FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 1 (Fortsetzung)]


1. Unmittelbare Ursachen der Krise vom Herbst 1997
[Die Argumentation ließ sich von Chang 1998 inspirieren, der auch andere aufschlußreiche und anregende Analysen geliefert hat. ]


1.1 Eine Krise der "realen" Wirtschaft?

Über die hohen Wachstumsraten der koreanischen Wirtschaft seit der Krise von 1980-82 braucht man kaum ein Wort zu verlieren (s. Tabelle 1 und 2). 1994-96, also unmittelbar vor dem Krisenjahr, erreichten sie im Schnitt fast 8 Prozent; im Krisenjahr selbst (unter dem Einfluß von ca. zwei Krisenmonaten) immer noch 5 Prozent. In eine Wachstumskrise war das Land vor dem Herbst 1997 offenbar nicht geraten. Zudem hatte die Zahl der Arbeitsplätze vor der Krise noch kräftig zu- und die Arbeitslosigkeit abgenommen.

Am alarmierendsten mag da noch das Handelsbilanzdefizit erscheinen. Es tat von 1995 auf 1996 einen gewaltigen Satz (von 7,4 auf 21,1 Mrd. Dollar). Im darauffolgenden Jahr bewegte es sich dann aber schon wieder auf dem Niveau von 1995 (6,4 Mrd. Dollar). Offenbar war 1996 ein konjunk-

[Seite der Druckausg.: 2]

tureller Ausrutscher (s.u.). Entsprechendes gilt für das Leistungsbilanzdefizit: Nach 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahre 1996 fiel es 1997 auf 1,5 Prozent zurück. [Da die Krise im November 1997 ausbrach, konnte sie nicht viel zur Verbesserung der Leistungsbilanz beigetragen haben. Das Leistungsbilanzdefizit blieb im Vergleich zu anderen Krisenländern sehr gering: Das von Mexiko lag im Krisenjahr 1994 bei 7,1 Prozent des BIP.] Krisenerwartungen, soweit sie denn existierten, sollten angesichts dieser Entwicklung deutlich gedämpft, jedenfalls nicht verstärkt worden sein.

Ein anderer Indikator, der gerne zur Diagnostik von Krisen herangezogen wird, ist die Staatsverschuldung. Sie paßt nun überhaupt nicht ins übliche Krisenbild: Die koreanischen öffentlichen Haushalte erzielen nämlich seit Jahrzehnten Überschüsse. In den Jahren vor der Krise bewegten sich sie mit über 4 Prozent des BIP auf Rekordniveau. Auch im Krisenjahr 1997 lagen sie noch bei 2,5 Prozent des BIP. [OECD-Daten. Der IWF weist, wohl aufgrund anderer Begriffsdefinitionen, deutlich nie drigere Haushaltsüberschüsse aus. Sie passivie ren sich nach 1997 (Tabelle 1). ]
Wen wundert es da noch, daß der koreanische Staat über ein, über die Jahre kumuliertes Nettovermögen von mehr als 20 Prozent des BIP verfügt? [Zur Erinnerung: Die deutsche Staatsschuld liegt gegenwärtig bei 45 Prozent des BIP. ]

Einen weiteren möglichen Krisenindikator könnte die Wettbewerbsfähigkeit koreanischer Unternehmen abgeben. An sich dürfte sie kaum in Frage stehen: In der Automobilindustrie, bei elektronischen Produkten und Halbleitern, im Schiffbau und in der Chemie- und Stahlindustrie findet sich Korea unter den ersten zehn Produzenten der Welt. In diesen Bereichen kommt die technologische Kompetenz der koreanischen Unternehmen denen der fortgeschritteneren Industrieländer zumindest nahe. Ähnliches läßt sich über die Qualität der Arbeitskräfte sagen, nicht zuletzt wegen des hohen Wertes, der der Bildung im Lande traditionellerweise zukommt. [S. dazu Yoo 1999, S. 111. Aber auch in bezug auf economic literacy, in-company trai ning, worker motivation, retraining und value of society liegt Korea im Ranking des World Competitiveness Report des World Economic Forum auf den vorderen Plätzen (5 und 6). (ibid., S. 238).]
Zudem verspricht die, auch im Vergleich zu europäischen Industrieländern, bemerkenswert ausgewogene Einkommensverteilung auch in Zukunft ein hohes Maß an sozialer und politischer Stabilität.

Da ein erheblicher Teil der Umsätze koreanischer Konzerne (chaebol) auf Auslandsmärkten getätigt wird [Allein die 5 größten Chaebol zeichnen für 44% der Gesamtexporte verantwortlich (Econo mist, 14.11.1998, S. 80).] , hängen ihre Absatzchancen und ihre Rentabilität in erster Linie vom Wechselkurs ab. Von Bedeutung sind außerdem die Produktions- und Preiszyklen in bestimmten Branchen, wie z.B. im Schiffbau und in der Produktion von Speicherbausteinen (RAM).

Der koreanische Won galt 1996/97 gegenüber dem Dollar um 10-20 Prozent überbewertet. Dazu hatten auch die Abwertungen des Yen 1995 und 1997 [In einem Interview Mitte 1999 (Korean Herald, May 27, 1999) meinte Eisuke Sakakibara, der damalige japanische Zentralbankchef, daß diese von Japan und den USA instrumentierten Abwertungen des Yen zur Verschlechterung der Leistungsbilanzdefizite in den anderen asiatischen Ländern geführt und damit auch den Weg zur späteren Finanzkrise geebnet habe. ] , aber auch die des chinesischen Yuan 1994, beigetragen. Zudem verfielen just 1996/97 die Preise für Speicherbausteine (von 50 auf 4 US Dollar), während die Überkapazitäten der Werften zu hohen Kosten und verschärftem

[Seite der Druckausg.: 3]

Wettbewerb, insbesondere mit japanischen Firmen, und entsprechend niedrigen Erlösen führten. [Der Preisverfall hatte zudem Stahlerzeugnisse und petrochemische Produkte erfaßt. Der Exportpreisindex fiel allein 1996 um 13% (Park/Rhee 1998, S. 5).]

Diese sich überlagernden konjunkturellen Probleme dürften für die bereits erwähnte Verschlechterung der Leistungsbilanz 1996 ausschlaggebend gewesen sein. Daß diese sich bereits 1997 wieder deutlich besserte, zeigt eben auch, daß die Unternehmen verlorenes Terrain wiedergutgemacht hatten. So oder so läßt sich eine erodierende Wettbewerbsfähigkeit koreanischer Unternehmen an diesen Daten nicht ablesen. Auch läßt sich nur schwerlich argumentieren, die Chaebol seien zu groß und deshalb ineffizient und nicht wettbewerbsfähig, da sie im Vergleich zu japanischen, amerikanischen und europäischen Großkonzernen höchstens von mittlerer Größe sind. [S. dazu Machetzki 1998, S. 13.]

Also: Weder die Strukturdaten Koreas noch die Wettbewerbsfähigkeit der koreanischen Unternehmen ließen Anzeichen einer Krise erkennen. Wenn die Ursachen der Krise vom November 1997 nicht in der realen Wirtschaft zu finden sind, sind sie es im Finanzbereich?

Page Top

1.2 Eine Finanzkrise?

1.2.1 Überschuldung der Chaebol?

Bleiben wir zunächst bei den koreanischen Großkonzernen: Pfeifen es nicht die Spatzen von den Dächern, daß sie enorm hoch verschuldet sind? Der hohe Verschuldungsgrad der Chaebol, aber auch der japanischen Konglomerate, blieb während der letzten Jahre in kaum einem Artikel des Economist und der Financial Times über diese beiden Länder unerwähnt. Gemeint ist damit das im Vergleich zu amerikanischen und vielen europäischen Unternehmen sehr ungünstige Verhältnis von Schulden zum jeweiligen Aktienkapital. [Nationalökonomen mögen sich allerdings noch an das Modigliano-Miller Theorem von 1958 erinnern, das besagt, daß der Wert eines Unternehmens unabhängig von der Kapitalstruktur ist. ]

John Burton, der mit seinen Artikeln in der Financial Times sicherlich einiges zum Aufkommen der Krisenstimmung gegenüber der südkoreanischen Wirtschaft beigetragen hat, entwarf im August 1997, also zwei Monate vor Ausbruch der Krise, ein Krisenszenario, in dem er eben auch dieses Verschuldungsargument benützte (Burton 1997). Dem Text ist eine Tabelle beigefügt, die in der Tat in einigen Fällen Schulden von besorgniserregender Höhe ausweist. Bei der Hälfte der 20 aufgeführten Chaebol liegt die Verschuldungsquote zwischen 220 und 440 Prozent; bei drei "Ausreißern" bei zwei, drei, ja sogar über acht Tausend Prozent! Schon bei den niedrigeren Meßzahlen reiben sich unsere Finanzmarktanalysten die Augen, Werte im dreistelligen Bereich dürften sie zunächst für ganz und gar unmöglich halten.

Nun sollte zunächst einmal darauf hingewiesen werden, daß sich die Daten Burtons offensichtlich auf das für die koreanischen Unternehmen recht schwierige Jahr 1996 beziehen. So nimmt es auch nicht Wunder, daß die durchschnittliche Verschuldungsquote der Chaebol im Vorjahr, also 1995, "nur" bei 287 Prozent gelegen hatte. [Economist, 29.8.1998, 68, nach Bae Ie-Dong.]
Da der Investitionsboom in den Jahren 1994/95 die Verschuldungssituation der Unternehmen nicht gerade verbessert haben dürfte, kann man davon ausgehen, daß sich ihre

[Seite der Druckausg.: 4]

Verschuldungsquoten in den Jahren davor noch etwas weniger dramatisch ausnahmen.

Zur Verortung der Verschuldungsniveaus mag ein Vergleich nützlich sein: Als sich Japan und Deutschland auf einem ähnlichen Entwicklungsniveau befanden (10000 US Dollar pro Kopf), lag ihre Verschuldungsquote bei 488 bzw. 275 Prozent. [Ebd. Chang und Park (1999, S. 10) errechneten für durchschnittliche Verschuldungsquoten von 338,4% für Korea (1973-96) und 320,7% für Japan (1955-73). ]
Überhaupt fallen die koreanischen debt-equity ratios im internationalen Vergleich – außer mit den anglo-amerikanischen Ländern – nicht besonders aus dem Rahmen. [Eine Studie der Weltbank ermittelte für den Zeitraum 1980-91 folgende Verschuldungsquo ten: Korea 366%, Japan 369%, Frankreich 361%, Italien 307%, Deutschland 273%, Nor wegen 538%, Schweden 555%. Nur die anglo-amerikanischen Länder weisen deutlich niedri gere Werte aus: USA 179%, Canada 160%, UK 148%, Australien 125%. Nach Chan/Park 1999, S. 14.]

Dies weist schon auf strukturelle Unterschiede zwischen Ländern hin. In Korea wurde 1974 nach japanischem Vorbild das "Hauptbank-System" eingeführt: Die Regierung ordnete jedem Chaebol eine Bank zu, die selbst unter der strikten Kontrolle der Regierung stand und darauf zu achten hatte, daß ihr Chaebol sich an die offiziellen Vorgaben hielt und zufriedenstellend arbeitete. Über den Kredit (die sog. policy loans) und Investitionspläne steuerte sie mittels des Economic Planning Board die Wirtschaft (und zwar bereits seit 1962).

Hätte man dem Aktienmarkt bei der Unternehmensfinanzierung einen größeren Raum gewährt, wäre dieses Zusammenspiel – oder genauer: das planwirtschaftliche System in seiner koreanischen Spielart – erheblich gestört worden. Tatsächlich leistete die Emission von Aktien einen größeren Beitrag zur Unternehmensfinanzierung als in vielen anderen Ländern [1963-94 schwankte der Anteil der Aktien an der Gesamtfinanzierung koreanischer Unternehmen zwischen 11 und 17%. In Deutschland lag er 1970-89 gerade mal bei 2,3%, in Japan bei 3,9%, in Korea bei 13,4%. In den USA war der Beitrag sogar negativ (-4,9%), vermutlich wegen Rückkäufen von Aktien und der Umwandlung von Aktiengesellschaften in andere Unternehmensformen. (Nach Chang/Park 1999, S. 23f.). Daran hat sich bis heute nicht viel geändert: "A mere 7 per cent of the money rai sed on the international capital markets took the form of equity last year." (John Plender, FT, April 4, 1998, S. 13).] , doch war der Finanzbedarf der Unternehmen aufgrund ihrer sehr hohen Investitionen so enorm hoch, daß die Banken den Löwenanteil finanzieren mußten. Die hohe Sparquote der koreanischen privaten Haushalte (um 20 Prozent) und die beträchtlichen Ersparnisse der Unternehmen und des Staates ermöglichten die im internationalen Vergleich außerordentlich hohen Investitionsquoten und Wachstumsraten (s. Tabelle 1). Anders herum gefragt: Wie müßten Aktienmärkte aussehen, die in der Lage sind, solch hohe Sparaufkommen in produktive Investitionen (aber nicht in Kurssteigerungen und ohne Manias, panics and crashes [So der Titel eines bekannten Buches von Charles Kindleberger.] !) umzusetzen? [Aktienmärkte sind vor allem Sekundärmärkte, also Märkte für bereits emittierte, gebrauchte Aktien. (Vgl. Scitovsky 1994). Man sollte sie, analog zu Gebrauchtwagenmärkten, Gebrauchtaktienmärkte nennen. ]
Und wie hätte man koreanische Hausfrauen (die Finanzminister im kleinen) vor 30 Jahren (und auf dem damaligen Einkommensniveau) dazu bringen sollen, ihre Ersparnisse vor allem in Aktien anzulegen? Da brachten sie ihre Ersparnisse lieber sicher verzinst zur Sparkasse oder zur Bank.

[Seite der Druckausg.: 5]

Es dürfte eigentlich niemanden überraschen, daß in einem so gestalteten System der Unternehmens- und Investitionsfinanzierung, die Unternehmen, insbesondere wenn sie so stark wachsen wie die koreanischen, hohe Verbindlichkeiten gegenüber Banken erwerben und entsprechend hohe Quoten von Verschuldung zum Eigenkapital, d.h. zum Börsenwert des Unternehmenskapitals, ausweisen. Deshalb wäre es sicherlich sinnvoller (und nicht nur im Falle koreanischer und japanischer Unternehmen), ihre Verschuldung nicht mit dem, von der Laune der Börsen beeinflußten Eigenkapital, sondern mit dem Gesamtvermögen ins Verhältnis zu setzen. [Der Börsenwert eines Unternehmens ist kein direktes Maß für das den Wert seines physischen und organisatorischen Kapitals. Theore tisch sollte der Preis einer Aktie den abdiskon tierten Wert der erwarteten Erträge eines Unter nehmens widergeben. Praktisch können die Gebrauchtaktienmärkte das nicht leisten, da sie losgelöst von tieferen Kenntnissen der Verhält nisse und Potentiale von Unternehmen (das würde gesetzlich nicht erlaubtes Insider-Wissen voraussetzen) von Herdenverhalten und kurzfristigen Kursgewinnerwartungen geprägt sind. Diese sind in Gebrauchtwagenmärkten, die mit abdiskontierten Gebrauchswerten von Autos handeln, kaum zu finden – weshalb ihre Preisentwicklung eben recht träge verläuft. Da die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt und die der Unternehmen selbst kurz-, mittel- und langfristig sehr viel stabiler verläuft als die Kurse an den Gebrauchtaktienmärkten , ist es geradezu absurd, anhand deren Bewertung von Unternehmen, aussagekräftige Indikatoren wie das Kurs-Gewinnverhältnis oder die hier zur Diskussion stehende Verschuldungsquote berechnen zu wollen. Da liefert das Bilanzvermögen trotz seiner Schwächen jedenfalls eine bessere Grundlage.]

Tut man dies – John Burtons Tabelle weist freundlicherweise auch das Gesamtvermögen der Chaebol aus – stellt man fest, daß sich bei den allermeisten Chaebol die Verbindlichkeiten zwischen 70 und 85 Prozent des Unternehmensvermögens bewegen. Selbst bei den o.g. "Ausreißern" liegt die so berechnete Verschuldungsquote bei "nur" 95 bis 103 Prozent.

Es ist schwer zu sagen, ob Verschuldungsquoten von 70-85 Prozent auf gesunde Unternehmen hinweisen oder nicht. Wenn nach einem Investmentboom in 1994/95 und in einem so schwierigen Jahr wie 1996 bei Unternehmen, die ja seit den 60er Jahren praktisch aus dem Nichts gekommen und kreditfinanziert herangewachsen sind, 15-30 Prozent des Unternehmensvermögens den Unternehmen selbst bzw. deren Eigentümern gehören, klingt das prima facie erst einmal nicht schlecht. Verschuldungsquoten um 100 Prozent sind da eher besorgniserregend; trotzdem müssen sie, da sie sich auf ein Krisenjahr beziehen, nicht unbedingt den baldigen Tod des Patienten bedeuten. Hinzu kommt, daß Bilanzwerte, auf denen die Gesamtvermögensdaten der Tabelle Burtons beruhen dürften, den Wert von Unternehmen normalerweise unterschätzen. [Vermögensbestände werden aus steuer-, bilanzrechtlichen und methodologischen Gründen nur verzerrt und unvollständig erfaßt. Das Organisationskapital ( intangible assets ) bleibt ganz außen vor. ]

Das gibt noch keine Antwort auf die oft zu findende Behauptung, daß die Rentabilität koreanischer Unternehmen vergleichsweise gering sei. Auch hier gibt es eine Reihe methodischer Probleme. In einer auf Kurs/Gewinnverhältnissen basierenden Studie der Weltbank, nahm Korea unter 44 Ländern den vorletzten Platz ein. Interessanterweise nahmen Thailand und Indonesien den 1. und den 3. Platz ein. So einfach ist die Brücke zur Krisengefährdung offenbar nicht zu schlagen. Verwendet man andere Indikatoren, z.B. das Verhältnis vom

[Seite der Druckausg.: 6]

Bruttogewinn zum Umsatz, schneiden koreanische Firmen gar nicht schlecht ab. [Ausführliche Diskussion und diverse Meßzahlen in Chang/Park 1999, S. 7-12. Der Nettobetriebsüberschuß ( net operating surplus ) koreanischer Produktionsunternehmen erreichte 1974-95 im Schnitt ca. 45% des Nettoproduktionswertes ( net value added ). Nur in Japan findet man vergleichbare Werte. In den USA liegt diese Quote bei 20,3%. (OECD 1997, S. 82). Auch der Eigenanteil der Unternehmen an der Finanzierung der Investitionen ist recht hoch (1992-95 47,3% der Bruttoinvestition; BOK).]

Aus einer anderen Perspektive mag man sich fragen, wie es denn zusammenpassen soll, daß diese enorm erfolgreichen und im Vergleich zur übrigen Wirtschaft hochproduktiven Großunternehmen – die 5 größten Chaebol erstellen 37 Prozent der Lande erbrachten Waren- und Dienstleistungen mit nur 2,8 Prozent der Gesamtbeschäftigten [Economist, 14.11.1998, S. 80. ] – in Existenznöten sein sollen. Wie müßte es dann erst in der übrigen Wirtschaft aussehen? Insgesamt stehen die Industrieunternehmen mit ihrer Rentabilität offensichtlich nicht schlecht da.

Vieles deutet also darauf hin, daß die vielzitierten Verschuldungsquoten koreanischer Unternehmen in erster Linie ein kognitives (oder vielleicht interessenbedingtes) Problem westlicher Beobachter sind.

Nicht, daß es keine Konkurse von Chaebol gegeben hätte; ganz im Gegenteil. Solche Risiken sind in einer Wirtschaft, die über mehrere Jahrzehnte dermaßen hohe Wachstumsraten ausweist, immer gegeben: Schließlich hat die Regierung einige von ihnen bankrott gehen lassen oder mit anderen vereint. Andererseits hat es auch immer wieder staatlich koordinierte und mitfinanzierte Rettungsmaßnahmen von Unternehmen gegeben: Ihnen kann sich eine Regierung nicht entziehen, wenn sie dermaßen großen Einfluß auf die Investitionsentscheidungen von Unternehmen nimmt, wie das in Korea über viele Jahre der Fall war. Mehr noch: Die Übernahme eines Teils des unternehmerischen Risikos durch den Staat ist unter den Bedingungen des koreanischen Wachstumsregimes ein Äquivalent zum Prinzip der beschränkten Haftung, die ein Instrument zur Sozialisierung von unternehmerischen Risiken darstellt. Die Durchsetzung dieses Prinzips, die im 19. Jahrhundert alles andere als einfach war, brachte u.a. die Aktiengesellschaft und damit einen neuen Akkumulationsmodus her. ["If uncertainty involved in investment decisions is very great, it may be that the decisions could not be taken unless liability of their consequences were generalised as widely as possible." (Richardson 1960, S. 211). Auch das moderne Konkursrecht beinhaltet die Sozialisierung unternehmerischer Risiken. ]
So sind staatliche Garantien unter koreanischen Bedingungen eine in sich kohärente und notwendige Anwendung des Prinzips der beschränkten Haftung. [Der Staat übernimmt gewisse Risiken ex post , weil ohne seine Garantien viele Investitionen gar nicht vorgenommen worden wären und der Akkumulationsprozeß entsprechend langsamer (wenn überhaupt) vorangekommen wäre. ]

Also: Unter den Bedingungen des koreanischen Akkumulationsregimes machen die üblichen Definitionen von Verschuldungsquoten also keinen Sinn. Zudem weisen diverse Indikatoren darauf hin, daß die Finanzsituation der meisten Konzerne vor der Krise vom Herbst 1997 nicht existenzbedrohend gewesen sein kann.

1.2.2 Faule Kredite der Banken?

Die koreanischen Investitionsquoten (s. Tabelle 1) nehmen weltweit einen Spitzenplatz ein. Hohe Investitionen bedeuten hohes Risiko. Ex post übernimmt der Staat einen Teil dieser Risiken. Unmittelbar betroffen von den hohen Risiken sind neben den Un-

[Seite der Druckausg.: 7]

ternehmen selbst vor allem die Banken, da sie die Investitionen in der Hauptsache finanzieren müssen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß der Anteil der zweifelhaften und nicht mehr einbringbaren Forderungen der Banken in Korea relativ hoch ausfällt. Doch gerade daran wollten viele Kritiker und Kommentatoren, eben auch während und nach der Krise, eine ihrer wesentlichen Ursachen erkennen. Die Schlußfolgerung, die sie daraus zogen, war dann auch klar: Die strukturellen Ursachen der Krise vom Herbst 1997 liegen in der Überschuldung der Unternehmen und in den faulen Krediten der diese finanzierenden Banken.

In der Tat ist der Anteil der non-performing loans [Dazu gehören Außenstände die als " sub standard, doubtful and loss " eingestuft wurden.] am gesamten Kreditvolumen recht hoch und wuchs unmittelbar vor der Krise vom November 1997 stark an. Bei den Geschäftsbanken [Für die begriffliche Klärung danke ich Ralf Müller, Univ. Halle (persönliche Mitteilung).] (commercial banks) steigen sie vom 4. Quartal 1996 zum 3. Quartal 1997 von 4 auf 6,9 Prozent an. [Baliño/Ubide 1999, S. 18. Dabei ist zu bedenken, daß sich solche Daten auf das gesamte Kreditvolumen und nicht nur auf den Anteil, der den Chaebol zukommt, beziehen. ]
Das mag einem amerikanischen oder europäischen Analysten als ein sehr hoher Wert erscheinen; in Korea sind solche Werte normal. Bereits 1990 wurden 7,5 [Chang 1998, S. 1556.] und 1993 7,4 Prozent erreicht (s. Tabelle 1). [Erst nach der Krise nahmen die non-per forming loans der Commercial banks so richtig zu. Ende März 1998 lag ihre Quote bei 7,7, Ende 1998 bei 7,4 und Ende Juni 1999 bei 8,7%. Für alle Banken belief sich die Quote Ende Dezember 1998 auf 10,5 und Ende Juni 1999 auf 11,3%. (Baliño/Ubide 1999, S. 18; IMF 2000a, S. 88). Diese hohen Quoten erga ben sich, obwohl die öffentliche Hand riesige Schuldenberge übernommen hatte (s. Fußn. 39).]

Wenn ein hoher Anteil fauler Kredite 1990 und 1993 keine Krise ausgelöst hatte, warum sollte eine niedrigere Quote das 1997 tun?

1.2.3 Zu hohe Auslandsverschuldung?

In Tabelle 1 fällt die rasante Zunahme der Auslandsverschuldung des Landes auf. Die Bruttoauslandsverschuldung nahm 1993-96 um 138 Prozent zu. Auch wenn man die Verbindlichkeiten der Auslandsfilialen koreanischer Finanzinstitutionen, die der IWF nicht ohne Willkür der Auslandsschuld Koreas zugeschlagen hat, abzieht [Damit weicht der IWF von dem sonst übli chen Jurisdiktions prinzip der Statistik ab. Man ging wohl davon aus, obwohl es dafür keine rechtliche Handhabe gibt, da sich Auslands töchter im Rahmen der Gesetze des Gastlandes konstituieren, daß die koreanischen Mutterhäu ser für deren Verbindlichkeiten eintreten müs sen. Sie finanzierten vorwiegend Investitionen der Auslandstöchter koreanischer Unternehmen (1997 hatten diese Töchter Bruttoschulden von 53,2 Mrd. Dollar, davon ca. 21 Mrd. gegenüber Auslandsfilialen koreanischer Finanzinstitutio nen; IMF 1998a, S. 37). Die deutlich höheren IWF-Verschuldungsda ten (1996 und 97 rd. 50 bzw. 40 Mrd. Dollar) hatten eine krisenverschärfende Nebenwirkung: Sie wurden vom IWF zum Ausbruch der Krise im November 1997 publik gemacht und hinter ließen den von den Medien schnell weiterver breiteten Eindruck der Inkompetenz und der Unaufrichtigkeit koreanischer Behörden. ] , fällt die Zunahme nicht geringer, sondern sogar noch etwas höher aus (175 Prozent). Die größten Zuwächse fanden freilich bis 1996 statt. 1994 und 95 lassen sich diese Zuwächse nur zu einem geringen Teil auf konjunkturelle Einflüsse zurückführen. Diese überwiegen allerdings deutlich in 1996, einem, wie wir bereits wissen, schwierigen

[Seite der Druckausg.: 8]

Jahr für die koreanische Wirtschaft. [Das Leistungsbilanzdefizit belief sich 1996 auf 23,0 Mrd. US$ (BOK Datenbank); die Zentralbankreserven nahmen um 0,5 Mrd. Dollar zu. Demgegenüber nahm die Bruttoauslandsverschuldung (Tabelle 1, Zeile 13) um 26,8 Mrd. Dollar zu. Fast 90 Prozent der Auslandsverschuldung dienten 1996 also der Gegenfinanzierung der Leistungsbilanzdefizits. ]
Im folgenden Jahr ist der Zuwachs dann nur noch gering (6,2 Mrd. Dollar bis September 1997).

Auch hier fragt man sich, wie die Auslandsschuld, die ihre schlimmste Wachstumsphase bereits hinter sich hatte, 1996 vor allem konjunkturbedingt und 1997 kaum noch wuchs, die Krise im Herbst 1997 ausgelöst haben sollte.

Hinzu kommt, daß das Verschuldungsniveau keineswegs Anlaß zur Sorge bieten mußte. Die Weltbank klassifiziert Länder, deren Verschuldung unterhalb von 48 Prozent des BIP bleibt, als "weniger verschuldet". Korea kommt 1996 gerade einmal auf 21,8 Prozent. Selbst nach der großzügigeren IWF-Definition ergibt sich eine Bruttoverschuldungsquote von ‘nur’ 31,6 Prozent. Außerdem sollte man annehmen, daß aus Sicht der Finanzmärkte nicht die Bruttoverschuldung, sondern vor allem die Nettoverschuldung, also deren Verrechnung mit Vermögenspositionen, von Interesse ist. Nun, die Nettoverschuldung im Verhältnis zum BIP (nicht etwa zu dem um ein Vielfaches höheren Vermögen Koreas) lag Ende 1994 bei 6,1 Prozent und Ende 1996 bei 10,3 Prozent; 1997 erhöhte sie sich nur noch um 0,6 Prozent. [MOFE; eigene Berechnungen. Bereits Ende 1999 weist die Statistik eine Nettovermögensposition von 9,3 Mrd. Dollar (2,3% des BIP) aus.]

Spätestens an diesem Punkt, würde man wohl zugeben müssen, wird jedes Argument über die Auslandsverschuldung als Ursache der Krise fadenscheinig ..... wenn da nicht das Fristigkeitsproblem wäre – das ebenfalls zu den ständig wiederholten Argumenten gehört.

Der Anteil der kurzfristigen Verbindlichkeiten (s. Tabelle 1) ist in der Tat beachtlich hoch. In der IWF-Definition erreicht er im September 1997 mit 61 Prozent seinen Höchstwert. In der sonst üblichen Definition werden auch nicht gerade beruhigende 54,8 Prozent erreicht. Das sind im internationalen Vergleich vermutlich erschreckend hohe Werte. Können sie aber die Krise herbeigeführt haben?

Der Anteil der kurzfristigen Verbindlichkeiten bewegte sich schon seit Anfang der 90er Jahre auf sehr hohem Niveau, und zwar in beiden Definitionen. Der Vergleich der beiden Reihen zeigt, daß sich die Auslandsfilialen koreanischer Finanzinstitutionen in den früheren Jahren in höherem Maße kurzfristige Verbindlichkeiten aufluden als ihre einheimischen Muttergesellschaften. In den Jahren 1995-1997 drehte sich dieser Trend um: Die kurzfristigen Verbindlichkeiten der letzteren wuchsen nun deutlich schneller an. Ob das ausreicht, um eine Krise auszulösen, mag allerdings bezweifelt werden. Denn letztlich war der Zuwachs des Anteils der kurzfristigen Verbindlichkeiten der einheimischen Finanzinstitutionen doch nur inkrementell: 2,8 Prozent zwischen 12/95 und 12/96 und 2,7 Prozent zwischen 12/1996 und 9/97.

So fällt es auch beim Niveau der Auslandsschuld und dem Anteil der kurzfristigen Verbindlichkeiten recht schwer, diese mit der kommenden Krise in Verbindung zu bringen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

Previous Page TOC Next Page