FES | ||
|
|
Keine Experimente in Tschechien / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Industrieländer. - Electronic ed.. - Bonn, 1996. - 3 Bl. . graph. Darst. = 11 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 60) Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1997 © Friedrich-Ebert-Stiftung
Am 30. Mai und 1. Juni 1996 wählt die am 1.1.1993 entstandene Tschechische
Republik zum ersten Mal als souveräner Staat ein eigenes Parlament.
Die bisherige Volksvertretung war 1992 als böhmisch-mährisches
Regionalparlament gewählt worden und hatte seine jetzige Bedeutung
durch Auflösung des alten tschechoslowakischen Föderalparlamentes
erhalten. In ihm waren daher viele prominente Politiker nicht vertreten
gewesen, die nun kandidieren und durch ihre Mitgliedschaft dem nächsten
Parlament ein größeres Gewicht verleihen werden. Um die 200 Sitze bewerben sich 16 Parteien, von denen aber nur
sechs oder sieben eine Chance haben, die 5%-Hürde zu überwinden,
die sich für Listenverbindungen auf 7% erhöht. Zwei Parteien
kandidieren nur regional in Mähren. Die Wähler können durch
Präferenzstimmen außerdem die Kandidatenreihenfolge auf den
Listen der Parteien verändern. Man rechnet mit einer soliden Wahlbeteiligung
von ca. 80% trotz des relativ geringen parteipolitischen Interesses der
Tschechen, die kaum Parteien beitreten und einen sehr sparsamen Wahlkampf
führen, der offiziell erst am 15. Mai beginnt. Wählerpräferenzen für die drei Regierungsparteien und die Sozialdemokraten
Mitte 1995 sah es so aus, als ob Tschechien auf einen Machtwechsel
zusteuerte. Die Regierung war von Skandalen geplagt. Zwar lag die größte
Regierungspartei, die Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Vaclav
Klaus immer noch mit 25-30% an der Spitze der Umfragen. Aber die sozialdemokratische
Opposition hatte stark zugenommen und dabei die beiden kleineren Koalitionspartner,
die liberale ODA von Vizepremierminister Jan Kalvoda und die christlich-konservative
KDU-CSL von Landwirtschaftsminister Josef Lux, an den Rand der kritischen
5%-Marke gedrückt. 1996 haben beide Parteien in den Umfragen wieder leicht zugenommen und
scheinen nun mit jeweils knapp 9% der erwarteten Stimmen ihres Wiedereinzugs
ins Parlament sicher sein zu können. Sie dürften je etwa 20 Sitze
erringen. Zusammen mit den ca. 80 Abgeordneten, die die ODS voraussichtlich
erreichen wird, ergibt dies knapp 120 Mandate für die Regierungskoalition,
also eine solide Mehrheit der insgesamt 200 Sitze. Erreicht sie 120 oder
mehr, so könnte sie sogar Verfassungsänderungen durchsetzen,
für die eine 3/5-Mehrheit notwendig ist. Die Regierungsparteien konkurrieren zwar untereinander, unterstreichen aber gemeinsam die Erfolge in der Privatisierung und in der Wirtschaftspolitik, die Tschechien im Ausland große Anerkennung und die Aufnahme in die OECD eingebracht haben. Trotzdem lassen sich unterschiedliche Akzente erkennen:
Die tschechischen Sozialdemokraten (CSSD) haben sich seit der Wahl Milos Zemans zum Vorsitzenden im Jahr 1994 konsolidiert. Unter seiner Führung hat die Partei organisatorische und programmatische Fortschritte gemacht. Zeman ist als Spitzenkandidat dem dominierenden Premier Klaus intellektuell und rhetorisch gewachsen. Ein steter Aufschwung in den Umfragen bis auf fast 25% Mitte 1995 belohnte diese Anstrengungen. Inzwischen mußte die CSSD allerdings Einbußen hinnehmen und kann nur noch mit etwa 20%, also mit ungefähr 40 Mandaten rechnen. Aber mit diesem Ergebnis ist die CSSD die mit Abstand größte
Oppositionspartei. Sie konzentriert sich im Wahlkampf auf die sozialen
Defizite der Regierungspolitik, insbesondere im schlecht funktionierenden
Gesundheitswesen und im Wohnungssektor. In nationalpolitischen Fragen,
wie der Außenpolitik gegenüber Deutschland, vertritt sie eine
der Regierungsposition ähnliche harte Linie. Der CSSD fällt es
schwer, Wählergruppen jenseits der Transformationsverlierer anzusprechen.
Die objektiv günstigen Ergebnisse der bisherigen Regierungspolitik,
aber auch ein mangelndes Oppositionsverständnis in einer von 40 Jahren
Propaganda geprägten Bevölkerung erschweren ihre Arbeit.
Zersplitterte Postkommunisten
Im Gegensatz zu den meisten mittel- und osteuropäischen kommunistischen
Parteien haben sich die Kommunisten Böhmen und Mährens (KSCM)
nicht reformiert, sondern vertreten orthodoxe Positionen mit dem Ziel,
das alte System wiederherzustellen. Diese Hartnäckigkeit führte
zu Abspaltungen und Wählereinbußen. Trotzdem sind sie mit rund
200.000 Mitgliedern die mitgliederstärkste Partei Tschechiens. Sie
dürfte die 5%-Hürde überwinden und um die 20 Abgeordnete
ins nächste Parlament entsenden. Die größte Abspaltung von der KSCM ist der Linke Block
(LB), der gegenwärtig 23 Abgeordnete im Parlament stellt. Er ist
eine linkssozialistische Partei, die sich deutlich von den orthodoxen
Kommunisten abgrenzt und eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten für
möglich hält. Sein Einzug ins Parlament ist aber ungewiß.
Bei Umfragen schwankt er um 5%.
Liberale ohne Chance - Republikaner hart an der
Hürde
Zwei kleinere Parteien dürften keinen Einfluß auf
den Wahlausgang haben: |