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Demokratisierung der Integration : Volksabstimmungen zur Erweiterung und Vertiefung der EU / [Michael Dauderstädt]. - [Electronic ed.]. - Bonn. - [4] S. : Ill. = 16 Kb, Text & Image file . - (Politikinfo/Analyseeinheit Internationale Politik)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Die dem deutschen EU-Kommissars Verheugen zugeschriebene Idee, in der Bundesrepublik eine Volksabstimmung zur Osterweiterung der EU durchzuführen, hat zu einer hitzigen Debatte in der Öffentlichkeit geführt. Dabei konzentriert sich die Kritik gern auf die (von Verheugen gleich schon erwähnte) verfassungsrechtliche Absurdität des Vorschlags, um dem eigentlichen Problem, der mangelnden Zustimmung der Bevölkerung zur Osterweiterung und anderen wichtigen Entscheidungen des europäischen Integrationsprozesses (und damit dessen demokratischer Legitimität) auszuweichen.

Öffentliche Meinung und Osterweiterung

Die öffentliche Meinung in den Mitgliedsstaaten der EU zeigt seit Anfang der 90er Jahre eine wachsende Europaskepsis, die sich auch zur Jahrhundertwende nur wenig gemäßigt hat. Dahinter verbergen sich in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Ursachen, aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sozialen Probleme (Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Verschlechterung der Einkommensverteilung) dürften wichtige Faktoren sein. Zwar kann die EU für diese Entwicklungen bestenfalls partiell verantwortlich gemacht werden, aber sie dient der nationalen Politik oft als Sündenbock. Aus der Sicht der Menschen kommt dann erschwerend hinzu, daß sie nicht das Gefühl haben, die Politik der EU im gleichen Maß demokratisch kontrollieren zu können wie die nationale. Wenn in Deutschland schon Politikverdrossenheit herrscht, darf sie in Europa nicht verwundern.

Die Osterweiterung bildet dabei keine Ausnahme. Bei der letzten Eurobarometerumfrage (erschienen im Juli 2000) hielten im EU-Durchschnitt nur 27% der Befragten die Aufnahme neuer Mitglieder für eine Priorität, wobei die Quote in Deutschland mit 20% am niedrigsten war (am höchsten in Dänemark mit 57%). „Keine Priorität" heißt nun nicht, daß man dagegen ist. 1998 waren bei einer Eurobarometerumfrage noch 42% für eine Erweiterung, in Deutschland allerdings nur 34%. Dabei glauben nur wenige Befragte einer anderen Erhebung (GfK 1999), daß ihr Land von der Osterweiterung stark betroffen sei. Im Durchschnitt von acht wichtigen EU-Ländern sahen sich nur 26% stark und weitere 40% etwas betroffen; der östliche Grenzstaat Deutschland lag mit 32% bzw. 43% wohl zu Recht etwas höher.

Konkret hat die GfK-Umfrage drei Problemdimensionen bei den Befragten erhoben, nämlich die Einwanderung billiger Arbeitskräfte, die höheren Kosten für den EU-Haushalt und den Kapitalabfluß nach Osten. Im 8-Länderdurchschnitt erwarteten 67% (Deutschland 76%) der Befragten eine derartige Migrationswelle, 61% höhere Kosten (im größten Nettozahlerland Deutschland 86%) und 58% Kapitalabwanderung (Deutschland 63%).

Die meisten wissenschaftlichen Analysen teilen diese Einschätzungen nur bedingt. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie von Quaisser u.a. (zu bestellen bei der Adresse unten) belegt, daß die zu erwartenden Effekte der Osterweiterung für Wachstum und Beschäftigung in der EU sich in sehr bescheidenem Rahmen halten. Der Wechselkurs des Euro zum US$ dürfte erheblich höhere Wirkungen haben. Außerdem ist es noch eine Frage der konkret derzeit auszuhandelnden Beitrittsbedingungen, ob, wann und in welcher Höhe Effekte zu erwarten sind. Die Kosten etwa hängen stark davon ab, wie die Gemeinsame Agrarpolitik und die Strukturpolitik gegenüber den östlichen Neumitgliedern ausgestaltet wird. Die Migration wiederum hängt von Übergangsfristen und der Wohlstandsentwicklung in den Beitrittsländern ab, die ihrerseits positiv von jenen Investitionen beeinflußt wird, die die Befragten auch wieder fürchten. Kurz: Vielen Sorgen der Bürger kann noch Rechnung getragen werden, ohne den Beitritt selbst zur Abstimmung zu stellen.

Angesichts dieser Zusammenhänge erscheint es fraglich, ob gerade diese Frage einem Referendum unterworfen werden sollte, wenn für die Menschen viel wichtigere Fragen, seien sie nun europäischer (z.B. die Einführung des Euro) oder nationaler Natur (z.B. Steuer- und Rentenreform) nicht per Volksabstimmung entschieden werden.



Volksabstimmungen in der EU

In einigen Mitgliedsstaaten der EU haben zu europäischen Fragen Volksabstimmungen stattgefunden. Die Ergebnisse bestätigen aber nicht nur die Bedeutung dieser Fragen, sondern auch die Wechselhaftigkeit der Volksmeinung und die Fragwürdigkeit ihrer Begründung. So haben Themen, die aus der historischen Sicht der europäischen Integration eher als Bagatellprobleme anzusehen sind, oft die Sichtweise der Menschen zur EU stärker beeinflußt als die großen Fragen der Vertiefung und Erweiterung. In Frankreich etwa scheiterte das Maastricht-Referendum fast an der Entscheidung der EU-Kommission zum französischen Rohmilchkäse. Die Deutschen waren über wenige EU-Entscheidungen so erbost wie die EU-Einschränkungen beim Reinheitsgebot für Bier.

Das französische Referendum am 20.9.1992 zu Maastricht war eigentlich überflüssig, da die notwendige Verfassungsänderung im parlamentarischen Prozeß schon vollzogen war. Die Teilnahme lag trotzdem bei fast 70%, was von einem großen Interesse der Franzosen zeugt. Der Ausgang war knapp mit 51% dafür und 49% dagegen. Genauso knapp - allerdings zugunsten der Maastrichtgegner - war das erste dänische Referendum am 2.6.1992 ausgegangen, bei dem 23.424 Stimmen den Ausschlag für die Ablehnung des Vertrags gaben. Nachdem die EU auf dem Gipfel von Edinburgh den Dänen entgegengekommen war, stimmten diese am 18.5.1993 ein zweites Mal ab und bejahten nun den modifizierten Vertrag mit fast 57% gegen gut 43%. Die Wahlbeteiligung lag beides Mal bei über 80%. Schon 1986 hatte Dänemark über die „Einheitliche Europäische Akte" (die Grundlage des Binnenmarktes) ein Referendum abgehalten, bei dem 56% der Wähler zustimmten (Beteiligung 75,4%).

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob und welche europapolitischen Entscheidungen eine Volksabstimmung verdienen. Wenn man nicht auf EU-Ebene das neue Instrument eines EU-weiten Volksentscheids einführen will, muß diese Frage der nationalen Verfassung und Politik überlassen bleiben. Hier wird eine plebiszitäre Demokratie anders entscheiden als eine parlamentarische. In der Regel dürften wohl nur Fragen von Verfassungsrang Gegenstand von Volksentscheiden sein, mindestens jedoch Fragen, die in der EU auch die Ratifizierung durch die Volksvertretungen aller Mitgliedsstaaten erfordern. Zu dieser Kategorie zählt auch die Aufnahme neuer Mitglieder, ohne aber Verfassungsrang zu haben.



Volksabstimmungen in Beitrittsländern

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Undisplayed GraphicQuelle: Eurobarometer

Während Volksentscheide zu EU-Angelegenheiten in Mitgliedstaaten nur selten, nämlich nur bei Vertragsänderungen von Verfassungsrang anstehen, sind Referenden zum EU-Beitritt in Kandidatenländern durchaus verbreitet. Angesichts der gewaltigen Veränderung, die ein EU-Beitritt in alle Facetten des Lebens bringt, erscheint ein Volksentscheid über einen Beitritt im Kandidatenland auch viel angemessener als ein Referendum zur Erweiterung in einem Mitgliedsstaat.

So stimmten die Dänen 1972 mit 63,4% Ja-Stimmen und bei einer Beteiligung von über 90% dem Beitritt ihres Landes zu. Bei der EFTA-Erweiterung fanden 1994 Volksentscheide statt. Am 12.6.1994 stimmten zwei Drittel der Österreicher bei einer Beteiligung von 82,2,% für den Beitritt. Heute schätzen nur noch ein Drittel der befragten Österreicher die EU-Mitgliedschaft. Die Schweden entschieden sich am 13.11.1994 deutlich knapper, nämlich nur mit 52% für den Beitritt. In Norwegen siegten die Beitrittsgegner. In Finnland entschieden sich in einem Referendum am 16.10.1994 56,9% der Wähler für einen EU-Beitritt. In der plebiszitären Schweiz stimmte 1995 eine Mehrheit sogar gegen den Schweizer Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum.

In den Beitrittsländern Mittel- und Osteuropas ist seit der Zeit der Beitrittsanträge (1993-95) die Europabegeisterung stark zurückgegangen. Betrug die Zustimmung zum EU-Beitritt in der ersten Hälfte der 90er Jahre meist über 80% so brach sie 1996 stark ein und liegt nun bei verschiedenen Meinungsumfragen eher auf dem Niveau der Volksabstimmungsergebnisse der letzten Erweiterungsrunde (siehe Tabelle).

Inzwischen haben sich die Werte weiter verändert, teils zugunsten teils gegen einen Beitritt. Sicher würden die Wähler bei einem Volksentscheid nach einer dann intensiven nationalen Debatte eine deutlich durchdachtere und informierte Entscheidung treffen.

Die EU ihrerseits könnte überlegen, ob sie einen derartigen Entscheid von Kandidaten grundsätzlich verlangen sollte, um zu garantieren, daß wirklich nur „überzeugte Europäer" beitreten. Dazu könnte sowohl ein Quorum (Mindestwahlbeteiligung) als auch eine Mindestzustimmung dienen. Allerdings hätte eine solche Bedingung den Beitritt manches heutigen Mitglieds verhindert, aber auch die politische Kohärenz gestärkt, die heute z.B. im Fall Österreichs durch Kräfte geschwächt wird, die durch einen EU-Beitritt an Bedeutung gewannen, den große Bevölkerungsteile nicht aus vollem Herzen billigten.



Die europäische Integration - Elitenprojekt oder Volkswille ?

Der europäische Integrationsprozeß droht seit einigen Jahren zu einem Elitenprojekt zu werden. Besonders die Währungsunion und die Einführung des Euro wurde lange gegen den erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit (zumindest in Deutschland) betrieben. Aber es wäre falsch zu sagen, daß über die europäische Politik nicht demokratisch entschieden würde. Die Wähler haben grundsätzlich auf mindestens zwei Ebenen Gelegenheit, sich zu äußern: in nationalen Wahlen und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Das Problem der europäischen Demokratie liegt aber darin, daß auf beiden Ebenen europäische Themen nur eine sekundäre Rolle spielen. Das mag bei der Wahl zum nationalen Parlament noch nahe liegen (obwohl auch dort unterschiedliche Haltungen zu europapolitischen Fragen eine größere Rolle spielen könnten und sollten), aber auf europäischer Ebene ist dieses Manko katastrophal. Es belegt, daß gesamteuropäische Wahlkämpfe nicht mit in echtem Sinne alternativen europapolitischen Programmen geführt werden. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) und die Partei der Europäischen Sozialdemokraten (PES) treten mit ihren traditionellen Werteetiketten an, um ihre üblichen nationalen Wählerklientele mit den gleichen Mitteln zu gewinnen wie in der nationalen Politik. Sie bieten aber nur schwach differenzierte europapolitische Optionen. Die Wähler reagieren konsequent mit niedriger Beteiligung.

Dabei hat das seit 1979 direkt gewählte Europaparlament seit dem Amsterdamer Vertrag deutlich erweiterte Mitspracherechte. Aber Europas Bürger haben noch nicht genügend erkannt, daß die Mehrebenendemokratie der EU auf EU-Ebene sich einem Zweikammersystem annähert, das sie einmal im Europaparlament durch die Wahl ihrer Europaabgeordneten oder im Rat durch ihre Regierung beeinflussen können.

Bei wenigen EU-Entscheidungen ist dies so klar wie der Aufnahme neuer Mitglieder, die im Parlament mit absoluter Mehrheit und im Rat einstimmig zu beschließen ist. Da sie außerdem von den Parlamenten (und zwar wiederum von allen Kammern) der Mitgliedstaaten ebenfalls zu ratifizieren ist, gehört die Aufnahme neuer Mitglieder zu den noch am besten demokratisierten Entscheidungen.

Aber auch diese formale Mitwirkungsmöglichkeit muß den Menschen hohl erscheinen, wenn die politischen Parteien, die zu ihrer Meinungsbildung beitragen und ihre Interessen bündeln und ins politische System transportieren sollen, keine Alternativen bieten. Man könnte die europäische Demokratie allerdings auch nach unten öffnen, indem man europaweite Volksbegehren zuläßt. Wenn europapolitische Alternativen das Reservat der extremen Parteien bleiben, drohen diese mit der Bedeutung europäischer Politik zu wachsen.

Michael Dauderstädt


Friedrich-Ebert-Stiftung, 53170 Bonn, fax: 0228 / 883 538, e-mail: Daudersm@fes.de


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