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Polens Präsidentschaftswahlen : Entscheidung in der zweiten Runde / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - graph. Darst. = 16 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 51)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


Seit einigen Monaten ist der Präsidentschaftswahlkampf in Polen in vollem Gange, obwohl der Termin der Wahlen noch nicht feststeht. Nach unterschiedlichen Andeutungen verschiedener Politiker, zuletzt des aus der Bauernpartei stammenden Parlamentspräsidenten Zych, dürften die Wahlen zum spätest möglichen Zeitpunkt, also etwa einen Monat vor Ende der Amtszeit Walesas am 22. Dezember 1995 stattfinden. Erst nach der Verkündung des amtlichen Wahltermins können die Kandidaten für das höchste Staatsamt offiziell registriert werden. Bedingung ist, daß sie jeweils die Unterschrift von mindestens 100 000 wahlberechtigten Polen nachweisen können.

Ähnlich wie im französischen sind im polnischen Wahlsystem zwei Wahlgänge vorgesehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Präsidentschaftswahlen im 2. Wahlgang entschieden, da der in den Umfragen seit Monaten führende Vorsitzende der reformkommunistischen Regierungspartei ''Sozialdemokratie der Republik Polen (SDRP)'', Alexander Kwasniewski, im 1. Wahlgang kaum die notwendige absolute Mehrheit der Stimmen erhalten wird. Im 2. Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit für den Sieg ausreicht, müßte er dann höchstwahrscheinlich gegen einen der vier Kandidaten antreten, die gute Chancen auf den zweiten Platz in der ersten Runde haben: den derzeitigen Staatspräsidenten Walesa, die Vorsitzende der polnischen Nationalbank, Hanna Gronkiewicz-Waltz, auf der ''Rechten'', Tadeusz Zielinsky, Ombudsmann und Kandidat der sozialdemokratischen Arbeitsunion (UP) und Jacek Kuron, Kandidat der reformorientierten Freiheitsunion (UW) auf der ''Linken''.

Die Wahlbeteiligung wird auf für Polen ungewöhnlich hohe ca. 70 % prognostiziert.

Umfrageergebnisse für die fünf bestplazierten Präsidentschaftskandidaten (Stand: August 1995)

Wahlkampf: sich von Walesa und Kwasniewski unterscheiden

Um das Präsidentschaftsamt wollen sich ca. 30 Kandidaten bewerben. Nach den bisherigen Umfrageergebnissen sind weniger als 10 Bewerber von Bedeutung. Ungewiß ist immer noch, wen die mitregierende Bauernpartei PSL, eine frühere Blockpartei, als Kandidaten benennen wird. Jedoch werden ihre beiden möglichen Bewerber, sowohl der ehemalige Premierminister Waldemar Pawlak mit derzeit 3 % der Stimmen und der Parlamentsvorsitzende Josef Zych mit 4 % keine Chancen haben.

Die Wahlen haben auch einen parteipolitischen Charakter; die wichtigen Kandidaten bemühen sich um oder genießen die Unterstützung von Parteien.

Auf der Linken ist Alexander Kwasniewski Parteiführer der postkommunistischen SDRP. Die beiden Kandidaten des Post-Solidarnosc-Lagers, Jacek Kuron und Tadeusz Zielinsky, die um ideologisch ähnlich ausgerichtete Wählergruppen werben, sind jeweils Kandidaten einer Partei. Gescheitert sind ursprünglich ausgedachte Konzepte, einen überparteilichen Kandidaten aufzustellen und damit Tendenzen zur Vereinheitlichung der in unterschiedlichen Parteien repräsentierten sozialdemokratischen Bewegungen zu befördern. Jacek Kuron, früherer Arbeitsminister und lange Jahre der beliebteste Politiker Polens, der ursprünglich einmal als Einheitskandidat ausgedacht war, erhielt jedoch weder die Zustimmung der postkommunistischen SDRP noch die der offiziell im Post-Solidarnosc-Lager stehenden Union der Arbeit (UP). Auf deren Wahlkongreß entschied sich die Mehrheit der zum großen Teil aus der alten kommunistischen Partei stammenden regionalen Vertreter gegen den entsprechenden Vorschlag der Mehrheit der UP-Führung, die ihrerseits Solidarnosc-Abstammung hat. Sie wählte statt dessen den derzeitigen Ombudsmann Tadeusz Zielinsky zu ihrem Kandidaten.

Die zersplitterte Rechte verfügt z.Zt. über 8 Kandidaten. Immer wieder anberaumte Sondierungen und Gespräche zwischen Persönlichkeiten und Parteigruppierungen zur Beschränkung auf einen einzigen Kandidaten, der gegen Kwasniewski Chancen hätte, führten bisher zu keinem Erfolg. Die Gewerkschaft Solidarnosc und früher schon die Christlich Nationale Vereinigung (ZChN) haben Walesa vorgeschlagen, sich zugunsten der Nationalbankpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz zurückzuziehen. Als Gegenleistung bot man ihm die Leitung eines ''Blocks der Rechten'' an, mit dem er die Parlamentswahlen im Jahre 1997 gewinnen möge. Solidarnosc drohte sogar damit, daß sie keinerlei Kandidaten unterstützen werde, wenn die rechtsorientierten Gruppierungen bis Mitte September keine diesbezüglichen Übereinkünfte treffen können. Alle Kandidaten versuchen, ihr Image in Opposition zu Walesas bisherigem Präsidentschaftsstil zu entwickeln, da dieser - entsprechend Umfragen - von ca. 60 % der Polen nicht gebilligt wird.

Von großer Bedeutung wird auch die Position der katholischen Kirche sein. Kardinal Glemp und die Vollversammlung des Episkopats der katholischen Kirche Polens haben bisher lediglich davor gewarnt, bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Kandidaten zu wählen, ''die in der totalitären Ära höchste Regierungs- und Parteiämter ausgeübt haben''. Kein Wunder, daß der bisher aussichtsreichste Kandidat, Alexander Kwasniewski, der Sport- und Jugendminister in einer kommunistischen Regierung war, diese Aussagen als Wahlkampf gegen ihn gerichteten Wahlkampf interpretieren könnte.

Die stärksten Kandidaten

Alexander Kwasniewski

ist Führer und Kandidat der postkommunistischen Sozialdemokratischen Partei Polens (SDRP) und der Wahlvereinigung des Bundes der Demokratischen Linken (SLD), des stärkeren Koalitionspartners der derzeitigen polnischen Regierung. Er ist Vorsitzender der Sejm-Kommission, die Polens neue Verfassung vorbereitet und führt seine Kampagne im ''amerikanischen Stil'', zeigt sich als Mann von Welt, setzt sich entschieden für marktwirtschaftliche Reformen, aber auch eine gerechtere Verteilung der Reformkosten ein und befürwortet die Westorientierung, also den NATO- und EU-Beitritt Polens. Mit über 20 % der Befragten führt er seit Monaten in allen Umfragen. Seine Wählerschaft ist - Umfragen zufolge - gleichmäßig auf alle sozialen Gruppen verteilt, ähnlich wie bei den Parlamentswahlen 1993 für die SLD. Ihn unterstützen sowohl Unternehmer und leitende Angestellte als auch Arbeiter und Rentner, Bewohner von Klein- und Großstädten. Auch regional sind in seiner Anhängerschaft kaum Unterschiede zu beobachten. Seine potentiellen Wähler sind entschlossen, zur Urne zu gehen, und gelten als diszipliniert und stabil.

Lech Walesa,

dem noch im Frühsommer keinerlei Chancen zugebilligt wurden, hat sich mit 14 % auf den 2. Platz der aussichtsreichen Kandidaten verbessert. Er wird von dem von ihm ins Leben gerufenen Block zur Unterstützung von Reformen (BBWR) unterstützt und rivalisiert mit Hanna Gronkiewicz-Waltz um die Unterstützung der katholischen Kirche, der Solidarnosc und kleiner rechtsorientierter Gruppierungen. Seine Wahlparole ist der ''Kampf gegen die Kommune''. Er verspricht, sich einer Wiederkehr der Volksrepublik Polen mit Erfolg zu widersetzen und die im Jahre 1990 eingegangenen Verpflichtungen zu Ende zu erfüllen, was - nach seinen Erklärungen - bisher mangels parlamentarischer Unterstützung nicht möglich war. Seine Wählerschaft sind vor allem die sozial Schwachen und Unzufriedenen. Dementsprechend kommt die Mehrheit seiner Anhänger aus strukturschwachen Regionen.

Hanna Gronkiewicz-Waltz

galt bis vor kurzem als Anhängerin Walesas und entschied sich erst spät zur eigenen Kandidatur. Im Mai erhielt sie erst 4 %, im August schon 12 % Zustimmung und nimmt damit die 3. Position ein. Ihre persönlichen Merkmale gelten als präsidentiabel. Die katholische Bankrechtlerin ist fremdsprachenmächtig, fachkundig, intelligent und besitzt Charme. In ihrer Kampagne betont sie den Hang zu traditionellen Werten (Familie, Arbeit) und spricht sich für die Marktwirtschaft sowie die Beteiligung Polens an europäischen Strukturen aus. Sie steht mit kirchlichen Bewegungen in Verbindung und wird vom Verein katholischer Familien (SRK) sowie seit Ende August von der christlichen ZChN unterstützt. Im Unterschied zu Walesa ist ihre Unterstützung breiter verteilt; dies bedeutet, daß sie im zweiten Wahlgang nicht in dem Maße wie Walesa polarisieren würde. Beobachter halten den am 27. August verlesenen Hirtenbrief der katholischen Bischöfe für eine indirekte Unterstützung ihrer Kandidatur.

Tadeusz Zielinsky

Juraprofessor, hat als Ombudsmann seit 1992 große Popularität erlangt. Er wird von der Union der Arbeit (UP), der traditionellen, heute eher belanglosen sozialistischen PPS unterstützt, versucht aber, sich in seiner Kampagne als überparteilicher Kandidat zu präsentieren. Nach Umfragen nimmt er mit 11 % den 4. oder 5. Rang ein. Seine potentielle Wählerschaft ist fast so gleichmäßig verteilt wie die Kwasniewskis. Nach Umfragen könnte er ca. 38% der Wähler Kwasniewskis, aber auch einen erheblichen Anteil der Stimmen für Frau Gronkiewicz-Waltz übernehmen. Obwohl er Kandidat einer linken Partei ist, gilt er als Mann der Mitte. Hauptgruppe seiner Anhängerschaft sind Wähler mit Hochschulbildung, aber auch Pensionäre. Als früherer Oppositionsaktivist und Senator der Demokratischen Union, die später in die Union der Freiheit (UW) aufging, wird er nicht mit dem Postkommunismus identifiziert. Im Wahlkampf präsentiert er sich als Anhänger eines sozialen Rechtsstaates, Verteidiger von Interessen der Reformverlierer und als Garant der grundsätzlichen gesetzlichen Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit.

Jacek Kuron,

früher prominenter Regimegegner, ehemaliger Arbeitsminister in den Regierungen von Tadeusz Mazowiecki und Hanna Suchocka, ist seit einigen Jahren Polens populärster Politiker. Sein Prestige und seine Beliebtheit finden aber nicht ihre Entsprechung in seiner Attraktivität als Präsidentschaftskandidat. Von vielen Seiten wird angezweifelt, ob seine körperliche Verfassung ihm die Anstrengungen des höchsten Amtes im Staate erlaubt.

Als Kandidat der UW und als Spitzenpolitiker ihres linken Flügels hat er Anhänger vor allem unter Leuten mit niedrigerem Einkommens- und Bildungsniveau, unter Arbeitslosen und denjenigen, welche durch die Reformpolitik abgestiegen sind. Er verspricht eine ''Anti-Kampagne'' zu führen: er schlägt seinen Konkurrenten Debatten über die wichtigsten Probleme Polens vor und bietet seinen Wählern an, Verträge abzuschließen, die gewisse ökonomische und soziale Garantien als Gegenleistung für ihre Akzeptanz notwendiger Reformen vorsehen. Mit derzeit 10 % in Umfragen ringt er vor allem mit Tadeusz Zielinsky um einen möglichen Einzug in den 2. Wahlgang.

2. Wahlgang: ''Volksrepublik Polen'' gegen ''Solidarnosc-Bewegung''

Die derzeit geringen Prozentunterschiede lassen vermuten, daß in der ersten Runde die Kandidaten des sog. Post-Solidarnosc-Lagers weniger gegen Kwasniewski, der ohnehin als Sieger festzustehen scheint, sondern vor allem untereinander kämpfen werden. Unklar ist, wie sich im 2. Wahlgang die Wählerstimmen verteilen. Von einigen Beobachtern wird behauptet, daß Kwasniewski lediglich 1/4 der Wähler binden kann, was ihm einen sicheren Sieg in der ersten, aber eine sichere Niederlage in der 2. Runde bescheren würde. Allerdings berücksichtigt diese Interpretation nicht die Antipathien, die jeder Kandidat auf sich zieht bzw. den Prozentsatz der Wähler, der in Umfragen erklärt, niemals für den jeweiligen Politiker zu stimmen:

  • Die meisten Antipathien, nämlich ca. 50 %, hat Walesa.
  • Nur 26 % geben an, niemals für Kwasniewski zu stimmen.

Wenn also Kwasniewski in der 2. Runde Walesa begegnen sollte, so würde dies sicherlich vom amtierenden Präsidenten und ehemaligen Solidarnosc-Chef als Krieg der ''Volksrepublik Polen'' gegen die ''Solidarnosc'' stilisiert. Allerdings ist unklar, ob dann die Unterstützung der gesamten Rechten, der Kirche und der Solidarnosc die starke Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der Amtsführung Walesas ausgleichen könnte. Andererseits können sich viele Polen keinen früheren Vertreter des alten Systems als Präsidenten vorstellen, vor allem nicht zusammen mit einer postkommunistischen Regierung.

Keine schlechten Chancen in einer Konfrontation mit Kwasniewski hätte Prof. Zielinsky, dessen Antipathie-Faktor lediglich 5 % ausmacht, und dessen geringe politische Konturen eine stärkere Anziehung unentschlossener Wähler ermöglichen würde. Die Chancen Kurons wären in diesem Sinne schon geringer, da er als Parteikandidat gilt, sein Antipathie-Indikator mit 25 % dem Kwasniewskis nahe kommt. Aus ähnlichen Gründen wie bei Zielinsky könnte auch Frau Hanna Gronkiewicz-Waltz eine gefährliche Konkurrentin für Kwasniewski sein, die zusätzlich noch mit der Unterstützung der Kirche, der Solidarnosc, der Rechten und evtl. sogar Walesas rechnen könnte.


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