlich auch zur Lösung der Probleme. Dies setzt nicht nur mehr personelle und ideelle Ressourcen in den nationalen Parlamenten sowie einen höheren Grad an politischer Auseinandersetzung innerhalb des EP voraus, sondern auch ein besseres Verständnis der gegenwärtigen Grenzen der Parlamentarisierung supranationaler Politikgestaltung. 4. Was ist zu tun? Vertraute Mechanismen nutzen und das COSAC-Netzwerk stärken Für die Verbesserung der Transparenz und der demokratischen Kontrolle ist es nicht nötig, die Rolle der nationalen Parlamente durch grundsätzlich neue Institutionen und Mechanismen zu stärken. Die gegenwärtigen Verfahren bieten genügend Ansatzpunkte, v.a. im Bereich der Ausschüsse und der COSAC. Die COSAC könnte künftig als Gremium aktiviert werden, um zu einer Prüfung von Rechtsakten entlang des Subsidiaritätsprinzips auf beiden parlamentarischen Ebenen der EU zu gelangen. Die Informations- und Beratungsverfahren würden sich hierbei am Arbeits- und Legislativprogramm der Europäischen Kommission orientieren, weil nur die Kommission über das exklusive Initiativrecht verfügt und daher auch nur auf der Grundlage ihrer Programmplanung eine praktikable ex-ante-Kontrolle der Gesetzgebungsarbeiten von EP und Rat möglich ist. EP und Rat nehmen seit 1988 an der Ausarbeitung des jährlichen Arbeitsprogramms teil. Der Rat wird schon alleine deshalb einbezogen, weil hierdurch etwaigen Überraschungen mit Auswirkungen auf die Haushaltsplanung der EU vorgebeugt werden kann, die sich aus den Europäischen Ratssitzungen mit ihren Programmbeschlüssen ergeben. Sinnvoll wäre vor allem eine systematischere innerstaatliche Prüfung der EG/EU-Vorlagen seitens der EU-Ausschüsse, etwa nach dem folgenden Verfahren:
Dieses Verfahren könnte durch folgende Maßnahmen effektiviert und sichtbarer gemacht werden:
Der Europäische Rat von Sevilla hat sich nun dafür entschieden, künftig (ab 2003) mehrjährige Strategieprogramme zu verabschieden und auf dieser Grundlage im Ministerrat operative Jahresprogramme in Gang zu setzen. Hiermit greifen die Staats- und Regierungschefs faktisch in das exklusive Initiativrecht der Kommission ein, ohne auf die Ergebnisse des Konvents warten zu wollen. Sie stellen sich damit auch gegen den Konvent, der über das Verhältnis zwischen Rat und Kommission im Hinblick auf eine handlungsfähigere Union beraten soll. Der Mehrwert operativer Programme des Rates unter den jetzigen Bedingungen des EU-Systems ist vor allem dann einsichtig, wenn davon auszugehen ist, dass die Initiativrechte der Kommission längerfristig beschnitten werden sollen. Ob dies auch im Sinne des Konvents ist, bleibt abzuwarten. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Sevilla könnten in diesem Zusammenhang bereits im nächsten Jahr zur Makulatur werden. Um nun Konflikte über die Legislativplanung und die Zuständigkeiten der Kommission zu vermeiden, sollten sich EP und Kommission rasch zur Aktualisierung ihrer 2001 geschlossenen Rahmenvereinbarung (Abl. der EG, Nr. C 121, 24.4.2001, S. 122f.) zusammenfinden und hierbei den Rat als zusätzlichen Partner gewinnen. In diesem Sinne wäre es bereits jetzt Aufgabe des EP, der nationalen Parlamente und der COSAC, eine politische Gewichtung der ins Auge gefassten Ratsprogramme im Verhältnis zur seit langem geübten Praxis der Arbeitsprogramme der Kommission vorzunehmen. Der Malmström-Bericht des EP über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission bietet hierzu einen ersten Anknüpfungspunkt für die Konventsarbeitsgruppen Nationale Parlamente und Subsidiarität sowie für die kommende COSAC-Sitzung in Kopenhagen. Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der COSAC-Arbeiten bieten sich auch mit Blick auf die Frage der Kontrolle der GASP und der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in diesem Rahmen zu stärkende Funktion der Parlamente als Transmissionsriemen zwischen den nationalen Öffentlichkeiten und den in Brüssel angesiedelten Fachöffentlichkeiten sowie der Frage der Transparenz europäischer Willensbildung und -vermittlung. Vertieft zu diskutieren wäre hierbei die aus der COSAC heraus zu entwickelnde Bildung eines interparlamentarischen Kontroll- und Verifikationsregimes im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Delegierte der WEU-Versammlung mahnen hier zur Vorsicht gegenüber der schlichten Überführung der parlamentarischen Funktionen auf das EP. Angesichts der in der WEU-Versammlung erworbenen Expertise im Bereich der ESVP wäre darüber nachzudenken, inwiefern EP und nationale Parlamente die Entwicklung der EU zu einem sicherheits- und verteidigungspolitischen Akteur so begleiten und kontrollieren könnten, dass es für keine der beiden Parlamentsebenen zu einem Verlust längst errungener Mitspracherechte käme. Die COSAC bietet sich daher in Verbindung mit einem effizienteren Kooperationsverfahren (Fachausschusssitzungen) auch als gangbare Option zur Verstetigung des parlamentarischen Kontrollanspruches gegenüber den Regierungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2002 |