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Mazedonien: Frieden und Unabhängigkeit sind nicht in Gefahr / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 14 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 55)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


Mazedonien, das kleine Kernland des Balkan (Fläche: 25.700 qm, Einwohner: 2 Mio., BIP 1994: 2 Mrd. DM.), hat als einzige der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken einen friedlichen Weg in die Unabhängigkeit gefunden. Am 8. September 1991 entschieden sich 68% der Bevölkerung in einem Referendum für die Unabhängigkeit als Republik Mazedonien.

Wie auch in den anderen Ländern des Balkans, stimmen die Staatsgrenzen nicht mit den ethnischen Siedlungsgebieten überein und daraus ergibt sich eine sehr diverse ethnische Bevölkerungsmischung. In Westmazedonien überwiegen Albaner. Verteilt im Land konzentrieren sich Türken, Roma, Serben, rumänische Vlachen, und andere Ethnien.

Die Volkszählung von 1994, von internationalen Beobachtern, trotz eines teilweisen Boykotts der albanischen Bevölkerung als korrekt bewertet, ergab folgendes Bild:

Ethnische Zusammensetzung Mazedoniens

In den Grund- und Mittelschulen gibt es Klassen in allen Landessprachen, sobald mindestens 15 Schüler einer Ethnie dazu zusammenkommen. Auf der Universität ist allerdings mazedonisch alleinige Pflichtsprache. Auch in den Medien sind alle Bevölkerungsgruppen und Landessprachen vertreten.

Die größte Gefahr für einen ethnischen Konflikt geht von den radikalen Organisationen der Albaner aus. Deren Forderungen gehen von Autonomie in einem föderalen System bis zur Sezession und der Vereinigung mit einem den Kososvo einschließenden Großalbanien.

Dabei kommen die radikalsten Aufwiegler dieser Organisationen aus dem serbischen Gebiet des Kosovo. Die Mehrheit der Albaner in Mazedonien ist jedoch für die friedliche Koexistenz, wissen sie doch sehr gut, um wieviel schlechter es ihren Brüdern in Albanien geht, und das sie selbst im Vergleich mit den Mazedoniern ökonomisch, vor allem Dank der Überweisungen der Gastarbeiter (Deutschland 40.000, Schweiz 100.000 u.v.m.), relativ gut dastehen.

Erfolgreiche internationale Integration

Der Staatsname löste den vehementen Widerspruch Griechenlands aus. Für die Aufnahme Mazedoniens in die Vereinten Nationen am 8. April 1993 einigte man sich als Kompromiß auf die offizielle Bezeichnung "Former Yugoslav Republic of Macedonia - FYROM". Bis heute wurde Mazedonien von 85 Staaten anerkannt, darunter auch alle EU-Mitgliedsstaaten, mit Ausnahme Griechenlands.

Mazedonien ist inzwischen Mitglied in fast allen internationalen Organisationen, u.a. in IMF und Weltbank. Es hat Beobachterstatus bei der WEU und einen Aufnahmeantrag bei Partnerschaft für den Frieden gestellt. Das Parlament hat die Bereitschaft zum Beitritt in die NATO erklärt. Im Oktober 95 erfolgte die Aufnahme in den Europarat.

Der Konflikt mit Griechenland, das im Februar 1994 ein einseitiges Totalembargo gegen Mazedonien verhängte, den lebenswichtigen Zugang zum Hafen von Tessaloniki sperrte und Mazedonien damit in eine gravierende ökonomische Lage brachte, scheint inzwischen entschärft. Nach Vermittlung der USA wurde im September 95 eine Vereinbarung getroffen, nach der Griechenland am 13. Oktober das Embargo aufhob, Mazedonien seine umstrittene Staatsflagge ändert und eindeutig erklärt, keinerlei Gebietsansprüche zu haben. Zu der weiterhin ungeklärten Frage des Staatsnamens wird eine Kommission gebildet.

Die kürzliche gemeinsame Erklärung, am Rande der Feiern der Vereinten Nationen, der Präsidenten von Albanien, Mazedonien, Bulgarien und der Türkei über die friedlichen Kooperation auf der vier Länder, ist ein weiterer Schritt in Festigung des Friedens in diesem Gebiet des Balkans.

Auch das Attentat auf Präsident Kiro Gligorov vom 30. September 1995, hat den Frieden nicht ins Wanken gebracht. Entgegen anfänglicher Befürchtungen, wird Präsident Gligorov sein Amt nach der Genesung wohl weiter führen können.

Demokratische Wahlen bestätigen friedensorientierte Parteien

Im November 1990 wurden die ersten freien Wahlen für die 120 Abgeordneten des Parlaments durchgeführt. Die konservative VMRO-DPMNE, die mit extrem mazedonisch-chauvinistischen Diskursen bei der albanischen Minderheit und bei den Nachbarländern starke Besorgnis aufkommen ließ, wurde mit 38 Sitzen zwar stärkste Fraktion, schaffte jedoch nicht die Bildung einer Regierungskoalition. Im Interesse der nationalen Einheit einigte man sich zunächst auf die Bildung einer überparteilichen Expertenregierung. Diese scheiterte jedoch und wurde nach zwei Jahren von einer Koalition aus dem Sozialdemokratischen Bund Mazedoniens SDSM, der Liberalen Partei LP, und der Sozialistischen Partei SP abgelöst. Die Partei der demokratischen Prosperität PDP wurde als Vertretung der albanischen Minderheit mit einem Vize-Ministerpräsidenten und vier (von 20) Ministern an der Regierung beteiligt.

Bei den Wahlen im Herbst 1994 wurde diese Koalition im Amt bestätigt, ebenso wie Präsident Gligorov, der als der Baumeister des friedlichen Weges in die Unabhängigkeit im Lande, wie auch international hohes Ansehen genießt.

Die Oppositionsparteien, insbesondere die VMRO-DPMNE und die Demokratische Partei DP, sahen nach dem ersten Wahlgang, daß sie nicht gewinnen konnten und boykottierten den zweiten. Den Vorwurf, durch massive Manipulationen um den sicheren Sieg gebracht worden zu sein, konnten die internationalen Wahlbeobachter jedoch nicht bestätigen; die Wahlen verliefen weitgehend regulär.

Darum existiert im derzeitigen Parlament keine starke Opposition mehr, was an der Sitzverteilung deutlich wird.

Sitzverteilung im mazedonischen Parlament

Die Regierung des alten und neuen Ministerpräsidenten Branko Crvenkovski wurde am 15.12.1994 vereidigt und umfaßt 9 Minister der SDSM, je 4 Minister von LP und PDP, sowie 2 SP-Minister. Im Parlament besitzt sie nun die Zweidrittelmehrheit.

Transformierte alte Parteistrukturen dominieren

Das neue demokratische Mehrparteiensystem wird heute weiterhin von den Nachfolgeorganisationen der alten jugoslawischen politischen Strukturen, d.h. des jugoslawischen Bundes der Kommunisten in Mazedonien und seiner Mitgliedsorganisationen (Jugendbund, Arbeiterpartei etc.) dominiert. Der alte Bund hat sich in mehrere Parteien gespalten, die im großen und ganzen die Parteien der heutigen Regierungskoalition widerspiegeln.

  • Der Sozialdemokratische Bund Mazedoniens SDSM ist die juristische Nachfolgeorganisation des alten kommunistischen Bundes; unter Führung von "Landesvater" Kiro Gligorov und Ministerpräsident Crvenkovski hat sie sich entschieden und glaubhaft auf sozialdemokratischen Kurs begeben, zumal die orthodoxen Kader zur Sozialistischen Partei wechselten.
  • Die Sozialistische Partei SP steht in der Tradition der dogmatischen ehemaligen Arbeiterpartei Jugoslawiens; die SP verliert zunehmend an Bedeutung und ist nur Dank des Wahlbündnisses mit SDSM und LP überhaupt noch im Parlament vertreten.
  • Die Liberale Partei LP ist aus dem Jugendbund und der Gruppe um den letzten jugoslawischen Ministerpräsidenten Ante Markovic hervorgegangen. Sie begreift sich als Parteineugründung und proklamiert einen typischen wirtschaftsliberalen Kurs. Als einzige mazedonische Partei hat sie bereits internationale Anerkennung gefunden, ist Mitglied der Internationalen der Liberalen.
  • Die albanische Partei für Demokratische Prosperität PDP ist aus der Vertretung der Albaner im Kommunistischen Bund hervorgegangen.

Die internationalen Sanktionen gegen Serbien erhöhen die sozialen Kosten der Wirtschaftstransformation

Mazedonien hat mit Unterstützung von IMF und Weltbank eine konsequente Politik der Stabilisierung und Transformation der Wirtschaft eingeleitet. Durch eine extrem restriktive Geldmengenpolitik konnte die Inflation von 300% 1993 auf unter 20% 1995 (geschätzt) gesenkt werden.

Die Staatsagentur für Privatisierung hat mit der Überführung von 1468 gesellschaftlichen Betrieben in Privatbesitz begonnen. Besonders bei großen Industriebetrieben sind dabei Massenentlassungen unvermeidlich, ebenso im aufgeblähten Staatsapparat.

Seit 1990 hat sich das jährliche Sozialprodukt halbiert, die Industrieproduktion sogar noch mehr. Die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit wird auf 50% geschätzt, bei der albanischen Minderheit liegt sie noch höher. Das Durchschnittseinkommen von DM 300.- im Monat deckt nicht den Warenkorb der Grundbedürfnisse, viele Familien leben durch die Versorgung der Subsistenzwirtschaft auf dem Lande.

Durch den Krieg in Bosnien und die internationalen Sanktionen gegen Serbien hat Mazedonien seine traditionellen Exportmärkte verloren. 82% seiner Exporte gingen früher in die anderen jugoslawischen Republiken, 62% davon allein nach Serbien.

Durch die nötigen Umwege über Bulgarien und Rumänien bzw. Häfen in Albanien und jetzt auch wieder Griechenland, haben sich die Transportkosten nach Westeuropa um 30% erhöht. Der Außenhandel liegt faktisch brach. Selbst humanitäre Hilfe, wie aus dem europäischen PHARE-Programm (25 Mio. ECU), muß diesen teuren Umweg nehmen. Die Folgekosten der Sanktionen werden auf bislang 4 Mrd. US-Dollar geschätzt.

Mazedonien wartet auf ein Ende der Sanktionen und auf internationale Wirtschaftshilfe

Mazedonien überlebt im Moment in erster Linier durch den Rückzug der Landbevölkerung in die Subsistenzwirtschaft, durch das Aufbrauchen von Sparreserven und die massiven Transferzahlungen von Gastarbeitern.

Dies und auch die soziale Abfederung der Transformation durch einen guten Teil (ca. 1/3) der Weltbankkredite bzw. die internationale Hilfe haben bisher dazu beigetragen, daß es noch nicht zu schärferen sozialen und dann irgendwann sicher auch ethnischen Spannungen gekommen ist.

Mazedoniens Chancen für den wirtschaftlichen und damit auch sozialen und politischen Transformationsprozeß hängen direkt mit den Sanktionen gegen Serbien zusammen. Erst wenn diese aufgehoben werden, können die Handelsbeziehungen wieder dynamisiert werden. Mazedonien braucht mehr ausländische Investitionen in Agrar-, Leicht- und Tourismusindustrie, sowie internationale Hilfe beim Ausbau seiner Infrastruktur.


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