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3. Die Dynamik der Finanz- und Realkrise

Schon im August und September 1997 war es im Gefolge der Krise in Thailand zu Verkäufen koreanischer Aktien durch ausländische Anleger gekommen, die einen Kursverfall von mehr als 10 Prozent bewirkten. Nach der Kia-Entscheidung der koreanischen Regierung – und wohl auch bedingt durch den fast zeitgleichen crash der Finanz- und Devisenmärkte in Hongkong – setzten die ersten Panikverkäufe von koreanischen Wertpapieren ein. Die Aktienkurse und der Wechselkurs brachen dramatisch ein. Regierung und Zentralbank versuchten ohne Geschick und vergeblich gegenzu-

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steuern. [So wurden alle Devisentermingeschäfte verboten, die nicht mit dem Außenhandel zu tun hatten. Man appellierte, an die Medien die 'übertrieben Geschichten, die sie fabrizierten', zu korrigieren und bestand darauf, daß die Wirtschaft doch viel besser sei, als sie die ausländischen Journalisten und Investoren in ihren Ängsten wahrzunehmen beliebten. (Vgl. Park/ Rhee 1998, S. 15).]
Offenbar war sich die Regierung der Dramatik der Situation nicht bewußt (sie war wohl auch geblendet von den anstehenden Wahlen und dem Prestigeverlust, den eine Abwertung mit sich gebracht hätte) und bastelte an einem Finanzreformgesetz, das das Vertrauen der ausländischen Anleger zurückgewinnen sollte – wo sich diese doch nur dafür interessierten, ob die Regierung in der Lage sein würde, das kurzfristige Liquiditätsproblem zu lösen. Da sie das immer offensichtlicher nicht konnte, blieb Gläubigern und Vermögensbesitzern nur die Flucht nach vorn.

Im November waren es dann vor allem die ausländischen Banken, die kurz- und mittelfristige Kredite zurückriefen, die Exportfinanzierung erheblich zurückschnitten und Kreditlinien kappten. Dadurch gerieten Banken und Unternehmen in ein akutes Liquiditätsproblem. Auch Devisen wurden knapp. Die Reserven der Zentralbank schmolzen dahin und sollten schließlich zum Kollaps der koreanischen Währung führen.

Schon Mitte November 1997 wurden Staatsanleihen mit einem Zinsaufschlag von 3,4 Prozent gehandelt. [Park/Rhee 1998, S. 16.]
Am 25. November setzten Moody's und S&P Koreas Rating weiter herunter. Exporte nach und Exportaufträge aus Südostasien waren schon seit Monaten stark rückläufig. Nachfrageausfälle am koreanischen Binnenmarkt kamen hinzu. Die Regierung bezifferte ihre Devisenreserven mit 30 Mrd. Dollar. Ein vertraulicher Bericht des IWF, der in die Öffentlichkeit gelangte, ging von nur 5 Mrd. Dollar aus und schätzte, aufgrund seiner etwas ungewöhnlichen Berechnungsmethode, die kurzfristigen Verbindlichkeiten auf 100 Mrd. Dollar. Das war Öl in das Feuer der Ängste der Gläubiger und Anleger. Die Medien sprachen von der Unglaubwürdigkeit koreanischer Institutionen und bezichtigten das Finanzministerium der Lüge. Im Ergebnis beschleunigte der Vertrauensverlust die unbändige Abwärtsspirale von credit crunch, Nachfrageausfällen und einer Explosion der Zahl der Unternehmenspleiten.

Das stand-by arrangement mit dem IWF, das am 3. Dezember unterzeichnet wurde [International Monetary Fund 1997.] , konnte die Krisenspirale nicht aufhalten – im Gegenteil sollte alles erst noch viel schlimmer kommen. [Der IWF verzögerte die Zahlung der zugesagten 21 Mrd. Dollar. Offenbar wollten die USA damit zusätzliche Konzessionen von Korea erzwingen (die sie auch bekamen; Bullard et al. 1998, S. 525). Die erste Zahlung wurde zu Weihnachten geleistet. ]
Staatspapiere sollten nun mit einem Aufschlag von fast 7 Prozent gehandelt werden (nur wenige Monate vorher hatte er bei 0,57 Prozent gelegen!). [Park/Rhee 1998, S. 16.]
Für Unternehmensanleihen stiegen die Zinsen im Laufe des Monats Dezember auf unerhörte 30,89 Prozent. [BOK, elektronische Datenbank.]
Für kleinere und mittlere Unternehmen waren Kredite nicht mehr nur unbezahlbar, sondern auch unerreichbar. Da diese Unternehmen vor der Krise normalerweise nur mit der Hilfe von Bürgen Bankkredite hatten bekommen können, wurden auch diese Bürgen, oft selbst selbständige Unternehmer, massenweise in die Krise hineingezogen. Viele standen vor dem Nichts. Die Zahlungsunfä-

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higkeit und die Konkurse von Unternehmen ließen auch die non-performing loans in den Büchern der Banken explodieren. Da sie zudem versuchen mußten, verschärfte Basler Kriterien zu erfüllen [Offenbar hatten die Commercial Banks mit der Einhaltung der Eigenkapitalnorm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) seit ihrer Einführung 1992 keine Probleme, selbst Ende 1997. Selbst 5 Banken, die im Juni 1998 geschlossen wurden, erfüllten diese Norm. Allerdings führen Wang/Shin (1999, S. 12) das darauf zurück, insbesondere für die letzten Jahre, daß die koreanischen Standards zur Bewertung von Vermögenspositionen und Risiken nicht internationalen Standards entsprachen und eine Reihe von Verbindlichkeiten gar nicht einbezogen wurden. ] , sank ihre Bereitschaft, frische Kredite zu vergeben, schnell gegen Null.

Die Liste läßt sich fortsetzen: Allein im Dezember eine Abwertung des Won um 46 Prozent, immer höher kletternde Zinsen, und Kurseinbrüche am Aktienmarkt; restriktive Fiskalpolitik, zweistellige Lohnkürzungen und Nachfrageausfälle; immer maroder werdende Unternehmen, die keine Importe mehr finanzieren konnten; Banken, deren Situation sich durch die Zahlungsschwierigkeiten der Unternehmen und deren Pleiten – 17000 Unternehmen, darunter 8 Chaebol [Park/Rhee 1998, S. 16. Bullard et al. 1998, S. 537, geben an, daß seit Ausbruch der Krise täglich 200 Unternehmen bankrott gingen. Den Höhepunkt bildete der 5. Januar mit 340 Konkursen. ] – sowie die Forderungen ausländischer Kreditgeber ständig verschlechterte; rasant wachsende Arbeitslosigkeit; der Absturz ganzer Bevölkerungsschichten und ungezählte Familien, die ihrem Leben auf den Gräbern ihrer Vorfahren aus Verzweiflung ein Ende setzten und die Panikstimmung in der Bevölkerung noch verstärkten (jedenfalls solange darüber in den Medien berichtet wurde).

Zur Jahreswende herrschte schiere Verzweiflung – und sie sollte auch in den folgenden Monaten nicht abklingen. Die in Tabelle 2 und 3 zusammengestellten Daten für das Jahr 1998 bedürfen kaum einer Kommentierung. Man muß sich nur vor Augen halten, was ein Rückgang der Binnennachfrage um 20 Prozent, ein Einbruch der Anlageinvestitionen der Unternehmen von 30 Prozent, eine Kapazitätsauslastung der Automobilindustrie von 44 und der Gesamtindustrie von 63 Prozent, ein Rückgang der Importe, die zu 90 Prozent aus Rohstoffen, industriellen Vorprodukten und Kapitalgütern bestanden [Nahrungsmittel und Konsumgüter für den einheimischen Verbrauch machten 1994-98 zwischen 8,2 und 10,3 Prozent der Importe aus (IMF 2000, S. 30).] , um 22 Prozent, für eine Wirtschaft bedeuten, in der ein 5prozentiges Wachstum als Rezession galt!

Sogar der IWF hatte ein diesem Falle ein Einsehen. Zum einen dürfte die schon fast als einmütig zu bezeichnende Kritik akademischer Kreise [Diese Kritik wurde früh auch von mainstream Ökonomen artikuliert (z.B. Sachs 1997, Amsden/Euh 1997, Stiglitz 1997) und später ausgebaut (besonders umfassend und prägnant, Feldstein 1998). Der Tenor dieser Kritik ist, daß es sich, auf Korea gewendet, um eine Liquiditätskrise, nicht aber um eine Insolvenzkrise, handelte. Sie wurde durch eine Flucht von Anlegern und Gläubigern aus koreanischen Vermögenswerten und dem Won ausgelöst. Den Schuldnern blieb dann nur die Verringerung der Produktionskosten, der Verkauf von Vermö gensteilen (zu Schleuderpreisen) oder der Bankrott, wobei die Won-Abwertung das Moment der letzteren noch verstärkte. Ein Zusammenbruch der Vermögenswerte, Arbeitslosigkeit und Rezession/Depression waren das Ergebnis. Statt das Feuer zu löschen, schrie der IWF "Feuer! Feuer!" ins Publikum (Jeffrey Sachs). Als eigentliche Ursache der Krise wurde meist die vorherige voreilige und unkontrollierte Deregulierung der Finanzmärkte gesehen. Logischerweise hätte das IWF-Paket folgende Maßnahmen umfassen sollen: a. die schnelle und die Märkte überzeugende Lösung des Liquiditätsproblems der Banken mit öffentlichen, koreanischen und internationalen Mitteln; statt dessen wurde die Auszahlung der zugesagten Mittel verzögert und die Schließung mehrerer Banken gefordert – was die Panik nur vergrös serte; b. bis zur Schaffung ausreichender Regulierungs- und Supervisionsinstanzen die Einfüh rung von Kapitalverkehrskontrollen (Visser/ter Wengel 1999; auch von Paul Krugman mehr fach gefordert); statt dessen wurden die Finanz märkte noch weiter liberalisiert und es kam zu weiteren krisenverschärfenden Kapitalabflüs sen, c. zur Ver meidung der Krisenspirale die Stabilisierung der Nachfrage ; statt dessen wurde eine restriktive Geldpolitik verhängt, Kürzungen der Staatsausgaben und der Arbeitnehmereinkommen sowie höhere Steuern durch gesetzt und die Wirtschaft noch weiter für ausländische Konkurrenten geöffnet. Das IWF-Paket wurde zudem kritisiert, weil es die ausländischen Gläubiger zu Lasten des koreanischen Fiskus schützte. Feldsteins Kritik ging weiter (1998, S. 27): "A nation's desperate need for short-term financial help does not give the IMF the moral right to substitute its technical judgments for the outcomes of the nation's political process." Zudem stehe in der Satzung des IWF nichts von der Liberalisierung des Handels und der Investitionen, von Privatisierung, von Auslandsinvestitionen, von fiskalischer Austerität etc.] und, nicht zu vergessen,

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eine Reihe vielbeachteter Artikel von Martin Wolf in der Financial Times ["At the least, there is an overwhelming case for permanent prudential regulation of foreign borrowing, particularly short-term borrowing, by commercial banks. .... Unregulated flows of short-term international capital are a licence to rack up losses at the expense of taxpayers" (Wolf 1998). Allerdings war in einem Leitartikel der FT am 28.7.1997 noch zu lesen: "The government needs aggressively to liberalise Korea's financial sector"; denn ein Kapitalzufluß würde der (seit Anfang des Jahres etwa 4,5prozentigen) Abwertung des Won entgegenwirken. ] , am IWF-Paket und seiner Umsetzung ihre Spuren hinterlassen haben. Zum anderen waren die ja nicht nur rezessiven, sondern depressiven Tendenzen der koreanischen Wirtschaft schon bald erkennbar. Desweiteren hatte die neue Regierung unter Kim Dae-jung die Schuld an der ganzen Misere seinem Vorgänger Kim Young-sam und den Großkonzernen gegeben, die unverantwortlich große Risiken auf sich genommen hätten. Mit dieser ganz nach innen gerichteten Kritik, die elegant über die tragische Rolle der internationalen Banken, der Rating Agenturen, des IWF etc. hinwegsah, übernahm er deren Analyse der Probleme Koreas und entlastete sie zugleich. [S. dazu Mayer, 2000, S. 5.]
So konnte der IWF Zugeständnisse machen, ohne das Gesicht zu verlieren. Last, not least hatte Robert Rubin, der Chef des US-Schatzamtes, im Dezember entdeckt, daß mit Korea "enormous security concerns for the United States" verbunden seien; deshalb dürfe Korea nicht scheitern.

Die Zugeständnisse des IWF wurden im Januar 1998 zunächst eher unter der Hand gemacht: Das Inflationsziel und das Wachstum der Geldmenge wurde nach oben korrigiert, die Forderung nach einem Haushaltsüberschuß fallen gelassen und der credit crunch anerkannt. [Chang, 1998, S. 1559.]
Sicherlich wußte Rubin seine engen Beziehungen zur Wall Street einzusetzen, um die Umschuldung der kurzfristigen Verbindlichkeiten der koreanischen Banken unter Dach und Fach zu bringen. [S. dazu Cumings 1998, S. 57f.]
Mit dem Ende Januar 1998 unterzeichneten Abkommen (natürlich mit einer entsprechenden Garantie des koreanischen Staates!) kehrte denn auch deutlich mehr Ruhe an den Märkten ein.

Im Mai 1998 wurde die Regierung dann gar vom IWF gedrängt, die Zinsen zu senken und die Staatsausgaben kräftig zu erhö-

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hen. [Die fundamentals für das erste Quartal 1998 (gegenüber dem Vorjahr) dürften die Vorstellungskraft des IWF, der wenige Monate vorher mit der koreanischen Regierung um 3 oder 5 Prozent Wachstum gestritten hatte, gesprengt haben: Das BIP war um 3,8 Prozent, der Konsum um 10 und die Anlageinvestitionen um 41 Prozent gefallen (Burton 1998; vgl. auch Mayer 1998-9, S. 2)]
Dies war auch von der OECD gefordert worden. [S. Neue Zürcher Zeitung, 31.8.1998. Mitt lerweile kamen neue Hiobsbotschaften hinzu: die Abwertung des Yen gegenüber dem Dollar, verschlechterte die Wettbewerbsfähigkeit korea nischer Unternehmen, die eh schon genug Prob leme hatten (hohe Stückkosten durch geringe Kapizitätsauslastung, hohe Zinsen, teuere Im porte). Hinzu kam die Finanzkrise in Rußland, ein weiterer Stein im ostasiatischen Domino, die Koreas Unternehmen und Banken Milliarden verluste bescherte. ]
Diese Maßnahmen stoppten den Schrumpfungsprozeß und leiteten den Wiederaufschwung 1999 ein. Dieser wiederum hatte viel mit den wiederbelebten Exporten [Die physischen Exportvolumina expandierten auch während der Krisenjahre. Der Wert der Exporte war durch die Abwertung allerdings erheblichen Schrumpfungen ausgesetzt. Erst im 3. Quartal 1999 wurde das wertmäßige Exportvolumen vor der Krise wiedererreicht (BOK). ] , aber auch mit sog. Vermögenseffekten [Vermögenseffekte ( wealth effects ) nennt man Konsumausgaben, die durch Vermögenszuwächse bedingt sind. ] zu tun. Diese speisten sich aus zwei Quellen: Zum einen hatten diejenigen Koreaner, die während der Krise liquide geblieben waren, vor allem durch die Zinserhöhungen erheblich von der Krise profitiert. [Wen wundert's, daß der IWF als Institution wahrgenommen wird, die, in der Prosa des Economist (11.7.1998, S. 60), Maßnahmen verfügt "that ... are designed to protect the rich at home and their creditors abroad ". Noam Chomsky (1998) meint dazu: Es wird geschätzt , "that 95 per cent of the (Indonesia's) foreign debt of some 80 billion dollar is owed by 50 individuals, not the 200 million who ended up suffering the costs ." Er schlägt in Anlehnung an historische Beispiele die Stornierung von odious debt vor: "When Britain, France and Italy defaulted on debts to the United States in the 1930s Washington "forgave (or forgot)" as the Wall Street Journal reported. When the US took over Cuba 100 years ago it cancelled Cuba's debt to Spain on the grounds that the burden was "imposed upon the people of Cuba without their consent and by force of arms". Ein Schiedsspruch von W.H. Taft, US Supreme Court Chief Justice, entpflichtete Costa Rica von der Rückzahlung eines vom früheren Diktator aufgenommenen Kredits mit der Begründung: "(The Royal Bank of Canada) lent the money for no legitimate use, so its claim for payment must fail." Dieses Prinzip ließe sich leicht auf einen Großteil der Schulden vieler Entwicklungsländer anwenden. ]
Überhaupt hatte sich die Einkommensverteilung merklich verschlechtert. [Das Verhältnis der Einkommen der oberen 10 Prozent gegenüber den unteren 10 Prozent der Bevölkerung verschlechterte sich 1995-98 von 7,1 auf 9,8 und 1999 auf 10,2 (Chang/Yoo 2000, S. 116).]
Als sich die Situation stabilisierte, erleichterten es ihnen diese Vermögenszuwächse, neuerlich dem Konsum zu frönen, den sie so lange hatten hintanstehen lassen. Zum anderen speiste sich der Vermögenseffekt aus der seit dem 3. Quartal 1998 kräftig ausgeweitete Geld- und Kreditmenge, die, da die Investitionsnachfrage der Unternehmen darniederlag, zu einem Liquiditätsüberhang geführt hatte, der sich in einen neuerlichen Börsenboom niederschlug. Nicht die Investitionen, sondern der Konsum sollte die Wirtschaft aus ihrem Tal der Tränen holen (mehr dazu später).

Zusammenfassend kann man, wenn auch nur im Nachhinein, schon Gründe für die Panik finden, die die Finanzmärkte erfaßten und in der Folge die Wirtschaft an den Rand des Ruins trieb. Der Zusammenbruch von Hanbo und anderer kleinerer Chaebol

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war nur ein Vorspiel [Einige Autoren (angesichts der "Empfind samkeiten", die Banken und Anleger gegenüber den Belangen der Beschäftigten entwickelt haben, vielleicht sogar zu recht) sehen auch in den massenhaften Streiks Ende 1996/Anfang 1997 einen Vorläufer der Krise. Die Arbeiter protestierten gegen ein Arbeitsgesetz, das ihnen die längst selbstverständlich gewordene Arbeits platzsicherheit nehmen sollte, und in einer buchstäblichen Nacht- und Nebelaktion und unter Ausschluß oppositioneller Abgeordneter verabschiedet worden war. ] zu den Problemen von Kia und dem recht inkompetenten Umgang der Regierung damit, und dies just in der Zeit, in der die Krise in Südostasien ihren Lauf nahm. Das Vertrauen in eine Regierung, zumal sie zuvörderst mit dem Wahlkampf beschäftigt war, war dahin. Die Wirtschaftspresse und die Rating Agenturen, aber auch der IWF, verstärkten die Krisenängste. Selbst Japan galt zeitweise als mögliches nächstes Opfer dieser Dynamik.

Zudem gab es durchaus Transmissionsriemen für die Krise, da der Handel mit Südostasien blühte und koreanische Unternehmen und Banken dort stark engagiert waren. [50,0% der koreanischen Exporte gingen 1997 nach Asien, davon 10,9% nach Japan. Der Rückgang war besonders stark im Falle Singapurs (-32,5%), Malaysias ( - 19,1%), Thai lands (-29%) und Indonesiens ( - 16%) (jeweils vom 4. Quartal 1996 zum 4. Quartal 1997; BOK). Im weiteren Verlauf sollten die Exporte nach Hongkong, China und Japan, weitere, z.T. drastische Ein bußen erleiden. Insgesamt gingen die Exporte in die Region 1997-98 um 12 Mrd. Dollar bzw. 17,3% zurück (IMF 2000, S. 25). Vor der Krise wiesen die Exporte fast aus nahmslos zweistellige Wachstumsraten aus. ]
Gleiches gilt für die multiplen Verflechtungen zwischen Unternehmen und Finanzmärkten der ganzen Region, einschließlich Japans. Der Ansteckungszyklus hatte insofern eben auch eine 'reale' Basis.

Er hatte aber auch eine psychologische und diese dominiert immer dann, wenn die Märkte einmal von Panik erfaßt sind. In solchen Situationen ist es für die Teilnehmer am Finanzmarktgeschehen vollkommen rational, sich krisenverschärfend zu verhalten. Es zahlt sich nicht aus, auf das langfristige Potential eines Landes oder eines Unternehmens zu wetten. Man muß mit der Herde laufen. Nur wer der Herde voranstürmt, kann sein ‘Schäfchen’ mit relativer Sicherheit ins Trockene bringen. Gerade deshalb stürmt die Herde in Panik hinterher. ["Die Finanzherde flüchtete im Juli voll Panik aus den asiatischen Märkten und trampelte in ihrem unkontrollierten Gedränge ganze Volkswirtschaften nieder." (International Herald Tribune, nach Machetzki 1998, S. 10.).]
Und eine solche Panik hatte, im Wechselspiel der diversen Akteure und Umstände, sich weiter Teile des koreanischen Geschehens bemächtigt. ["The crisis began small, with the failure of a few financial institutions that had bet too heavily that the boom would continue, and the bankruptcy of a few corporations that had taken on too much debt. These failures frightened investors, whose attempts to pull their money out led to more bank failures; the desperate attempts of surviving banks to raise cash caused both a credit crunch (pushing many businesses that had seemed financially sound only months before over the brink) and plun ging stock prices, bankrupting still more financial houses. Within months, the panic had reduced thousands of people to sudden destitution. Moreover, the financial disaster soon took its toll on the real economy, too: As industrial production skidded and unemployment soared, there was a surge in crime and worker unrest." Hier wird die US-Wirtschaftskrise von 1873 beschrieben! (Krugman: 1998, S. 1f.). ]

Anders als bei manch anderen Finanzkrisen der letzten Jahre gab es ex ante keine schwerwiegenden Probleme, die auf eine Krise hindeuteten, schon gar keine so schwere, wie sie das Land dann erfaßte.

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Unternehmenspleiten und ungeschicktes Agieren von Regierungen hat es auch schon anderswo gegeben; das Wegbrechen von Exportmärkten und Verluste bei Auslandsinvestitionen und -anlagen auch – ohne daß sich daraus gleich eine solche Katastrophe entwickelt hätte. Solche Vorfälle werden erst dann zu Auslösern von Krisen, wenn die Wahrnehmungen der Akteure von Ängsten und Krisenerwartungen geprägt werden und diese sich darin gegenseitig bestärken. Die Panik erreichte einen ihrer Höhepunkte als Ed Yardeni, Chefökonom der Deutsche Morgan Grenfell, über CNN im Dezember 1997 in die Welt posaunte: "the truth of the matter is that Korea Inc. is already bankrupt. All that's left is to file the papers. This is a zombie economy." [Nach Cumings 1998, S. 56. Diese Äußerung wurde anschließend auch über die Printmedien verbreitet. ]

Nun, auch in den Jahren davor hatten sich ausländische Banken und Anleger in Südostasien und Korea von übertriebenen Erwartungen leiten lassen, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. [1996 etwa flossen 74 Mrd. $ below-investment-grade bonds in die emerging markets , und zwar zu extrem niedrigen Zinsen und langen Laufzeiten. Der Economist (19.April 1997, S. 79-81) warnte nachdrücklich davor und sprach von " swarms of aggressive investment bankers ".]
Das in Erwartungen gründende Überschießen in die eine oder andere Richtung ist ein oft beschriebenes Merkmal von Devisen- und Kapitalmärkten. [Und das wird selbst von Bankern zugegeben: "all banks are under certain competitive pressure. If the market is attractive you go with the herd. Even if you have doubts you don't stop lending." (Ernst Moritz Lipp, Dresdner Bank, nach FEER, Feb. 12, 1998, 47). Obwohl das Überschießen engstens mit der Freiheit der Finanzmärkte verbunden ist, wird letztere bekanntermaßen vom IWF und seinen wichtigeren Mitgliedern vorangetrieben. Noch beim alljährlichen Treffen des Interim Committee von Währungsfond und Weltbank in Hongkong im September 1997 (die Krise in Südostasien war schon eine Weile in Schwung) verständigte man sich darauf, "that the Fund should adopt an aggressive policy to encourage countries to institute full capital account convertibility." (nach Wade et al. 1998, S. 18). Im Februar 1998 sprachen sich die G7 Finanzminister dafür aus, die Articles of Agreement des IWF durch eine Klausel, die die Liberalisierung von Kapitalbilanztransaktionen für alle Mitglieder verpflichtend machen soll, zu ergänzen. (nach Bullard et al. 1998, S. 543). ]
Korea kann als ein Paradebeispiel für solches Überschießen gelten.

Damit scheinen die Ursachen der Finanz- und Realkrise Koreas geklärt. Man kann sie auf den Nenner der Chaostheorie bringen: Kleine Ursache, große Wirkung. Aber auch die schwache Kausalität kennt Rahmenbedingungen. Welche Rahmenbedingungen mußten erfüllt sein, damit die Krise die Wirtschaft Koreas erfassen konnte? Die Volksrepublik China wurde von der Krise kaum erfaßt und galt im Gegenteil als Stabilitätsanker für die ganze Region. Warum? Warum hatten die Ölkrisen und die anschließende Weltwirtschaftsrezession in Mexiko 1982 eine Finanzkrise ausgelöst, nicht aber in Korea? Ging dieser Kelch damals an Korea vorbei, weil das staatlich gelenkte Wirtschaftsregime noch intakt war? Konnte die Krise vom Herbst 1997 Korea so schwer treffen, weil das "Modell Korea" nicht mehr intakt war? Hatte die vielgescholtene 'Globalisierung' dieses Akkumulationsregime soweit verändern können, daß es sich nicht mehr verteidigen konnte? Oder war es das Land selbst, das sich mit der Auflösung der Diktatur verändert hatte, und mit ihm die lenkende Rolle des Staates?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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