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[Seite der Druckausg.: 25 (Fortsetzung)]


5. Der Kurs der Regierung Kim Dae-jung

Es wurde schon erwähnt, daß Kim Dae-jung offene Konflikte mit dem IWF, trotz einiger gegenteiliger Äußerungen während des Wahlkampfes, vermied. Die Schuld an der ganzen Misere gab er der scheidenden Regierung, den Chaebol und den Banken.

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Nicht einmal die Kritik an den internationalen Banken und am Währungsfonds wurde aufgegriffen und in die Öffentlichkeit transportiert. [S. dazu und zum folgenden Mayer 2000, S. 5ff.]
Taktisch mag das innenpolitisch und gegenüber dem IWF klug gewesen sein: Was aber stand dahinter? Welche Strategien verfolgte die neue Regierung?

Was man mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, daß die Regierung Kim Dae-jungs in keinem wesentlichen Punkt den vom IWF vorgegebenen Pfad der tugendhaften Reformen verlassen hat und auf diesem Pfad mittlerweile in fast allen Bereichen, sicherlich auch zur Zufriedenheit des IWF, gut vorangekommen ist. [In der von Mayer (2000) vorgelegten Synopse der Reformmaßnahmen der Regierung, wird keines der Maßnahmebündel des stand-by Agreements mit dem IWF vom Dezember 1997 ausgelassen.]
Dabei hatten Washington und Wall Street zunächst die allergrößten Vorbehalte gegen den früheren Dissidenten mit der unbefleckten demokratischen Weste. [S. dazu und zum folgenden Cumings 1998, S. 60f.]
Dieser, aus ihrer Sicht wahrscheinlich naheliegende, anti-demokratische Reflex hätte sich bei genauerer Kenntnis der Person Kim Dae-jungs vermeiden lassen. Kim Dae-jung hatte nämlich schon seit Jahren ähnliche Reformen propagiert, wie sie der IWF verhängen sollte. [In seinem Buch Mass Participatory Economy aus dem Jahr 1985 wird das besonders deutlich (ebd.).]
Er hatte sich während der langen Oppositionszeit keine starke gewerkschaftliche Basis schaffen können; zum einen, weil es der Arbeiterschaft verboten war, politisch aktiv zu werden, zum anderen, weil seine Sympathien viel eher den kleineren und mittleren Unternehmen galten als der Arbeiterschaft.

Da ihm Arbeiterschaft und Gewerkschaften die Gefolgschaft nicht versagen konnten, hatte er ihnen gegenüber relativ leichtes Spiel und konnte im Rahmen der 'tripartiten' Gespräche sogar ihre Zustimmung zu Entlassungen einholen.

Den Chaebol zwang er den sog. big deal auf, der die industrielle Struktur durch die Zusammenlegung und den Austausch von Betrieben und Unternehmen 'bereinigen' sollte. Hier gab es Anklänge an das Handeln staatlicher Instanzen in der Vergangenheit, doch waren die Maßnahmen diesmal nicht von langfristigen Zielen und Strategien getragen. Die eigentlichen Probleme der Chaebol, ihre Tendenz zur Überinvestition und eine bessere staatliche und demokratische Kontrolle der politischen und wirtschaftlichen Macht dieser Konzerne wurden nicht angegangen. [S. dazu Chang/Park 1999, S. 44-48. Auch die knifflige Frage, ob die Chaebol , um im inter nationalen Wettbewerb mithalten zu können, nicht zu klein sind, wurde nicht aufgegriffen, obwohl sie schon seit längerem in Korea diskutiert wird.]
Im Gegenteil wird, und dafür gibt es schon jetzt klare Hinweise, die volle Liberalisierung der Finanzmärkte die Dominanz der Chaebol noch vergrößern, da sie ihnen den Zugang zu diesen Märkten wesentlich erleichtert. Große Unternehmen taten sich mit diesen Märkten schon immer leichter als kleine. Auch die Aufhebung des Verbots feindlicher Übernahmen wird ihre Position stärken.

Die Öffnung der Finanzmärkte macht den Chaebol das Leben aber nicht nur leichter. Unmittelbar betroffen waren sie durch die Notverkäufe von Unternehmensteilen während der Krise, da die Regierung ihnen und den Banken diesmal nicht aus der Patsche half, sondern die Devisenreserven der Zentralbank mit allen Mittel und so

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schnell wie möglich auffüllen wollte. Die Verkäufe von Unternehmen und Banken an ausländische Investoren kam da gerade recht. Andererseits erforderte auch die von IWF und Regierung verhängte Auflage, ihre Verschuldungsquoten (Verschuldung zu Aktienwert) auf 200 Prozent abzusenken, den Verkauf von Konzernvermögen, auch hier meist zu Schleuderpreisen.

Aber auch in anderer Hinsicht müssen die Chaebol wie auch andere Unternehmen negative Folgen der Liberalisierung der Kapitalmärkte gewärtigen. In der Vergangenheit konnten die Chaebol mit Unterstützung der Regierung all die Mittel bekommen, die sie für ihre ambitionierten Investitionsstrategien benötigten und mußten sich nicht primär um die Rückzahlung dieser Mittel Gedanken machen. Solche ambitionierten und längerfristig angelegten Investitionsvorhaben werden sie in Zukunft aufgrund der überwiegend kurzfristigen Orientierung der neuen Kapitalmärkte nicht mehr so leicht vornehmen können. Diese Kurzfristigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß die Aktien- und Anleihemärkte ausländischen Anlegern nun vollkommen freien Zugang gewähren; dies hat bereits die Volatilität und die mittelfristigen Schwankungen in diesen Märkten erhöht. Beide Märkte sind Sekundärmärkte, die keinen direkten Beitrag zur Finanzierung neuer Investitionen leisten, aber eben Unruhe und Unsicherheit schaffen.

Man muß also aus diesen Gründen davon ausgehen, daß das Investitionsverhalten koreanischer Unternehmen in Zukunft weniger dynamisch sein wird als in der Vergangenheit. Das wiederum wird bedeuten, daß das Land, das in der Vergangenheit trotz seiner außerordentlich hohen Sparquote unter chronischem Kapitalmangel gelitten hatte, in Zukunft, ähnlich wie Japan, zum Kapitalexporteur und damit zum Finanzier der Defizite anderer Länder werden wird. Entsprechend groß werden die Probleme einer Umsteuerung der Wirtschaft sein, wenn die USA ihr Leistungsbilanzdefizit reduzieren bzw. gezwungen werden, es zu reduzieren.

Zu diesem Umfeld paßt es dann auch, daß die Zentralbank jetzt nur noch auf das Ziel der Geldwertstabilität festgelegt ist. Eine Geldpolitik, die sich wie früher an der Aufrechterhaltung hoher Investitionen und hohen Wachstumsraten orientierte, ist delegitimiert. Durch den Gesetzgeber wurden zudem, die Interessen der Eigentümer der Banken, aber natürlich auch die Gläubiger und Anleger gestärkt. Deren Interessen stehen nun klar vor und über den Interessen der Industrie und damit dem von Wachstum und Beschäftigung.

Damit hat sich Korea 'normalisiert', 'amerikanisiert'. Das über viele Jahre sehr erfolgreiche koreanische Investitions- und Akkumulationsregime war allerdings schon vor der Krise weitgehend außer Kraft gesetzt worden. Das neue Regime ist nicht mehr von der Investition getrieben. Es wird gezogen vom Konsum auf Binnen- und Auslandsmärkten: es ist das übliche OECD-Konsumregime. Wie schwierig eine adäquate Nachfragesteuerung unter monetaristischen Vorzeichen ist, kennen wir aus unseren Breiten. Ohne den Nachfragesog der amerikanischen Konsumenten, der wiederum sehr viel mit Vermögenseffekten zu tun hat, würde es uns allen viel schlechter gehen. Die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit, obwohl man gegenwärtig etwas anderes beobachtet, wird Korea kaum halten können; vermutlich auch nicht die Einkommens- und Partizipationschancen, die das Akkumulationsregime schon allein durch seine Dynamik den durch Abkunft und Bildung weniger Privilegierten gab.

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Ohnehin dürfte sich der Zerfall und die Aufgabe des koreanischen Akkumulationsregimes noch als schwere Hypothek erweisen: dann nämlich, wenn sich Südkorea der Aufgabe einer Modernisierung der nordkoreanischen Wirtschaft stellen muß. Der deutsche Einigungsprozeß liefert ein beredtes Beispiel dafür, wie schwer es ist, im Rahmen eines Konsumregimes trotz enormer finanzieller Aufwendungen einen Akkumulationsprozeß in Gang zu setzen.

Eine abschließende Reflexion: Das koreanische Investitions- und Akkumulationsregime war mit staatlicher Lenkung verbunden; das OECD-Konsumregime mit liberalisierten Finanzmärkten. Ein Akkumulationsregime gewinnt seine Wachstums- und Beschäftigungsdynamik primär durch Akzeleratoreffekte. In einem Konsumregime expandiert (oder kontrahiert) die Nachfrage primär über Multiplikatoreffekte; in ihm leiten sich das Investitions- und damit das Beschäftigungsniveau [Empirisch gibt es einen sehr engen Zusammenhang zwischen Investition und Beschäf tigung. Die Nettoinvestitionen westdeutscher Produktionsunternehmen im Verhältnis zum BIP betrug 1960-65 durchschnittlich 9,2%. Entsprechend stark war das Beschäftigungs wachstum. Seitdem blieb die Nettoinvestitions quote deutlich hinter dem damaligen Niveau zurück. In schlechten Jahren wie 1975 und 1982 fiel sie auf 1%; doch auch in den besten Jahren der 80er und 90er Jahre erreichte sie höchstens 5% (1979 und 1991). In Jahren mit geringer Nettoinvestition sank die Beschäfti gung deutlich, während sie in den besseren Jahren selten und dann auch nur wenig stieg (errechnet nach Bundesbank 1994, S. 72-74). Angesichts des sehr engen Zusammenhangs von Nettoinvestition und Beschäftigung läge es nahe, den Nettoinvestitionen mehr wirtschaftspolitische Beachtung zu schenken. ] aus der erwarteten Nachfrage ab.

In den letzten Jahren entfalteten sich Nachfrage und Multiplikatoren auf der Basis der riesigen und wachsenden Leistungsbilanzdefizite der USA (in diesem Jahr voraussichtlich 444 Mrd. Dollar [OECD 2000, S. 293. ] ) und von Vermögenseffekten. Die liberalisierten Kapitalmärkte machten (und machen noch) beides möglich: die Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite und, durch den Boom an den Finanzmärkten, die Vermögenseffekte.

Wenn diese beiden Motoren der Nachfrage in den Rückwärtsgang fallen und lange bevor sich die Zurückhaltung von privaten und staatlichen Konsumenten in alle Verästelungen unserer Wirtschaften durchgefressen haben werden, wird sich die Wirtschaftspolitik mit der Möglichkeit einer Depression konfrontiert sehen. Wird sie dieser nur mit den Instrumenten der Geld- und Fiskalpolitik begegnen können? Wird sie es sich erlauben können, das prozyklische, also krisenverschärfende Investitionsverhalten als nur abgeleitetes Phänomen zu behandeln und auf Eingriffe in die Freiheit der Finanzmärkte und der Unternehmen zu verzichten? Oder wird sie gar ein Investitions- und Akkumulationsregime erfinden müssen und dabei Lehren aus dem Aufstieg und Fall des koreanischen Akkumulationsregimes ziehen können?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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