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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[31.]
„Die schwarz-weiß-rote Fahne und das Hakenkreuzbanner müssen in den Staub, wenn Deutschland leben soll!"
Rede am 2.2.1933 vor SPD-Mitgliedern im Dinkelackersaal in Stuttgart


STW Nr. 28 v. 3.2.1933

Die letzten Monate deutscher Politik haben erwiesen, daß wir nie schwächere und lebensunfähigere Regierungen gehabt haben als die „autoritären Regierungen". Die Autorität des Feudalismus, des Militärs und des Großkapitals ist Schwindel.

Gerade der Zusammenbruch der „autoritären" Bemühungen hat die heutige Situation geschaffen.

Das Kabinett Hitler ist das zwangsläufige Ergebnis des Versagens der Reaktion auf allen Gebieten und der Kreise aller Teile der Gegenrevolution.

Das Wilhelminertum des Papen-Kabinetts ist einfach vor dem Stirnrunzeln des Volkes zusammengebrochen. Schleicher hat als Heiratsvermittler der Reaktion auch versagt. Die Art, wie diese Kabinette kamen und gingen, sind eine Schande für die Nation, solche Verlogenheit und Unwahrhaftigkeit wäre selbst bei der schlimmsten Entartung des Parlamentarismus nicht denkbar.

(Der Redner macht längere Ausführungen über die letzte Regierungsbildung, die in der Versammlung stürmische Ausbrüche des Hasses und Ekels über diese Methoden erregen.)

Schließlich aber war Herr Hitler billiger zu bekommen, als irgendein Nazi sich träumen ließ. Mag die Angst vor Staatsstreichplänen der Reichswehr mitgespielt haben oder nicht, die Kassen der Nazi waren leer und die Parteikrise fraß um sich. Selbst in der Geschichte der Treulosigkeit und Charakterschwäche - dem reichhaltigsten Kapitel in der Historie deutscher Reaktion - ist es unerhört, wie der Nationalsozialismus vor Hugenberg und Papen kapituliert hat.

Der Nationalsozialist Hitler ist der Kanzler des letzten Bollwerks des Hochkapitalismus.

Jetzt sind die Masken endgültig gefallen, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Der Nationalsozialismus hat sich offen und eindeutig als kapitalistische Rechtspartei etabliert. Hugenberg als Hitlers Krisenminister hat die letzten Schleier zerissen. Als Parvenü dieser Gesellschaft ist er nur geduldet, ohne den entscheidenden Einfluß auf die Machtmittel des Staates. In der wiedererstandenen Harzburger Front stellen sich die Partner die Fallen. Höhnisch schreiben schwerindustrielle Blätter, den Anhängern Hitlers würden noch die Augen übergehen. Der „Sozialist" Hitler, der sonst von sozialen Phrasen triefte, nimmt ruhig die Zerstörung des Arbeitsministeriums und die Auslieferung des Arbeitsrechts, der Lohnpolitik und des Wohnungswesens an den „stursten Bock" des Hochkapitalismus hin. Hitler darf reden, aber Hugenberg handelt. Als die Nazis in der Reichsregierung am Montag einen mit sozialen Phrasen gespickten Aufruf an das Volk loslassen wollten, haben das die Barone nicht erlaubt und die „Erneuerer Deutschlands" haben gekuscht. Höhnisch haben führende Leute des Adelsfaschismus vorher untereinander gesagt: „Hitler zum Kanzler zu berufen, ist nicht schwer, aber um ihn loszuwerden, da werden wir wohl Handgranaten gebrauchen müssen." Umgekehrt schwatzt die Naziführung ihren Leuten die Ohren voll, wie man es mit den Deutschnationalen und dem Zentrum nach dem Vorbild Mussolinis machen werde. Dem Zentrum wieder erklären sehr prominente Hakenkreuzler: „In acht Wochen ist der ganze Schwindel zu Ende. Dann schmeißen wir die Deutschnationalen raus und regieren mit euch weiter!" Noch am Samstag hat ein prominenter Naziabgeordneter Material über den Osthilfeskandal deutschnationaler Führer den Sozialdemokraten angeboten.

Aber wir Sozialdemokraten müssen uns trotz alledem auf das Schlimmste und Schwerste gefaßt machen, wenn auch die Ausnützung der Gegensätze im Lager der Gegenrevolution von größter politischer Bedeutung werden kann. Das sollte man auch bei der Überprüfung der Möglichkeiten außerparlamentarischer Aktionen ins Auge fassen. Es wird schwerer und opferreicher sein, Hitler und Hugenberg wieder aus der Macht herauszuwerfen, als sie fernzuhalten. Bevor die größte Enttäuschung kommt, will die Gegenrevolution noch einmal die politischen Chancen ausschöpfen: Faschingswahlen durch gigantische Ausschöpfung der menschlichen Dummheit und Verhetzung.

Noch einmal sollen die braunen Massen im Taumel der baldigen Beuteverteilung zur Wahlurne gejagt werden, noch einmal sollen die SA-Männer glauben, in vier Wochen als Reichswehrsoldaten, Schutzpolizisten und Beamte der öffentlichen Betriebe eines schönen Morgens aufzuwachen, bevor sie endgültig betrogen werden. Im einzelnen sind die Gründe zu dieser überraschenden Auflösung, die von den Nationalsozialisten und vor allem von Herrn von Papen, dem Todfeind des Zentrums, durchgesetzt worden ist, ohne alle Verhandlungsmöglichkeiten mit dem Zentrum zu erschöpfen, die folgenden:

- Die Nazi wollen den Wahlkampf mit Reichsgeldern finanzieren und die Hilfsmittel, wie Rundfunk usw. rücksichtslos in Anspruch nehmen.

- Im Siegesrausch glauben sie ihrer Truppen für terroristische Niederknüppelung des Gegners sicher zu sein.

- Man gewinnt mit den Phrasen des Wahlkampfes Zeit, um versprochene Taten zu unterlassen.

- Man will die Debatte über die Osthilfe im Reichstag unterbinden, weil er der schmutzigste und größte Korruptionsskandal der Weltgeschichte ist. (Starker Beifall)

Die Edelsten der Nation haben sich hier als eine organisierte Diebesbande enthüllt. In einer Zeit, in der die Ärmsten nichts mehr zu essen haben, haben sie sich die Taschen gefüllt. Bis in die allernächsten Kreise um den Reichspräsidenten herum, gehen diese schmutzigen Korruptionsschichten. Hunderte von Millionen sind für Luxus und Luderleben hinausgeworfen worden. Bis zu den Angehörigen der Hohenzollern geht die Bereicherung, aus der die Nationalsozialisten Trinkgelder empfangen haben. Ein unsäglicher Schulst und Phrasenbrei leitet die Kampagne ein. Hitlers Regierungsprogramm ist ein intellektueller und politischer Bankrott! Kein Wort sagt Hitler über das, was er tun will. Wo bleiben denn die ganzen Versprechungen? Was es zu tun gibt, das tut Hugenberg. Dessen dilettantische Wirtschaftspläne werden den Bankrott des Kapitalismus offenbaren. Kein Wort sozialer Hilfeleistung in Hitlers Programm! Phrasen über Phrasen! Alle gehässigen Redensarten politisierender Stammtischler beieinander. Drohendes Auf-den-Tisch-Schlagen. Die ungeheure Leistung der Sozialdemokratie und aller, die am Aufbau der Republik mitgearbeitet haben, wird beschimpft und begeifert. Wir lachen darüber. Wir stehen turmhoch über solcher Kritik. Wir haben Deutschland gerettet, und der Geist der Hitler und Hugenberg hat Deutschland verdorben. Wir kennen nur eine Parole: Die schwarz-weiß-rote Fahne und das Hakenkreuzbanner müssen in den Staub, wenn Deutschland leben soll!

Deutschland kann ohne Millionäre existieren, aber nicht ohne seine arbeitenden Massen. Was jetzt aufgebaut wird, das ist der Staat der Ausplünderung und der Katastrophe. Wir kennen diese Töne, die aus Angst vor dem „äußeren Feind" so gegen den „inneren Feind" toben. Das Regierungsprogramm ist geradezu eine lächerliche Spielart des Pazifismus. Vor dem Ausland kriecht man und gegenüber den wehrlosen Volksgenossen wird man brutal. Wir fürchten keine Brutalität, und den Terror werden wir aus eigener Kraft brechen.

Über die Drohungen der Nazipresse lachen wir. Das Verbot der sozialdemokratischen Demonstrationen am kommenden Sonntag in Berlin ist uns ein Zeichen der Angst der anderen. Das Getobe Adolf Hitlers gegen die Kommunisten ist ja nur indirekte Hilfestellung für die KPD. Heute noch kann sich die Gegenrevolution auf die kommunistische Führung verlassen. Als in Stuttgart Betriebsdelegationen auf das sozialdemokratische Parteisekretariat kamen, um den gemeinsamen Abwehrkampf gegen den Faschismus zu besprechen, nahmen sie auch Fühlung mit der Geißgasse. Dort erhielten sie die Antwort: „Mit den sozialdemokratischen Führern setzen wir uns nicht an einen Tisch!" Uns macht das alles nicht irr! Wenn jetzt auch die kommunistischen Zeitungen und Demonstrationen verboten werden, erheben wir den schärfsten Protest. Niemals war die kommunistische Presse gegenüber Regierungen so zurückhaltend wie heute. Man wartet offenbar erst auf Weisungen der Komintern.

Wir brauchen aber Entscheidungen unter dem Gesichtswinkel der Notwendigkeiten der deutschen Arbeiterklasse und nicht irgendwelche Aktionen für die russische Außenpolitik, oder gar um von den inneren Sorgen Rußlands durch „weltrevolutionären" Rumor abzulenken. Wir wissen, wie sehr man in Moskau wegen der neuen Regierung besorgt ist. Die Nazi stehen ganz unter dem Einfluß der haßerfüllten russischen Emigranten á la Rosenberg, und von Papen ist der Mann, der in Genf unter sechs Augen die Allianz mit Frankreich und England gegen die Sowjets zustande bringen wollte, ohne gkücklicherweise ernst genommen zu werden. Wenn Sowjetrußland sich vor größtem Unheil bewahren will, dann sollte es seine Anhänger anweisen, den Bruderkampf aufzugeben. Leider besteht die größte Gefahr, daß es meint, besser auf Kosten der Sozialdemokratie sich eine „revolutionäre" Armee in Deutschland zu schaffen. Wenn aber dem so ist, dann stehen die kommunistischen Arbeiter in Deutschland vor der Frage, ob sie sich einem Phantom opfern oder den Klassenkampf an unserer Seite führen wollen.

Wenn die deutschen Arbeiter für die Ziele der Sowjetpropaganda kämpfen sollen, dann ist die Sache der Freiheit verloren. Gerade die letzte Generalstreikpropaganda zeigt es, die von den Kommunisten gar nicht ernst gemeint war, denn sie sind weder an uns noch an die so wichtigen Gewerkschaften herangetreten. Als in einigen Berliner staatlichen und städtischen Betrieben am Montag der Generalstreik beschlossen war und nach dem Ziel gefragt wurde, gaben die Kommunisten die Antwort: „Ein Sowjetdeutschland!" Darauf war alles aus.

Letzte Mittel wie der Generalstreik sind nur möglich bei Klarheit über die drei entscheidenden Faktoren: Voraussetzungen, Methoden, Ziele. Der politische Massenstreik ist eine Waffe, die, einmal angewandt, Erfolg bringen muß! Gewaltproben gibt es nicht in der heutigen Situation, darum auch keinen befristeten Demonstrationsstreik, solange die KPD noch eine unreife Illusionstaktik pflegt und auch dort weitertreiben will, wo aus der ganzen Situation nur bequeme Vorwände für faschistische Gewaltpolitik entstehen können. Ein Generalstreik ist nur möglich, wo die denkbar größte Wucht und Einmütigkeit aus der inneren Notwendigkeit garantiert ist, wo das ganze arbeitende Volk aufsteht wie ein Mann. Darum ist jetzt die Einheitsfront aller Gewerkschaften ein großer Erfolg. Man muß sich darüber klar sein, daß daraus Situationen von weltgeschichtlicher Bedeutung entstehen können. Die letzten Mittel sind für den Fall des Staatsstreichs da!

Dann, aber auch nur dann wird sich zeigen, daß die von der Sozialdemokratie geführte Arbeiterklasse, daß die Kraft der Gewerkschaften und Schufokameraden etwas viel Gewaltigeres ist, als selbst viele in unseren Reihen es sich heute träumen lassen. Von einem großen Teil der kommunistischen Führer habe ich die schlechteste Meinung. Das Allerschlimmste aber ist die Durchsetzung mit Spitzeln und Provokateuren. Auf zentrale Anweisung werden jetzt systematisch gerade die kriminellen Elemente der NSDAP in die KPD hineindelegiert. Vereinzelte Vorstöße, Krawalle und ähnliches sind es, was die andern brauchen.

Die gesamte Arbeiterschaft, auch die kommunistische, sollte bedenken, daß wir für sie, für alle Armen und Elenden, unsere aufopfernde Politik gemacht haben. Wenn die kommunistische „Welt am Abend" schreibt: „Es geht für die Arbeiterschaft sowohl um die politischen als auch um die sozialen Rechte und Errungenschaften", dann ist das etwas anderes als die Lausbubereien, die wir noch in den letzten Tagen erlebten.

Aber die Einigkeit der deutschen Arbeiterklasse kommt durch unser Kampfprogramm und durch unseren sozialistischen Mut im Kampf gegen den Faschismus.

Wenn auch das Verhalten der Kommunisten in Italien, Ungarn und Polen das Schlimmste befürchten läßt, ich glaube an die deutschen Arbeiter. So absolut unangreifbar, wie sich unsere Leute gegen jede faschistische und kommunistische Beeinflussungsversuche erwiesen haben, bilden sie den einzig festen marxistischen Kader, dem in den Stunden der großen Entscheidungen die Führung der Klasse zufallen muß.

Hitler arbeitet mit dem Bolschewistenschreck, ohne die Kommunisten zu fürchten. Die garantieren ihm vielmehr durch die Taktik ihrer Führung seine Herrschaft. Um die dreckigen Spießerinstinkte zu befriedigen, möchte er die KPD verbieten. Wenn das bisher noch nicht geschehen ist, dann nur deswegen - weil sonst die Sozialdemokraten zu viel Stimmen bekommen hätten. Also soll die KPD der SPD möglichst viele Stimmen abjagen und nachher werden die Kommunisten einfach aus dem Parlament ausradiert. Es ist selbstverständlich, daß wir gegen jede Verbotspolitik kämpfen.

Hitler kämpft jetzt um seine parlamentarische Legitimation. Er und seine Freunde dürfen die Mehrheit nicht bekommen. (...) [Der Schluß der Rede ist nicht überliefert.]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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