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Turkmenistan : Personenkult statt Demokratisierung / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Industrieländer. - Bonn, 1997 (Politikinformation Osteuropa ; 70)

Turkmenistan hat fast die Fläche Spaniens, aber nur 4,3 Millionen Einwohner. Es besteht zum großen Teil aus Wüstengebieten, die aber beachtliche Öl- und Gasvorräte bergen. Turkmenistan erhielt seine Unabhängigkeit im Umfeld des Zusammenbruchs der Sowjetunion im Oktober 1991.

Bevölkerungsstruktur Turkmenistans


Turkmenistan ist ein Staat mit einer Reihe ethnischer Minderheiten, deren stärkste die Russen sind (siehe obige Grafik). Die Regierung betreibt eine relativ maßvolle Minderheitenpolitik, um die wirtschaftlich wichtigen Russen im Lande zu halten. Ethnisch-nationale Identitäten sind im Vergleich zu Stammes- und Familienloyalitäten gering ausgeprägt.

Wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland

Angesichts seiner großen Öl- und Gasvorräte erhoffte sich Turkmenistan nach der Unabhängigkeit schnellen Reichtum durch Verkauf zu Weltmarktpreisen. Dazu fehlt es aber an Pipelineverbindungen. Auf absehbare Zeit haben Rußland und andere Nachfolgestaaten der UdSSR das Abnahmemonopol und Turkmenistan keine andere Wahl, als die Rohstoffe deutlich unter Weltmarktpreis an Abnehmer wie die russische Gazprom abzugeben.

In letzter Zeit versucht Turkmenistan die Abhängigkeit durch eine offensive Politik der Anknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen außerhalb der GUS zu vermindern. So hat es besonders mit dem Iran Vereinbarungen über Verkehrsprojekte und eine Gasleitung getroffen. In der GUS gehört das Land zwar zu den Verweigerern einer engeren Kooperation. Es sucht aber nicht die Konfrontation mit Moskau.

Die zweite große Einnahmequelle des Landes, die Baumwolle, schafft noch größere Probleme. Auch hier sind fast alle Weiterverarbeitungskapazitäten im Ausland angesiedelt. Außerdem sinkt die Produktivität. Die ökologischen Probleme verschärfen sich ständig, da der bewässerungsintensive Baumwollanbau in dem trockenen Wüstenklima zu hoher Verdunstung und damit zu einer zunehmenden Versalzung der Böden führt.

Seit 1991 sank das Sozialprodukt um 40-50%. Die Inflation erreichte vierstellige Raten. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 20% an, wobei einer relativ konstanten Beschäftigung ein wachsendes Arbeitskräftepotential gegenübersteht. Denn die Bevölkerung wächst mit 2,6% pro Jahr (Deutschland dank Zuwanderung: 0,6%).

Der Präsident baut sich seine Republik

Wie andere zentralasiatische Republiken (z.B. Usbekistan) erlebte Turkmenistan keinen wirklichen Machtwechsel. Der starke Mann des Staates war und ist Saparmurad A. Nijasow, der seinen Aufstieg in der Kommunistischen Partei gemacht hat. Seit 1985 war er Parteichef und Ministerpräsident der Sowjetrepublik. 1990 wurde er Staatspräsident und Vorsitzender des Obersten Sowjets Turkmenistans.

Nach der Unabhängigkeit 1991 gab sich das Land im Mai 1992 eine neue Verfassung, die bei allen westlich-demokratisch wirkenden Rechten und Regeln dem Präsidenten eine äußerst starke Stellung einräumt. Bei den Präsidentschaftswahlen 1992 erzielte Nijasow in bewährter kommunistischer Tradition 99,5% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 99%. 1994 ließ er in einem Referendum seine Amtszeit bis 2002 verlängern.

Um diese politische Macht rankt sich ein stalinistisch anmutender Personenkult, bei dem sich alles um den "Turkmenbaschi", das "Oberhaupt der Turkmenen", dreht. Diesen Titel verlieh ihm das Parlament 1993. Sein Geburtstag wurde zum Nationalfeiertag erklärt. Sein Bild schmückt die Banknoten der nationalen Währung.

Die Opposition wird unterdrückt

Neben vielen anderen Ämtern hat Präsident Nijasow seit Dezember 1991 auch den Vorsitz der "Demokratischen Partei Turkmenistans" inne. Diese Nachfolgepartei der alten KP ist das parteipolitische Machtinstrument des "Turkmenbaschi". Bei den Wahlen zum Parlament, dem "Mejlis" oder "Madshlis", konnten die Wähler 1994 die 50 Sitze nur mit 50 Kandidaten einer vom Präsidenten bestimmten Einheitsliste füllen. Das Parlament ist praktisch machtlos. Die Wahlbeteiligung lag offiziell bei 99,8%, Beobachtern zufolge aber erheblich niedriger.

Alle Oppositionsparteien bis auf die Bauerngerechtigkeitspartei sind verboten. Diese Pseudo-Opposition ist ebenfalls ein Geschöpf Nijasows. Die wirklichen Oppositionskräfte wie "Demokratische Front Partei" von Durdu Murad oder die Gruppe Agzybirlik" (Einheit) werden verfolgt und mußten ins Ausland, vor allem nach Moskau ausweichen. Selbst dort sind sie vor Nachstellungen durch den turkmenischen Geheimdienst nicht sicher.

Die Presse wird zensiert. Selbst die russische Iswestija mußte ihr Büro in Aschchabad schließen, nachdem sie kritische Artikel veröffentlicht hatte. Die "modernen" Eliten der Inteligenz und der Unternehmer zeigen bisher wenig Initiative zur aktiven Oppositionspolitik trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Ergebnisse. Die wenigen Demonstrationen in der Hauptstadt schlug die Polizei rasch nieder. Es gibt aber Anzeichen, daß der Widerstand der "traditionellen" Eliten, der Führungspersönlichkeiten der Stämme, Klans und Großfamilien, wächst.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998