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[SOZIAL- UND ZEITGESCHICHTE]
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IV. „Historisierung" und „Neue Rechte": eine Bilanz

Ziehen wir abschließend eine Bilanz: Im Gewand vorgeblicher Wertfreiheit hat sich, vorangetrieben von Veröffentlichungen der Verlage Ullstein und Propyläen, innerhalb der Geschichtswissenschaft ein Forschungs- oder besser Publikationszusammenhang formiert, der inzwischen - das gilt für die Wortführer der „Historisierungs"-Bemühungen - mit Vertretern durchaus vordergründiger aktual-politischer Interessen verzahnt ist. Die Verknüpfung von wissenschaftlicher Aufarbeitung des Nationalsozialismus in historisierender Absicht einerseits mit dem Ziel einer „Normalisierung" des deutschen Geschichtsbewußtseins als Voraussetzung für die Rückgewinnung einer lang vermißten politischen Handlungsfreiheit des vereinten Deutschland andererseits, die vielfach in Rezensionen und Stellungnahmen hinter den „Historisierungs"-Bemühungen seit Ende der 80er Jahre vermutet wurde, ist mit den eher journalistisch angehauchten Publikationen der letzten Zeit deutlich geworden.

Hand in Hand mit der Revitalisierung der Traditionen der deutschen National- im Sinne einer Machtstaatsgeschichte geraten Koordinaten ins Wanken, die der Politik und der politischen Kultur der Bundesrepublik bisher weitestgehend anerkannte Orientierungspunkte boten: Friedfertigkeit und internationale Zusammenarbeit, Westbindung und liberales Demokratieverständnis. [Siehe dazu H.-P. Schwarz , Die gezähmten Deutschen, S. 155: „den beunruhigenden Sachverhalt der Macht ernstzunehmen, heißt allerdings nicht dafür plädieren, daß sich die Bundesrepublik Deutschland etwa von den Prinzipien abwendet, von denen sie sich seit ihrer Gründung leiten läßt: internationale Zusammenarbeit, friedliche Konfliktlösung, Respekt vor dem Lebensrecht anderer Völker, Verantwortung für die Aufrechterhaltung internationaler Ordnung [...]."]
Angesichts der Erfolge, die die „alte" Bundesrepublik Deutschland mit ihrer „kooperativen Außenpolitik", d.h. der Verfolgung der eigenen Ziele unter Berücksichtigung der Ziele der Partner, etwa auf dem Gebiet der europäischen Einigung, beim Aufbau kollektiver Sicherheitssysteme und schließlich bei der Einheit Deutschlands erreicht hat, sind die mit überholten machtstaatlichen Kategorien verbrämten Aversionen gegen die bisherige deutsche Politik schwer nachvollziehbar.

In der „neuen" Perspektive gilt die Geschichte der Bundesrepublik bis 1989 als „Sonderweg" in (angeblich) „einfacher Zeit", der nun, mit der deutschen Einheit und der Erlangung der vollen Souveränität, wieder in den „normalen" Weg der deutschen Nationalgeschichte eingemündet sei. [Siehe dazu ders. , Die Zentralmacht Europas. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, Berlin 1994.] Eben diese „Normalisierung", dieser „Rückruf in die Geschichte" verlange eine Rückbesinnung auf die „alten" Werte und Tugenden.

Getreu der Maxime, „daß in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet" [Michael Stürmer , Geschichte in geschichtslosem Land, in: FAZ vom 25.4. 1986, nachgedruckt in: Historikerstreit, S. 36-38, hier S. 36.] , schickten sich einige Historiker und Politikwissenschaftler, inzwischen unterstützt von einer Reihe von Publizisten, an, die nationalsozialistische Vergangenheit und als „belastet" diskreditierte Begriffe und Werte neu zu interpretieren bzw. zu rehabilitieren. Das gilt nicht nur für die „großen" Werte und Werthaltungen wie Nation, Nationalstolz und National-Konservatismus, sondern auch für eine Reihe von „Staatstugenden", wie „Tapferkeit, Rechtschaffenheit, Pflichterfüllung, Diensttreue, Wachsamkeit, Ehre, Überwindung des inneren Schweinehundes, Ehrfurcht, Opfermut, Altruismus". [P. Meier-Bergfeld , Deutschland, S. 212.] Auffallend an dieser Auflistung ist nicht nur der männlich-soldatische und autoritäre Duktus, sondern auch das Fehlen aller demokratisch-partizipatorischen Normen - von der Zivilcourage über Solidarität, Kompromißfähigkeit und Toleranz bis zur Fähigkeit zur kompetenten Selbst- und Mitbestimmung. Und auffallend ist der Verzicht auf die Frage nach dem Sinn der eingeklagten Tugenden: Ehrfurcht - wovor? Tapferkeit und Opfermut - wofür? Pflichterfüllung und Diensttreue - bei Erledigung welcher Aufgaben?

Diese Fragen stellen heißt keineswegs, den Sinn einzelner dieser Tugenden - wie Tapferkeit, Rechtschaffenheit, Wachsamkeit und Altruismus - im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft zu leugnen; so ist z.B. Tapferkeit bei der Verteidigung von Diskriminierten, ist Wachsamkeit bei Aushöhlung und Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durchaus erwünscht. Schließlich ist davon auszugehen, daß auch eine Demokratie, wenn sie lebendig bleiben soll, derartige Normen braucht, diese indessen inhaltlich an den Charakter einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft binden muß, um sie gegen die Instrumentalisierung zugunsten militaristischer oder nationalistischer Zielsetzungen zu immunisieren.

Nun kann man einen soldatisch-autoritären Wertekanon inhaltlich kritisieren und seine längst erwiesene Untauglichkeit zur Sicherung humanen Zusammenlebens in Erinnerung rufen, doch muß man sich wohl darüber klar sein, daß allein von der gehäuften Nennung bzw. Anmahnung derartiger „Staatstugenden" eine Aushöhlung der liberal-demokratischen politischen Kultur ausgeht. Längst obsolet geglaubte Normen werden hoffähig geredet, und zugleich findet eine Desensibilisierung statt, die die bisher mit diesen Begriffen wegen ihrer Mißbrauchs-Anfälligkeit zumeist verbundenen negativen Assoziationen zurücktreten läßt.

Ferner fällt auf, daß diejenigen, die sich in ihren Arbeiten vehement gegen „Schwarz-Weiß-Bilder" aussprechen, selbst keineswegs frei sind von massiven Feindbild-Konstruktionen. Schon die verständnisvolle Einfühlung in die Gedankenwelt des Nationalsozialismus kommt nicht aus ohne die unbedingte Ablehnung des Bolschewismus bzw. der „Ewigen Linken", die als eine Art „Urübel" erscheint; so brauchen all jene, die einer „Neuen Rechten" das Wort reden, als Folie für die Legitimität ihrer Bestrebungen das Bild einer übermächtigen, wohl gar noch „Ewigen Linken", die angeblich in der Lage sei, Politik und Medien in der Bundesrepublik zu bestimmen.

Voraussetzung dafür, daß sich die „Neue Rechte" überhaupt mit einiger Aussicht auf Erfolg etablieren kann, ist nicht nur die „Historisierung" des Nationalsozialismus, nicht nur die Entlastung bestimmter Begriffe und Werte, sondern vor allem die Erlangung einer gewissen „Reputierlichkeit", einer gewissen „Hoffähigkeit". Gerade hier liegt die Bedeutung der geschickten Mischung der Autoren, die die Herausgeber in den hier näher vorgestellten und zudem in anerkannten Verlagen publizierten Sammelbänden zusammenbringen. Überwog in den Bänden „Die Schatten der Vergangenheit" und „Nationalsozialismus und Modernisierung" sowie in der Festschrift zu Noltes 70. Geburtstag eindeutig der wissenschaftliche Zugriff, so hat sich unter dem Banner der „selbstbewußten Nation" eine bunte Schar von Wissenschaftlern und Publizisten versammelt, deren Spektrum von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der „Welt" über den „Rheinischen Merkur" bis zur „Jungen Freiheit" reicht. [Siehe oben Anm. 25.] Einzelne der am letztgenannten Band beteiligten Wissenschaftler - Ernst Nolte, Rainer Zitelmann und Michael Wolffsohn - waren von Anfang an dabei, so daß sich hier der Weg, vielleicht besser der Pfad von der „Historisierung" des Nationalsozialismus zum Umfeld einer sich neu formierenden „demokratischen Rechten" abzeichnet.

Dieser Entwicklungsprozeß von der primär geschichtswissenschaftlichen Betrachtung zur aktual-politischen Stellungnahme zeigt sich wohl am deutlichsten bei Nolte und Zitelmann: Mit der Rehabilitierung des National-Konservatismus und des Begriffs „rechts", mit der Reduktion des Nationalsozialismus auf den Antibolschewismus, mit der Aufwertung des Nationalsozialismus als eines Motors gesellschaftlicher Modernisierung, mit der Argumentationsfigur des „historischen Rechts" des Nationalsozialismus und schließlich mit dem Feindbild der „Ewigen Linken", das auch und vor allem auf die politische Kultur der Zeit nach 1968 angewandt wird, vollzog sich eine von vornherein angelegte, indessen erst in jüngster Zeit offensichtliche Vermischung von historischer und aktual-politischer Argumentation, die schließlich in allein tagespolitisch motivierte Meinungsäußerungen mündete. [Siehe E. Nolte , Streitpunkte, S. 426ff.; vgl. auch seine Aussagen im „Spiegel" Nr. 40, 1994, S. 83ff. Im Hinblick auf R. Zitelmann ist an die Beteiligung am „Berliner Appell" zu erinnern sowie an sein Buch „Wohin treibt unsere Republik?".] Hier zeigte sich, daß es - wie ohnehin vermutet - bei all der mit dem Anspruch reiner bzw. objektiver Wissenschaft wortreich vorgetragenen Ablehnung von „volkspädagogischen" Bestrebungen letztlich nicht um die grundsätzliche Zurückweisung jedes politisch-moralischen Urteils, nicht um den stets angemahnten Verzicht auf „Lehren" aus der Geschichte, sondern um die inhaltliche Füllung der für angemessen gehaltenen Urteile und Lehren, also um eine „‘Volkspädagogik’ von rechts", ging.

Dabei hat das Plädoyer für eine „Neue Rechte" gewiß an Hoffähigkeit gewonnen durch die wissenschaftliche Reputation Noltes, auf dessen mit dem Gestus des anerkannten Wissenschaftlers vorgetragene „Historisierungs"-Versuche sich die ersten Argumentationslinien legitimierend bezogen. Im übrigen tragen die „Schüler" Noltes selbst nicht unerheblich zur Reputation ihres Wegbereiters bei, indem sie sich in ihren eigenen Arbeiten explizit auf Noltes methodische Vorgaben berufen oder aber als Interpreten von Noltes Werk auftreten. [Siehe z.B. Rainer Zitelmann , Nationalsozialismus und Antikommunismus. Aus Anlaß der Thesen von Ernst Nolte, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S, 218-242; ders. , Gerechtigkeit"; E. Jesse , Ernst Noltes Totalitarismusverständnis; Kai-Uwe Merz , „Ich wollte mir klar werden über das, was unklar war". Annäherungen an Ernst Noltes Antworten, in: T. Nipperdey u.a. (Hrsg.), Weltbürgerkrieg, S. 526-542.] Das erhebt Nolte in den Rang eines „Klassikers" und unterstreicht zugleich den „schulbildenden" Charakter von Noltes Werk, von dessen dadurch manifestiertem Ruhm wiederum seine „Nachfolger" profitieren.

Nun wäre es gewiß falsch, behaupten zu wollen, alle Wege der „Historisierung" des Nationalsozialismus führten in die Nähe der „Neuen Rechten", von deren Formierung zur Zeit so viel die Rede ist; eine solche Annahme gilt nicht für Martin Broszat mit seinen Mitte der 80er Jahre geäußerten Überlegungen und auch nicht für die Autoren der meisten hier näher vorgestellten Untersuchungen. Doch ohne die mit dem Anspruch „objektiver Wissenschaftlichkeit" vorangetriebenen „Historisierungs"-Bemühungen im engeren Umfeld Noltes und ohne die entsprechende Publikations-Offensive bei Ullstein und Propyläen wäre es jenen, die sich für eine „Um- und Neugründung des deutschen Staates" [K. Weißmann , Rückruf, S. 191.] durch eine „Neue Rechte" stark machen, eben angesichts der „Schatten der Vergangenheit" schwerer gefallen, ihren politischen Standort offensiv zu vertreten.

Allerdings hat diese „Neue Rechte", von deren Formierung in einer Reihe von Publikationen berichtet wird, bisher noch keine organisatorische Gestalt angenommen. Auch ist unklar, ob es sich um die Gründung einer neuen politischen Partei, die Stärkung bereits vorhandener Splitterparteien (z.B. Bund freier Bürger) oder um die Revitalisierung national-konservativer Elemente in CDU/CSU oder FDP handeln soll. Die „Neue Rechte" ist wohl zur Zeit eher ein sich selbst propagierendes Medien-Ereignis, das sich primär als ein Publikationszusammenhang zeigt, in dem die Bereitschaft oder der Wille zur „Historisierung" des Nationalsozialismus sowohl Erkennungsmerkmal als auch Kristallisationskern für die Herausbildung einer „Denkfamilie" [Siehe ebd., S. 190.] darstellt, die sich indessen vor allem durch gemeinsame „Aversionen" gegen Politik und politische Kultur der „alten" Bundesrepublik Deutschland konstituiert.

Die Chancen, daß aus diesem Publikations-Netzwerk eine neue rechte Partei entsteht, sind gewiß nicht in Schwächen des wissenschaftlichen, sondern in Defiziten des politischen Diskurses zu suchen. So wird man kaum sagen können, daß die mit dem Anspruch der „Historisierung" des Nationalsozialismus auftretenden Untersuchungen die bisherige geschichtswissenschaftliche Forschung inhaltlich revidiert oder zu einem Perspektivenwechsel genötigt haben. Doch die politischen Ansprüche der „Neuen Rechten", zu deren Legitimation eine Revision des Geschichtsbildes eingefordert und betrieben wird, können sich zu Herausforderungen des liberal-demokratischen Systems auswachsen, wenn und solange die Lösung der anstehenden politischen und sozialen Probleme - vom Abbau der Massenarbeitslosigkeit über die Klärung der Rolle der Bundeswehr und der Frage der Einwanderung bis hin zur Eindämmung der Kriminalität - nicht aktiv vorangetrieben wird.

So bleibt als Fazit festzuhalten: Wer nach dem raschen Ende des „Historikerstreits" geglaubt hat, die Tendenzen zur Relativierung des Nationalsozialismus seien im Keim erstickt worden, der sieht sich inzwischen getäuscht. Stärker als 1986/87 erkennbar oder zumindest belegbar, zeigen sich inzwischen die von kritischen Beobachtern damals herausgestellten politischen Implikationen einer Neubewertung des Nationalsozialismus im Gewande der „Historisierung". Bezogen auf die geschichtswissenschaftliche Debatte, wird man sagen können, daß der Ertrag der mit dem Etikett der „Historisierung" vorgelegten Arbeiten zumeist recht gering geblieben ist; und dort, wo - wie bei der Erforschung der sozialen Basis des Nationalsozialismus oder der nationalsozialistischen Sozial- und Gesellschaftspolitik - in den letzten Jahren deutliche Fortschritte zu verzeichnen sind, wären die Analysen auch ohne den offenbar als „marktgängig" eingestuften Gestus der „Historisierung" bzw. des „Tabu-Bruchs" ausgekommen. Berücksichtigt man indessen die von der „Historisierung" des Nationalsozialismus ausgehenden Impulse zur „Normalisierung" des Geschichtsbildes, die mit einem gehörigen Publikationsausstoß und entsprechender Medienunterstützung vorangetrieben wird, so zeigt sich, daß die Bedeutung der Debatte nicht an ihren wissenschaftlichen Ergebnissen, sondern in Ansätzen zur Veränderung der politischen Kultur der 1990er Jahre abzulesen ist, deren Folgen zur Zeit noch nicht abzusehen sind.


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