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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[1.]
Die Geeinigten


STW Nr. 281 v. 9.12.1920

Das also ist der sehnsüchtig erwartete Parteitag der Kommunisten [Der 6. Parteitag der KPD, der sog. „Vereinigungsparteitag", fand vom 4. bis 7.12.1920 in Berlin statt. Auf ihm wurde die endgültige Verschmelzung der USPD (Linke) und der KPD zur „Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands, VKPD" vollzogen. Vgl. hierzu Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, S. 125f.] alter und neuer Prägung, das die großen Gedanken, aus denen die Einigkeit des revolutionären Proletariates erwachsen soll! Der Arbeiter, der in den zwei Jahren nach der Revolution den kommunistischen Ideen unerhörte Opfer an Gut und Blut gebracht hat, der mit religiöser Andacht den Versprechungen vom tausendjährigen Reich gelauscht hat, sieht jetzt aus dem nebelhaften Mythus der kommunistischen Heilslehre in den Referaten seiner von ihm so bewunderten Führer das Programm sich herauskristallisieren. Das „Glaubenlehren" war ja die Stärke des Linksradikalismus. Jetzt heischt die Zeit ein formuliertes Bekenntnis.

Und dieses Bekenntnis - ist eine Enttäuschung, stellt nicht mit sicherer Gewißheit wissenschaftlich fundierte Grundsätze auf, sondern ist ein Produkt taktischer Erwägungen. Die starren Dogmatiker, die auch den Gegnern durch das restlose Aufgehen in einer Idee hätten Achtung einflößen können, entpuppen sich als taktische Macher geringerer Qualität. Es ist gewiß erfreulich, wenn man die Wolkenkuckucksheimer wieder einmal auf dem festen Boden der Tatsachen begrüßen darf, aber eine solche Niederlage der sozialistischen Theorie ist darum auch nicht gerade nötig gewesen. Jetzt zeigen sich in der Bewegung die typischen Konsequenzen unzulänglicher Führung, das fast gänzliche Fehlen wirklicher Wissenschaftler sowie praktisch erfahrener Organisatoren, mit erschreckender Deutlichkeit. Die Behandlung der einzelnen Fragen offenbaren einen solchen Mangel an Ausmaß in den nötigen Qualitäten, eine solche politische und soziale Quacksalberei, ein so hilfloses Herumfingern an den Problemen, daß einem beim Gedanken an das Schicksal der Massen, die auf Gedeih und Verderb diesen politischen Apothekern zu folgen gedenken, angst und bange werden kann.

Die Leutchen, die sich dort in Führerstellung spreizen, wissen das selbst nur zu gut. Darum stürzen sie sich unter Wahrung der revolutionären Phrase Hals über Kopf in den bedingungslosesten Opportunismus. Freilich in der eigentlichen Politik des Tages hat die bolschewistische Phrase den Karren festgefahren. Das stört Herrn Dr. Levi aus Frankfurt [Paul Levi (1883-1930) hatte als erster Redner des Parteitages ein Referat über das Aktionsprogramm der VKPD gehalten. Levi wurde neben Ernst Däumig zum Vorsitzenden der neuen Zentrale der VKPD gewählt. Nach seinem KPD-Ausschluß 1921 kam er über die KAG und USPD 1922 zur SPD.] wenig, der Mann, der der Verwalter der geistigen Erbschaft von Rosa Luxemburg und Franz Mehring sein sollte, läßt einfach in jeder Schwierigkeit das Wort Sowjetrepublik fallen. Und die Massen, die nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl politisieren, die nicht an Gott, aber an die Räterepublik glauben, lassen sich damit auch jeden Zweifel ausreden. Schon dies erste Referat ist eine Bankrotterklärung, ein Eingeständnis dessen, daß man den Problemen einer veränderten Welt nicht mehr beizukommen vermag und an den Wunderglauben appellieren muß. Das ist alles andere, nur kein Programm.

(...) [Es folgt eine Erörterung über das Referat von August Thalheimer, der über die Agrarfrage gesprochen hatte.]

Der Geist der freien Einzelpersönlichkeit ist ja auch der Geist des Räteideals, eines Ideals der kommunistischen Wirtschaft mit Formen der politischen Organisation, die staatsrechtlich Anarchismus bedeuten. Man mag diesen geistigen Inhalt des Räteideals bekämpfen als organisationsfeindlich, unsozialistisch, als Konsequenz des bürgerlichen Freiheitsideals. Man wird aber notgedrungen verlangen müssen, daß dieser Geist auch die ganze Bewegung durchdringe. So ist es auch denn im Anfang gewesen, in Rußland sowohl wie in Deutschland. Gerade bei uns hat der Kommunismus seine revolutionäre Rolle nur als Verkünder der unbeschränkten Freiheit gespielt, nahm er doch selbst die wilden Straßenhändler und die nichtabliefernden Bauern in Schutz. Sein Kampf ging nicht nur gegen den politischen Ausdruck der jeweiligen Herrschaftsgewalt, sondern gegen den Staat überhaupt, nicht nur gegen die jeweiligen „Bonzen", sondern gegen den Organisationsgedanken. Gerade hieraus resultieren auch seine Erfolge. Der Rätegedanke bedeutet auf der einen Seite die Zusammenballung aller primitiv-egoistischen Regungen in der Arbeiterklasse, auf der anderen Seite das Hineintragen des föderativen Prinzips in Arbeiterbewegung und Staatspolitik. Ökonomische wie politische Entwicklung brachten die russischen Theoretiker des Rätesystems bald zur Räson. Das föderative Sowjetprinzip wurde aufgegeben zugunsten des zentralistischen Staatsprinzips, die Räte durch den Volkskommissar ersetzt. Trotzdem hielt man das alte anarcho-kommunistische Sowjetideal aufrecht. Lenin deckte es mit der Unehrlichkeit, daß es „zwischen der Sowjetdemokratie und der Anwendung der diktatorischen Macht von einzelnen Personen keinen prinzipiellen Gegensatz" gebe und ließ sich diese öffentliche Unehrlichkeit von seinen Sowjetbauern durch Mehrheitsbeschluß als Wahrheit letzter Instanz bescheinigen.

Für den deutschen Kommunismus hat damit eine Periode unaufhörlicher Spaltung eingesetzt. Die Unentwegten, besonders die Führer, die durch eine solche Ideologie ihre Stellung bedeutend verstärkt sehen, nutzen den Glauben an Rußland weidlich aus. Jetzt predigt der neue Parteitag das zentralistische Organisationsprinzip, die wundertätige Kraft des Zwanges, preist Ordnung und Disziplin in der Partei, schimpft auf den Föderalismus, tut, mit einem Wort gesagt, das Gegenteil dessen, was man in der Partei vorher gepredigt und getan hat. In dem Referat von Könen [Wilhelm Koenen (1886-1963) hatte über die Parteiorganisation referiert. Bislang Mitglied des USPD-Vorstandes, wurde er zu einem der Sekretäre der Zentrale gewählt.] ist trotz aller forschen Draufgängerei doch nicht die Energie enthalten, wie man gerne Glauben machen möchte. Es soll jetzt in der eigenen Partei das Organisations- und Staatsprinzip zu den letzten Konsequenzen durchgeführt werden. In Rußland wäre es möglich, weil dort Bolschewist und Beamter fast dasselbe ist. In Deutschland wird es wohl kaum so leicht gelingen. Man hat seine Anhänger gegen das Autoritäts- und Organisationsprinzip auch innerhalb der Arbeiterbewegung mit allen Mitteln aufgehetzt. Jetzt will man selbst Autorität sein. Man hat gegen das Bonzentum gewettert und will heute selbst Bonze sein, man hat die unmittelbarste Demokratie eines beschränkten Kreises, das direkte Eingreifen der „aufgeklärten Masse" gefordert und will jetzt widerspruchslos aufzunehmende Dekrete erlassen, so wie der Göttervater Zeus vom hohen Olymp herab seine Blitze in die Menge schleudert. Da kann es doch leicht geschehen, daß die neuen Anhänger einmal zurückschleudern und die eigenen Lehrmeister in der verantwortungslosen Kritik selbst mit einer recht unangenehmen Kritik bedenken. Die Zerstörung jedes Vertrauens- und Autoritätsverhältnisses läßt die Forderung der Herren Dr. Levi, Thalheimer und Stöcker [Walter Stoecker (1886-1939), zunächst USPD, wurde zu einem der Sekretäre der Zentrale gewählt. 1920-1932 MdR, amtierte er 1924-29 als Vorsitzender der KPD-Reichstagsfraktion.] jetzt selbst Autorität sein zu wollen, doch etwas unbescheiden erscheinen. Die alte Sozialdemokratie kann ein solches Verhältnis bei sich selbst noch aufrecht erhalten. Qualität der Führer und Schulung der Massen erlauben es: die alten, neuen und allerneuesten Kommunisten können es nicht mehr. Herr Heckert [Fritz Heckert (1884-1936) wurde als Mitglied der Zentrale (1919-36) bestätigt. Im Oktober 1923 amtierte Heckert kurzzeitig als sächsischer Wirtschaftsminister (Vgl. hierzu die Rede Schumachers am 9.10.1932, Dok. Nr. 27).] spricht nicht umsonst so ängstlich von der Notwendigkeit, aus der „Politik des Kritisierens" herauszukommen. Überhaupt läßt diese „Angst vor der eigenen Courage" diese „Revolutionäre" jetzt manchmal so sprechen, wie es sonst Herr Bassermann [Ernst Bassermann (1854-1917). 1893-1917 mit einer kurzen Unterbrechung 1903 MdR, 1905-1917 Vorsitzender der Nationalliberalen Partei, deren Fraktionsvorsitzender im Reichstag er seit 1898 war.] und seine Garde, die „so lange starb, bis sie sich ergab", zu tun pflegten.

Noch niemals hat ein Teil der deutschen Arbeiterbewegung einen solchen grundsätzlichen Tiefstand erreicht. Prinzip und Taktik, Glaubensformeln von religiöser Inbrunst und kleinbürgerliche Hausmittelchen, Assoziationsideal der freien Menschen und Autoritätsprinzip, Haß gegen Führertum und Bonzendünkel, Schutz des Wuchers und Schiebertums und Klassenkampf; rechter Hand, linker Hand, alles vertauscht. Diese Partei kann nicht einig bleiben!

Das Bürgertum aller Länder aber sieht hohnlächelnd den geistigen Bankrott eines Teils der Arbeiterbewegung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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