Frieden und Sicherheit 

 

 

 

Oliver Thränert

 

Amerikanische Raketenabwehrpläne:

Konsequenzen für die internationale Sicherheit

 

Mai 2000

 

Erneut findet in den USA eine Debatte über den Aufbau einer Raketenabwehr statt. Erinnerungen an Ronald Reagans „Krieg der Sterne“ werden wach. Tatsächlich sind einige Parallelen augenfällig. Wieder reagiert Moskau negativ auf die amerikanische Initiative; wieder bleiben die europäischen Bündnispartner reserviert. Doch es gibt ein wesentliches neues Element: Washington möchte sich nicht mehr in erster Linie gegenüber Moskau wappnen, sondern gegen mögliche begrenzte Angriffe aus sogenannten „Schurkenstaaten“, die raketengestützte Massenvernichtungswaffen erwerben. Ist diese angenommene Bedrohung realistisch? Ist Raketenabwehr die richtige Antwort darauf? Welche Konsequenzen könnten sich für Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie die internationalen Nichtverbreitungsregime daraus ergeben? Wird es möglich sein, den ABM-Vertrag in Kooperation mit Russland zu ändern? Wie sollen sich die europäischen NATO-Partner zu all dem verhalten?

 

Diese und andere Fragen wurden am 16. März 2000 im Rahmen der Expertenrunde „Internationale Sicherheitspolitik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin diskutiert. Referenten waren PD Dr. Joachim Krause, stellv. Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und Dr. Bernd W. Kubbig, Projektleiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Diese Publikation nimmt wichtige Ergebnisse dieser Veranstaltung auf.

 

 

 


Abkehr von der Rüstungskontrolle? Hintergründe der amerikanischen

Debatte

 

Während der neunziger Jahre hat sich in weiten Teilen sowohl der amerikanischen Bevölkerung als auch der politischen Elite ein Gefühl breit gemacht, wonach die klassischen Bedrohungslagen des Kalten Krieges durch eher diffuse Gefahren ersetzt worden seien. Die Debatte um den internationalen Terrorismus, der sich nun auch - Stichwort Sarin-Anschlag der Aum-Sekte in Tokio 1995 - Massenvernichtungswaffen zunutze zu machen begann, hat dazu einiges beigetragen. Anders als in Europa wird in den USA das Problem der Verbreitung von ABC-Waffen als eine zentrale Gefahr für die internationale Sicherheit wahrgenommen. Damit einher ging die von vielen geteilte Überzeugung, dass die klassischen Instrumente zur Abwendung internationaler Bedrohungen, wie Abschreckung und Rüstungskontrolle, nun nicht mehr von der einst überragenden Bedeutung sein würden.

 

Hinzu kommen eine Reihe von Misserfolgen der Rüstungskontrolle, die in den neunziger Jahren deutlich wurden. Ein Beispiel ist die Erkenntnis der neunziger Jahre, wonach die Sowjetunion, wahrscheinlich auch später Russland, jahrelang gegen das Verbot von biologischen Waffen verstoßen hat. Ein anderes Beispiel ist der Versuch Nordkoreas zu Beginn der neunziger Jahre, trotz Mitgliedschaft im nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) an den IAEO-Inspektionen vorbei Kernwaffen zu entwickeln. Zwar wurde Pjöngjang ertappt, wollte dann aber aus dem Vertragsregime aussteigen. Nur mit Mühe gelang es den USA, dies zu verhindern, allerdings nur, indem Nordkorea für sein Fehlverhalten auch noch belohnt wurde: ein internationales Konsortium (KEDO) wurde gegründet, um den sogenannten „Schurkenstaat“ mit Leichtwasserreaktoren zu versorgen, so dass nukleare Energie für zivile, nicht aber militärische Zwecke zur Verfügung stehen würde. Schließlich spielte der Irak in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Erstmals kämpften US-Streitkräfte gegen einen Gegner, der über chemische und biologische Waffen verfügte und - trotz Mitgliedschaft im NVV - kurz davor stand, auch Kernwaffen zu bauen. Nach dem Krieg gelang es trotz jahrelanger UNSCOM und IAEO-Inspektionen nicht, die vor dem Golf-Krieg heimlich durchgeführten Programme für ABC-Waffen gänzlich aufzuklären und die Arsenale entsprechend vollständig zu vernichten. Dies alles hat bei vielen in den USA dazu beigetragen, sich von der Rüstungskontrolle als Instrument der Nichtverbreitungspolitik abzuwenden und nach anderen Wegen zu suchen, dieser Gefahr zu begegnen.

 

Dabei geht es in erster Linie um militärische Vorkehrungen zum Schutz amerikanischer Truppen bei Auslandseinsätzen, aber auch zum Schutz des amerikanischen Territoriums gegen Angriffe mit weitreichenden Waffen. Das Raketenabwehr-Projekt nimmt in diesem politischen Kontext einen zentralen Platz ein.

 

So berechtigt die Kritik an der Rüstungskontrolle sein mag, so bedauerlich ist es, dass die politische Führungsmacht USA selbst nicht unerheblich zur Schwächung der Rüstungskontrolle beitrug. Diese Entwicklung wurde teilweise durch eine zunehmende Polarisierung im Kongress verursacht. Dort fanden sich immer weniger Senatoren, die Rüstungskontrolle aktiv unterstützten. Diejenigen, die wie der Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses, Jesse Helms, Rüstungskontrolle per se als Gefahr für die amerikanische Sicherheit ansehen, ließen dagegen ihre Stimme immer lauter vernehmen. Anstatt sich den Illusionen multilateraler Verträge hinzugeben, sollten - so die Sichtweise der Falken auf seiten der Republikanischen Partei - die USA die Chance ihrer derzeitigen Überlegenheit nutzen, um ein für alle Mal Amerikas Sicherheit durch militärische Stärke anstatt durch Rüstungskontrollverträge zu gewährleisten.

In der Konsequenz dauerte es mehrere Jahre, bis das Chemiewaffen-Übereinkommen kurz vor seinem Inkrafttreten im April 1997 von den USA ratifiziert wurde. Mehr noch: Das Ratifizierungsgesetz enthielt Bestimmungen, die dem Vertrag mehr oder weniger direkt widersprachen. Bei den Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll zum B-Waffen-Übereinkommen sieht sich Washington außerstande, die politische Führung zu übernehmen, um die Verhandlungen zu dem dringend erforderlichen Abschluss zu bringen.

 

Die Spitze des Eisbergs stellte dann im Oktober 1999 die deutliche Ablehnung der Ratifikation des nuklearen Teststoppabkommens durch den amerikanischen Senat dar. Obwohl Präsident Clinton ankündigte, dies sei noch nicht das letzte Wort der USA, kam diese Entscheidung des Senats einem Schlag ins Gesicht nicht nur der europäischen Verbündeten, die sich massiv dafür eingesetzt hatten, sondern auch der anderen Nicht-Kernwaffenstaaten gleich. Denn diese hatten anlässlich der unbefristeten Verlängerung des NVV 1995 besonders auf einen nuklearen Teststopp als Ausgleich für ihren fortdauernden nuklearen Verzicht gedrängt.

 

Die Tendenz, die multilaterale Rüstungskontrolle zugunsten militärischer Instrumente zum Schutz gegen neue Gefahren zu vernachlässigen, zeigte sich besonders auf dem Kapitolshügel. Aber auch der Clinton-Administration kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, sich nicht entschieden genug für die Rüstungskontrolle eingesetzt zu haben. Der Ruf nach militärischen Vorkehrungen gegen die sich - so die vorherrschende Sichtweise in Washington - immer deutlicher abzeichnende Gefahr der Verbreitung ballistischer Raketen und ABC-Waffen wurde in jedem Fall immer lauter. Dazu trugen veränderte Bedrohungsperzeptionen entscheidend bei.

 

 

 

Die Verbreitung von Raketen und ABC-Waffen

 

Im Vordergrund stehen dabei drei Szenarien: ein unbeabsichtigter oder unautorisierter Raketenstart in Russland; ein absichtlicher oder unautorisierter Raketenstart in China; und ein beabsichtigter Raketenangriff einer feindlichen Macht, die sich Raketen mit großer Reichweite verschafft hat. Diese Trägermittel müssen nicht unbedingt Kernsprengköpfe tragen, sondern es könnte sich auch um Sprengköpfe handeln, die mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen gefüllt sind.

 

Von diesen Szenarien wiederum ist es besonders das dritte, das die Gemüter zunehmend erregt. Dazu hat der 1998 veröffentlichte sogenannte „Rumsfeld-Report“ beigetragen. Eine vom ehemaligen Verteidigungsminister der Ford-Administration Donald Rumsfeld geleitete überparteiliche Kommission korrigierte in ihrem Bericht bis dahin geltende Annahmen der US-Geheimdienste hinsichtlich künftiger Raketenbedrohungen. So sei in den kommenden Jahren eine direkte Bedrohung der USA durch ballistische Raketen im Besitz sogenannter „Schurkenstaaten“ durchaus möglich.

 

Tatsächlich sind in einigen Ländern Entwicklungen sichtbar geworden, die konkret das Gefühl der Bedrohung in den USA geschärft haben. So kam der Start der nordkoreanischen Taepo Dong I Rakete im August 1998 einem Schock gleich, denn bis dahin war nicht angenommen worden, dass Pjöngjang die Mehrstufentechnologie bei Raketen beherrschen würde. Zwei zusätzliche Aspekte ließen in Washington aufhorchen: die Rakete überflog japanisches Territorium und stürzte dann ins Meer, wobei offenbar die dritte Stufe nicht funktionierte. Die direkte Bedrohung des amerikanischen Verbündeten Japan war also mehr als deutlich geworden, und die Möglichkeit einer funktionierenden dritten Raketenstufe ließ Amerika selbst bald im Fadenkreuz Nordkoreas erscheinen. Tatsächlich scheint Nordkorea an einer Taepo-Dong II Rakete zu bauen, die Reichweiten von bis zu 9.000 Kilometern erreichen könnte. Doch ist dies Spekulation. Geheimdienstkreisen zufolge wird Nordkorea nicht in der Lage sein, die Taepo-Dong II Rakete ohne fremde Hilfe fertigzustellen. Im September 1999 einigten sich die USA und Nordkorea nach bilateralen Verhandlungen auf einen Raketenteststopp Pjöngjangs. Im Gegenzug lockerte Washington einige der gegen das kommunistische Regime verhängten Wirtschaftssanktionen. Ob dies Nordkoreas Raketenambitionen entscheidend behindern wird, bezweifeln die meisten Experten.

 

Auch in anderen Ländern sind die Arbeiten an Raketen weiter vorangeschritten. So soll Iran eine Shahab IV Rakete mit mehr als 2.000 Kilometern Reichweite entwickelt haben. Irak, das seit Herbst 1998 keinen Kontrollen der UNSCOM mehr unterlag, scheint sich intensiv um Raketentechnologie zu kümmern. Pakistan testete im April 1999 erfolgreich die Ghauri II Rakete, ebenfalls mit mehr als 2.000 Kilometern Reichweite. Zum gleichen Zeitpunkt testete Indien die Agni II (2.500 Kilometer Reichweite) und besitzt offenbar die Fähigkeit zum Bau einer Interkontinentalrakete von bis zu 5.000 km Reichweite.

 

Besonders besorgniserregend ist aus amerikanischer Sicht die Tatsache, dass einige dieser Länder in der Vergangenheit bei der Raketenentwicklung kooperiert haben und einige, besonders Nordkorea, gewillt zu sein scheinen, ihre Raketen zu einem Exportschlager zu machen.

 

In der Summe mögen manche in Amerika geläufige Bedrohungsszenarien übertrieben anmuten. Jedoch auch bei kritischer Betrachtung kann nicht geleugnet werden, dass die Verbreitung von Raketen und Massenvernichtungswaffen in den kommenden Jahre eine ernsthafte Bedrohung für die internationale Sicherheit darstellen wird.

 

Die Rolle der Clinton-Administration und des Kongresses

 

Das „Krieg der Sterne Programm“ (SDI) war zu Beginn der achtziger Jahre vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und der Republikanischen Partei initiiert worden. Damals, als die Ost-West-Konfrontation sich enorm verschärfte, sollte die geplante Abwehr dazu dienen, Amerika gegen die Raketen im „Reich des Bösen“, also der damaligen Sowjetunion, zu schützen. Besonders scharfe Kalte Krieger bei den Republikanern zielten sogar darauf ab, durch die Strategische Verteidigungsinitiative den Konflikt mit der Sowjetunion im Zuge der Einführung überlegener amerikanischer Technologie zu gewinnen. Denn eine effektive umfassende Raketenabwehr würde Moskau seiner nuklearen Zweitschlagskapazität berauben.

 

Bekanntlich wurde daraus nichts. Zum einen, weil Ronald Reagan sich während seiner zweiten Amtszeit vom Kalten Krieger zum größten Abrüster in der amerikanischen Geschichte wandelte. Zum anderen, weil sich die ehrgeizigen Pläne, Amerika vollständig gegen gegnerische Raketen schützen zu wollen, als unrealisierbare Wunschträume derjenigen erwiesen, die sich mit ihrem technologischen Machbarkeitswahn in Wolkenkuckucksheime verstiegen hatten.

 

Doch in der Republikanischen Partei war der Wunsch nach einem Raketenabwehrsystem nie vollständig verstummt. Als die Republikaner 1994 die Mehrheit im Senat errangen, versuchten sie daher, an alte Vorhaben anzuknüpfen. Bereits 1995 verabschiedete der Kongress eine Gesetzgebung, die die Errichtung eines begrenzten Raketenabwehrsystems bis zum Jahr 2003 vorsah. Präsident Clinton legte dagegen sein Veto ein, da er keine Bedrohung zu erkennen vermochte, die eine Raketenabwehr gerechtfertigt hätte. Doch unter fortdauerndem Druck der Republikaner verkündete Clinton 1996 ein sogenanntes Programm „3+3“. Ihm zufolge sollten zunächst drei Jahre lang die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Raketenabwehr fortgesetzt werden. Falls nach Ablauf dieser Frist keine Bedrohung festzustellen wäre, die eine Stationierung rechtfertigen würde, sollten die Entwicklungsarbeiten fortgesetzt werden. Das „3+3“ Programm ging davon aus, dass es mindestens eine Vorwarnzeit von drei Jahren geben würde, falls eine feindliche Macht Interkontinentalraketen bauen würde. Doch die Ergebnisse der Rumsfeld-Kommission und die Raketenstarts Nordkoreas und Irans zerstörten dieses Konzept.

 

Im Januar 1999 gab die Clinton-Administration bekannt, sie würde bis zum Sommer 2000 eine Entscheidung über die Stationierung eines Raketenabwehrsystems treffen, die auf vier Kriterien beruhen würde:

-     der Bedrohung durch Raketen;

-     den Kosten des geplanten Abwehrsystems;

-     den Implikationen für die Rüstungskontrolle;

-     und den Fähigkeiten der zur Verfügung stehenden Technologie.

 

Doch damit gaben sich die Republikaner nicht zufrieden. Sie forderten dazu auf, eine Raketenabwehr zum Schutz gegen begrenzte Raketenangriffe zum technisch frühestmöglichen Zeitpunkt zu errichten. Im März 1999 verabschiedete der Senat tatsächlich mit der überwältigenden Mehrheit von 97:3 Stimmen eine Resolution, die ein entsprechendes Vorgehen der Administration forderte. Die Raketentests Nordkoreas und Indiens nur wenige Monate zuvor sowie der Bericht der Rumsfeld-Kommission hatten auch die allermeisten demokratischen Senatoren davon überzeugt, Maßnahmen zum Schutz der USA gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Allerdings wurde in einem Zusatz zu der Resolution hervorgehoben, dass der Senat weitere Abrüstungsrunden über strategische Kernwaffen mit Russland befürwortete. Dagegen wurde eine explizite Verknüpfung der Raketenabwehrpläne mit dem amerikanisch-sowjetischen ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr abgelehnt. Nur wenige Tage später nahm auch das Repräsentantenhaus mit 317:105 Stimmen eine Resolution an, die eine baldige Errichtung einer Raketenabwehr forderte.

 

Im Kongress scheint sich ein breiter Konsens dahingehend entwickelt zu haben, dass sich die USA im Prinzip eines Raketenabwehrsystems bedienen sollten. Doch geht es dabei nun nicht mehr um Schutz gegen absichtlich abgefeuerte Raketen aus Moskau, sondern um die Verteidigung gegen mögliche kleinere Angriffe sogenannter „Schurkenstaaten“. Wesentliche Unterschiede zwischen Demokraten und Republikanern gibt es hingegen nach wie vor hinsichtlich zweier Fragen: Welchen Umfang soll das Raketenabwehrsystem haben? Soll der amerikanisch-sowjetische ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr einseitig gebrochen werden, oder soll er im Einklang mit Moskau geändert werden?

 

Die derzeitigen amerikanischen Pläne zum Aufbau einer Raketenabwehr

 

Ein künftiges amerikanisches Raketenabwehrsystem würde derzeitigen Plänen zufolge folgende Elemente enthalten:

-     landgestützte Abfangraketen;

-     verbesserte landgestützte Radareinheiten;

-     verbesserte Frühwarnsysteme;

-     ein weltraumgestütztes Warn-und Verfolgungssystem;

-     ein Gefechtsfeldkoordinationssystem.

 

Nach derzeitigen Plänen würde die Raketenabwehr in drei Phasen errichtet werden. Phase 1 sieht die Stationierung von 100 Abfangraketen vor, die mehr als 10 Sprengköpfe abfangen könnten. Bereits existierende Radareinheiten müssten verbessert und eine neue errichtet werden. Da Nordkorea als eine wahrscheinliche Bedrohung angenommen wird, würden die Abfangraketen und das neue Radar in Alaska aufgestellt werden.

 

Weitere Verbesserungen sind für Phase zwei vorgesehen, um auch Angriffe abfangen zu können, die unter Verwendung von Gegenmaßnahmen durchgeführt werden. In der dritten Phase würden mehr Radareinheiten und bis zu 200 Abfangraketen, einige davon auf einem zweiten Stationierungsgelände, aufgebaut werden. Das gesamte System sollte so flexibel sein, dass es nochmalige Erweiterungen zulassen würde.

 

Die Schätzung der Kosten ist schwierig, da noch nicht abzusehen ist, wie schwierig einzelne Entwicklungsvorhaben noch sein werden. Derzeit geht das Pentagon von umgerechnet 60 Milliarden DM aus. Der Betrag beinhaltet die Ausgaben für Entwicklung und Betrieb der Verteidigungseinrichtung von 1991 bis 2026. Da die USA anders als Europa sich derzeit jährlicher Haushaltsüberschüsse erfreuen, werden die anstehenden Kosten im einzelnen in der amerikanischen Debatte zwar immer wieder strittig sein, sie werden aber nicht als Argument gegen die Raketenabwehr als solche dienen können.

 

Umstritten sind hingegen die technischen Möglichkeiten einer künftigen Raketenabwehr. Obwohl die bisherigen Tests alle unter für die Abwehr äußerst günstigen Bedingungen durchgeführt wurden, schlug die Mehrzahl von ihnen fehl. Kritiker verweisen darauf, dass Abwehrsysteme durch eine Vielzahl gleichzeitig anfliegender Sprengköpfe ebenso überwunden werden können wie durch relativ kostengünstige Abwehrmaßnahmen wie etwa Täuschflugkörper. Auch sei kein Abwehrsystem „wasserdicht“, sondern hätte höchstens eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 95%. Hinzu komme, dass das System nicht in vollem Umfang getestet werden könne. Die meisten Experten sind sich jedoch darin einig, dass es in fünf oder zehn Jahren technisch ohne weiteres möglich sein dürfte, eine begrenzte Anzahl anfliegender Sprengköpfe mittels eines Abwehrsystems auszuschalten.

 

Raketenabwehr: Pro und Kontra

 

Die fortgesetzte Bedrohung durch die Verbreitung von ABC-Waffen und weitreichenden Raketen sowie die teilweise enttäuschenden Versuche, dieser Gefahr mittels Rüstungskontrolle Herr zu werden, haben die Unterstützer der Raketenabwehr in den USA entscheidend begünstigt. Hinzu kommt, dass erstmals Technologien zumindest für einen begrenzten Schutz in nicht allzu weiter Zukunft zur Verfügung stehen könnten. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges geht es ja jetzt nicht mehr um die Verteidigung eines groß angelegten Raketenangriffs aus Moskau, sondern um denkbare kleinere Angriffe. Warum, so wird von vielen gefragt, sollte sich Amerika gegen solche Bedrohungen nicht schützen, wenn man schon bald technisch dazu in der Lage sein dürfte?

 

Immerhin, so die Befürworter der Raketenabwehr, könnte das System dazu dienen, im Falle eines Angriffes auf die USA oder eines versehentlichen oder nicht autorisierten Raketenstarts die zu erwartenden Schäden wenigstens zu begrenzen. Sicherlich seien Raketenangriffe seitens Staaten wie Nordkorea auf die USA nicht sehr wahrscheinlich. Doch sie könnten auch nicht völlig ausgeschlossen werden.

 

Kritiker wenden ein, Amerika könne auch mit anderen Mitteln angegriffen werden, gegenüber denen Raketenabwehrsysteme machtlos wären. Dazu gehören von Schiffen gestartete Marschflugkörper oder Terroranschläge jeglicher Art. Dies sei zwar nicht auszuschließen - so antworten Abwehrbefürworter - aber die Rakete sei immer noch das schnellste und effektivste System, um Waffen über weite Strecken zu transportieren. Eben darum seien so viele Staaten an ihnen interessiert, und deshalb sei ein Schutz gegen Raketen durchaus sinnvoll.

Würden die USA auf jegliche Raketenabwehr verzichten, so könnte dies - so ein weiteres pro-Argument - durch Staaten, die sich Raketen und ABC-Waffen verschaffen, politisch ausgenutzt werden. Sie könnten aufgrund der amerikanischen Verwundbarkeit politische und wirtschaftliche Konzessionen erzwingen. Dies wiederum könnte die bestehenden Nichtverbreitungsregime schwächen, denn es würde offensichtlich, dass sich Proliferation lohnt. Befürworter der Raketenabwehr meinen darüber hinaus, ohne sie könnten Staaten wie Nordkorea die USA künftig daran hindern, militärische Operationen durchzuführen, die Washington sonst als notwendig erachten würde. Es geht also darum, eine nukleare (oder chemische/biologische) Abschreckung Amerikas von konventionellen Einsätzen zu verhindern. Zwar seien die USA allen anderen Ländern bei den konventionellen Waffen weit überlegen. Doch im Falle einer direkten Bedrohung des amerikanischen Territoriums als Folge eines militärischen Engagements wie im Golf-Krieg 1991 könnten der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit davor zurückschrecken, amerikanische Streitkräfte einzusetzen.

 

Kritiker sind skeptisch, ob sich ein amerikanischer Präsident in einem solchen Fall auf das Abwehrsystem verlassen könnte. Denn in aller Regel würden die tatsächlichen Möglichkeiten der Raketenabwehr von ihren Befürwortern weit überschätzt. Auch sei nicht einzusehen, warum Nordkorea oder auch China nicht ihrerseits von den Kernwaffen der USA abgeschreckt werden sollten, ein Abwehrsystem so gesehen also überflüssig wäre. Dagegen wiederum wenden Abwehrbefürworter ein, Staaten wie Nordkorea würden nicht auf dem gleichen Rationalitätsniveau agieren wie etwa die ehemalige Sowjetunion. Daher sei es zu unsicher, sich nur auf Abschreckung zu verlassen.

 

Eine weitere Funktion des Abwehrsystems soll darin liegen, den Anreiz für Proliferatoren, sich weitreichende Raketen zu verschaffen, zu unterlaufen. Denn besäße Amerika eine funktionierende Raketenabwehr, so würde es sich kaum lohnen, sich Raketen - jedenfalls im Hinblick auf die USA - zu beschaffen. Hier werfen Kritiker ein, dass verbesserte Flugabwehrsysteme bislang Staaten auch nicht davon abgebracht hätten, sich immer bessere Kampfflugzeuge zu verschaffen. Anders ausgedrückt: Von einer amerikanischen Raketenabwehr sei eher ein Impuls für eine intensivierte Raketenverbreitung zu erwarten.

 

Zudem - so Befürworter der Raketenabwehr - sollten die USA nicht Schutz nur für das eigene Territorium anstreben, sondern durch die dortige Stationierung von Abwehrsystemen auch für Verbündete wie insbesondere Japan und Taiwan. Dies sei deswegen von so eminenter Bedeutung, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass diese bisher nicht-nuklearen Alliierten sich selbst zu ihrem Schutz Kernwaffen verschafften. Dies würde jedoch das nukleare Nichtverbreitungsregime schwächen oder es sogar zerstören. Raketenabwehr würde also zu einer Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes beitragen. Dagegen wenden Kritiker ein, dass Alliierte wie Japan schon aus innenpolitischen Gründen nicht die nukleare Aufrüstung wählen könnten.

 

Von Befürwortern wird auch darauf verwiesen, dass schon die Illusion eines Schutzes gegen feindliche Raketen eine nukleare Eskalation im Krieg verhindern könne. Das Beispiel des Golf-Krieges 1991 habe gezeigt, dass die israelische Regierung u.a. deswegen in der Lage war, auf eine nukleare Eskalation als Antwort auf den Beschuss durch irakische Scud-Raketen zu verzichten, weil Amerika seine Patriot-Abwehrraketen zur Verfügung stellte. Diese haben zwar - wie sich später herausstellte - praktisch keine einzige Scud-Rakete wirklich getroffen. Wären sie jedoch nicht bereit gestellt worden, wäre der Druck auf die israelische Regierung, militärisch selbst in den Konflikt einzusteigen, noch wesentlich größer gewesen. Hätte Israel dann sogar Kernwaffen gegen Irak eingesetzt, wäre das seit 1945 bestehende Tabu des Einsatzes von Nuklearwaffen gebrochen gewesen, mit nicht absehbaren Folgen für die internationalen Beziehungen im Allgemeinen und das nukleare Nichtverbreitungsregime im Besonderen.

 

Schließlich meinen einige Experten, gerade eine Raketenabwehr könnte weitreichende Reduzierungen bei den strategischen Kernwaffen erleichtern. Denn eine Abwehr würde eine Art Versicherungspolice gegen mögliche Vertragsbrüche gerade bei niedrigen Obergrenzen darstellen. Dadurch wäre der NVV gestärkt, in dessen Rahmen die Nicht-Kernwaffenstaaten auf nukleare Abrüstung drängen. Es ist diese Verknüpfung zwischen Raketenabwehr und nuklearer Abrüstung, die im amerikanisch-russischen Verhältnis von besonderer Bedeutung ist.

 

Kompromiss mit Moskau? START III, tiefe Einschnitte bei den strategischen Kernwaffen und die Änderung des ABM-Vertrages

 

In Moskau werden die amerikanischen Raketenabwehrpläne im Kontext der insgesamt verschlechterten Beziehungen zu Amerika gesehen. Die Osterweiterung der NATO, die britisch-amerikanische Operation „Wüstenfuchs“ im Irak, der Kosovo-Krieg - all das hat bei weiten Teilen der politischen Elite Russlands dazu beigetragen, sich zunehmend vom Westen abzuwenden.

 

Konkret auf die Raketenabwehr bezogen fürchten russische Militärplaner, die ohnehin für Moskau bereits nachteilige Situation könnte sich weiter verschlechtern. Denn während die USA ihre Nuklearwaffen aufrechterhalten und sogar weiter verbessern können, droht Russland vor dem Hintergrund einer weiterhin schwierigen wirtschaftlichen Lage die schleichende einseitige nukleare Abrüstung. Sollten nun die USA auch noch die Fähigkeit zum Abfangen gegnerischer Raketen erlangen, so könnte sich langfristig - so wird in Moskau befürchtet - für die USA die schon zu Reagans Zeiten ersehnte Ausschaltung der russischen Zweitschlagkapazität ergeben.

 

Zwar dürften die Vereinigten Staaten eine solche Fähigkeit schon deswegen nicht erreichen, weil ein umfassender Schutz amerikanischen Territoriums gegen eine Vielzahl strategischer Waffen nicht möglich sein dürfte. Dennoch diskutieren russische Generäle bereits die Möglichkeit, den im START II Abkommen festgelegten Verzicht auf landgestützte Raketen mit Mehrfachsprengköpfen wieder rückgängig zu machen oder die neue russische Topol-Interkontinentalrakete anders als bisher geplant mit mehr als nur einem nuklearen Sprengkopf auszustatten.

 

Auf jeden Fall zeigt sich Moskau zunächst zur Verteidigung des ABM-Vertrags in seiner jetzigen Form entschlossen. Dieser Vertrag war Teil des SALT-I-Abkommens von 1972, des ersten Vertrages zur Begrenzung strategischer Kernwaffen. Weil damals erstmals die strategische Parität zwischen Washington und Moskau vertraglich festgehalten wurde, kommt dem ABM-Vertrag aus Moskauer Sicht eine hohe politisch-symbolische Bedeutung zu. Ziel dieses Abkommens war und ist, einen Wettlauf zwischen Offensiv- und Defensivwaffen zu vermeiden und somit eine strategische Destabilisierung zu verhindern. Beiden Seiten wurde untersagt, eine umfassende Raketenabwehr zu errichten oder entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Die USA und die Sowjetunion blieben dadurch verwundbar, was die wichtigste Grundlage für eine stabile nukleare Abschreckung bildete.

 

Die amerikanischen Raketenabwehrpläne sind mit dem ABM-Vertrag in seiner derzeitigen Form unvereinbar. Denn Ziel Washingtons ist es, das gesamte Territorium - wenn auch nur gegen begrenzte Angriffe - zu schützen. Gerade dies widerspricht aber dem ABM-Vertrag. Doch haben sich die strategischen Umstände geändert. Der Ost-West-Konflikt gehört der Vergangenheit an, während inzwischen durch die Verbreitung von Raketen und ABC-Waffen neue Bedrohungen entstanden sind. Die entscheidende Frage ist nun, ob es für Russland akzeptabel sein würde, einer Änderung des ABM-Vertrages zuzustimmen, so dass das Abkommen mit der geplanten amerikanischen Raketenabwehr vereinbar wird.

 

Politisch setzt dies eine allgemeine Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen voraus. Mit der START-II Ratifikation durch die russische Duma ist ein wichtiges Signal bereits gesetzt worden. Darüber hinaus käme es entscheidend darauf an, dass die USA mit aller Klarheit ihren Willen verdeutlichten, mit ihrer geplanten Raketenabwehr keine strategische Überlegenheit anzustreben.

 

Amerika müsste also erstens einer ABM-Vertragsänderung zustimmen, die die Anzahl der Abwehrsysteme weiterhin begrenzt hält. Dies sollte möglich sein, da es Washington nicht um die Verteidigung gegenüber Russland geht, sondern gegenüber Staaten, die über eine wesentlich geringere Anzahl von Raketen verfügen. Zweitens müsste ein Abkommen zur Änderung des ABM-Vertrages an einen Vertrag zur paritätischen Begrenzung strategischer Kernwaffen auf möglichst niedrigem Niveau gekoppelt werden. Da Moskau Gefahr läuft, aufgrund seiner mangelnden Ressourcen seine strategischen Streitkräfte nicht mehr auf hohem zahlenmäßigen Niveau aufrechterhalten zu können, käme ein solcher Handel seinen Interessen klar entgegen.

 

Ein Gipfeltreffen mit dem amerikanischen Präsidenten, auf dem ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet würde, das erneut die Parität bei den politisch-symbolisch so wichtigen strategischen Kernwaffen zwischen den USA und Russland festlegte, wäre auch im Interesse des russischen Präsidenten Putin. Denn dies würde seine Stellung innenpolitisch stärken, hätte er doch unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, mit Amerika auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Gerade dies ist Ziel der russischen Außenpolitik-Doktrin der multipolaren Welt, die es sich zum Ziel setzt, amerikanische Bestrebungen, als alleinige Weltmacht aufzutreten, zu konterkarieren.

 

Bedenkenträgern aus Kreisen der russischen Militärs könnte Putin dann überzeugend entgegentreten, wenn die Änderung des ABM-Vertrages weiterhin nur eine - auch entsprechend überprüfbare - begrenzte Anzahl von Abfangraketen zuließe. Denn dann bliebe das Risiko für die USA weiterhin unkalkulierbar hoch, im Falle einer ohnehin sehr unwahrscheinlichen Auseinandersetzung mit einem immer noch ausreichend effektiven nuklearen Zweitschlag Russlands rechnen zu müssen.

 

Schließlich dürfte Russland selbst am Thema Raketenabwehr nicht uninteressiert sein. Zum Schutz von Moskau existiert nach wie vor ein - inzwischen allerdings weitgehend veraltetes - Abwehrsystem. Russland ist also kein absoluter Neuling auf dem Gebiet. Technisch ist man im Vergleich zu den Vereinigten Staaten aufgrund der mangelnden Ressourcen mittlerweile ins Hintertreffen geraten. Doch angesichts der sich entwickelnden Raketenbedrohung durch Länder, die Russland künftig viel eher erreichen können als die USA, müsste es in Moskau eigentlich ein Interesse geben, mit Washington auf diesem Gebiet zu kooperieren. Auch dies könnte Teil eines amerikanisch-russischen Kompromisses sein. Ob die USA bereit sein würden, Technologie tatsächlich zu teilen, steht auf einem anderen Blatt.

 

Die Alternative zu einem solchen kooperativen Vorgehen wäre aus russischer Sicht durchweg negativ. Falls es nicht zu einem Handel mit den Amerikanern käme, würden diese wahrscheinlich einseitig aus dem ABM-Vertrag aussteigen, so dass die Aufstellung von Abwehrsystemen keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen würde. Bei den strategischen Kernwaffen wäre Washington frei, seine Streitkräfte weiter auf hohem Niveau zu halten, während Russland dazu wegen seiner Ressourcenprobleme nicht mehr in der Lage wäre. In einem Wort: Es würde in aller Öffentlichkeit dokumentiert, dass Russland keine mit den USA als gleichwertig anzusehende Macht mehr ist. Genau dies zu vermeiden, muss im Interesse der politischen Elite Russlands sein.

 

Ungeachtet vereinzelter Drohungen von Mitgliedern der Administration wie Verteidigungsminister Cohen, den ABM-Vertrag einseitig verlassen zu wollen, ist auch die Regierung unter Präsident Clinton derzeit bestrebt, zu einem Ausgleich mit Russland zu kommen. Dies schon deshalb, um die Beziehungen nicht gänzlich zu vergiften. Hauptargument, warum es dies zu verhindern gilt, bleibt aus amerikanischer Perspektive, dass die in Russland nach wie vor vorhandenen Probleme der nuklearen Kontrolle sowie der Kontrolle von chemischen und biologischen Einrichtungen kooperativ angegangen werden sollten. Dies war und ist im Zeichen der Nunn-Lugar Gesetzgebung ein zentraler Aspekt amerikanischer Nichtverbreitungspolitik.

 

Ob allerdings eine mögliche künftige Bush-Administration in gleicher Weise agieren würde, ist schwer vorauszusagen. In der Republikanischen Partei dürfte der Druck auf den Präsidenten, eine Raketenabwehr ungeachtet russischer Einwände möglichst schnell zu verwirklichen, ungleich größer sein. Ein einseitiger amerikanischer Ausstieg aus dem ABM-Vertrag wäre unter einem Präsidenten Bush sogar womöglich wahrscheinlicher, denn die Mehrzahl der Republikaner sieht dieses Abkommen als obsolet an. Einige argumentieren sogar, es habe nach dem Ende der Sowjetunion ohnehin seine völkerrechtliche Gültigkeit verloren.

 

Im Juni 1999, während des G-8 Gipfels von Köln, wurden amerikanisch-russische START-III Gespräche vereinbart. Dabei geht es zum einen um die weitere Reduktion strategischer Kernwaffen unter das Niveau des inzwischen auch von der russischen Duma ratifizierten START-II-Abkommens, das für jede Seite 3.000 bis 3.500 Sprengköpfe vorsieht. Zum anderen soll eine Änderung des ABM-Vertrages angestrebt werden.

 

Zu Beginn dieser Gesprächsrunden machte die russische Seite deutlich, dass sie durch die amerikanischen Raketenabwehrpläne die strategische Stabilität gefährdet sehe. Gleichwohl kam die russische Bereitschaft, überhaupt über den ABM-Vertrag reden zu wollen, einem ersten Zugeständnis gleich. Allerdings forderte Moskau von Beginn der Gespräche an weitergehende strategische Reduzierungen als diejenigen, die von den USA vorgesehen sind. Während Washington ein künftiges Niveau von 2.000 bis 2.500 Sprengköpfen je Seite vorsieht, zielen Moskaus Vorstellungen auf ca. 1.500 Sprengköpfe ab.

 

Ob bei diesen Verhandlungen trotz des in letzter Zeit verbesserten Klimas in naher Zukunft Durchbrüche zu erwarten sind, ist eine offene Frage. Immerhin machte Russlands Präsident Putin bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich, dass er keine prinzipiell negative Haltung gegenüber einer Änderung des ABM-Vertrages einnehme. Andererseits knüpfte er die von ihm unterstützte START-II Ratifikation an die Einhaltung des ABM-Vertrages durch die USA. Sollte Washington dieses Abkommen hingegen einseitig verlassen, so würde Moskau sich aus allen bestehenden Verträgen zur Begrenzung nuklearer und konventioneller Waffen zurückziehen.

 

Ein Kompromiss hinsichtlich der ABM-Vertragsmodifikation erscheint prinzipiell möglich, doch könnten Schwierigkeiten aufgrund der anstehenden amerikanischen Präsidentschafts- und Kongresswahlen entstehen. Denn dies stellt Moskau vor ein Dilemma: jetzt noch mit Präsident Clinton ein Abkommen zu fixieren könnte wenig Sinn machen, denn er dürfte - zumal nach den Erfahrungen mit der Ablehnung des nuklearen Teststoppabkommens - kaum dazu in der Lage sein, ein verändertes ABM-Abkommen vom Senat mit der dazu erforderlichen 2/3 Mehrheit ratifizieren zu lassen. Andererseits könnte ein künftiger Präsident Bush gar nicht mehr an Gesprächen über den ABM-Vertrag interessiert sein. Schließlich hatte er während seiner Wahlkampagne mehrfach angekündigt, den ABM-Vertrag einseitig kündigen zu wollen.

 

Derzeit scheint alles darauf hin zu deuten, dass Putin einen Mittelweg versucht. Moskau zeigt sich daran interessiert, noch im Sommer 2000 einen amerikanisch-russischen Gipfel abzuhalten, auf dem ein Rahmen für START-III sowie die gegenseitige Versicherung, über Änderungen des ABM-Vertrages verhandeln zu wollen, angestrebt wird.

 

Konfrontation mit Peking?

 

China entwickelt nicht nur seine konventionellen Fähigkeiten weiter, sondern baut auch seine Nuklearstreitkräfte aus. Derzeit verfügt China über etwa 17 bodengestützte Interkontinentalraketen, von denen einige in einer modernen Mehrfachsprengkopf-version bereits getestet wurden. Darüber hinaus existieren mehr als 40 nukleare Mittelstreckenraketen. Ein chinesisches U-Boot ist mit 12 Interkontinentalraketen ausgestattet, dazu gibt es 4 Boote mit Raketen kürzerer Reichweite. Schließlich könnten einige der weitreichenden Bomber in einer nuklearen Rolle eingesetzt werden.

 

China befürchtet, dass seine relativ kleine nukleare Streitmacht durch ein amerikanisches Abwehrsystem an Bedeutung verlieren würde. Dies gilt besonders in politisch-symbolischer Hinsicht, denn eine konkrete strategische Funktion gegenüber den USA oder Russland dürfte Chinas Nuklearwaffen wegen der großen zahlenmäßigen Unterlegenheit (noch) nicht zu kommen.

 

Offiziell wird von chinesischen Politikern argumentiert, Japan und Taiwan könnten im Falle ihres Schutzes durch Raketenabwehrsysteme nationalistischer werden. Allerdings sieht Peking seine militärischen Kräfte selbst als mögliches Druckmittel gegenüber Taiwan, aber auch gegenüber Japan. Dabei spielen auch die Kernwaffen im Hintergrund eine Rolle, wiewohl die Option eines konkreten Einsatzes besonders im Hinblick auf Taiwan deswegen nicht in Betracht kommt, weil Peking den Konflikt mit Taiwan als strikt innenpolitische Angelegenheit ansieht.

 

Falls es das Ziel Pekings ist, den Konflikt mit Taiwan in seinem Sinne zu lösen, dürfte es dazu militärisch bis auf weiteres nicht in der Lage sein. China verfügt nicht über die Kapazität, eine Landungsaktion auf der Insel erfolgreich durchzuführen. Eine denkbare Option, die einige Beobachter für möglich halten, besteht darin, dass Peking in einer militärischen Auseinandersetzung versuchen würde, mittels des Einsatzes von Raketen Taiwans Wirtschaft zu zerstören.

 

An dieser Stelle kommt nun die Raketenabwehr ins Spiel. China ist diese schon deswegen ein Dorn im Auge, weil eine bereits angestrebte oder schon begonnene Kooperation der USA mit Taiwan und Japan auf diesem Gebiet China möglicher militärischer Optionen berauben, auf jeden Fall aber die politische Bedeutung seiner zunehmenden militärischen Drohkulisse relativieren würde.

 

China verweist daher auf die stabilitätspolitische Bedeutung des ABM-Vertrages und die - nicht von der Hand zu weisende - Problematik, dass ein Bruch dieses Abkommens das Ende der nuklearen amerikanisch-russischen nuklearen Abrüstung bedeuten könnte. Dies wiederum würde das nukleare Nichtverbreitungsregime - so wird von chinesischen Politikern argumentiert - in seiner Substanz gefährden.

 

Politisch nutzt China insbesondere die Genfer Abrüstungskonferenz, um seinen Widerstand gegen die Entwicklung von Raketenabwehrsystemen zu unterstreichen. Dort konnten u.a. deswegen keine Verhandlungen über das Verbot der Produktion von Spaltmaterial zu Waffenzwecken aufgenommen werden, weil China forderte, gleichzeitig sollten auch Verhandlungen über die Verhinderung eines Rüstungswettlaufs im Weltraum begonnen werden. Dabei hat China explizit die geplanten amerikanischen Raketenabwehrsysteme im Auge, deren Elemente zum Teil im Weltraum stationiert werden würden. Da die USA Chinas Anliegen strikt ablehnen, ist die Abrüstungskonferenz vorerst blockiert.

 

Von westlichen Gegnern der Raketenabwehr wird befürchtet, Chinas Aufrüstung könnte sich durch sie verschärfen. Tatsächlich könnte es sein, dass Peking den Aufbau seiner Nuklearstreitkräfte im Falle einer Stationierung von Raketenabwehrsystemen beschleunigen würde. Allerdings ist darauf zu verweisen, dass China eine aufstrebende Nuklearmacht ist und daher ohnehin mit einer weiteren Aufrüstung in diesem Bereich zu rechnen ist.

 

Konflikt in der NATO?

 

Amerikas Raketenabwehrpläne werden von nicht wenigen diesseits und jenseits des Atlantik als Teil einer allgemein zunehmenden sicherheitspolitischen Entfremdung begriffen. Da ist einerseits die europäische Sorge um den um sich greifenden Unilateralismus der Amerikaner. Da ist andererseits das amerikanische Unverständnis über die mangelhafte Bereitschaft Europas, Gefahren, wie die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ernst genug zu nehmen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Umgekehrt halten viele Europäer die Bedrohungsperzeptionen der Amerikaner für übertrieben und sehen deshalb Projekte zur Raketenabwehr als überflüssig an. Auch die Debatte über eine stärkere Rolle Europas in der Sicherheitspolitik gehören in diesen Kontext. Während es Europa darum geht, eigene Krisenbewältigungsinstrumente zu entwickeln, wittert Washington ein Abdriften der Verbündeten aus der NATO.

 

Die Raketenabwehrdebatte fügt sich insofern nahtlos in diesen Rahmen ein, weil sie in den USA begonnen wurde, ohne schon zu einem frühen Zeitpunkt die Bündnispartner zu diesem Thema zu konsultieren. Vielmehr bekam man diesseits des Atlantik den Eindruck, die Amerikaner würden über diese Frage nur mit sich selbst reden, jedoch keine Notwendigkeit sehen, Europa einzubeziehen. Irritationen innerhalb der NATO waren die Folge. Diese sind inzwischen weitgehend behoben, nachdem die USA im Rahmen des Bündnisses intensiv über ihre Vorhaben informiert haben.

 

In Europa (und Kanada) wird eine einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrages abgelehnt. Dies könnte - so wird befürchtet - die nukleare Rüstungskontrolle und die noch halbwegs kooperativen Beziehungen zu Russland beenden. Dies wiederum könnte die Europäer wegen der größeren geografischen Nähe zu Russland mehr treffen als die Amerikaner. Außerdem wäre der Bestand des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages in Gefahr, in dessen Rahmen die Nicht-Kernwaffenstaaten auf die Einhaltung des Versprechens zur nuklearen Abrüstung pochen. Insgesamt widerspräche eine solche Vorgehensweise der eher auf Kooperation angelegten Politik der Bündnispartner.

 

Besorgt zeigen sich die beiden westeuropäischen Kernwaffenstaaten Großbritannien und insbesondere Frankreich. Die nuklearen Arsenale beider Länder sind im Vergleich zu denjenigen der USA oder Russlands relativ klein. London und Paris fürchten nun, dass im Zuge der Errichtung von Raketenabwehrsystemen die Glaubwürdigkeit der Abschreckung ihrer Kernwaffen schwindet. Und zwar gilt dies auch und gerade dann, falls nicht nur die USA, sondern auch andere Staaten, darunter Russland, entsprechende Systeme einführen würden. Allerdings hat der britische Verteidigungsminister inzwischen erklärt, seine Regierung werde mit den USA im Hinblick auf die Raketenabwehr zusammenarbeiten. Dies reflektiert die traditionelle britische Haltung, von allen europäischen Regierungen das Problem der Proliferation noch am ehesten ernst zu nehmen.

 

Anders ist die Situation in Paris. Frankreich ist oft auf seinen besonderen Status bedacht, der zu einem großen Teil auf der Existenz der „Force de Frappe“ beruht. Es fürchtet, die Investitionen der vergangenen Jahre in diese Waffen könnten sich als nutzlos erweisen. Schließlich ist man in Frankreich besorgt, die USA könnten Europa dazu veranlassen, die ohnehin knappen Ressourcen in Raketenabwehrsysteme zu investieren, so dass nicht mehr genügend Mittel für die von Paris als besonders wichtig erachtete verteidigungspolitische Stärkung Europas übrig blieben.

 

Ein weiterer Punkt betrifft die Frage, ob durch die Raketenabwehr im Bündnis Zonen unterschiedlicher Sicherheit geschaffen werden. Ist das bisher geltende Prinzip der gleichen Risiken - so wird in Europa gefragt - nicht in dem Moment aufgehoben, indem sich die Amerikaner hinter einem Schutzschild verbergen, während sich die Europäer feindlichen Raketen schutzlos ausgesetzt sehen?

 

Dagegen wird von amerikanischer Seite argumentiert, gerade wenn die USA sich zum Beispiel gegen nordkoreanische Raketen schützen könnten, wären sie auch bereit und in der Lage, Europa in Krisenzeiten aktiv beizustehen. Denn bliebe Amerika ungeschützt, könnte gerade dies in einer Krise zur Abkopplung von Europa führen.

 

Müssten nicht aber - so eine damit verknüpfte Frage - die Europäer auch selbst an einer Raketenabwehr für sich interessiert sein, denn schließlich könnten einige der als potentiell gefährlich eingestuften Staaten (Iran; Irak, aber auch Nordkorea, falls es Raketen mit bis zu 8.000 Kilometern Reichweite entwickelt) mit Raketen eher Europa als die USA erreichen? Darüber hat es in Europa bislang noch kaum eine Diskussion gegeben. Allerdings scheinen sich europäische Politiker und Militärs bewusst zu sein, dass eine taktische Raketenabwehr für Truppen in Auslandseinsätzen vonnöten ist. Hier gibt es einige Entwicklungsprojekte wie das „Medium Extended Air Defense System“, das Deutschland, Italien und die USA auf trilateraler Basis durchführen. Allerdings sind die europäischen Erfahrungen in diesem Zusammenhang eher negativ, da ein Technologietransfer nicht im eigentlich erwarteten Umfang erfolgte.

 

Dennoch deutet dieses Beispiel an, dass die Europäer, wenn sie ihre Fähigkeiten zur erfolgreichen Bekämpfung gegnerischer Flugkörper verbessern wollen, auf die weiter fortgeschrittene amerikanische Technologie angewiesen bleiben. Daraus leitet sich jedoch eine weitere, möglicherweise politisch folgenschwere Frage ab: Kann Europa einerseits auf die Unterstützung Amerikas bei der Entwicklung der taktischen Raketenabwehr setzen, wenn es andererseits die nationale Raketenabwehr der USA ablehnt?

 

Für Amerikas Verbündete stehen daher derzeit zwei zentrale Fragen im Raum: Wie sollen sie sich den amerikanischen Raketenabwehrplänen gegenüber verhalten? Und: Ist es notwendig, über die taktische Abwehr eigener Streitkräfte bei Auslandseinsätzen hinaus eigene Systeme zum Schutz europäischen Territoriums zu erwerben?

 

Gefahr für das nukleare Nichtverbreitungsregime?

 

Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag basiert im Kern auf einem einfachen Handel: fünf Staaten (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) dürfen über Kernwaffen verfügen, alle anderen Staaten verzichten darauf. Als Ausgleich bekommen diese Unterstützung bei der zivilen Anwendung der Kernenergie, und die Kernwaffenstaaten bemühen sich um die nukleare Abrüstung. Dieser Interessenausgleich wurde im Zuge der unbefristeten Verlängerung des Abkommens 1995 noch einmal bestätigt. Allerdings wurden die Verpflichtungen der Kernwaffenstaaten damals insofern gestärkt, als in einem Prinzipienkatalog die Forderung nach einem baldigen nuklearen Teststoppabkommen und weiterer nuklearer Abrüstung bis hin zum völligen Verzicht auf Kernwaffen festgeschrieben wurde.

 

Seit der Verlängerungskonferenz sind die Erwartungen der Nicht-Kernwaffenstaaten jedoch vielfach enttäuscht worden. Nach der Weigerung des US-Senats, das nukleare Teststoppabkommen zu ratifizieren, scheint ein baldiges Inkrafttreten dieses Abkommens ausgeschlossen. Außer China weigern sich alle Kernwaffenstaaten, bei der Abrüstungskonferenz einen Ausschuss über die völlige nukleare Abrüstung einzusetzen. Hinzu kommt, dass inzwischen zwei Nicht-Vertragsstaaten, Indien und Pakistan, nuklear getestet haben und nach Anerkennung als Kernwaffenstaaten streben. Diese ist zwar offiziell nicht erfolgt, doch zeichnet sich immer mehr ab, dass der nukleare Status dieser beiden Staaten als politisches Faktum anerkannt wird. Damit wird ihre Weigerung, sich dem Nichtverbreitungsvertrag anzuschließen, praktisch belohnt.

 

Sollte nun infolge der amerikanischen Raketenabwehrpläne und eines sich darüber entzündenden amerikanisch-russischen Streits über den ABM-Vertrag die nukleare Abrüstung gänzlich ins Stocken geraten, würde dies dem Nichtverbreitungsregime einen weiteren schweren Schlag versetzen. Es wäre dann auch nicht mehr auszuschließen, dass einzelne Länder das Regime verlassen.

 

 

 

 

Schluss: Folgerungen

 

Ob noch die Clinton-Administration eine definitive Entscheidung über die Stationierung von Raketenabwehrsystemen treffen wird oder ob dies der nächsten amerikanischen Regierung überlassen bleibt, ist offen. Derzeit häufen sich die Stimmen, die wegen der technischen Schwierigkeiten einen Aufschub befürworten. Europa sollte sich jedoch nicht täuschen lassen: die USA werden in den kommenden Jahren auf jeden Fall das Instrument der Raketenabwehr als Element ihrer Nichtverbreitungspolitik nutzen.

 

Offen bleibt, welche internationalen Konsequenzen die Errichtung amerikanischer Raketenabwehrsysteme haben würde. Derzeit sind zwei radikal entgegengesetzte Szenarios vorstellbar:

 

1. Negativ-Szenario

Die USA verhandeln nur halbherzig mit Russland über eine Änderung des ABM-Vertrages. In der Folge scheitern diese Verhandlungen, und Washington entschließt sich, einseitig aus diesem Vertrag auszusteigen. Dies hätte eine enorme Verschlechterung der russisch-amerikanischen Beziehungen zur Folge. Russland würde versuchen, trotz seiner Wirtschaftskrise seine strategischen Streitkräfte zu modernisieren. Der nukleare Abrüstungsprozess würde bis auf weiteres gestoppt werden. Dies hätte negative Konsequenzen für das nukleare Nichtverbreitungsregime, denn die Nicht-Kernwaffenstaaten würden auf die bei der unbefristeten Verlängerung des NVV vereinbarte nukleare Abrüstung pochen. Einige von ihnen könnten sich überlegen, das Regime zu verlassen, so dass das gesamte System einem schleichenden Zerfall ausgesetzt wäre. Es wäre dann die Frage, ob Staaten wie Japan einer begrenzten Raketenabwehr allein vertrauen würden, oder ob sie die Entscheidung treffen würden, sich selbst in den Besitz von Kernwaffen zu bringen. Die Entscheidung zur Raketenabwehr hätte also Proliferation und Instabilität provoziert.

2.  Positiv-Szenario

 

Die USA treffen nicht einseitig die Entscheidung zum Aufbau einer Raketenabwehr, sondern dem geht eine Einigung mit Moskau über eine Änderung des ABM-Vertrages voraus. Idealerweise würde ein solcher russisch-amerikanischer Kompromiss ebenfalls weitreichende Reduzierungen bei den strategischen Nuklearwaffen beinhalten. Dies wäre ein doppeltes Signal: Amerika würde erstens zeigen, dass sein Abwehrprogramm nicht gegen Russland gerichtet ist und die politische Kooperation weiter gewünscht bleibt, und dass das Programm begrenzt bleiben soll. Den Nicht-Kernwaffenstaaten würde zweitens demonstriert werden können, dass die nukleare Abrüstung voranschreitet, was das Nichtverbreitungsregime stärken würde. Ein Gewinn an Stabilität wäre also die Folge.

 

Angesichts des in den USA derzeit zu beobachtenden Hangs zum Unilateralismus erscheint es keineswegs gesichert, dass das Positiv-Szenario Wirklichkeit wird. Vieles wird hier auch vom Ausgang der amerikanischen Präsidentschafts- und Kongresswahlen abhängen.

 

Eines scheint jedoch sicher: Wenn Europa sich einfach ablehnend den amerikanischen Raketenabwehrplänen gegenüber verhält, wird es auf den politischen Entscheidungsprozess keinen Einfluss haben. Es wird in Washington nur dann gehört werden, wenn es Amerikas Wunsch nach einem begrenzten Schutz ernst nimmt.

 

Im Einzelnen wird es darauf ankommen, Washington von der Notwendigkeit eines Ausgleichs mit Moskau hinsichtlich des ABM-Vertrages zu überzeugen. Auch sollten die USA gedrängt werden, die Rüstungskontrolle als wichtiges Element der Nichtverbreitungspolitik wieder ernster zu nehmen. Denn Rüstungskontrolle und Raketenabwehr schließen sich keineswegs per se aus. Ob Europas Stimme letztlich einflussreich genug sein wird, um eine Entwicklung im Sinne des Negativ-Szenarios zu vermeiden, kann nur die Zukunft zeigen.

 

Literatur:

 

Klaus Arnhold, Die NATO und die Nuklearwaffen, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, Januar 2000.

Joe Cirincione, The Assault on Arms Control, in: The Bulletin of the Atomic Scientists, Januar/Februar 2000, S. 32-37.

Phillipe Eder/Bruno Günter Hofbauer, Raketenabwehr als Antwort auf neue Bedrohungen, in: Österreichische Militärische Zeitschrift Nr. 1/2000, S. 53-60.

Hermann Hagena/Hartwig Hagena/Niklas von Witzendorff, Eine Raketenabwehr für Europa? Probleme und Erfahrungen mit den Systemen MEADS und PAC-3, Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2000.

Michael O’Hanlon, Star Wars Strikes Back, in: Foreign Affairs, November/Dezember 1999, S. 68-82.

Joachim Krause, Streit um Raketenabwehr. Ursachen der neuen transatlantischen Krise, in: Internationale Politik Nr. 3/2000, S. 37-42.

Michael Krepon, Missile defense: Not such a bad idea, in: The Bulletin of the Atomic Scientists, Mai/Juni 1999, S. 31-33.

George Lewis/Lisbeth Gronlund/David Wright, National Missile Defense: An Indefensible System, in: Foreign Policy Nr. 117 (Winter 1999-2000), S. 120-137.

Götz Neuneck, „SDI-light“ oder: Was steckt hinter den amerikanischen Raketenabwehrplänen, in: Sicherheit und Frieden Nr. 1/1999, S. 49-57.

Oliver Thränert (Hrsg.), Preventing the Proliferation of Weapons of Mass Destruction: What Role for Arms Control? Berlin/Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung 1999.

 

Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung bietet aktuelle Informationen zum Thema Raketenabwehr auf der Internetseite: http://www.hsfk.de/fg1/proj/abm