FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



Teildokument zu: Europas schwieriger Osten

4. Strategien gegen peripherisierung:

Währungsmerkantilismus, aggressive Handels- und Standortpolitik

Ob MOE eine Peripherisierung vermeiden kann und sich in eine Wachstumsregion verwandelt, hängt primär nicht von der EU ab, sondern von MOE selbst. Die bisher in MOE verfolgten Strategien und Politiken lassen eine solche positive Entwicklung - bis auf wenige Ausnahmen wie evtl. Tschechien - aber eher zweifelhaft erscheinen.

Geht man von den Erfahrungen der Länder aus, die sich erfolgreich nachholend industrialisierten, so müßte MOE ein Politikbündel verfolgen, das Maßnahmen einschließt, die den (kurzfristigen) Wirtschaftsinteressen des Westens eher zuwiderlaufen. Dazu zählen:

  1. "Währungsmerkantilismus" als Politik einer starken, aber eher unterbewerteten Währung, deren Vertrauenswürdigkeit durch hohe Devisenreserven zu sichern ist, die ihrerseits Exportüberschüsse voraussetzen;
  2. Protektionismus plus Exportförderung - eine Handelspolitik, die eigene Industrien übergangsweise und selektiv vor Importen schützt und den Export massiv fördert;
  3. Standortpolitik im Sinne der gesellschaftlich koordinierten Produktion von "systemischer Wettbewerbsfähigkeit" (DIE).
  4. Außenwirtschaftsdiplomatie, um massiveren Abwehrmaßnahmen der von den merkantilistischen Politiken betroffenen Länder vorzubeugen.

Diese Politiken haben unterschiedliche Voraussetzungen und Folgen:

a) Währungsmerkantilismus:

Geld ist die zentrale Voraussetzung von Wachstumsprozessen in einer Marktwirtschaft. Nur wenn Investoren ein Interesse haben, mehr von der nationalen Währung zu erwerben, werden sie Investitionen tätigen, von denen sie einen künftigen Strom an Einkommen in dieser Währung erwarten. Selbst Vermögensbesitzer, die nicht an realwirtschaftliche Investitionen denken, werden Mittel und Wege suchen und finden, ihr Vermögen in anderen Formen (Fremdwährungen, Sachwerten) zu halten, wenn die eigene Währung nicht vertrauenswürdig ist.

MOE-Währungen haben es auch schwer, Vertrauen zu gewinnen, da die inländischen Vermögensbesitzer eine unklar definierte Gruppe bilden. Das Sachvermögen liegt weitgehend in Staatshand und hat einen unbekannten Wert. Das Geldvermögen (der berühmte "Geldüberhang") gehört vor allem den Haushalten, die es meist in Form von Bankeinlagen hielten. Diesen Forderungen an die Banken stehen Forderungen der Banken an die Unternehmen gegenüber. Soweit dieses Geldvermögen nicht im Zuge von Preisreform und Inflationierung ohnehin entwertet ist, hängt sein Wert also von der Leistungsfähigkeit der bei den Banken verschuldeten Unternehmen ab.

Selbst bei eingeschränkter Konvertibilität unterliegt die nationale Währung einer Währungskonkurrenz. In ihr kann sie nur bestehen, wenn sie stabil und knapp ist sowie eine positive Realverzinsung bietet. Außenwirtschaftlich dient dazu am besten ein nomineller Wechselkursanker, d.h. die Bindung des Wechselkurses an eine Hartwährung, die durch Unterbewertung, einen strukturellen Exportüberschuß und eine geringe Inflation zu verteidigen ist. Eine solide Geld- und Fiskalpolitik sowie eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik sichern die Preisstabilität. Daraus ergibt sich auch ein relativ dickes Polster an Devisenreserven, das die Neigung senkt, in Fremdwährungen zu fliehen, da diese im Bedarfsfall erhältlich sind. Gelingt diese Hartwährungspolitik, erfüllt die Zentralbank intern und extern Gläubigerfunktion und die Schuldnerrolle kommt - marktgerecht - den Investoren zu.

Die westdeutsche Politik nach der Währungsreform von 1949 zeigt, wie es eine solche Politik erreicht, einen Akkumulationsprozeß in der nationalen Wirtschaft in Gang zu setzen und zu halten. In MOE führen die instabilen Geldwirtschaften dazu, daß sich ein Teufelskreis von Staatsdefiziten, Inflation und Abwertungsdruck einstellt. Die Zentralbank wird zum Schuldner internationaler Finanzinstitutionen und übernimmt das Währungsrisiko, das die Investoren tragen müßten.

Der Westen müßte - ähnlich wie die USA in den 50er Jahren gegenüber Westeuropa - bereit sein, die Entschuldung der MOE-Länder zuzulassen, ja zu fördern. Die Schuldenerlasse für Polen waren ein derartiger Schritt.

  1. Protektionismus plus Exportförderung

Angesichts der Schwierigkeiten, unter den Bedingungen der Währungskonkurrenz in MOE ein stabiles, vertrauenswürdiges Geld zu schaffen, kommt der Erzielung von Exportüberschüssen eine Schlüsselrolle zu. Die Unterbewertung der Währung ist dagegen nur eines von mehreren Instrumenten zu diesem Zweck.

Eine offensive Handelspolitik muß die Wechselkurspolitik unterstützen. Eine Kombination von Einfuhrhemmnissen und Exportförderung dient der Erzielung von Leistungsbilanzüberschüssen. Strukturpolitisch würde es eine solche differenzierte Importpolitik MOE erlauben, in Branchen Aufholprozesse zu organisieren, in denen sie sonst von der Westkonkurrenz bei jedem Preis vom Markt gefegt werden (Automobilbau, Konsumelektronik etc.). Die Exportförderung stellt bisher in MOE eine Leerstelle dar. Sie ist nötig, um insbesondere neue private Firmen und kleine und mittlere Unternehmen an Exportmärkte heranzuführen.

MOE muß versuchen, eine Spezialisierung auf Exportproduktion mit niedriger Einkommenselastizität zu vermeiden, sondern in Marktsegmente der Industrieländer eindringen, die stärker als das Einkommen wachsen. Gelingt dies nicht, droht jedes Wachstum in MOE, das höher als im Westen liegt, an Zahlungsbilanzproblemen zu scheitern. Dabei gestalten sich die Entwicklungschancen für MOE desto günstiger, je höher das Wachstum in den Hauptabsatzmärkten im Westen ist.

c) Standortpolitik:

Um ein Standort für international wettbewerbsfähige Produktion zu werden, muß MOE versuchen, jenes Bündel von Bedingungen zu realisieren, das modernere Analysen zur Wettbewerbsfähigkeit (Porter) herausgearbeitet haben:

  • hochwertige Inputs,
  • anspruchsvolle Nachfrage,
  • eine sich gegenseitig stützende Branchenstruktur,
  • angemessene Firmenstrategien und Konkurrenz.

Diese sektoralen und firmenbezogenen Standortfaktoren bedürfen der politischen Flankierung auf der Meta-, Makro- und Mesoebene. Nur ein Teil dieser Bestimmungsgrößen "systemischer Wettbewerbsfähigkeit" (DIE) sind politisch machbar.

  • Metaebene: Soziokulturelle Faktoren und Wertehaltungen sind das Produkt historischer Prozesse. Die Jahrzehnte kommunistischer Verteufelung unternehmerischen und marktbezogenen Verhaltens haben hier ein schweres Erbe hinterlassen. Kurz- und mittelfristig kommt es daher mehr auf den Aufbau geeigneter Institutionen und die Strategiefähigkeit der gesellschaftlichen Akteure an.
  • Makroebene: Neben der oben erwähnten Währungs- und Handelspolitik gehören dazu eine Reihe weiterer Politikfelder wie die Fiskal-, Steuer-, Geld- und Wettbewerbspolitik. Denn der strategische Imperativ des Merkantilismus läßt sich nicht mit einer Autonomie dieser Politiken vereinbaren. Eine restriktive Haushalts- und Geldpolitik müssen das Vertrauen in die heimische Währung stärken, während die Wettbewerbspolitik sich in den Dienst der Exportoffensive stellen muß.
  • Mesoebene: Zu ihr zählen neben der Import- und Exportpolitik die Infrastruktur-, Bildungs-, Technologie-, Umwelt- und Regionalpolitik. Staat, Unternehmen und gesellschaftliche Gruppen müssen im Zusammenspiel hochwertige, spezialisierte Inputs bereit stellen.

Die wenigsten Länder in MOE werden eine solche Strategie in Kürze verfolgen. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen erlauben keinen Konsens für eine solche konsistente Politik. Zuviele Gruppen sind gegen diese Strategie, da sie ihre Interessen verletzt oder ihren ordungs- und gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen widerspricht. Selbst bei gutem Willen hätten die meisten Länder noch erhebliche Umsetzungsprobleme, solange ihnen im Staat eine entsprechende Verwaltung und in der Wirtschaft eine innovationsfreudige Unternehmerschaft fehlt.

d) Außenwirtschaftsdiplomatie

Die unterschiedliche Strategiefähigkeit der MOE-Eliten trägt zu einer zunehmenden Differenzierung der wirtschaftlichen Entwicklung unter den Reformstaaten bei. Einige Länder wie Tschechien, Slowenien und Ungarn könnten rasch das Niveau zumindest der südwesteuropäischen Peripherie erreichen, während andere (z.B. Ukraine) voraussichtlich noch länger zum Armenhaus von MOE zählen werden. Dieses Armenhaus bedroht aber gleichzeitig die reicheren MOE-Standorte, da es für Produktionen, die nur auf Lohnkostenvorteile abzielen, zumindest bei politischer Stabilität der noch günstigere Standort bleibt.

Die Standort- und Währungskonkurrenz unter den MOE-Staaten könnte regionale Konflikte verschärfen und wolkigen Nationalismen einen festen Boden harter Interessen verschaffen. Regionale Kooperation vernachlässigen die MOE-Länder bisher ohnhin zugunsten eines Wettlaufs in die EU und NATO. Kommt es zu einer Hierarchisierung der Regionalökonomie, werden die wirtschaftlich schwächeren Länder nur mit Widerwillen die unteren Plätze einnehmen, insbesondere wenn sie politisch-militärisch stärker sind. Die Slowakei mag sich noch mit dem Vorsprung Tschechiens abfinden - um den Preis wachsender Ressentiments. Aber Rußland wird sich schwerer in eine Rolle als armer Rohstofflieferant finden. Es setzt schon heute seine ökonomische Macht in der GUS ein, um politische Ziele durchzusetzen und dürfte auch umgekehrt versuchen, wirtschaftliche Ziele mit politischen Mitteln zu erreichen.

Gegenüber der EU muß MOE versuchen, weiter auf Marktzugang zu drängen und dabei an die übergeordneten außenpolitischen Interessen des Westens appellieren. Der EU-Beitritt würde den Marktzugang sichern. Es sollte sich aber nicht auf dessen Wohlwollen verlassen, sondern gleichzeitig seine Flexibilität und Findigkeit steigern, um Importbarrieren zu unterlaufen. Letztlich kann MOE nur bestrebt sein, so stark und wettbewerbsfähig wie möglich zu werden. Toleriert oder fördert die EU dies, umso besser. Tut sie es nicht, so steht MOE als schwache Wirtschaftsregion auch nicht besser da.

5. Die Strategie der Wohlstandsinsel: besser Standort sichern als Liegeplatz verteidigen

Die EU steht spiegelbildlich vor einem ähnlichen Dilemma, allerdings in der erheblich stärkeren Position der Metropole. Sie muß zwischen unterschiedlichen Interessen unter verschiedenen Szenarien abwägen. Im Falle einer erfolgreichen Entwicklung MOEs (Asien-Szenario) stellen sich Westeuropa andere Probleme als im Falle einer Stagnation oder Destabilisierung der Region. Bei einer wahrscheinlichen Differenzierung innerhalb MOEs muß die EU gegenüber den einzelnen Ländern jeweils anders vorgehen.

Die EU, ihre Position und Handlungsmöglichkeiten sind dabei in vielfältiger Weise beschränkt:

  • Wirtschaft: Die Unternehmen und die Haushalte der EU werden die ökonomischen Chancen nutzen, die sich aus dem Umbruch und Öffnung in MOE ergeben. Weder die nationale noch die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft kann daran allzuviel ändern. Größere Interventionen gegen die Marktlogik wie die EU-Agrarpolitik kommen sehr teuer und/oder sind wenig wirksam.
  • Gesellschaft: Die Gewinner und - vor allem - die Verlierer der neuen Arbeitsteilung werden die EU und nationale Regierungen bitten, ihre Interessen zu schützen. Die schwächeren Unternehmen der Branchen, die der Konkurrenz am stärksten ausgesetzt sind, wollen ihren Bankrott und die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste durch Subventionen oder Protektionismus vermeiden. Die weniger qualifizierten Arbeitnehmer wehren sich gegen eine Verarmung, die ein Absinken der Löhne auf ein marktfähiges Niveau mit sich brächte. Die bisher für die einfachen, lohnintensiven Produktionen attraktiven Standorte an der EU-Peripherie danken nicht widerstandslos zugunsten MOEs ab.
  • Politik: Die Außenpolitik bestimmt sich nicht nur als Ergebnis des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessendrucks, sondern auch durch eigene national- und sicherheitspolitische Motive. So dürfte beispielsweise eine Osterweiterung der EU für westliche Mitglieder eine - eventuell unwillkommene - Verschiebung des Zentrums der Union nach Deutschland bedeuten.
  • Ideologie: Die institutionell verfestigte Kooperationsphilosophie der EU empfiehlt guten Willens einige Politiken, deren Wirkungen eher zweifelhaft sind. Sie kennt keine starken Interessengegensätze zwischen Gebern und Empfängern, Metropole und Peripherie. In ihrer liberalen Variante nutzt Freihandel allen Beteiligten und Kapitaltransfers stellen im Idealfall eine bessere Allokation her, da der Grenzertrag im kapitalarmen Empfängerland höher ist. In ihrer keynesianischen Variante schaffen die Kapitalexporte durch die damit verbundenen Leistungsbilanzüberschüsse Beschäftigung im Geberland und Wachstum im Empfängerland.

Im Rahmen dieser ihrer Möglichkeiten könnte und wird die EU versuchen, die sich herausbildende Arbeitsteilung mit MOE zu beeinflussen. Zwei grundsätzliche Optionen wären denkbar:

a) Abwehr durch Protektionismus sowie Kontrollen des Personen- und Kapitalverkehrs;

  1. Förderung durch Freihandel, Osterweiterung und flankierende Maßnahmen, um die

Benachteiligten zu entschädigen.

a) Statt Liegeplatz verteidigen...

Gegen ein Taiwan vor der Haustür kann sich die EU nur um einen hohen Preis wehren. Ein Teil des hohen Preises könnte sogar sein, MOE einen möglichen Aufstieg à la Asien zu verwehren und dann mit den Folgen seiner Lateinamerikanisierung oder Afrikanisierung leben zu müssen. Gegen ein Afrika braucht die EU zwar keinen Schutz vor Niedriglohnkonkurrenz, aber vor Armutsmigration und außenpolitischen Risiken.

Dabei sind die voraussichtlichen Kosten der Arbeitsteilung auch mit einem erfolgreichen MOE nicht zu übersehen: Subsektoren und/oder Teilproduktionsprozesse, in denen wenig qualifizierte Arbeit eine große Rolle spielt, wandern nach MOE als Folge von Verlagerungen oder Importkonkurrenz ab. Die entsprechenden Arbeitskräfte in der EU verlieren ihre Arbeitsplätze. Wachstum, Einkommen und Beschäftigung nehmen relativ ab. Angesichts der Tendenz der EU-Arbeitsmärkte, einen großen Teil der einmal Entlassenen nicht wieder einzustellen, steigt die Sockelarbeitslosigkeit dauerhaft weiter. Andere freigesetzte Produktionsfaktoren (Kapital, qualifizierte Arbeit) mögen leichter eine neue Beschäftigung finden, aber angesichts stagnierender Gesamtnachfrage auch nur zögerlich. Diese Kosten sind nicht MOE-spezifisch. Käme die Konkurrenz nicht aus MOE, so käme sie von anderen Niedriglohnstandorten.

Das Ausmaß der (bisherigen) Beschäftigungverluste durch den Handel mit den Niedriglohnländern wird dabei aber meist überschätzt. Einschlägige Analysen kommen auf direkte Beschäftigungswirkungen von unter 5% der Arbeitsplatzverluste, die durch Produktivitätsteigerungen ausgelöst wurden. Offen bleibt die Frage, inwieweit die Konkurrenz aus den Niedriglohngebieten ihrerseits die bedrängten Industrien veranlaßte, ihre Produktivität zu erhöhen. Die verteilungspolitisch motivierten Klagelieder der Standortdebatte gehen jedenfalls davon aus. Die relativ geringen Wirkungen resultieren auch von dem (noch) geringen Handelsvolumen, das im Fall der EU und MOEs etwa auf dem Niveau des Handels mit Schweden liegt. Stärkere Handelsströme würden auch die Beschäftigungswirkungen vergrößern.

Die immer beobachtbaren protektionistischen Neigungen der EU würden erheblich zunehmen, wenn sich die Gemeinschaft als Opfer einer merkantilistischen Strategie der MOE-Staaten sähe. Unter dem Druck von Rezession und Massenarbeitslosigkeit stieße ein EU-Leistungsbilanzdefizit mit MOE auf Kritik. Ähnliches gilt für MOE-Hürden gegen Importe aus dem Westen und gezielte Exportinitiativen. Da die EU sich schon jetzt gegen Billigimporte aus MOE (Aluminium, Stahl etc.) wehrt, obwohl es sich dabei eher um ein unfreiwilliges, aus der Not geborenes Dumping handelt, würde sie sicher mit Gegenmaßnahmen antworten, wenn sie sich als Opfer einer planvollen merkantilistischen Offensive sieht.

Westeuropa könnte sich gegen einen MOE-Merkantilismus am einfachsten durch Protektionismus verteidigen. Aber diese kurzfristige Abwehr hätte mittel- und langfristig Nachteile, die ihre Anwendung einschränken:

  • Die EU verschenkt mögliche terms-of-trade-Gewinne und damit Realeinkommenszuwächse, wenn sie billigere Importe verhindert.
  • Jede Beschränkung der MOE-Exporte beschränkt auch die Kaufkraft MOEs für EU-Exporte. Es ist kaum vorstellbar, daß sich Importbarrieren so fein dosieren lassen, daß nur ein Leistungsbilanzüberschuß abgebaut wird.
  • Die EU kann nur ihren eigenen Markt schützen. Auf Drittmärkten muß sie auf jeden Fall mit MOE konkurrieren.
  • Protektionismus schädigt EU-Investoren, die von MOE-Standorten aus in die EU exportieren wollen.

Neben Barrieren gegen Importe müßte die EU im Rahmen einer Abwehrstrategie auch den Personen- und Kapitalverkehr kontrollieren und steuern:

  • Der Personenverkehr unterliegt ohnehin engen Beschränkungen, solange ein MOE-Staat nicht Vollmitglied der EU ist. Seine Liberalisierung dürfte - vor allem im Falle Polens - eine der Haupthürden für einen EU-Beitritt sein.
  • Auf den Kapitalmärkten könnte die EU versuchen, eine Unterbewertungspolitik der MOE-Länder zu konterkarieren. Dies könnte zu einem Abwertungswettlauf führen. Außerdem dürfte es in vernetzten und liberalisierten Devisenmärkten schwer sein, nur bestimmte bilaterale Wechselkurse zu beeinflussen. Die EU kann aber kaum den Wechselkurs des ECU bzw. der europäischen Währungen gegenüber dem Rest der Welt von dem Verhältnis zu MOE bestimmen lassen.
  • EU-Direktinvestitionen in MOE, die auf den EU-Markt zielen, lassen sich durch Handelsbarrieren seitens der EU beeinflussen. Investitionen, die von MOE aus auf Drittmärkte zielen, also eine Verlagerung von Exportproduktion für Drittmärkte aus der EU nach MOE darstellen, könnte die EU nur durch direkte Verbote verhindern.

Entscheidend für Westeuropas Haltung bleibt aber sein politisches Interesse an der Stabilisierung von MOE. In dem Maße, wie eine Abwehrstrategie die wirtschaftliche Entwicklung in MOE hemmt, gefährdet sie auch die Demokratisierung und bereitet den Boden für autoritäre Nationalisten. Also muß Westeuropa eine merkantilistische Politik der MOE-Länder nicht nur hinnehmen, sondern sie sogar aktiv unterstützen, wenn nur diese langfristig den Entwicklungserfolg garantiert.

b) ... den Standort sichern

Nicht nur außenpolitische, auch wirtschaftliche Interessen sprechen für eine vertiefte Arbeitsteilung mit MOE. Gesamtproduktionen werden durch kostensenkende Teilverlagerung oder billigere Inputs international wettbewerbsfähig. Dies sichert die in der EU verbliebenen Arbeitsplätze. Die westlichen Volkswirtschaften als Ganze machen Terms-of-trade-Gewinne, die das Realeinkommen erhöhen. Die Bezieher dieser höheren Realeinkommen können andere Güter und/oder Dienstleistungen nachfragen, bei deren Produktion die freigesetzten Arbeitskräfte theoretisch neue Arbeit finden könnten.

Um diese Chancen wahrzunehmen, muß die Strategie der EU versuchen, Gegenkräfte sowohl in MOE als auch in der EU selbst zu überwinden. Was MOE betrifft, so sind die Handlungsmöglichkeiten der EU beschränkt. Sie kann die Standortqualitäten dort bestenfalls indirekt durch Marktöffnung und eine Förderung der Direktinvestitionen verbessern. In der EU muß sie vor allem den Widerstand der durch die Arbeitsteilung benachteiligten Gruppen, Sektoren und Regionen schwächen, indem sie sie durch Umverteilung an den volkswirtschaftlichen Gewinnen teilhaben läßt (vgl. unten 6.).

Darüber hinaus muß die EU versuchen, die wachsenden Märkte eines prosperierenden MOE zu erobern. Wäre sie nur der Absatzmarkt der Niedriglohnprodukte aus MOE, ohne der Lieferant der Hochlohngüter zu sein, würde ihr ein wesentlicher Teil der potentiellen Nutzen entgehen. Andere Anbieter (z.B. USA oder Japan) hätten die Gewinne, wären aber dank geographischer Distanz eventuell kaum von der Niedriglohnkonkurrenz betroffen.

Interessanter ist es daher für die EU, das Handelsvolumen in beide Richtungen zu steigern. Dazu sind zunächst die Hindernisse abzubauen: Handelspolitische Barrieren, Engpässe in der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, Mängel an Handelsfinanzierung- und -versicherung, Schwächen und Lücken in der Information über die jeweiligen Märkte. Entscheidend ist jedoch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen. Über 40% des Welthandels sind Intrakonzernhandel. Auch der Handel zwischen EU und MOE wird dann stark wachsen, wenn er einen Produktionsverbund widerspiegelt, in dem Firmen im Westen und im Osten durch Zulieferstrukturen, Lizenzproduktion, Patentverträge, Subcontracting, Lohnveredelung, Direktinvestitionen, Unternehmensbeteiligungen usw. miteinander verknüpft sind. In einem solchen Produktionsverbund würde die EU die Kapitalgüter an die entwickelnde MOE-Industrie liefern.

Der Freihandel auf den Gütermärkten muß die EU durch eine entsprechende Politik für den Personen- und Kapitalverkehr ergänzen:

  • Da aus den erfolgreichen MOE-Staaten kaum ein großer Auswanderungsdruck zu erwarten sein dürfte, kann die EU diesen gegenüber die Freizügigkeit rasch gewähren.
  • Freie Bahn für Direktinvestitionen ist eine Grundvoraussetzung für den Produktionsverbund.
  • Eine sorgfältigere Abwägung bedarf es in der Währungspolitik. Die EU könnte eine Unterbewertung kurz- bis mittelfristig hinnehmen. Sobald jedoch ein MOE-Land seine Währung nachhaltig stabilisiert hat und ein akzeptables Beschäftigungsniveau erreicht hat, sollte eine Angleichung erfolgen, um den Konkurrenzdruck und die Lohnunterschiede zu verringern.

Eine Osterweiterung der EU würde diesen Prozeß am besten absichern. Sie würde die MOE-Standorte fördern, indem sie ihnen die EU-Märkte völlig öffnet und dazu beiträgt, ihre Infrastruktur zu entwickeln. EU-Unternehmen hätten es in einer erweiterten EU leichter, am MOE-Aufschwung teilzuhaben als ihre Konkurrenten aus Drittländern. Nicht nur gäbe es für sie keine Zollschranken, sondern auch das System der Standards, der Rechtsordnung etc. wäre auf sie zugeschnitten. Eine gesamteuropäische Währungskooperation unter Einschluß stabiler MOE-Länder würde diese Effekte noch verstärken, indem sie Wechselkursrisiken abbaut und die Währungen entsprechend der Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Länder bewertet.

6. Viele Arme und kein Kopf: Europas ziellose Integration

Eine Osterweiterung ist unter den bestehenden institutionellen Strukturen der EU kaum vorstellbar. Schon die EFTA-Erweiterung belastet die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft. Aber die geringe Bevölkerungszahl, der hohe Entwicklungsstand und die zu erwartenden Nettobeitragszahlungen kompensieren diese Probleme. Aber auch wenn nur 3-5 MOE-Staaten beiträten, wäre eine so erweiterte Union nach dem Maastricht-Modell finanziell und politisch überlastet. Denn selbst "MOE-Tiger" verursachen überwiegend Kosten. Im Falle einer "Lateinamerikanisierung" dürfte ein Beitritt ohnehin kaum mehr in Frage kommen.

Eine Osterweiterung braucht also einen doppelten Reformprozeß. Schreiten in MOE die Reformen so voran, daß ein Beitritt denkbar wird, so muß sich die EU gleichzeitig reformieren, um den Beitritt verkraften zu können. Dieser EU-interne Reformprozeß droht (wie auch jede Erweiterung) an den Konflikten zwischen den Altmitgliedern zu scheitern:

  • Weder herrscht Einigkeit über die langfristige Zielsetzung der Union ("finalité"), unter der die einen eine institutionell flankierte Freihandelszone, die anderen die "Vereinigten Staaten von Europa" vorstellen,
  • noch akzeptieren die ärmeren Mitglieder des "Olivengürtels" eine zweite innere Peripherie im Osten, mit der sie um Märkte und Struktur- und Kohäsionsfonds konkurrieren müßten.

Die Debatte um die Osterweiterung zwingt die Altmitglieder zu einer Klärung ihrer eigenen europapolitischen Ziele und Interessen. Ohne eine solche Klärung gefährdet eine Erweiterung die bisherige Integration, da sie die zentrifugalen Tendenzen in der Union bis zum Bruchpunkt verschärfen würde. In einem solchen Fall muß die Priorität Westeuropas auf dem Erhalt der Union liegen, die den entscheidenden politischen Stabilitäts- und wirtschaftlichen Wohlstandsanker ihrer Mitglieder bildet.

Was für die politisch-institutionelle Seite einer Integration Gesamteuropas gilt, gilt erst recht für die ökonomische. Nicht nur MOE muß sich modernisieren, reformieren und transformieren, die EU muß es auch. Ein ökonomisch schwaches, von Arbeitslosigkeit geprägtes Westeuropa ist nicht erweiterungsfähig und kann nur begrenzt die wirtschaftlichen Chancen in MOE nutzen. Die EU sollte daher

  1. als Idealstrategie offensiv Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung fördern. An dieser Aufgabe ist sie schon bisher weitgehend gescheitert.
  2. Gelingt ihre Lösung auch diesmal nicht, so könnte eine Umverteilungspolitik den Widerstand der Benachteiligten reduzieren.
  3. Alle Optionen haben eine bessere Erfolgschance, wenn sich die neue Arbeitsteilung in politisch abgestimmten Fristen und Dimensionen entfaltet.

a) Europäische Wachstums- und Beschäftigungsinitiative

Rezessionsphasen waren bisher stets Zeiten der Europaskepsis und der Integrationsschwäche. Eine hohe Arbeitslosigkeit senkt zwar die Kampfkraft der Arbeitnehmer und damit ihre Widerstandsmöglichkeiten gegen weitere Entlassungen im Zuge des Strukturwandels. Aber auf der poitischen Ebene wächst gleichzeitig die Neigung, einen zusätzlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf zu nehmen.

Dabei ist sehr umstritten, inwieweit die internationale Arbeitsteilung in Form von Handel, Investitionen oder Migration zur Arbeitslosigkeit in den Industrieländern beitrug. Zwei andere Faktoren haben einen deutlich größeren Einfluß: die Wachstumsschwäche verbunden mit dem Produktivitätsanstieg. Seit Jahrzehnten wächst der Output langsamer als die Produktivität, wobei die Konjunkturschwankungen diesen Prozeß überlagern. Nur der gleichzeitigen Arbeitszeitverkürzung ist es zu verdanken, daß die Zahl der Beschäftigten nicht noch stärker sank. Die Ursachen der Wachstumsschwäche sind umstritten. Keynesianer sehen sie in Sättigungstendenzen, Neoklassiker im Wildwuchs des Wohlfahrtsstaats. Aber auch und gerade auf dem Hintergrund der hausgemachten "Krise der Arbeit" schmerzen zusätzliche außenwirtschaftlich bedingte Beschäftigungsverluste besonders.

Eine reibungslose Integration von MOE bedarf daher einer gesamteuropäischen Wachstums- und Beschäftigungspolitik. In erster Linie bedeutet dies, daß die EU sich zu einer derartigen Politik entscheidet, die folgende Komponenten umfassen könnte:

  • Investitionen fördern: Mangelndes Wachstum kommt u.a. von mangelnden Investitionen. Eine geringe Investitionsneigung kann ihrerseits durch zu hohe Kosten und/oder schwache Nachfrage bedingt sein. Gegen hohe Kosten könnten Zinssenkungen und Lohnsenkungen helfen. Beides würde einen Nachfragerückgang bei den Beziehern der Zins- bzw. Lohneinkommen auslösen. Angesichts der wahrscheinlich höheren Sparneigung bei den Kapitaleignern sollte der Schwerpunkt bei Zinssenkungen liegen. Die Integration der Kapitalmärkte erfordert hierbei eine gesamteuropäische Koordination.
  • Nachfrage stärken: Angesichts der Sättigungstendenzen in Teilmärkten müßte die Nachfrage in den übrigen Märkten zunehmen. Eine Option wäre, die Konsumenten in MOE, deren Bedarf weniger gesättigt ist, mit Kaufkraft auszustatten. Die andere Option läge in stärkerer Nachfrage in den expansiven Teilmärkten, von denen einige durch staatliche Nachfrage (Gesundheit, Erziehung, Umweltschutz) gekennzeichnet sind. Diese zusätzliche staatliche Nachfrage wäre durch zusätzliche Steuern zu finanzieren. Dagegen sprechen Bedenken der Bürger, sich ihre Konsumwahl staatlich vorschreiben zu lassen. Gehen nur einzelne EU-Mitglieder diesen Weg, laufen sie Gefahr, daß restriktivere Länder sie als Nachfragelokomotiven mißbrauchen.
  • Lohnpolitik an Produktivität koppeln: Löhne können langfristig nicht stärker als die Produktivität wachsen; sie sollten aber auch nicht weniger stark zunehmen, um Nachfrageausfälle zu vermeiden. Die einzelnen Länder verfolgen jedoch eine unterschiedliche Strategien. Deutschland kombiniert hohe Löhne mit hoher Produktivität, die auf modernen Arbeitsplätzen beruht. Diese Hochlohn-Strategie wurde auch in Ostdeutschland verfolgt. Die meisten MOE-Länder und einige EU-Mitgliedsstaaten (z.B. Großbritannien) halten die Löhne niedrig und versuchen so, einfache, arbeitsintensive Produktionen zu erhalten.
  • Arbeitszeit verkürzen: Arbeitszeitverkürzung kann nur die Arbeit auf mehr Menschen verteilen. Sie sollte die Lohnstückkosten nicht erhöhen. Sie senkt das Produktionspotential einer Wirtschaft und ist daher nur sinnvoll, wenn die Gesellschaft Freizeit höher bewertet als ein zusätzliches Güterangebot.
  • Um die Niedriglohnkonkurrenz in vertretbaren Rahmen zu halten, könnte die EU - auch im Rahmen der Handelspolitik - auf die Durchsetzung internationaler Standards bei Arbeitsbedingungen (ILO) und der Rechte von Gewerkschaften in MOE achten. Dies kann und sollte umso offensiver erfolgen, je stärker in diesen Ländern Produktivität und Beschäftigung zunehmen.

Eine solche Beschäftigungsinitiative fällt der EU aber trotz erheblichen Drucks im Inneren schon schwer. Denn für die meisten dieser Politiken gibt es praktische und theoretische Gründe, sie nicht zu verfolgen. Staatsverschuldung, Steuermüdigkeit und Tarifautonomie begrenzen die politischen Handlungsspielräume. Es ist also eher fraglich, daß die EU eine solche Initiative aus außenpolitischen Gründen unternimmt, um MOE zu integrieren.

b) Durch Umverteilung zur Arbeitsteilung

Wenn die EU schon keine Vollbeschäftigung herstellen kann, so könnte sie die Vorteile einer neuen Arbeitsteilung partiell nutzen, um die durch sie Benachteiligten zu entschädigen. Die Vorteile fallen bei verschiedenen Gruppen an:

  • Unternehmen erhöhen ihre Gewinne bzw. senken ihre Verluste, indem sie Teile der Produktion an Billigstandorte auslagern. Im Regelfall erhöht dies die Steuereinnahmen, die dann für politische Maßnahmen zur Verfügung stehen.
  • Billigere Produkte und billigere Dienstleistungen durch Einwanderer erhöhen die Realeinkommen der Konsumenten im Westen. Im Fall der Schwarzarbeit müßte über arbeitsmarkt- und steuerpolitische Maßnahmen versucht werden, durch maßvolle Belastung und Verregelung den Markt zu legalisieren und abgabenträchtig zu gestalten, ohne ihn auszutrocknen. Eine höhere Besteuerung könnte die erhöhten Realeinkommen partiell abschöpfen.
  • Regional konzentrieren sich vor allem diese Nutzen in Deutschland und Österreich. Neben den nationalen Ausgleichsmechanismen bedarf es daher auch internationaler in der EU.
  • Die beschäftigten "Billigarbeitnehmer" aus MOE tragen mit ihren Steuern zu den Staatseinnahmen bei und entlasten als Nicht-Arbeitslose die MOE-Sozialhaushalte.

Die höheren Einkommen von Unternehmern, Konsumenten und MOE-Beschäftigten können als zusätzliche Nachfrage Arbeitsplätze schaffen. Damit die Realeinkommen steigen, müssen die Preise sinken. Die Wettbewerbspolitik sollte dazu beitragen, mit dem nötigen Konkurrenzdruck sicherzustellen, daß nicht nur Importeure und Monopolisten ihre Gewinnne steigern.

Bei höheren Nominaleinkommen entstehen zusätzliche Steuereinnahmen automatisch, falls die Einkommensbezieher den Staat nicht betrügen. Bei gestiegenen Realeinkommen wären sie durch höhere Steuersätze zu erzwingen. Dies wäre beschäftigungspolitisch nur dann sinnvoll, wenn der Einkommenszuwachs nicht konsumiert, sondern gespart, diese Ersparnis aber nicht von privaten Investoren nachgefragt würde.

Aber auch der Umverteilung von Gewinnern zu Verlierern der neuen Arbeitsteilung sind Grenzen gesetzt. Werden den Gewinnern die Gewinne ganz entzogen, nehmen sie die Arbeitsteilung gar nicht erst vor, aus der die Gewinne entsprängen. Ein Arbeitgeber, dessen niedrigere Arbeitskosten durch höhere Steuern voll kompensiert werden, stellt auch keine Niedriglohnarbeiter ein. Es bedarf also einer Fiskalpolitik mit Augenmaß, die die Gans nicht schlachtet, die die goldenen Eier legen soll.

Die zusätzlichen Steuereinnahmen sollten zur sozialen Abfederung der Anpassungsprozesse verwandt werden. Regionen, Nationalstaaten und die EU selbst benötigen stärkere und effizientere Mechanismen zum Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern einer neuen Arbeitsteilung.

Sektoren: In manchen Fällen handelt es sich bei den abzubauenden Jobs ohnehin um hochsubventionierte Arbeitsplätze. Die öffentlichen Hände der EU könnten bei einer Aufgabe der weniger ertragreichen Segmente der Landwirtschaft, Stahl- und Kohleproduktion etc. auch noch Geld sparen, wenn die Subventionen höher als die Stillegungskosten (Abfindungen und Arbeitslosenunterstützung) liegen.

Regionen: Solche Einsparungen könnten eine aktive Standortpolitik in benachteiligten Regionen finanzieren. Gerade eine erweiterte EU braucht eine stärkere Kohäsionspolitik. Regionen wie Wales beweisen, daß durch eine intelligente Vernetzung privater und öffentlicher Akteure Entwicklungsrückstände aufgeholt werden können.

Qualifikationsgruppen: Vorzuziehen wäre es allerdings, wenn die entlassenen Arbeitern und Bauern anderweitig Beschäftigung fänden. Dazu müßte der übliche, wenn auch nur beschränkt erfolgreiche Satz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen eingreifen: Mobilitätsbeihilfen, Umschulung und Weiterbildung, Lohnsubventionierung oder Abgabenbefreiung bei Neuanstellung etc.. Sie alle haben größere Erfolgschancen, wenn der Anpassungsprozeß zeitlich gestreckt wird.

c) Politisch dosierte Arbeitsteilung

Das Ausmaß der anstehenden Anpassungsschocks ist 1994 noch kaum abzusehen. Einerseits sind das Verlagerungspotential und damit die drohenden Beschäftigungsverluste in Westeuropa angesichts der Faktorpreisunterschiede von 1:15 und den riesigen freien Kapazitäten in MOE erheblich. Andererseits gibt die bisherige Entwicklung mit nur geringfügigen Handels- und Investitionsströmen (unter 5%) kaum Anlaß zu Besorgnis. Sie spiegeln eher die zahlreichen Hürden wider, die MOE noch überwinden muß, um sich zu einem international wettbewerbsfähigen Standort zu entwickeln.

Die Wirtschaftspolitik des Westens muß also versuchen, sich flexibel auf unterschiedlich starke Schocks einzustellen. Bei schwachen Drücken sollte die Politik diese nicht weiter abfedern, sondern ihre Wirkung im vollen Umfang zulassen. Bei starken Anpassungszwängen kann eine begrenzte und degressive Schutzpolitik als Übergangsmaßnahme in Kombination mit aktiver Umstrukturierung sinnvoll sein.

Aber zeitliche Streckung darf nicht bedeuten, die notwendigen Anpassungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Gefragt ist vielmehr eine vorhersagbare Wirtschaftspolitik mit klaren Fristen, wann welche staatlichen Schutz- und Stützmaßnahmen für nicht mehr tragfähige Produktionen entfallen und welche Anpassungskosten der Staat übernimmt. Diese verbindlichen Pläne sind zwischen EU und MOE auszuhandeln, damit auch die Investoren sich daran orientieren können und nicht aus Unkenntnis gerade jene Investitionen unterlassen, deren positive Erträge die Umstrukturierungspolitik mitfinanzieren sollen. Gerade die sensiblen Branchen hängen stark von der Handels- und Subventionspolitik ab. Es läge daher nahe, die entsprechenden Entscheidungen in Gremien wie etwa den Assoziationsräten zu fällen, in denen auch die MOE-Länder vertreten sind.

Angesichts der besonderen Gefährdung der westeuropäischen Niedriglohnperipherie durch die Konkurrenz aus MOE kommt der Währungspolitik eine besondere Aufgabe zu. Der ohnehin schwierige Einstieg in die Währungsunion müßte für Länder wie Portugal, Spanien und Irland weiter verzögert werden, damit sie über Abwertungen Gelegenheit haben, ihre Lohnkostenvorteile zu verteidigen. Letzlich bleiben ihnen zwar auch so Reallohnsenkungen nicht erspart, aber sie sind auf diese Weise psychologisch einfacher durchzusetzen als durch nominale Lohnsenkungen in einem einheitlichen ECU-Währungsgebiet. Eine währungspolitische Zusammenarbeit mit den MOE-Staaten könnte deren Wechselkurspolitik in eine solche Strategie so einbinden, daß ein Abwertungswettlauf vermieden wird.

Eine dermaßen dosierte Arbeitsteilung hat bessere Aussichten, die Nutzen zu produzieren, die die Marktlogik erwarten läßt, aber ohne politische Flankierung wegen der gesellschaftlichen Widerstände nicht produziert. Die Politik darf daher bei der Steuerung der Arbeitsteilung nicht bürokratisch, sondern muß partizipativ vorgehen. Gewerkschaften, Verbände und Gebietskörperschaften sind sowohl in der EU als auch in MOE einzubeziehen, um Widerstände abzubauen, die unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen und die gesellschaftlichen Grundlagen für neues Wachstum zu schaffen.

Gelingt eine solche politische Koordination nicht, wird sich eine wildwüchsige Arbeitsteilung durchsetzen. Im günstigsten Fall produziert sie ein prosperierendes MOE, dessen Wachstum den produktiveren zwei Dritteln der EU nutzt. Die Kehrseite bilden die Regionen und Gruppen, die dem schärferen Wettbewerb zum Opfer fallen und deren kollektive oder individuelle Kompensationsstrategien möglicherweise weitere Löcher ins gesellschaftliche Netz der Wohlstandsinsel Europa reißen. Im ungünstigen Fall tritt zu einem zerrissenen Westeuropa ein instabiles MOE, das zwar einigen Investoren noch Lohnkostenvorteile bietet, aber keine dauerhafte und breite Entwicklung mehr zustande bringt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

Previous Page