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Sieg des Präsidenten in Armenien / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 9 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 53)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung

Im Juli 1995 wählte Armenien in zwei Wahlgängen ein neues Parlament und stimmte gleichzeitig über eine neue Verfassung ab. Präsident Levon Ter-Petrosjan setzte sich sowohl mit seinem Vorschlag für eine Präsidialverfassung als auch mit seinen Kandidaten durch, die 166 der 190 Parlamentssitze eroberten.

Das Wahlrecht sah vor, am 5. Juli 150 Sitze direkt nach dem Mehrheitswahlrecht zu wählen, wobei in den Wahlkreisen ohne absolute Mehrheit für den erfolgreichsten Kandidaten eine Stichwahl am 29. Juli erfolgte. 40 weitere Sitze wurden nach dem Verhältniswahlrecht unter den 13 zugelassenen Parteilisten vergeben, wobei eine Sperrklausel von 5% galt. Während das Mehrheitswahlrecht die Regierungskandidaten sehr begünstigte, fiel das Ergebnis der Verhältniswahlen ausgewogener aus (vgl. Grafik).

Sitzverteilung nach dem Verhältniswahlrecht

Internationale Beobachter kritisierten die Wahlen, da die Regierung im Vorfeld die Opposition und viele ihrer Kandidaten behindert hatte und auch die schlechte technische Organisation häufig dazu führte, daß Wähler nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen abstimmen konnten. Die größte Oppositionspartei ''Daschnakzutjun'' war schon Anfang des Jahres praktisch verboten. Die Wahlkommission erklärte ein Drittel der abgegebenen Stimmen für ungültig. Aber angesichts einer halbwegs freien Presse und des großen Vorsprungs der Regierungspartei ist zweifelhaft, ob sauberere Wahlen tatsächlich zu einem Sieg der Opposition geführt hätten.

Siegreiche Partei der Macht

Der Regierungsblock ''Republik'' setzt sich aus mehreren Organisationen zusammen, deren bedeutendste die Partei des Präsidenten, die ''Armenische Allnationale Bewegung'' ist. Die Bewegung ist ein Produkt der Perestroika. Sie wurde 1989 gegründet und errang bei den ersten Wahlen mit Kandidatenauswahl im Jahr 1990 eine relative Mehrheit im armenischen Obersten Sowjet. Sie reichte aus, um Levon Ter-Petrosjan zum Parlamentsvorsitzenden und damit praktisch zum armenischen Präsidenten zu wählen. In diesem Amt wurde er dann in einer Direktwahl am 16.10.1991 mit großer Mehrheit bestätigt.

Die ''Armenische Allnationale Bewegung'' (AAB) ist eine national-demokratische Partei, die gleichzeitig für die nationale Unabhängigkeit und die antisowjetische Demokratisierung eintrat. Der Präsident prägt ihre Politik weitgehend. Außenpolitisch vertritt sie einen gemäßigten nationalen Kurs. Innenpolitisch hat sie die Verfassungsreform vorangetrieben, die dem Präsidenten weitgehende Rechte einräumt. Wirtschaftspolitisch vertritt sie einen liberalen Kurs, der einerseits weitere Privatisierung und Stabilisierung, andererseits aber eine aktive Investitions- und Beschäftigungspolitik vorsieht.

Der von der AAB geführte Block ''Republik'' errang in der Verhältniswahl 42,7% der Stimmen und 20 Sitze. Dazu kommen 123 Direktmandate im ersten und weitere 24 im zweiten Wahlgang.

Ebenfalls dem Regierungsblock zuzurechnen ist die Frauenpartei ''Shamiram'', die sich erst kurz vor den Wahlen gründete. Die Ehefrauen prominenter Regierungspolitiker sind in ihr führend vertreten. Sie erzielte mit 16,9% der Stimmen nach dem Verhältniswahlrecht acht Mandate.

Abgeschlagene Opposition

Nur drei Parteien der Opposition gelang der Einzug ins Parlament:

  • Die Kommunisten konnten mit 12,1% der Stimmen nach dem Verhältniswahlrecht sechs Sitze erringen. Die Partei hat sich im März 1992 neu formiert, nachdem sie nach dem Putschversuch in Rußland im Sommer 1991 verboten worden war.
  • Die ''National-Demokratische Union'' ist eine Abspaltung von der AAB unter der Führung von Vazgen Manujkan, der 1990 noch Vorsitzender des Ministerrats unter Ter-Petrosjan gewesen war. Als eine der größten Oppositionsparteien gibt sie selbst ihre Mitgliederzahl mit 300-400 an. Sie gewann mit 5,6% der Stimmen drei Mandate.
  • Die christdemokratische ''Union der Nationalen Selbstbestimmung'' errang ebenfalls drei Sitze, allerdings mit nur 5,6% der Stimmen. Die Gruppe wird von Paruyr Hairikian, einem ehemaligen politischen Häftling, der 17 Jahre in sowjetischen Gefängnissen und Lagern zugebracht hatte, geleitet.

Der bekanntesten Oppositionspartei, der Armenischen Revolutionären Föderation ''Daschnakzutjun'', wurde Ende 1994 die politische Tätigkeit verboten, womit sie de facto von den Wahlen ausgeschlossen war. Als Grund diente die angebliche Mittäterschaft eines ihrer Mitglieder bei einem politischen Attentat. Der Verfassungsgerichtshof bestätigte am 13.1.1995 das sechsmonatige Tätigkeitsverbot, da somit über den Wahltermin am 5.7. hinausreichte.

''Daschnakzutjun'' zählt zu den traditionreichsten politischen Kräften Armeniens. Sie wurde schon 1890 gegründet und führte das Land während seiner kurzen Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1920. Gesellschaftspolitisch ist sie sozialistisch orientiert. In der Außenpolitik vertritt sie eine harte nationalistische und antitürkische Position. Zeitweilig führte sie bei Meinungsumfragen und galt als aussichtsreiche Alternative zur Regierung* .


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998