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Die rumänischen Parlaments-und Präsidentschaftswahlen im Jahre 2000 : vorwärts in die Vergangenheit? / F. Peter Wagner. - [Electronic ed.]. - [Bonn], 2001. - 13 S. = 56 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 88) Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001 © Friedrich-Ebert-Stiftung
2. Eine manichäische politische Kultur, in der die Guten verlieren 3. Die Wahlen im Herbst 2000 und ihr Ergebnis Anhang 2: 1. Einleitung Am 26. November 2000 fanden in Rumänien die vierten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, die dritten im verfassungsmäßig vorgeschriebenen Turnus von vier Jahren. Die Wahl des Präsidenten erfolgte in einer Stichwahl am 10. Dezember, da kein Kandidat über die Mehrheit der Stimmen im ersten Wahlgang verfügte. Wie bereits bekannt, da auch in der westlichen Presse dargelegt, war die zentrale Überraschung dieser Wahlen das starke Abschneiden des Nationalisten Corneliu Vadim Tudor in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen und das starke Abschneiden seiner Groß Rumänien Partei bei den Parlamentswahlen. Dass sich im zweiten Wahlgang am 10. Dezember der erste Präsident des post-sozialistischen Rumänien, Ion Iliescu, klar gegen Corneliu Vadim Tudor durchsetzte und in das Präsidentenamt erneut gewählt wurde, konnte allerdings nicht so recht überzeugen. Zu frisch ist die Erinnerung an den neuen Präsidenten als eines nicht gerade reformerischen Post-Kommunisten. Da nun wieder die Post-Kommunisten Rumänien regieren, die Nationalisten die stärkste Oppositionsfraktion in beiden Häusern des Parlamentes stellen und die vormaligen Regierungsparteien, und damit die als reformerisch, klar West-orientiert geltenden Kräfte, eine herbe Niederlage erlitten haben, stellt sich gerade nach diesen Wahlen die Frage: Wohin geht Rumänien? 2. Eine manichäische politische Kultur, in der die Guten verlieren Zwei Entwicklungen charakterisierten die Ausgangslage der rumänischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000:
[Seite der Druckausg.: 2]
Beide Faktoren, die politische Situation und die Lebensverhältnisse, präsentierten zusammen für die (mehr oder weniger) regierende Koalition das zentrale und, wie es sich herausstellen sollte, unlösbare Problem der Positionierung im Wahlkampf. Eine kleine Rückschau auf die rumänische Politik der letzten zehn Jahre ist allerdings vonnöten, um die Tragweite des politischen Niedergangs der Koalition von 1996 zu begreifen.
Die post-sozialistische politische Geschichte Rumäniens lässt sich anhand der bisherigen Wahlen und Regierungskonstellationen in drei Abschnitte einteilen: 1989/90-1992; 1992-1996; 1996-2000:
Wie diese grobe Einteilung bereits anklingen lässt, wurde die post-sozialistische rumänische Politik bis zu den Wahlen von 1996 von einer klaren Zweiteilung in Regierung und Opposition beherrscht, wobei die politisch-moralische Symbolik dieser Zweiteilung von den Oppositionskräften um die Demokratische Konvention in manichäischer Art und Weise als Unterschied zwischen Kommunisten und Anti-Kommunisten und als Teilung in Macht und Opposition dargestellt und propagiert wurde. Die Regierungsmacht um PDSR und Iliescu akzeptierte diese manichäische Teilung durchaus auf ihre Art und Weise. Für sie hatte es eine Revolution des rumänischen Volkes gegeben und es waren die oppositionellen Kräfte und Gruppierungen, die mit ihren Maximalforderungen und einer pathologischen Sicht der rumänischen Politik, die Chancen auf eine Normalisierung und auf Reformen immer wieder in Frage stellten. Damit wurden der Wahlsieg der Oppositionskräfte und der Regierungswechsel im Herbst 1996 zu mehr als einem normalen Wechselspiel in einem System repräsentativer Demokratie. Für die originäre Opposition um die CDR und ihrer SympathisantInnen wurden die Wahlen 1996 zur lang ersehnten, verspäteten demokratischen Revolution. [Eine Sichtweise, der sich auch ausländische KommentatorInnen anschlossen.] Tatsächlich gab es gute Gründe, auf Seiten der oppositionellen Eliten an einen radikalen Bruch mit der post-1989 Vergangenheit zu glauben. Nie zuvor im regulär erhobenen rumänischen Meinungsbarometer wurde ein so starker Anstieg des Vertrauens in und so hohe Vertrauenswerte für eine rumänische Regierung registriert, als nach diesen Wahlen. Dieser enorme Vertrauensvorschuss und bonus sollte bis zum Sommer des Jahres 1997 erhalten bleiben und war gekoppelt mit ebensolchen hohen Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und dem Glauben, dass die neue Regierung den Kampf mit der Korruption aufnehmen würde. [Siehe hierzu die von der Soros Stiftung finanzierten Meinungsbarometer (Barometrul de Opinie Publica) während dieses Zeitraums; Diskussion in: Ionica Berevoescu et al., Fetele Schimbarii: Românii si provocarile tranzitiei (Bukarest: Nemira, 1999), besonders 92-125. ] Auch die politische Situation selbst schien die Perspektive eines radikalen (Auf-)Bruchs zu bestätigen. Die ehemalige Macht, PDSR und Ion Iliescu, waren durchaus geschockt ob ihres Machtverlustes und versuchten im ersten Jahr, sich mit der neuen Macht gut zu stellen. [Gespräche über den damaligen Machtwechsel mit Beratern im Umfeld des Präsidenten Constantinescu; Notizen des Autors. ] Gleich im ersten Jahr wurde die neue Regierung allerdings mit zwei negativen Bescheiden aus dem internationalen Umfeld konfrontiert: Die NATO vertröstete Rumänien ebenso wie die EU, die Rumänien nicht in die Luxemburggruppe der Kandidaten für die erste Verhandlungsrunde aufnahm. Diese Negativentscheide zerstörten einen der Grundpfeiler des Reformanspruches und des Selbstverständnisses der neuen Regierung, besonders der CDR. Gerade die originäre Opposition um die CDR hatte sich gegen die alte Macht als pro-westlich abgegrenzt und sich der rumänischen Bevölkerung als Garanten für Rumäniens Integration in die Euro-Atlantischen Strukturen empfohlen. Negativer für den radikalen Anspruch der neuen Regierung und die in sie gesetzten Erwartungen von Seiten der Bevölkerung erwies sich die Praxis des Regierens in der Koalition. Hier zeigte sich, dass die originäre Opposition um die CDR und die Reformer der originären FSN um die PD keine gemeinsame Linie finden konnten. Ob dies an tatsächlichen politischen Differenzen über den Reformkurs oder einfach an Spannungen zwischen den politischen Führungspersönlichkeiten lag, die sich alle in der Koalition profilieren wollten, kann hier dahin gestellt bleiben. Aus innenpolitischer Sicht erwies sich der Anspruch einer moralischen Erneuerung als weitaus problematischer für die [Seite der Druckausg.: 4] neue Regierung und wurde zu einer der zwei Hauptquellen der Enttäuschung für die Bevölkerung. Denn die Vision einer neuen, sauberen Politik, getragen von Experten, die sich allein dem Wohle aller RumänInnen verpflichtet sahen, stellte sich schnell als uneinlösbar heraus. Die alten bürokratischen Strukturen und ihre Seilschaften erwiesen sich als hartnäckiger und die Politik als machtloser. Das vollmundige Wahlkampfversprechen der CDR, bei Regierungsübernahme stünden 15000 ExpertInnen auf Abruf zur Verfügung, die in der Bürokratie die Führung übernehmen würden, entpuppte sich als Illusion - sowohl was Anzahl und Qualität der ExpertInnen, als auch was die tatsächliche Arbeitsweise der übernommenen bürokratisch-administrativen Strukturen betraf. Zudem waren die neuen Kräfte im Kampf gegen Korruption nicht nur einfach machtlos, sondern zum Teil auch selbst in korrupte Machenschaften verstrickt. Im Zwist zwischen den Koalitionspartnern ging der Reformschub des Wahlsieges ebenfalls verloren und damit hatte die Regierungskoalition ihren Niedergang bereits besiegelt. Die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechterte sich im Jahre 1997 zusehends. Die rumänische Wirtschaft verzeichnete zum ersten Mal seit 1992 wieder eine negative Wachstumsrate (-6,1% gegenüber dem Vorjahr), die offizielle Arbeitslosenrate stieg auf 8,9% (Vorjahr: 6,6%) und die Inflationsrate auf 154,8% (von 38,8%). Im Jahre 1998 konnte dieser Einbruch nicht behoben werden. Ein Desaster, wie in Bulgarien im Jahr zuvor, trat zwar nicht ein, aber ebenso wenig konnte verhindert werden, dass sich die sozio-ökonomische Lage Rumäniens den ersten drei Jahren nach dem Sturz Ceausescus anglich und damit der Vergleich zwischen alter und neuer Regierung in der Bevölkerung negativ ausfiel. Der Konflikt mit den Bergarbeitern aus dem Jiu-Tal Anfang 1999 machte die desolate politische Lage deutlich, in dem er eine unentschlossene, unfähige Regierung vorführte. Das Ringen um den Rücktritt des Premierministers Radu Vasile um den Jahreswechsel 1999/2000 und die Umstände der Auswahl Mugur Isarescus als neuer Premier bestätigten den Eindruck einer führungsschwachen, abgewirtschafteten Regierung, die schon längst im Parteienzwist stecken geblieben war. Die Koalition von 1996 scheiterte letztendlich an ihren eigenen Ansprüchen, die sich weder mit der Realität des Regierens in der Koalition, noch mit den Realitäten der rumänischen Lage vertrugen. [Symbolisch kam dies in der „Figur„ des Präsidenten Emil Constantinescu zum Ausdruck, der vom moralisch unbefleckten Heilsbringer zu einem rumänischen Don Quichotte mutierte und zu letzt als realitätsfern und einfach unfähig angesehen wurde.] Premier Isarescu gelang es zwar noch wichtige Akzente für die Integration Rumäniens in die Euro-Atlantischen Strukturen zu setzen und die Reform der wirtschaftlichen Strukturen wieder in Gang zu bringen; als pragmatischer, ehrlicher und kenntnisreicher Manager wurde er in seiner Art und Arbeit vom Ausland sehr geschätzt. Aber dies konnte das Vertrauen der Bevölkerung nicht mehr zurückgewinnen. Im Gegenteil, der eingeschlagene Reformkurs liess eine soziale Komponente vermissen. Und gerade Isarescus Art war nicht dazu angetan, den neuen Reformkurs einer enttäuschten und der Reformrhetorik müden Bevölkerung darzulegen und deren Unterstützung zu gewinnen. Die Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Frühjahr 2000 brachten daher ein ernüchterndes Ergebnis. Die Regierenden, allen voran die CDR, landeten weit abgeschlagen; Sieger wurde die PDSR, und dies eben auch in Orten und Kreisen, die im Jahre 1996 klar an die CDR gegangen waren. Interessanterweise, wenn auch in der Politik verständlich und gang und gäbe, interpretierten die PolitikerInnen und SympathisantInnen um die Regierungskoalition das Ergebnis der Kommunal- und Bürgermeisterwahlen etwas anders. Anstatt auf den tatsächlichen Verlust einzugehen, sahen sie, dass die eigentlichen Gewinne der PDSR lange nicht so hoch waren, wie befürchtet worden war. Besonders die Wahl Traian Basescus (PD) zum Oberbürgermeister von Bukarest hatte eine geradezu elektrisierende Wirkung auf die [Seite der Druckausg.: 5] Regierenden: Iliescu, so wurde gefolgert, war in einem zweiten Wahlgang schlagbar. Der Basescu Effekt wurde für die Parteien der Regierungskoalition zu einer Art Deus Ex Machina Effekt umgedeutet. Ein starker Kandidat für die Präsidentschaftswahlen würde es schon richten und in seinem Fahrwasser vielleicht sogar die Partei, die ihn nominiert hatte, mitziehen. Die Kandidatenfrage hatte bald ihr prominentestes Opfer gefunden: Emil Constantinescu gab am Abend des 17. Juli bekannt, dass er sich nicht mehr für eine zweite Wahlperiode bewerben würde. Damit schien alles offen und alles möglich. Dies führte natürlich dazu, dass sich die Regierungskoalition genau in der Situation trennte, in der sie Einigkeit und zumindest einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten am dringendsten benötigt hätte. Das Kandidatenkarussell, welches natürlich auch immer zum ausloten möglicher Wahlbündnisse verwendet wurde, konnte beinahe in letzter Minute die vielleicht interessanteste Variante vermelden: Premierminister Mugur Isarescu bewarb sich um die Präsidentschaft und dies als Unabhängiger mit allerdings nicht zu verleugnenden Kontakten zur CDR (deren quasi Präsidentschaftskandidat er wurde). Am Ende kam es natürlich genau so, wie es die Kommunal- und Bürgermeisterwahlen bereits angekündigt hatten, nur noch härter für die Regierenden. Auch den Basescu Effekt sollte es bei den Präsidentschaftswahlen geben allerdings anders, als dies selbst von den kreativsten Köpfen angedacht worden war. 3. Die Wahlen im Herbst 2000 und ihr Ergebnis Da Vorwarnungen durch Umfragen, die die Parteien selbst in Auftrag gaben, immer wieder idealisierend abgefedert wurden, gingen alle politischen Parteien zuversichtlich in die Wahl. Der 26. November 2000 endete daher mit einer großen und für viele bösen Überraschung. [Die Wahlergebnisse sind als Annex I am Ende dieser Analyse aufgeführt. ] Wie erwartet, wurde die Partei der Sozialen Demokratie in Rumänien (PDSR) zur stärksten Partei in beiden Häusern des rumänischen Parlamentes und Ion Iliescu zum stärksten Präsidentschaftskandidaten für einen notwendigen zweiten Wahlgang. Der eigentliche Wahlsieger aber war Corneliu Vadim Tudor, nationalistischer Erweckungs-Führer mit Vergangenheit als poetischer Verklärer der Ceausescus. Seine Groß-Rumänien-Partei (PRM) wurde mit 19,48% und 21,01% der abgegebenen Stimmen zur zweitstärksten Partei in Abgeordnetenhaus und Senat. Vadim selbst wurde mit einem Stimmenanteil von 28,34% zum Herausforderer Iliescus (36,35%) in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen. Gleichzeitig wurden die Wahlen zu einem regelrechten Desaster für alle anderen Parteien und Führungspersönlichkeiten. Mit Ausnahme der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (UDMR) blieben die Parteien, die es schafften, die Wahlhürde von 5% zu überspringen, in ihren Ergebnissen weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Mit gerade einmal 7,03% und 7,58% der abgegebenen, gültigen Stimmen konnte sich die Demokratische Partei (PD), Mitglied der Sozialistischen Internationale, als drittstärkste Kraft im Abgeordnetenhaus und im Senat platzieren. Eine der wichtigsten politischen Parteien des post-sozialistischen Rumänien, die Nationale Bauernpartei (PNtCD), die im Wahlbündnis mit der konservativen Formation Union der Rechten Kräfte (UFD) versucht hatte, die Demokratische Konvention noch einmal wieder zu beleben, scheiterte jedoch. Ebenso verfehlte die Allianz für Rumänien (ApR), die sich noch wenige Wochen zuvor sehr gute Chancen ausgerechnet hatte, Zünglein an der Waage einer Mitte-Links Regierung zu werden, den Einzug ins rumänische Parlament. Für die Präsidentschaftskandidaten stellte sich der erste Wahlgang als eine Art Offenbarungseid heraus. Gegenüber Ion Iliescu und Corneliu Vadim Tudor blieben alle anderen Kandidaten [Seite der Druckausg.: 6] weit abgeschlagen und, mit Ausnahme des Kandidaten der Partei der Ungarischen Minderheit, György Frunda, weit hinter den eigenen und in sie gesetzten Erwartungen zurück. Besonders Petre Roman, Kandidat und Vorsitzender der PD, und Teodor Viorel Melescanu, Kandidat und Vorsitzender der ApR, wurden zu den klaren Verlierern des Wahlabends: Roman erzielte nur 3%, Melescanu nur 1,92%. [Zum Vergleich: bei den Wahlen 1996 hatte die CDR (mit der PNT-CD als treibende Kraft) 30,17% im Abg eordnetenhaus und 30,7% im Senat erzielt, die PD (als Wahlbündnis USD) 12,93% bzw. 13,16% und Petre Roman als Präsidentschaftskandidat im ersten Wahlgang 20,54%; die beiden nationalistischen Parteien PRM und PUNR erzielten 4,46% und 4,36% im Abgeordnetenhaus und 4,54% und 4,22% im Senat und waren daher knapp über der Hürde von 3%. ] Das überaus starke Abschneiden des Nationalisten Corneliu Vadim Tudor, einer der schillerndsten Figuren der post-sozialistischen rumänischen Politik, im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen und das starke Ergebnis seiner Partei bei den Parlamentswahlen, gepaart mit der Niederlage aller anderen Parteien und Präsidentschaftskandidaten, hat die rumänische post-sozialistische Establishment-Elite in allen Lagern und aller Couleur aufgeschreckt. Die Tagespresse reagierte mit Schlagzeilen wie Das Sternzeichen des Krebses (in Anspielung auf die Krankheit) und ein schmuggelnder oder ein ultranationalistischer Präsident? [„Zodia Cancerului„, Curentul, 27.11.2000; „Un presedinte contrabandist sau unul ultranationalist?„, România Liberã, 27.11.2000. ] Besonders von der Reform- und Europa-orientierten Presse breitete beinahe genüsslich die Stimmen der europäischen und internationalen Presse zum Wahlergebnis aus. Aber selbst die eher national-orientierte, PDSR-freundliche Adevarul (Die Wahrheit), die vielleicht auflagenstärkste Tageszeitung Rumäniens, ereiferte sich, dass dieses Wahlergebnis bedeutete, dass die Rumänen auf dem letzten Platz in Europa angekommen waren. [ „Ultimii din Europa„ [Die Letzten in Europa], Kommentar von Bogdan Chirieac, Adevarul, 27.11.2000. ] Obwohl die Stichwahl zur Präsidentschaft am 10. Dezember mit 66,84% zu 33,16% der abgegebenen Stimmen klar an Ion Iliescu ging, der damit zum zweiten Mal Präsident des post-sozialistischen Rumäniens wurde, hat dieser Sieg niemanden wirklich erleichtert. Der Schaden die böse Überraschung des ersten Wahlgangs konnte damit nicht ungeschehen gemacht werden. Angesichts des Schocks, den das Wahlergebnis auslöste, bleibt allerdings zu fragen, woher die politischen Parteien und Gruppierungen der ehemaligen Regierungskoalition ihre anfängliche Zuversicht eigentlich nahmen und warum das Wahlergebnis deshalb überhaupt zu einer bösen Überraschung für sie werden konnte. Einschließlich der bestellten Meinungsumfragen, kann es hierfür zumindest meines Erachtens nur eine plausible Erklärung geben: einen totalen Realitätsverlust der regierenden Parteien und ihrer Führungspersönlichkeiten, die damit in die gleiche quasi autistische Haltung verfallen waren, wie sie die PDSR vor den Wahlen 1996 eingenommen hatte. Dass die vormaligen Regierungsparteien und ihre Führungspersönlichkeiten anscheinend überhaupt nicht mehr wussten, welche Sorgen, Nöte und Probleme die generelle rumänische Bevölkerung plagten, dass sie anscheinend in einem Land ihrer Einbildung lebten und die sprichwörtliche Bodenhaftung verloren hatten, lässt sich am deutlichsten an den Wahlkampfslogans ersehen. So versuchte die CDR, die Angst vor einer Rückkehr des Kommunismus auszunutzen und präsentierte sich den rumänischen WählerInnen als europäischer Weg und übersah dabei geflissentlich, dass weder die Rückkehr des Kommunismus, noch die Rückkehr nach Europa den RumänInnen Sorgen bereitete. Für die PD wurde Petre Roman großflächig plakatiert mit dem Wahlspruch România/Roman und die Partei versuchte, aus der gewonnenen Bukarester Oberbürgermeisterwahl mit der Idee eines neuen Teams, empfohlen von Traian Basescu, zu punkten. Die ApR verliess sich beinahe ausschließlich auf ihren Präsidentschaftskandidaten Melescanu als Wahlmotivation. Nicht viel origineller wusste sich die PNL in Szene zu setzen. Die Partei vertraute auf ihr liberales Image und präsentierte ihren Präsidentschaftskandidaten Stolojan mit dem von Traian [Seite der Druckausg.: 7] Basescus (PD) Wahlkampagne für die Bukarester Oberbürgermeisterwahl (!) kaum veränderten Slogan Er kommt ins Präsidentenamt. Bereits am Wahlabend waren daher die Apologeten der ehemaligen Regierungsparteien, besonders von der PNT-CD, dabei, irgendeine Verantwortung weit von sich zu weisen. Die rumänische Bevölkerung habe sich, so die Aussagen des PNT-CD Präsidenten Ion Diaconescu und des Agrarministers und führenden Präsidiumsmitglieds Ioan Muresan, für die Vergangenheit entschieden. Dass diese Wahlen aber alles andere als Wahlen für irgendeine Vergangenheit waren, wird besonders am überraschend hohen Abschneiden Corneliu Vadim Tudors im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen deutlich, das auch ihn selbst sichtlich überraschte. Bereits am Wahlabend wurde hierzu auf das Votum jüngerer (männlicher) Wähler (18 bis Ende 30) und Wähler mit höherer schulischer Ausbildung (Abitur bis erster Universitätsabschluss [als B.S., bzw. B.A. anzusehen]) hingewiesen. [ Der Clujer Soziologe Traian Rotariu in der Wahlsondersendung des ersten Programms des staatlichen (öffentlichen) rumänischen Fernsehens, TVR 1 (Notizen des Autors). Die schönste Schlagzeile hierzu lieferte am 28. November, dem Dienstag nach den Wahlen, die Tageszeitung Libertatea (Die Freiheit): „Das junge und dynamische Rumänien hat Vadim gewählt„. ] Diese Wähler waren allerdings nicht an Corneliu Vadim Tudors Programm interessiert, sondern wählten ihn aus absoluter Enttäuschung als einen Anti-System-Repräsentanten. Diese Wähler wissen (als subjektive Selbsteinschätzung) einerseits, dass sie ein gutes Leben und eine bessere Zukunft haben könnten, aber wähnen sich auf der Verliererseite des Wandels. Gleichzeitig erscheint gerade ihnen der Grund des Übels, ihres persönlichen Übels, ein systemischer zu sein: es ist eine durch und durch unfähige, korrupte Elite, die zwischen ihnen und einer besseren Zukunft steht. Und gerade weil Corneliu Vadim Tudor für die rumänische politische und wirtschaftliche Elite ein Schmuddelkind ist, wird er dadurch zum Außenseiter, der in seiner ganzen Art eben nicht diese Elite repräsentiert. Europa als Fingerzeig hilft hier deshalb wenig. Denn für die meisten dieser jüngeren ist Europa (d.h. das westliche Europa) weit entfernt; sie verfügen z.B. nicht über die Kontakte (die Beziehungen), die ein Stipendium ermöglichen würden. Und die ablehnende Haltung der Europäischen Union (des westlichen Europa überhaupt) gegenüber Rumänien, besonders symbolisch und erfahrbar anhand der Visumspolitik, ist auch nicht dazu angetan, diesen jungen Menschen Europa als eine reale Perspektive aufzuzeigen. [ Impressionistische Einsichten in eine anti-europäische Trotzreaktion („Die wollen uns ja nicht ...„) wurden in Fernsehinterviews immer wieder offenbar. ] Das Motiv hier kann demnach als Protest aus enttäuschter Zukunft umschrieben werden. Dies macht den Vadim Faktor bei diesen Wahlen zu einer Art legalen Variante der von Ken Jowitt prognostizierten post-sozialistischen, post-modernen Wutbewegungen (movements of rage), die kein Programm außer dem Chaos kennen, mit dem sich aber in unserem Fall (und wohl nicht nur dort, pace Jowitt) eine apokalyptische Hoffnung auf das ganz andere, Bessere verbindet. [ Ken Jowitt, New World Disorder: The Leninist Extinction (Berkeley, CA: University of California Press, 1992), besonders 275-277. Vergleiche hierzu auch bereits die Diagnose von Claus Offe, Der Tunnel am Ende des Lichts: Erkundungen der politischen Transformation im Neuen Osten (Frankfurt/M.: Campus, 1994), 89-90. ] Es wäre allerdings auch hier zu kurz gegriffen, wenn man das Votum für Corneliu Vadim Tudor und seine Partei als Einzelereignis interpretieren würde. Entscheidend für das Votum ist die Verankerung bzw. Verinnerlichung einer nationalen Denkform in der rumänischen politischen Kultur. [ Hierzu generell: Erhard Stölting, „Die Verinnerlichung einer Denkform: Gemeinsamkeiten und Differenzen des Nationalismus in Osteuropa,„ in: Hellmut Wollmann, Helmut Wiesenthal und Frank Bönker (Hg.), Transformation sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs . Leviathan Sonderheft Nr. 15 (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995), 254-276.] Seit dem Prozess der Nationalstaatsgründung im langen neunzehnten Jahrhundert (E. J. Hobsbawm) ist das Nationale, zuerst als Kampfbegriff zum Zwecke der Mobilisierung und Legitimierung, später als ideelles Begründungs- und Bindemittel staatli- [Seite der Druckausg.: 8] cher Konsolidierung, zum zentralen Begriff in der rumänischen Politik geworden und wurde darüber hinaus über das staatliche Bildungswesen Generationen von RumänInnen als zentraler Begriff des rumänischen Selbstverständnisses (einer rumänischen Identität) vermittelt. [ Für die Konsolidierung des rumänischen Nationalstaats: Irina Livezeanu, Cultural Politics in Greater Romania: Regionalism, nation building and ethnic struggle, 1918-1930 (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1995).] Hieraus hat sich eine Kontinuität rumänischer politischer Kultur entwickelt, die die Epoche der Nationalstaatsgründung mit der Epoche des rumänischen nationalen Kommunismus und der neuen Epoche des Postkommunismus verbindet. Tatsächlich wäre die nationale Hyper-Ausprägung des rumänischen Kommunismus unter Ceausescu ohne die bereits existierende Denkform des Nationalen nicht möglich gewesen, gleichzeitig lieferte das Nationale auch das Leitmotiv rumänischer (interner) Kritik am Ceausescuismus. [ In diesem Punkt unterscheide ich mich in der Interpretation von Katherine Verdery, National Ideology under Socialism: Identity and Cultural Politics in Ceau ºescu’s Romania (Berkeley, CA: University of California Press, 1991). Zum einen stellt Verdery fest, dass in Rumänien das Nationale den Marxismus „überwältigte„ (S. 12) – es gab in Rumänien nichts zum überwältigen. Zum anderen geht sie meines Erachtens trotz aller Raffinesse zu wenig auf die ambivalente, spannungsgeladene Rolle des Nationalismus gerade unter Ceau ºescu ein. ] Diese ambivalente, spannungsgeladene Kontinuität des Nationalen in der rumänischen politischen Kultur, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen kann, lässt sich bei allen post-kommunistischen politischen Parteien und Gruppierungen Rumäniens konstatieren, eben auch bei jenen, die nicht als nationalistisch-extremistisch einzustufen sind und von ihrem eigenen Selbstverständnis her und aus westlicher Sichtweise als westlich, offen und reformorientiert gelten. In diesem Sinne lässt sich das Votum für Corneliu Vadim Tudor und seine Partei nicht nur als ein sozioökonomisches, sondern auch als ein politisch-kulturelles Phänomen definieren, dass nicht von einem rechtsextremistischen Rand, sondern aus der Mitte der rumänischen Gesellschaft entspringt. [Damit kein Missverständnis aufkommt: ich halte die Problematik des Nationalen, besonders im Kontext der osteuropäischen Transformation, nicht für einen spezifisch rumänischen Faktor (ich gehe allerdings in meinen eigenen Arbeiten davon aus, dass sich diese Problematik anhand des rumänischen Falles sehr gut aufzeigen lässt). ] Zusammenfassend lässt sich dieses Wahlergebnis damit genau entgegengesetzt zu den Interpretationsmustern der westlichen und rumänisch-kritischen BeobachterInnen sowie der ehemaligen (und neuen) Oppositionskräfte verstehen. Es wurde weder programmatisch noch im Sinne der Verklärung einer Vergangenheit gewählt. Für die rumänischen WählerInnen war dies eine Wahl ganz im Hier und Jetzt: eine Protestwahl, die sich aus der für die rumänischen politischen Kultur konstitutiven Quelle des Nationalen speiste. Deshalb ist dieses Wahlergebnis einerseits eine kritische Chance, andererseits aber auch eine große Gefahr für die rumänische Politik und den rumänischen Reformkurs der nächsten Jahre. 4. Implikationen Es ist noch zu früh, die tatsächlichen politischen Auswirkungen zu beurteilen. Trotzdem kann als generelles Leitmotiv kann gelten, dass sich weniger ändern wird, als zumindest im Vorfeld der Wahlen von einem Wahlsieg der Post-Kommunisten erwartet wurde. Aber darin liegt natürlich auch das zentrale Problem, denn Rumänien bräuchte genau das, was nicht eintreten wird, auch weil es von diesem Wahlausgang her nicht eintreten kann: einen radikalen Wandel. Die Minderheitsregierung der PDSR hat einen Kampf an zwei Fronten zu führen. Das Ausland beobachtet nach dem Wahlausgang verstärkt die rumänische Politik und erwartet reformerische Signale von der neuen Regierung. Intern wird die Minderheitsregierung an der Hoffnung gemessen werden, dass sie es besser macht, als ihre Vorgängerin eine Hoffnung, [Seite der Druckausg.: 9] die sowohl von den Nationalisten, als auch von den ehemaligen Regierungsparteien gnadenlos eingeklagt werden wird. Bereits am Wahlabend wurde von Seiten der PDSR eine mögliche Koalition mit der PRM scharf zurückgewiesen. Auch Ion Iliescu versicherte am Abend des 26. November und wieder nach seiner Wahl zum Präsidenten, dass Rumänien weiter Richtung Westen gehen wird und dass Rumäniens Integration in die Euro-Atlantischen Strukturen eine Priorität seiner Präsidentschaft und der neuen Regierung sein wird. Im Prinzip kann man diesen Versicherungen Glauben schenken, obwohl sie für das Ausland gedacht waren und dem Umstand Rechnung trugen, dass der Ruf der PDSR als Reformkraft nicht der beste ist, die Nationalisten um Vadim zur zweitstärksten politischen Kraft wurden, und daher eine Neuauflage der Koalition von 1994/95 durchaus eine Möglichkeit darstellt. Elf Jahre post-sozialistische rumänische Geschichte lassen sich nicht wegwischen. Tatsächlich ist das post-sozialistische Rumänien auf dem Weg der West-Integration und es gibt keine Gründe, warum sich daran etwas ändern sollte. Die Verbindungen zum Westen, in die westlichen Strukturen hinein, von Europarat über OSZE bis zur Partnerschaft für den Frieden, sind soweit gediehen und verfügen über soviel Rückhalt im rumänischen politischen und wirtschaftlichen Establishment (aller Couleur), dass eine radikale Abkehr zu diesem Zeitpunkt einfach nicht praktikabel ist. Diese letzten elf Jahre sind auch an der PDSR nicht spurlos vorüber gegangen, zumal die Grundorientierung der post-sozialistischen rumänischen Außenpolitik, nämlich Integration in die Euro-Atlantischen Strukturen, unter ihrer Führung, wenn auch zögerlich, eingeleitet wurde. Selbst unter der Annahme, dass nach den bekannten Aufsplitterungen der ursprünglichen FSN und ihrer Nachfolgerin PDSR, die wirklich westlichen Reformkräfte nicht mehr in der PDSR zu finden sind, wissen die verbliebenen eher konservativen Kräfte, dass sie ohne irgendeine Unterstützung von westlicher Seite selbst nicht weiter kommen. Dabei wird die Koalition mit den nationalistischen Kräften 1994/95 heute als eklatanter Fehler angesehen. Die derzeitigen Versuche einer öffentlichen Positionierung einer PDSR-Minderheitsregierung Richtung Reform und Westen reflektieren deshalb auch die Angst der PDSR-Führung, kein Kapital aus ihrem Wahlsieg schlagen zu können und letztendlich ebenso zu scheitern (aber vielleicht schneller) als die vorherige Regierung. Zentral bleiben letztlich nur zwei Fragen. Zunächst, inwieweit durch den Schock des Wahlergebnisses die nicht nationalistisch-extremistische rumänische Elite aus ihrem Tagtraum erwacht ist und sich die Kluft zwischen der politischen Kultur dieser (zumindest implizit pro-westlichen) Eliten und dem Alltag der rumänischen Normalbevölkerung verringern wird. Wenn diese Frage mit ja beantwortet werden kann, stellt sich im gleichen Atemzug die Frage, mit welchen Mitteln eine solche Verringerung erzielt werden wird. Hier ergäbe sich natürlich die Möglichkeit einer zeitgenössisch sozialdemokratischen Strategie. Denn einerseits, wie bereits betont, müssen Strukturreformen in Angriff genommen werden, die Rechtssicherheit (eben auch durch die Einführung einer westlichen Rechtskultur!) und eine Entflechtung des politisch-wirtschaftlichen Mafia-Komplexes erreichen, sowie den allgemeinen marktwirtschaftlichen Umbau der Wirtschaft vorantreiben. Andererseits ist diese titanische Aufgabe der rumänischen Politik nicht mehr, falls je überhaupt, durch eine Schocktherapie zu bewerkstelligen. Heute, elf Jahre nach Ceausescu, ist die rumänische Bevölkerung nicht mehr mit abstrakten Slogans und Versprechungen auf eine goldene Zukunft, die durch Leid im Hier und Jetzt erreicht werden könnte, zu gewinnen (für letzteres haben die Menschen die orthodoxe Kirche, die ihnen selbiges im Namen einer höheren, moralisch unbefleckten Instanz verspricht). Demokratische Legitimität ist daher nur durch eine Politik zu erreichen, die die Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen ernst nimmt und dementsprechend auch eine soziale Komponente in der Reformpolitik aufweist, die noch dazu auf das Entwicklungsgefälle zwischen Land und Stadt eingeht. [Seite der Druckausg.: 10] Ob eine solche zeitgenössisch sozialdemokratische Politik für Rumänien allerdings als realistisch einzustufen ist, wird nicht nur von den internen politischen Kräfteverhältnissen und ihrer Dynamik abhängen, sondern auch vom europäischen und internationalen Umfeld. In diesem Sinne ist Rumäniens Zukunft, heute mehr denn je, mit der Zukunft Europas verbunden. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2000 in Rumänien werden, wie ihre Vorgänger auch, als Auslöser für eine Reorganisation des politischen Parteiensystems in die post-sozialistische Geschichte Rumäniens eingehen. Darüber hinaus jedoch, so lässt sich vermuten, werden sie auch eine Reorganisation der post-sozialistischen politischen Kultur in Rumänien zur Folge haben. Letzteres könnte sich als wesentlich bedeutsamer herausstellen als die Frage nach den Erfolgen und Misserfolgen einzelner politischer Parteien. Wenn ich mit meinen Einschätzungen recht habe, so wird sich in nächster Zeit erweisen müssen, ob aus dem Ende der Illusionen eine Einsicht in die Notwendigkeit radikaler, d.h. struktureller Reformen erwächst, sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den politischen Eliten. Die negative Alternative wäre Stasis und Apathie: eine Alternative, die die rumänische Bevölkerung weder verdient, noch gewählt hat. Anhang 1: Wahlergebnisse 2000
Anhang 2:
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