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[Seite der Druckausg.: 12(Fortsetzung)]


3. Gretchenfrage Gewaltmonopol

Während sich die NATO spätestens seit den Rambouillet-Verhandlungen im Februar 1999 auf eine militärische Präsenz im Kosovo vorbereitete, konnte die während des NATO-Einsatzes paralysierte UN den Aufbau der zivilen Präsenz erst wesentlich später beginnen direkt nach Annahme der Resolution 1244. Obwohl das UN-Mandat mitunter als Modellösung für vergleichbare Konfliktsituationen diskutiert wurde, sind nach einem Jahr deutliche Grenzen einer Protektoratslösung im Zeitalter moderner Nationalstaaten sichtbar geworden. Dies betrifft weniger die begrenzt, aber nicht grundsätzlich vermeidbaren Kinderkrankheiten der Aufbauphase, sondern vielmehr die tieferliegenden Probleme der Legitimation politischer Macht durch die Bevölkerung des „Protektoratsgebiets„, die nicht mit den formulierten Grenzen der Mission übereinstimmt.

Als Gretchenfrage erweist sich die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols der UN-Verwaltung gegen einheimische Parallelstrukturen. Gerade die Institutionen der albanischen Mehrheit haben bisher nur wenig Neigung erkennen lassen, irgend eine Form von staatlicher Gewalt zu legitimieren oder zu akzeptieren, die ihnen keine staatliche Unabhängigkeit zusichert.

Schwächen des UN-Systems

Die Entscheidung, die UN-Verwaltung auf vier funktionale „Säulen„ unter der Leitung verschiedener multilateraler Organisationen zu bauen (vgl. Abbildung 1), machte zwar einen schnellen arbeitsteiligen Aufbau der Strukturen möglich, brachte aber gleichzeitig Effizienzverluste mit sich. Binnen kurzem zeigte sich das typische Koordinationsproblem internationaler Organisationen,

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verstärkt durch die ebenfalls typischen bürokratischen Strukturen und Prozeduren des UN-Systems.

Gleichzeitig hatte UNMIK im ersten Jahr ihres Bestehens darunter zu leiden, daß die internationalen Geber ihren Finanzierungszusagen nur schleppend nachkamen. Nach mehreren dramatischen Appellen des UN-Sondergesandten, der die ohnehin niedrigen Löhne der örtlichen Verwaltungsangestellten nur mit mehrwöchiger Verspätung zahlen konnte, ist die Finanzierung der UNMIK inzwischen wenigstens auf eine halbes Jahr im Voraus gesichert. [ Vgl. UNMIK: 2000 Fiscal Monitoring Report. Prishtina: Central Fiscal Authority, 31 March 2000.]

Trotz teilweise hoher Motivation wurde die Arbeit des internationalen Personals zudem durch die starke Fluktuation erschwert. In der Regel kamen die internationalen Experten – angesichts der Ausgangslage wohl unvermeidbar – ohne große Vorbereitungen ins Kosovo, kehrten aber dann teilweise schon nach sechs Monaten direkt nach der Einarbeitungsphase wieder in ihre Heimatländer zurück, um dann neuen, gut bezahlten Anfängern Platz zu machen. In einigen zentralen Bereichen des UN-Mandats so z.B. bei der Polizei wurde die erforderliche Sollstärke bis heute nicht erreicht. Die Sprach- und Kulturbarriere verstärkt die durch Unterbesetzungen und mangelnde Kontinuität entstehenden Reibungsverluste, die das UN-System zusätzlich belasten und in den Augen der Kosovaren diskreditieren.

Parallelstrukturen

Innerhalb der albanischen Parallelstrukturen kann zwischen einer älteren Elite, die noch stark vom sozialistischen Jugoslawien geprägt wurde, und einer jüngeren Elite unterschieden werden. Allerdings sind beide wiederum in sich heterogen und teilweise zerstritten; im Vorfeld der für Herbst 2000 geplanten Kommunalwahlen differenzieren sie sich weiter aus. [ Vgl. International Crisis Group: Who’s Who in Kosovo. ICG Balkans Report No 76, 31 August 1999.]

Die ältere Elite betrieb 1989 die Gründung der Demokratischen Liga Kosovos LDK (Lidhja Demokratike te Kosovës) und verfolgte unter Führung des „Präsidenten„ Ibrahim Rugova und der „Regierung„ Bujar Bukoshis jahrelang den Weg eines friedlichen, von Ghandi inspirierten, aber letztlich erfolglosen Widerstands zugunsten der proklamierten „Republik Kosova„. Durch „Steuerzahlungen„ der im Ausland lebenden Kosovo-Albaner konnte die Regierung Bukoshi über die Apartheidzeit hinweg das Überleben der Parallelstrukturen einschließlich eines albanischen Bildungs- und Gesundheitssystems ermöglichen. In den 90er Jahren wurden weitere albanische Parteien gegründet, 1995 kam es zum Bruch zwischen Rugova und Bukoshi und 1998 wandten sich viele der LDK-Anhänger enttäuscht anderen politischen Strömungen vor allem der von Rexhep Qosja gesammelten Vereinigten Demokratischen Bewegung LBD (Lëvizja e Bashkuar Demokratike) und zugleich der stärker werdenden Kosovarischen Befreiungsarmee UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës) zu.

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Die Gründung der UÇK Mitte der 90er Jahre war die Antwort der jüngeren Elite auf die andauernde Apartheid und die Erfolglosigkeit der friedlichen Widerstandsstrategie der älteren. Unter der politischen Führung eines fünfköpfigen Direktorats, in dem sich später Hashim Thaçi als Erster unter Gleichen durchsetzte, und dem militärischen Kommando Agim Çekus begann die UÇK 1998 einen Guerillakrieg, der eine serbische Gegenoffensive mit Terror gegen die Zivilbevölkerung herausforderte. Gerade letzteres brachte der UÇK innerhalb kürzester Zeit eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung und die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft, auf die der friedliche Widerstand jahrelang vergeblich gehofft hatte. Nachdem das im Oktober 1998 auf internationale Vermittlung geschlossene Holbrooke-Milosevic-Abkommen zur Befriedung der Situation mehrfach gebrochen worden war, verfolgte die UÇK dann direkt vor der NATO-Intervention eine hoch riskante Eskalationsstrategie.

Als Kompromiß zwischen alter und neuer Elite wurde im April 1999 – noch während der NATO-Intervention – eine „Provisorische Regierung„ unter Hashim Thaçi ausgerufen. Allerdings war der Kompromiß brüchig, und die UÇK zeigte sich in den Auseinandersetzungen des Nachkriegsalltags durchsetzungsfähiger als ihre Partner, z.B. indem sie sich in Schlüsselbetrieben über die Absprache hinwegsetzte, die 1989 entfernten alten Betriebsleitungen wieder einzusetzen und stattdessen eigenes Personal installierte.

Gleichzeitig war zu beobachten, daß nach dem Krieg viele Unterstützer der UÇK wieder zu ihren traditionellen politischen Parteien zurückkehrten. Auch die Parteigründung Thaçis, die Demokratische Fortschrittspartei Kosovos PPDK (Partia e Progresit Demokratik të Kosovës) – im Mai 2000 umbenannt in Demokratische Partei Kosovos PDK (Partia Demokratike e Kosovës) – blieb nicht ohne Herausforderer aus dem eigenen Lager. So gründete der ehemalige UÇK-Kommandant Ramush Haradinaj eine Allianz für die Zukunft Kosovos AAK (Aleanca për Ardhmërinë e Kosovës), die gegen das Alleinvertretungsrecht der PDK antritt. Die übrigen Parteien spielen eine eher untergeordnete Rolle, zumal sie wie auch in anderen Transformationsländern in der Mehrzahl personenzentrierte Verbände mit erheblichen kommerziellen Interessen und wenig programmatischer Substanz sind.

Einen klareren Überblick über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zwischen den politischen Kräften können und sollen die für Herbst 2000 terminierten Kommunalwahlen bringen, zu denen sich bisher 29 Parteien haben registrieren lassen. Entscheidend wird dabei das Abschneiden der drei Gruppierungen LDK, PDK und AAK sein. Die LBD ist nach übereinstimmender Einschätzung der meisten Beobachter weitgehend inaktiv und chancenlos. Auch hier sind jedoch noch kurzfristige Überraschungen möglich.

Die Gemeinsame Übergangsverwaltungsstruktur

Durch den Abzug der jugoslawischen Staatsorgane (Truppen, Polizei, Verwaltung) im Juni 1999 entstand ein institutionelles Vakuum, das die UN-Mission füllen sollte. Tatsächlich wurde es eher von den mehr oder weniger informellen Strukturen der Kosovaren gefüllt. So setzte die Pro-

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visorische Regierung innerhalb kürzester Zeit Bürgermeister in den Kommunen Kosovos ein. Die Selbstorganisation in den serbischen Enklaven erfolgte analog.

Im Gegensatz zu den sukzessive eintreffenden UN-Administratoren waren diese weder durch Wahlen noch durch die UNMIK legitimierten Kommunalverwaltungen in der Gesellschaft gut verankert und deshalb in vielen Bereichen handlungsfähig, so daß ihnen teilweise eine durchaus stabilisierende Wirkung zugesprochen werden konnte. Allerdings war auch zu beobachten, daß diese Verwaltungen mitunter schutzgeldartige Abgaben erhoben und gerade auch in serbisch dominierten Gebieten zur nationalistischen Mobilisierung beitrugen. Die Provisorische Regierung begann zudem, eigene Dekrete zu erlassen, die weit in UNMIK-Kompetenzen eingriffen und über das UN-Mandat hinausgingen. [ Vgl. International Crisis Group: Waiting for UNMIK: Local Administration in Kosovo. ICG Balkans Report No 79, 18 October 1999; International Crisis Group: What Happened to the KLA. ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000.]

Im Dezember 1999 unterzeichneten Ibrahim Rugova (LDK), Rexhep Qosja (LBD) und Hashim Thaçi (UÇK) als führende politische Vertreter in den Parallelstrukturen ein Abkommen mit der UNMIK, mit dem alle Parallelstrukturen einschließlich der „Provisorischen Regierung„ abgeschafft und durch eine Gemeinsame Übergangsverwaltungsstruktur JIAS (Joint Interim Adminstration Structure) mit der UNMIK ersetzt wurden. Diese hat seitdem folgenden Aufbau (vgl. Abbildung 3): [ Vgl. UNMIK: Bringing Peace to Kosovo. UNMIK at nine months. , 14.03.2000.]

  1. Das Kosovo Transitional Council (KTC) – eine Art „Runder Tisch„ – wurde von ursprünglich 12 auf 36 Mitglieder erweitert, um auch kleinere Gruppierungen berücksichtigen zu können. Es hat weithin beratende Funktion.

  2. Der Übergangsverwaltungsrat IAC (Interim Administrative Council) bestehend aus vier Kosovaren, vier UNMIK-Vertretern und dem UN-Sondergesandten ist das zentrale politische Entscheidungsgremium. In letzter Instanz entscheidet jedoch allein der UN-Sondergesandte.

  3. Die Gemeinsame Übergangsverwaltung besteht aus 20 Abteilungen, die den drei fortbestehenden UNMIK-Säulen untergeordnet sind, größtenteils der UN-Säule II (Zivilverwaltung), in wirtschaftlich wichtigen Bereichen der EU-Säule IV (Wiederaufbau und Entwicklung). Die UNHCR-Säule I wird im Zuge des Auslaufens der Nothilfe Ende Juni 2000 aufgelöst. Jede Verwaltungsabteilung hat eine Doppelspitze aus einem internationalen und einem kosovarischen Co-Head, die das Initiativrecht für neue Regulationen inne haben.

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    Abbildung 3:
    Institutionen der Joint Interim Administrative Structure (JIAS

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  4. Die 30 Kommunalräte und -verwaltungen stehen zunächst unter der Leitung eines UNMIK-Verwalters, bis die für Herbst 2000 vorgesehenen Kommunalwahlen eine demokratische Legitimierung für die Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene schaffen.

  5. Zur Bearbeitung spezieller Probleme wurden weitere Gremien geschaffen, die nicht direkt zur Gemeinsamen Übergangsverwaltung gehören, darunter das Komitee zur Rückführung der serbischen Flüchtlinge (Joint Committee for Serb Returns) und das o.g. Direktorat für Wohn- und Eigentumsfragen. Auch die UN-Polizei untersteht nicht den gemeinsamen Verwaltungsstrukturen, sondern direkt der UNMIK.

Bisher kann aber keines der JIAS-Gremien demokratische Legitimität beanspruchen. Vielmehr wurden die kosovarischen Repräsentanten in KTC, IAC und Verwaltung durch den UN-Sondergesandten nach Proporzgesichtspunkten berufen, die das ungefähre politische Kräftverhältnis vor der Intervention widerspiegeln und die ethnischen Minderheiten angemessen berücksichtigen sollen. Ins IAC sind ein serbischer und drei Vertreter jener albanischen Gruppierungen berufen wurden, die zu den Verhandlungen von Rambouillet eingeladen worden waren (LDK, LBD, UÇK). Im KTC sind auch Vertreter aller anderen ethnischen Minderheiten, kleinerer Parteien und wichtiger zivilgesellschaftlicher Institutionen eingebunden.

Die im Serbischen Nationalrat SNV (Srpsko Nacionalno Vece) organisierten Kosovo-Serben haben ihre Mitarbeit in der JIAS über lange Zeit verweigert. Erst im April 2000 entschied die SNV-Fraktion in der Enklave Gracanica unter dem orthodoxen Bischof Artemije, zunächst als Beobachter in KTC und IAC teilzunehmen und die beiden vorgesehenen Co-Head-Posten in der Verwaltung zu besetzen. Nach den jüngsten Gewalttaten gegen Serben wurde diese Entscheidung jedoch wieder ausgesetzt. Gleichzeitig wurden deutliche Interessenunterschiede innerhalb der serbischen Gemeinschaft sichtbar, da sich die von Oliver Ivanovic geführte SNV-Fraktion im Gebiet Mitrovica weiterhin kooperationsunwillig zeigte und versuchte, mit Hilfe Belgrads Druck auf den SNV Grancanica auszuüben. Während sich die Mitrovica-Serben dadurch größere Chancen hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Reintegration nach Innerserbien erhoffen, sind die politischen Vertreter der anderen Enklaven deshalb versöhnlicher geworden, weil sie begriffen haben, daß sie inzwischen auch im Belgrader Spiel die Verlierer sein sollen. [ Vgl. UN Security Council: Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (S/2000/538), 6 June 2000. ]

Insgesamt zeigt sich in der JIAS ein Zielkonflikt zwischen Einbindung und Kontrolle der Kosovaren. Gegenwärtig schwindet in der Bevölkerung die Akzeptanz für die Härten des Wiederaufbaus und der Transformation. Die kosovarischen Meinungsführer können sich allzu leicht auf eine Oppositionsrolle zurückziehen und den UNMIK-Vertretern die Verantwortung für diese Härten und die zweifelsohne gemachten Fehler im Umgang mit ihnen zuweisen, ohne dafür irgendeine Form von gesellschaftlicher Sanktionierung seitens ihrer Klientel befürchten zu müssen. Umgekehrt ist wie auch in anderen Transformationsländern direkt nach dem Umbruch zu beobachten, daß es den durch Selbstverwaltungssozialismus und Parallelgesellschaft geprägten Ko-

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sovaren entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung mitunter an den notwendigen Verwaltungserfahrungen mangelt.

Dennoch werden die Kosovaren ohne eine weitgehende Übergabe der politischen und administrativen Verantwortung nicht das Maß an Identifikation (ownership) mit den Anstrengungen entwickeln, die gerade die Überwindung der wirtschaftlichen Probleme erfordert. Nur dann wird die internationale Gemeinschaft auch die Möglichkeit haben, wie in anderen Ländern ihre Hilfszusagen an Konditionen zu binden, für die es bisher keinen eindeutigen Adressaten gibt.

Transformation der UÇK

Der Zielkonflikt zwischen Einbindung und Kontrolle läßt sich auch bei der Transformation der Kosovarischen Befreiungsarmee in staatliche Gewaltorgane erkennen. Die Sicherheitsratsresolution 1244 verpflichtet die internationale Präsenz zur Entmilitarisierung der UÇK. Direkt nach dem Einmarsch der KFOR unterzeichnete Hashim Thaçi als politischer Führer der UÇK ein Abkommen, die Organisation bis zum 20. September 1999 aufzulösen. Damit verband er das politische Ziel, wichtige Teile der UÇK in drei zivile Institutionen zu überführen: (i) in eine Partei (s.o.), (ii) in den Zivilschutz und (iii) in die neue kosovarische Polizei.

Der militärische Kern der UÇK einschließlich seiner regionalen Kommandostrukturen wurde in das neu geschaffene Kosovo Protection Corps TMK (Trupat Mbrojtëse të Kosovës), das offiziell den Charakter eines weitgehend unbewaffneten Zivilschutzes trägt, aber im Ernstfall wohl schnell in eine kosovarische Nationalgarde umgewandelt werden könnte. Die kosovarischen Serben haben deshalb Abstand von der vorgesehenen Mitwirkung in dieser Organisation genommen und sich in den von ihnen kontrollierten Gebieten eigene paramilitärische Schutzverbände geschaffen. Inzwischen ist auch durch wiederholte Waffenfunde der KFOR der Verdacht bestätigt worden, daß sich die UÇK/TMK-Kommandanten einer vollständigen Entwaffnung entziehen und – trotz der öffentlichkeitswirksamen Abgabe und Vernichtung von Waffen – geheime Depots angelegt haben, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Viele Informationen weisen zudem darauf hin, daß der UÇK-Geheimdienst weiter aktiv ist. [ Vgl. International Crisis Group: What Happened to the KLA. ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000, S. 1–10.]

Beim Aufbau des Kosovo Police Korps (KPC) als einer genuin kosovarischen Polizei wurde Abstand davon genommen, geschlossene UÇK-Einheiten aufzunehmen. Ehemalige UÇK-Kämpfer mußten sich – durchaus mit Erfolg, teilweise aber offenbar auch unter Ausübung von Druck auf die Prüfer – individuell für den Polizeidienst bewerben. Zugleich ist zu beobachten, daß viele Einheiten der UÇK-Militärpolizei als private Wachschutzeinheiten fortbestehen. [ Vgl. International Crisis Group: What Happened to the KLA. ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000, S. 11–14.]

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Ob die kosovarische Polizei des KPC die Kraft aufbringen wird, sich konsequent gegen alle Formen der organisierten Gewalt durchzusetzen, ist noch nicht eindeutig abzusehen. Befürchtungen wurden hier nicht nur hinsichtlich alter UÇK-Loyalitäten, sondern auch hinsichtlich der Bezahlung laut, die weit unterhalb dessen liegt, was beispielsweise ein UNMIK-Chauffeur verdient. Dennoch gibt es wohl keine Alternative dazu, diesen Bereich möglichst schnell weitgehend in kosovarische Hände zu legen und ihn damit einer kosovarischen politischen Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig zu machen zumal die Grenzen einer internationalen Polizeiarbeit inzwischen klar erkennbar sind.

Innere Sicherheit

Gerade im Bereich der inneren Sicherheit wird KFOR und UNMIK eine weitgehende Kapitulation vor dem Faktischen unterstellt. Dies betrifft nicht nur die inzwischen kaum spontanen, sondern zunehmend organisierten Gewaltverbrechen aus ethnischen Motiven. Auch die wirtschaftlich motivierte Kriminalität nimmt zu, vor allem Schutzgelderpressungen, der Kampf um Geschäftssphären, Autodiebstahl und -schmuggel, Drogen- und Frauenhandel.

Im Konzert der Transformationsländer ist Kosovo damit weder eine Ausnahme noch bisher ein besonders schwerer Fall. Es würde sogar verwundern, wenn hier die einzige europäische Transformation ohne kriminelle Begleiterscheinungen stattfände. Die zentrale Frage ist allerdings, ob und wie schnell sich nach der typischen Phase der „ursprünglichen Akkumulation„ rechtsstaatliche Strukturen durchsetzen. Dies hängt wesentlich von der Effektivität des staatlichen Gewaltmonopols ab, dessen Durchsetzung jedoch durch externe Kräfte nur langsam erfolgen kann gerade weil ihnen die intime Kenntnis der informellen Strukturen der Gesellschaft zunächst fehlt.

Die internationale UNMIK-Polizei ist gegenwärtig nicht in der Lage, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Zunächst ist sie chronisch unterbesetzt, weil die Entsenderländer ihren personellen Verpflichtungen nicht nachkommen – im Mai 2000 betrug ihre Stärke 3000 statt der vorgesehenen 4700 Polizisten. [ Vgl. UNMIK News No. 39, 2 May 2000.] Zudem muß sie in der Regel mit Dolmetschern arbeiten und stößt in der Bevölkerung oft auf eine Mauer des Schweigens. Weiterhin scheinen viele Polizisten aus den UN-Mitgliedsstaaten die willkommene Gehaltsaufbesserung nicht durch den Einsatz ihres Lebens gefährden zu wollen. Die Effektivität dieser gemischten Polizeitruppe krankt allerdings auch an den unterschiedlichen Polizeikulturen ihrer Herkunftsländer. Insofern macht es Sinn, daß sich die UNMIK-Polizei auf bestimmte Kernkompetenzen beschränkt wie z.B. auf die Eskalationsvermeidung bei Demonstrationen durch die inzwischen eingetroffenen Spezialeinheiten oder verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.

Nach einer gewissen Anlaufphase nehmen zumindest die Aufklärungserfolge der KFOR zu, die bis zur vollständigen Funktionsfähigkeit der Zivilpolizei weitgehende Polizeiaufgaben wahrzunehmen

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hat, teilweise in Zusammenarbeit mit der UN-Polizei. Auf diese Polizeifunktionen der KFOR wird vermutlich in näherer Zukunft nicht verzichtet werden können, allein um ein Korrektiv gegenüber den neuen einheimischen Strukturen zu haben.

Inter-ethnische Beziehungen

Die Utopie einer multi-ethnischen Gesellschaft im Kosovo ist bis auf weiteres unmöglich geworden. Die ethnisch motivierten Gewalttaten und Morde sind zwar durch die weitgehende territoriale Trennung der Gruppen etwas zurückgegangen, reißen aber nicht ab. Insbesonders die Sprengstoffanschläge auf Serben können inzwischen nicht mehr als spontane Racheakte, sondern nur als Teil einer systematischen Vertreibungsstrategie eines Teils der Albaner angesehen werden: Mal trifft es serbische Beschäftigte der UNMIK, die in albanischsprachigen Zeitungen der Mitgliedschaft in paramilitärischen Säuberungskommandos bezichtigt wurden, mal 70-jährige Frauen, denen wohl kaum eine aktive Teilnahme an ethnischen Verbrechen vorgeworfen werden kann.

Die meisten internationalen Vertreter vor Ort vertreten nun die wesentlich vorsichtigere Zielvorstellung einer friedlichen Koexistenz der Ethnien. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht die Erwartung illusorisch war, allein durch die internationale Präsenz eine multi-ethnische „Normalität„ her- oder wiederherstellen zu können die zudem so nie existierte. Auch im Nachkriegseuropa nach 1945 war dies nicht möglich: Eine nachhaltige Aussöhnung erfolgte erst, nachdem die politisch schon lange umstrittenen gemischt-ethnischen Gebiete Osteuropas (Schlesien, Sudeten, Galizien u.a.) durch von den Siegern durchgeführte, völkerrechtlich durchaus anfechtbare Bevölkerungstausche „befriedet„ wurden.

Soll sich diese Nachkriegsgeschichte Europas nicht wiederholen, so ist zum einen die konsequente rechtliche Verfolgung ethnisch motivierter Verbrechen vonnöten. Mitunter fehlt es hier aber an der ethnischen Unvoreingenommenheit der seit 1999 bestellten kosovarischen Richter. So war mehrfach zu beobachten, daß sie Straftaten mit ethnischem Hintergrund nicht in dem Maße sanktionierten, wie es ein rechtsstaatliches Vorgehen erfordert hätte. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung zu sehen, einzelne Gerichtsverhandlungen mit internationalen Richtern abzuhalten und parallel zum kosovarischen Rechtssystem einen international besetzten War and Ethnic Crimes Court aufzubauen, der ethnisch motivierte Kriegs- und Nachkriegsverbrechen verfolgen soll.

Zum anderen ist es unabdingbar, daß ein gesellschaftlicher Dialog zwischen Serben und Albanern im Kosovo stattfindet, der die Fragen von Schuld und Vergebung für die Gewalttaten thematisiert. Gegenwärtig sind die Serben aber noch nicht einmal ansatzweise bereit, ihre Rolle in der jüngsten Vergangenheit zu thematisieren was die Gewalt gegen sie nicht rechtfertigen kann und soll. Auch bei den Albanern sind gesprächsbereite Kräfte noch in der Minderzahl. Selbst wenn sich hochrangige UÇK-Anhänger wie der langjährige Dissident Adem Demaçi offen gegen Ge-

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alttaten und für Toleranz aussprechen, lösen sie damit heftige Gegenreaktionen aus. [ Vgl. Fabian Schmidt: Kosova marks first anniversary of Nato’s arrival. In: RFE/RL Balkan Report , Vol. 4, No. 45, 16 June 2000.] Vor allem behindert das ungeklärte Schicksal einer beträchtlichen Anzahl von albanischen „Straftätern„, die von den abziehenden jugoslawischen Sicherheitskräften in innerserbische Gefängnisse verschleppt wurden, eine Entspannung. Letztlich verstärkt auch die offene Statusfrage und hier schließt sich der Kreis eine öffentliche Atmosphäre, in der sich beide Seiten voneinander abgrenzen und ihr gegenseitiges Mißtrauen beibehalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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