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Mehr Beschäftigung für Frauen durch eine gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik : Referate ... für die Gesprächskreisveranstaltung "Mehr Beschäftigung für Frauen durch eine Gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik" im März 1994 in Bonn erarbeitet / [Friedrich-Ebert-Stiftung, Referat Frauenpolitik]. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1994. - 45 S. = 85 Kb, Text . - (Gesprächskreis Frauenpolitik ; 12). - ISBN 3-86077-306-2
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Die in dieser Broschüre enthaltenen Referate wurden in ihrer ursprünglichen Fassung für die Gesprächskreisveranstaltung „Mehr Beschäftigung für Frauen durch eine gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik" im März 1994 in Bonn erarbeitet.

Bonn, September 1994

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Vorwort

Die Erwerbs- und Lebenssituation von Frauen in den neuen Bundesländern hat sich durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel deutlich verschlechtert.

Insbesondere von Arbeitslosigkeit als einer der tiefgreifenden Folgen der rapiden Umgestaltung des Wirtschaftssystems sind Frauen weit überproportional betroffen.

Vor diesem Hintergrund setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, daß es zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme von Frauen vor allem beim Ein- und Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt erhöhter politischer Anstrengungen bedarf.

Insbesondere müssen bei der Erarbeitung mittelfristiger Entwicklungsperspektiven für den Wirtschaftsstandort neue Bundesländer sowie Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung gleichstellungspolitische Ziele stärker beachtet werden.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat im Rahmen des Gesprächskreises Frauenpolitik im März 1994 in Bonn unter der Leitung der Vorsitzenden der Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann der SPD-Bundestagsfraktion Ulla Schmidt eine Veranstaltung zum Thema: "Mehr Beschäftigung für Frauen durch eine gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik" durchgeführt. Die vorliegende Broschüre enthält die überarbeiteten Referate dieses Gesprächskreises.

Ulla Schmidt plädiert in ihrem einführenden Referat für eine grundlegende Neuorientierung der Struktur- und Regionalpolitik, bei der die Gleichstellung von Frauen und Männern eine zentrale Aufgabe darstellt. Gerade beim Umbau und der Rekonstruktion industrieller Kerne in den neuen Bundesländern käme es darauf an, den

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regionalen Lebensraum so zu gestalten, daß Frauen und Männer gleichberechtigte Lebenschancen erhielten.

Dr. Manfred Schmidt, Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg, weist in seinem Beitrag darauf hin, daß die Bundesrepublik (alte Bundesländer) eine im Vergleich zu anderen Industrieländern im Niveau besonders niedrige Frauenerwerbsquote aufweist, wobei er zahlreiche Ursachen und Hemmnisse für die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die in der Beschäftigungsstrukur sowie in den politisch-institutionellen Faktoren begründet sind, herausarbeitet.

Petra Schlütter, Beratungsgesellschaft für Innovation, Strukturpolitik und Arbeit, Niederlassung Berlin-Brandenburg, stellt anhand von Beispielen aus Regionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern konkrete Ansätze für eine gleichstellungsorientierte regionalisierte Strukturpolitik vor.

Die Initiative "Taten statt Worte", über die Vorstandsmitglied Drs. Gundula Keese berichtet, setzt vor allem auf eine Veränderung innerbetrieblicher Strukturen und Prozesse mit dem Ziel, weiblichen Vorstellungen und Potentialen mehr Entfaltungsmöglichkeiten im Berufsleben zu bieten. Die Handlungsfelder reichen von der Schaffung neuer Arbeitsformen und Karrierenormen über betriebliche Einzelberatung, Durchführung von Workshops, Symposien bis hin zu Kinderbetreuungsmaßnahmen wie "Familienservice" und "Kinderbüros".

Wir danken den Autorinnen für ihr Einverständnis, ihre Referate einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen zu dürfen.

Dr. Monika Langkau-Herrmann
Leiterin des Referats Frauenpolitik

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Ulla Schmidt, MdB
Mehr Beschäftigung für Frauen durch eine gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik

Struktur- und Regionalpolitik umfaßt alles, was darauf abzielt, Entwicklungen . in der räumlichen Verteilung wirtschaftlicher Aktivitäten zu stimulieren oder zu lenken.

Eine so definierte Wirtschaftsförderung ist zunächst nichts Neues und wird seit Beginn der 50er Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunkten in Deutschland eingesetzt.

Nicht beachtet und damit strategisch ausgebootet wurden jeweils die Frauen.

Diese Arbeitsmarktstrategie war seit jeher der ständigste und treueste Begleiter der Frauen.

Im Mittelalter wurden Frauen noch mit Arbeitsverboten für bestimmte Tätigkeiten aus dem Handwerk verdrängt. So durften Frauen nur noch Schleier, aber keine Tuche weben, Leinen, aber keine Wolle und Seide verarbeiten. Und ehe sich die Frauen versahen, waren sie aus dem Handwerk gegen Ende des 16. Jahrhunderts fast vollständig verdrängt.

Aus der Geschichte lernen - Konservative werden vielleicht denken, die haben gewußt wie. "Wir Frauen orientieren uns eher an Louise Otto-Peters, die bereits 1865 erklärte:

"Wir erklären die Arbeit für die Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts, nehmen dagegen das Recht auf Arbeit in Anspruch und halten es für notwendig, dass

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alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse entfernt werden."

Hindernisse entfernen in der Struktur- und Regionalpolitik ist eine Herausforderung, die sich an alle Akteure richtet. Strukturelle und systematische Diskriminierungen von Frauen müssen beseitigt werden und die Instrumente der Wirtschafts- und Strukturpolitik für Frauen stärker genutzt werden.

Angesichts eines zunehmenden Problem- und Handlungsdrucks im Hinblick auf die noch umfangreichen Benachteiligungen von Frauen und deren überproportionalen Anteil an Erwerbslosen, müssen daher alle Maßnahmen, mit denen Wirtschaftsstrukturen beeinflußt und gestaltet werden können, umfassende gleichstellungspolitische Instrumente enthalten. Eine einseitige Förderung typischer Männerbranchen ist daher zu vermeiden. Der Erhalt und die Förderung des weiblichen "Humankapitals" muß Ziel und Aufgabe einer Neuorientierung der Strukturpolitik sein. Diese Neuorientierung der Strukturpolitik kann gerade in den neuen Bundesländern, bei der Rekonstruktion und dem Umbau industrieller Kerne, den regionalen Lebensraum so gestalten, daß Frauen und Männer gleichberechtigte Lebenschancen und -bedingungen erhalten.

Es geht folglich nicht mehr um das männliche Reinheitsgebot, sondern um eine demokratische gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern. Die dadurch erzielbare quantitative und qualitative Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sind ein Weg zur Gestaltung des Strukturwandels im Sinne aller in der Region lebender Menschen.

Ein Perspektivwechsel ist daher unvermeidlich. Der bis zum Jahre 2010 vom Institut für Arbeit und Berufsforschung (IAB) prognostizierte Arbeitskräftemangel kommt

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der steigenden Frauenerwerbsneigung entgegen. D.h.: Die öffentlichen und privaten Arbeitgeber müssen davon ausgehen, daß

  • trotz der schrumpfenden Nachwuchsjahrgänge die Gefahr einer allgemeinen Arbeitskräfteknappheit nicht gegeben ist, wenn

  • sie im wachsenden Ausmaß das Leistungspotential der Frauen nutzen.

Zu erwarten ist nach den Aussagen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), daß Frauen von dem prognostizierten Wachstum im Dienstleistungssektor profitieren.

Dies bezieht sich auf die sekundären Dienstleistungen wie Pflege, Erziehung und Lehre. Der Pflege- und Erziehungsbereich ist und bleibt eine Domäne der Frauen. Dies gilt im Westen und im Osten. Zumal in Ostdeutschland insbesondere der soziale und pflegerische Bereich als expansiver Sektor mit innovativem Charakter angesehen wird. Dagegen haben Frauen geringe Chancen in den Bereichen Datenverarbeitung, Informatik sowie Forschung und Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt, obwohl gerade hier die zukunftsweisenden Innovationen liegen.

Wirtschafts- und Strukturpolitik greift aber zu kurz, wenn Frauen über Anpassungs- oder auch Neuqualifizierung nur auf die sog. frauentypischen Berufe festgelegt werden. Dies entspricht weder den vorliegenden Qualifikationsprofilen der ostdeutschen Frauen, noch deren Ambitionen.

Um das weibliche Humankapital für einen Überbrückungszeitraum zu erhalten und die für die neuen Arbeitsplätze erforderlichen Berufs- und Qualifikationsstrukturen

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Strukturen zu fördern, ist es gerade in der angespannten Arbeitsmarktsituation notwendig, alle Möglichkeiten zur Erhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades zu nutzen. Zur solidarischen Bewältigung der Arbeitsmarktprobleme muß im Rahmen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung eine Erhöhung der Beschäftigung von Frauen auf qualifizierten Arbeitsplätzen - auch in traditionellen Männerbranchen - erreicht werden.

Bezogen auf die sektorale und regionale Strukturpolitik bedeutet das Kriterium der Gleichberechtigungsorientierung:

  • Frauenarbeit als integralen Bestandteil der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zu bewerten,

  • die Erwerbsneigung von Frauen zu erhalten und zu fördern,

  • den Branchen mit hohem Anteil weiblicher Beschäftigter öffentliche Aufmerksamkeit zu schenken und Mittel für strukturelle Verbesserungen bzw. für die Entwicklung von Alternativen zur Verfügung zu stellen,

  • in Branchen mit einem geringen Frauenanteil die Beschäftigung von Frauen zu fördern, gegebenenfalls notwendige Qualifikationen zu vermitteln,

  • bei Umstrukturierungsprozessen nach den Beschäftigungsperspektiven für Frauen (und Männer) zu fragen,

  • soziale Infrastrukturen auf hohem Niveau zu schaffen, die sicherstellen, daß die gesellschaftlich

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    notwendigen Arbeiten gleichermaßen von Frauen und Männern übernommen werden (können) und gleichzeitig Beschäftigungseffekte erzielen.

Bei der Modernisierung und beim strukturellen Umbau der gewerblich-industriellen Branchen ist die Entstehung und Sicherung qualifizierter Beschäftigung von Frauen insofern gleichrangig zu berücksichtigen. Innerhalb dieses Prozesses muß sichergestellt werden, daß die neuen Produktionsaufgaben und Technikentwicklungen auch mit einer frauenfördernden Einstellungs- und Personalpolitik befrachtet werden.

Durch die Förderung von Frauen in männerdominierten zukunftsorientierten Beschäftigungsbereichen, über die notwendige Qualifizierung im Ausbildungs-, Fort- und Weiterbildungsbereich, kann der geschlechtsspezifische Arbeitsmarkt zumindest in Teilbereichen überwunden und das Arbeitskräftepotential von Frauen besser genutzt werden.

Über die öffentliche Technik- und Forschungsförderung, aber auch über Subventionsprogramme und öffentliche Auftragsvergabe lassen sich frauenfördernde Auflagen wirkungsvoll verbinden.

Insofern gehört zu einer Verzahnung von Wirtschafts- und Strukturpolitik jeweils auch die Gleichstellungspolitik und damit der Rückschluß auf die Erschließung des regionalen weiblichen Qualifikations- und Arbeitskräftereservoirs .

Für die Ausgabenseite im Hinblick auf Subvention und öffentlicher Auftragsvergabe gilt es, die beschäftigungspolitischen Aspekte auch unter gleichstellungspolitischen Zielen zu qualifizieren.

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Obwohl das Haushaltsgrundsätzegesetz der öffentlichen Auftraggeber die wirtschaftliche - und damit auch preisgünstigste - Vergabe ihrer Aufträge vorschreibt kann der Gesetzgeber über Bevorzugungsregeluneen Einfluß auf die Struktur- und Regionalpolitik nehmen.

So wurde u.a. nach der Wiedervereinigung über die "Ost-Präferenz-Richtlinie" die Bevorzugung für Betriebe in den neuen Ländern sichergestellt, wenn ihr Angebotspreis das beste Gebot um nicht mehr als 20 Prozent übersteigt.

Eine Aktualisierung der Vergaberichtlinien bezogen auf gesellschaftliche Notwendigkeit muß vor allem auch in Phasen wirtschaftlicher Krisen weitere Benachteiligungen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt verhindern. Ohne Instrumente, d.h. ohne gesetzliche Regelungen und ohne die Einflußnahme von Frauen, werden die Weichen im Sinne des Status quo gestellt. Zumal Krisen häufig reformerischen Elan vermissen lassen und die Wirtschafts- und Strukturpolitik eher nach klassischem männlichen Muster abläuft.

Die regionalen Arbeitsmarktakteure unter Einbeziehung der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten haben daher die Aufgabe, neue qualifizierte Beschäftigungsfelder für Frauen zu erschließen, um den hohen Anteil erwerbsloser Frauen wirkungsvoll begegnen zu können.

Wirtschafts- und Strukturpolitik muß, wenn sie Zukunft gestalten will, offen sein für gleichstellungspolitische Handlungsfelder, und das bisherige Spannungsverhältnis zwischen männlich geprägtem Strukturwandel und frauenpolitischen Zielen auflösen.

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Dr Manfred G. Schmidt, Professor für Poliltische Wissenschaft, Universität Heidelberg
Chancen der Beschäftigungsoffensive für Frauen: Lehren aus dem Industrieländervergleich

Gleichstellungspolitik ist eine Politik der Sozialreform, eine Politik der Verteilung und Umverteilung und eine, bei der es Gewinner und Verlierer gibt. Läßt man sich auf so große, ehrgeizige Projekte wie Gleichstellung ein, tut man gut daran, sich zu vergewissern, wie die Erfolgschancen und die Hindernisse für das eigene Vorhaben beschaffen sind. Ich will dies im folgenden in sechs Thesen versuchen, die auf einen Vergleich der Erwerbsbeteiligung von Frauen in Industrieländern beruhen.

THESE 1: DER ZEITPUNKT IST WICHTIG! Für große Reformvorhaben wie eine ihren Namen verdienende Gleichstellungspolitik gibt es - meine erste These - günstige und ungünstige Zeitpunkte. Besonders günstig sind die Zeitpunkte, in denen Vollbeschäftigung oder Beinahevollbeschäftigung herrscht, an zweiter Stelle folgen Perioden, in denen die Arbeitslosigkeit zwar hoch ist, in der aber das Wirtschaftswachstum für Beschäftigungswachstum sorgt. Am ungünstigsten sind die Perioden, in denen - wie derzeit in der Bundesrepublik Deutschland - das Wachstum der Wirtschaft minimal ist, wenn sie nicht stagniert, und wo all dies auf dem Sockel einer hohen Arbeitslosigkeit passiert. Das mindert die Chancen der Gleichstellungspolitik in außerordentlich starkem Maße.

Es ist damit zu rechnen, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik gegen Ende des Jahres wieder aus dem Rezessionstal kommt, bis aber die Beschäftigung darauf anspringt und zusätzliche Jobs schafft, vergeht aller Voraussicht nach ein weiteres Jahr. Erst dann beginnt

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das Wirtschaftswachstum sich wieder in Beschäftigungswachstum umzusetzen. Aber auch davon sollte man nicht zuviel erwarten. Die bisherigen Erfahrungen mit Wirtschaftswachstum und Beschäftigungswachstum in der Bundesrepublik besagen, daß ein reales Wachstum um einen Prozentpunkt die Arbeitslosenquote um 0,25 Prozentpunkte vermindert; anders formuliert, daß 1 % Wachstum alles in allem im Schnitt rund 100.000 zusätzliche Jobs schafft, sofern das Wachstum eine bestimmte Mindesthöhe von rund 2 % überschreitet. Für Gleichstellungspolitik benötigt man folglich einen langen Atem. Und selbst wenn man versucht, die bisherigen Gesetzmäßigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu ändern und beispielsweise durch große Umverteilungen mehr Spielraum zu schaffen, wird man sich darauf einstellen müssen, daß die Sache der Gleichstellung nicht eine Frage von wenigen Jahren ist, sondern eine Frage, für die man Luft für viele Jahre benötigt.

THESE 2: ES KOMMT DARAUF AN, WO MAN SOZIALREFORMEN BETREIBEN WILL. Es gibt aber nicht nur ungünstige oder günstige Zeitpunkte für die Vermehrung der Beschäftigungschancen von Frauen, sondern auch Gesellschaftssysteme und politische Ordnungen, die hierfür günstige Bedingungen stellen und solche, die recht ungünstige Bedingungen beinhalten. Das ist meine zweite These. Um herauszufinden, wo die günstigen und wo die ungünstigen Bedingungen liegen, ist ein Vergleich der Erwerbsbeteiligung von Frauen hierzulande und in anderen westlichen Ländern hilfreich. Besonders hilfreich ist hierbei ein Vergleich der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mit den Ländern, in denen die Eingliederung von Frauen in die Erwerbswelt viel weiter fortgeschritten ist als in der Bundesrepublik: zu diesen Ländern zählen vor allem die nordeuropäischen Staaten und die englischsprachigen westlichen Industrieländer, mit Ausnahme Irlands, allen

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voran die USA und Kanada, gefolgt von Großbritannien und Australien.

Man nehme als Beispiel die Erwerbsquote von Frauen, also die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen und der als erwerbslos registrierten Frauen in Relation zur Gesamtzahl der Frauen im arbeitsfähigen Alter. Der zentrale Punkt ist dieser: die Frauenerwerbsquote steigt in den meisten Industrieländern ziemlich stark an. Sie wuchs insbesondere von den 60er Jahren bis in die 90er Jahre besonders stark. Die Frauenerwerbsquote in den USA beispielsweise stieg von 42 % im Jahre 1960 auf mehr als 68 % 1990 und in Schweden kletterte sie gar von 50 % auf über 80 %. In der Bundesrepublik hingegen wuchs die Frauenerwerbsquote in den vergangenen 30 Jahren im Schneckenpost-Tempo, wenn sie überhaupt wuchs. Sie kletterte von rund 49 % 1960 auf rund 51 % Mitte der 80er Jahre und anschließend - boombedingt -auf rund 56 % bis Anfang der 90er Jahre. Mit anderen Worten: Die Frauenerwerbsquote in der Bundesrepublik - die Zahlen sind für die westlichen Bundesländer -zeigen eine im Niveau relativ niedrige Frauenerwerbsquote an und überdies eine, die nur im Schneckenpost-Tempo wächst. (Nebenbei gesagt, gibt es noch einige wenige andere Industrieländer, wo das ähnlich wie in der Bundesrepublik ist, nämlich Österreich, die Schweiz, ferner Italien, Irland und Japan.)

Warum hinkt die Frauenerwerbsquote der Bundesrepublik Deutschland der Frauenerwerbsbeteiligung in den meisten anderen Industrieländern hinterher? Warum ist die Bundesrepublik Deutschland hierbei nicht in der Spitzengruppe - wie sonst bei den meisten internationalen Vergleichen -, sondern in der Kreisliga?

THESEN 3, 4 UND 5: Die Antwort hierauf - und das ist meine dritte, meine vierte und meine fünfte These - liegt in dem Zusammenwirken von drei außerordentlich wirkungsmächtigen Hindernissen der Frauenbeschäftigung in der Bundesrepublik:

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  • (1) beschäftigungsstrukturelle Hindernisse-
    (2) Hemmschuhe seitens des Arbeitsangebotes von Frauen

  • und (3) politisch-institutionelle und politischkulturelle Barrieren.

ZUR DRITTEN THESE: WIE DIE BESCHÄFTIGUNGSSTRUKTUR EINEN UNTERSCHIED MACHT. Zum ersten mächtigen Hindernis-Faktor: Die Beschäftigungsstruktur. Die Bundesrepublik Deutschland hat bekanntlich eine insgesamt starke und weithin konkurrenzfähige Wirtschaft, doch unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit zwischen den Geschlechtern ist die Beschäftigungsstruktur der bundesrepublikanischen Wirtschaft für die Frauenbeschäftigung eher ungünstig, viel ungünstiger als in Nordamerika und in Nordeuropa. Das kommt - vereinfachend gesagt - erstens daher, daß hierzulande ein nach Beschäftigungsanteilen sehr großer Industriesektor vorhanden ist, dessen Beschäftigungsanteil langsamer als in den meisten Industrieländern schrumpft. Damit bleibt ein Beschäftigungssektor weitgehend intakt, in dem klassische Männerberufe dominieren und in dem die ausbildungs- und diskriminierungsbedingten Zugangsbarrieren für Frauen besonders hoch sind.

Zugleich ist hierzulande allerdings der Dienstleistungssektor nach Beschäftigungsanteilen gerechnet kleiner als der der meisten englischsprachigen und der nordeuropäischen Länder und ferner wächst er langsamer. Und damit ist ein Beschäftigungssektor relativ klein, der anderswo zu den stärksten Wachstumsbranchen der Frauenbeschäftigung zählt. Das gilt im übrigen mit Einschränkungen für den privaten Dienstleistungsbereich und - vor allem - für den öffentlichen Dienstleistungsbereich.

Diese Beobachtungen provozieren eine Reihe von Fragen. Warum verändern sich die Beschäftigungsanteile

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des Sekundär- und des Tertiärsektors der Wirtschaft in einem von Land zu Land unterschiedlichen Ausmaß? Die ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland - im übrigen auch Österreichs und der Schweiz - repräsentiert einen besonderen Weg zur wirtschaftlichen Modernität. Hier waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Gewerkschaften ausreichend mächtig, um eine Hochlohnpolitik und insbesondere ein Lohnniveau durchzusetzen, das zusammen mit den staatlichen Sozialleistungen und familienpolitischen Hilfen für eine Familie mit einem Einkommensbezieher vom Facharbeiter aufwärts im Prinzip ausreichte. Hinzu kommen - vor allem in der Bundesrepublik und in Österreich - der Auf- und Ausbau eines dichten Netzes sozial- und arbeitsrechtlicher Protektion. Insoweit war in beiden Ländern - ähnlich wie in Nordeuropa - der Weg zum raschen Ausbau eines privaten Dienstleistungsgewerbes auf niedrigem lohn- und sozialrechtlichen Niveau so wie in den USA blockiert. Doch im Unterschied zu den skandinavischen Nationen waren in der Bundesrepublik, in Österreich und in der Schweiz der Anteil und das Wachstum der Beschäftigung im Staatssektor zu schwach, um das niedrige Niveau der Frauenbeschäftigung im privatwirtschaftlichen Dienstleistungssektor und im Industriebereich zu kompensieren. Den theoretisch denkbaren Weg der Expansion der Arbeitsplätze im Staatssektor blockierten andere Faktoren: wohlfahrtsstaatliche Traditionen, politische Kräftekonstellationen und institutionelle Bedingungen. Die in allen drei deutschsprachigen Ländern vorherrschende Präferenz für geldwertstabilitätsorientierte Politik, die institutionellen Barrieren für eine expansive Fiskalpolitik (die unter anderem an den Hindernissen bundesstaatlicher Strukturen für die zentralstaatliche Finanzpolitik auflaufen) und die Frontstellung der politisch einflußreichen christdemokratischen und liberalen Parteien gegen den weiteren Ausbau des Staates in den 70er und 80er Jahren kamen hier ebenso ins Spiel wie die Struktur

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des Wohlfahrtsstaates der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz, der transferintensiv und nicht personalintensiv ist. Insoweit sind in diesen Ländern die Erwerbsbeteiligungschancen von Frauen im öffentlichen Sektor geringer als in anderen westlichen Industriestaaten. Nicht zuletzt sind Angebot und Wachstum von Teilzeitarbeitsplätzen in der Bundesrepublik (und gleiches gilt für andere Länder mit relativ niedriger und gering wachsender Frauenerwerbsquote: Irland, Italien, Japan, Österreich und die Schweiz) nach wie vor vergleichsweise gering. Auch hierdurch werden die Erwerbschancen von Frauen in der Bundesrepublik vermindert.

ZUR VIERTEN THESE: BESONDERHEITEN DER ARBEITSANGEBOTSSEITIGEN BEDINGUNGEN. Doch nicht nur auf der Nachfrageseite sind die Ursachen für die niedrige und gering wachsende Frauenerwerbsquote in der Bundesrepublik zu suchen, sondern auch auf der Angebotsseite. Die lohnpolitischen und steuerpolitischen Anreize für zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen sind hierzulande schwächer als in Nordeuropa und den meisten englischsprachigen Ländern: die Löhne für Frauenarbeit relativ zu gleichwertiger Männerarbeit beispielsweise sind in der Bundesrepublik, auch in der Schweiz und in Japan, niedriger als in den meisten Nationen mit steil ansteigender Frauenerwerbsquote, und die Differenz zwischen Frauen- und Männerlöhnen schrumpft weitaus langsamer als in den nordeuropäischen Ländern. Ferner sind die steuerlichen Anreize für zunehmende Frauenerwerbsbeteiligung hierzulande und in anderen Ländern mit schwacher Zunahme der Frauenerwerbsquote erheblich geringer als in den nordeuropäischen und den meisten angloamerikanischen Staaten. Überdies stützen die Weichenstellungen einer weithin konservativen Familienpolitik und Steuerpolitik aus den 50er Jahren in der Bundesrepublik und anderen Ländern mit niedriger Frauenerwerbsquote die

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Frauenarbeit in der Familie und erschweren den Versuch, Arbeit in und außerhalb der Familie zu kombinieren: Kinderbetreuung, Altenbetreuung und Familienorganisation werden lange primär als familieninterne Aufgaben und vorrangig als Funktion für Frauen betrachtet, während halböffentliche oder öffentliche Arrangements der Betreuung von Kindern und pflegebedürftiger älterer Personen unterentwickelt sind. Somit wurde in Wirtschaft und Gesellschaft eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern festgeschrieben: Arbeit in der außerhäuslichen Ökonomie ist in erster Linie Angelegenheit der Männer und erst in zweiter Linie die der Frauen. Dem privaten Haushalt und der Familien hingegen kommt ein größeres Gewicht zu als in den Dienstleistungsgesellschaften (in denen ein erheblicher Teil der Tätigkeiten vom privaten Haushalt auf den öffentlichen Sektor verlagert wurde) und für diesen Aufgabenkreis sind nach wie vor nahezu ausschließlich Frauen zuständig.

ZUR FÜNFTEN THESE: ÜBER POLITISCH-INSTITUTIONELLE UND POLITISCH-KULTURELLE GRUNDLAGEN DER RÜCKSTÄNDIGEN FRAUENERWERBSBETEILIGUNG DER BUNDESREPUBLIK. Welche politischen und kulturellen Wurzeln liegen dem konservativen Arbeitsteilungs-Modell zugrunde und welche sind für ein progressiveres Arbeitsteilungsmodell verantwortlich, bei dem die Erwerbsbeteiligungschancen von Frauen spürbar höher als in der Bundesrepublik Deutschland sind? Dem internationalen Vergleich zufolge wurzelt das konservative Modell der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in einer eigentümlichen Kombination von kulturellen und institutionellen Bedingungen. Zu ihnen zählen eine vom Katholizismus mitgeprägte politische Kultur, die starke Position von - in Familien- und Sozialpolitikfragen eher konservativen - Mitte- und Mitte-Rechts-Parteien im Parteiensystem und an der Regierung und die hierdurch erzeugten weitreichenden Folgen für die Gesetzgebung

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in den für Frauenerwerbstätigkeit zentralen sozial-, familien- und steuerpolitischen Bereichen, ferner ein vergleichsweise schwacher Organisationsgrad der Gewerkschaften (und insoweit geringeres Interesse und geringerer Anreiz für eine nichtpartikulare Interessenvertretungspolitik der Gewerkschaften) und überdies die schwache Repräsentanz von Frauen in politischen Parteien und Parlamenten sowie das hiermit bedingte Fehlen einer wirkungsvollen "women's policy machinery" (Sawer 1991: 264), d.h. einer politisch-administrativen "Frauenpolitik-Maschinerie".

In entgegengesetze Richtungen sind die Weichen in den nordischen Ländern gestellt: ihre politische Kultur, die von der religiös-kulturellen Tradition des Protestantismus, dem mit ihm einhergehenden größeren Gewicht individueller Wahl, dem höheren Grad an Säkularisierung und von der sozialdemokratischen Politik des sozialen Ausgleichs geprägt ist, zählt zu den wichtigsten Schubkräften für mehr Teilhabechancengleichheit für Frauen und Männer. Der Frauenerwerbsbeteiligung förderlich sind darüber hinaus die politischen Präferenzen und Regierungspolitiken von Linksparteien-Regierungen (insbesondere in den für die Frauenerwerbschancen wichtigen sozial-, familien- und steuerpolitischen Bereichen), ferner ein hoher Organisationsgrad der Gewerkschaften (wodurch der Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt weniger Hemmnisse entgegenstehen als bei niedrigem Organisationsgrad) und der Auf- und Ausbau einer maßgeblichen Beteiligung von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen einschließlich des Auf- und Ausbaus einer effektiven "Frauenpolitik-Maschinerie".

DIE 6. THESE: WAS TUN? DIE FRAGE LÄSST SICH BEANTWORTEN. Ich habe hemmende und begünstigende Faktoren für das Anliegen einer Beschäftigungsoffensive für Frauen beschrieben, soweit sie im Rahmen eines

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internationalen Vergleichs nachweisbar sind. Ein Teil dieser begünstigenden oder hemmenden Bedingungen der Frauenerwerbstätigkeit läßt sich nur schwer ändern, ein anderer Teil leichter. Und das ist meine sechste These. Die religiöse und konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung beispielsweise ist jedenfalls zu demokratisch akzeptablen Bedingungen nicht zu ändern. Staatlich besorgte Säkularisierung der Glaubenssysteme und der Weltsicht ist eine Sache von autoritären Staaten und nicht von liberal-demokratischen Gesellschaftsordnungen. Es gibt aber andere Hebel, an denen man drehen kann und mit denen man die beschäftigungspolitischen Bedingungen der Frauenerwerbstätigkeit verbessern kann. Fünf Hebel sind jedenfalls auch auf kurze und mittlere Frist im Prinzip betätigbar, wenngleich verbunden mit hohen politischen Konflikten.

Von erheblicher Wirksamkeit wäre - erstens - eine Entlastung der Frauen in der Kinderbetreuung und sonstigen Pflegefunktionen in der Familie. In dieser Hinsicht ist die Bundesrepublik, seit dem Zeitpunkt, zu dem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Beine gemacht hat, immerhin bei der Kindergartenversorgung allmählich auf einem progressiveren Wege (und über die zweite Entlastungsmöglichkeit wurde nach langem Streit zwischen Regierung und Opposition über die Pflegeversicherung im Frühjahr 1994 entschieden).

Der zweite große Hebel liegt in der Steuerpolitik und in der Entlohnung von Frauenerwerbstätigkeit. Sowohl über Steuern wie auch über die Löhne könnte die Erwerbstätigkeit attraktiver gemacht und hierdurch das Anliegen der Beschäftigungsoffensive gefördert werden. Da steckt allerdings mehr als nur ein heikler Punkt im Detail. Das hieße notwendigerweise Abbau von steuerlichen Vorteilen für Familien und die Schaffung von Anreizen auch im Steuerrecht für zunehmende Erwerbs-

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beteiligung. Wer daran die Finger legt, muß wissen daß er einen kulturkampfartigen Proteststurm seitens konservativer Wähler und religiös gebundener Wählerschichten hervorruft.

Der dritte Faktor, an dem kurz- oder mittelfristig zugunsten von erwerbssuchenden Frauen gedreht werden kann, ist der mächtigste von allen. Das Stichwort heißt: Ausbau der Teilzeitarbeit. Und ich sage das nicht etwa deshalb, weil seit neuestem McKinsey und Der Spiegel über die Chancen des Ausbaus der Teilzeitarbeit schreiben, sondern ich erwähne dies, weil der Faktor Teilzeitarbeit im Industrieländervergleich - über den ich berichte - einer der stärksten Erklärungsfaktoren für die unterschiedliche Entwicklung der Frauenerwerbsquote ist.

Würde man in einem Sozialpakt zwischen Sozialpartnern und Staat die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze in erheblichem Ausmaß ausweiten, so hätte man einen außerordentlich wirkungsvollen Beitrag zur kurz- und mittelfristigen Beschäftigungsoffensive von Frauen geleistet. Sofern die Erweiterung der Teilzeitarbeit zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze im Zuge eines Wirtschaftsaufschwungs realisiert würde, wäre das auch die politisch am ehesten durchsetzbare Strategie. Erheblich größer würden die politischen Kosten jedoch in dem Fall, in dem die Zunahme der Teilzeitarbeit und die zunehmende Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zu Lasten der männlichen Erwerbsbevölkerung ginge. Dann bekommt man Probleme des "Geschlechterkriegs".

Der vierte Hebel, der mittelfristig in Bewegung gesetzt werden kann, ist der Auf- und Ausbau einer "Women's policy machinery" (Sawer), einer parlamentarischen und einer politisch-administrativen "Politikmaschine" für frauenbeschäftigungsfördernde Angelegenheiten.

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Der fünfte Hebel, der im Prinzip kurz- und mittelfristig zur Verbesserung der Beschäftigungschancen von Frauen getätigt werden kann, ist die Wiederingangsetzung des Wirtschaftswachstums. Ohne das Wirtschaftswachstum läuft nämlich beschäftigungspolitisch fast gar nichts.

Schlußendlich gibt es - bei genauerem Hinsehen - einen sechsten Hebel zur Herbeiführung von mehr Gleichstellung als zuvor: die Verminderung der Männererwerbsquote. Das war, nebenbei gesagt, im übrigen bislang in der Bundesrepublik der wichtigste Schubfaktor zur Eindämmung der geschlechterspezifischen Ungleichheit der Erwerbsbeteiligungschancen. (Er kam vor allem mittels Verlängerung der Ausbildungsdauer und vorgezogenem Altersruhestand zur Geltung).

Ich komme zum Schluß. Das Anliegen der Frauenbeschäftigungsoffensive hat es hierzulande nicht leicht. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zahlreiche mächtige wirtschaftliche, politische, kulturelle und institutionelle Barrieren gegen die zunehmende Eingliederung von Frauen in die bezahlte Erwerbstätigkeit außerhalb der Familie. Insoweit muß man sagen: dem Anliegen "Gleichstellung" oder "Beschäftigungspolitische Offensive" kommt hierzulande meist nur ein Lüftchen zugute, häufig gibt es recht kräftigen Gegenwind und mitunter kommt man wegen Sturm, wie in der derzeitigen Beschäftigungskrise, überhaupt nicht voran. Nicht ausgeschlossen ist auch der Rückschritt, wie insbesondere die ostdeutschen Frauen nach der Wende in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern erfahren mußten. In den neuen Bundesländern wird die zunächst außerordentlich hohe Frauenerwerbsquote von mehr als 80 % auf das westdeutsche Niveau gebracht.

Die Beschäftigungsoffensive hierzulande hat also nicht sonderlich starken Wind im Rücken. Auch ist das Gelände, auf dem man sich bei der Offensive bewegt,

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schwierig zu begehen. Da liegen so manche Minen im Weg derjenigen, die die Frauenerwerbsbeteiligungschancen verbessern wollen. Und wie steht es um die Truppen und die Kräfteverteilung? Auch da bin ich nicht sonderlich optimistisch: die Truppen für das Anliegen der beschäftigungspolitischen Offensive sind gewiß bei den Frauen recht stark, bei den Männern sehe ich das nicht so, mit Ausnahme einer Minderheit. Und vor allem ist die politische Institutionenordnung und die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik bislang letztlich zugeschnitten auf den Pfad wirtschaftlicher Entwicklung, der vor allem mit einer hohen Männererwerbsquote und einer relativ niedrigen Frauenerwerbsquote einhergeht. Insoweit kann man sagen: die Beschäftigungsoffensive hat zwar viele Anhänger, aber sie hat mächtige Traditionen und mächtige Institutionen gegen sich, und das ist ihr Problem.

Was folgt aus alledem? Wenn ich die Karten richtig lese, dann folgt dies: Die Barrieren gegen die zunehmende Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt sind hierzulande so zahlreich und kräftig, daß man die Gleichstellungspolitik von Anfang an darauf einstellen sollte, wenn man Enttäuschung vermeiden will. Weil die Barrieren so mächtig sind und weil ein Großteil der Barrieren kurzfristig nicht veränderbar ist, tut man gut daran, ein Programm der großen Offensive zu ersetzen durch ein realistischeres Programm der Zwei-Schritte-Vorwärts. Zwei Schritte vorwärts, damit einer auch dann übrig bleibt, wenn es zwischendrin wieder rückwärts geht.

    1 Dieses Statement basiert auf Ergebnissen der Studie: Manfred G. Schmidt, Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern im Industrieländervergleich (Opladen: Leske Verlag 1993).



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Petra Schlütter, ISA Consult, Beratungsgesellschaft für Innovation, Strukturpolitik und Arbeit, Niederlassung Berlin-Brandenburg
Handlungserfordernisse und Ansätze für eine gleichstellungsorientierte regionalisierte Strukturpolitik in den neuen Bundesländern

Die Verschlechterung der Beschäftigungssituation für Frauen in den neuen Bundesländern ist dramatisch. Frauen sind vom wirtschaftlichen Strukturwandel noch stärker betroffen als Männer. Strukturpolitik hat das Ziel, insbesondere die ökonomischen Anpassungs- und Veränderungsprozesse aktiv zu begleiten. Instrumente aus den verschiedenen politischen Handlungsfeldern (Forschungs- und Technologiepolitik, Arbeitsmarktpolitik, Mittelstandsförderung und Raumordnungspolitik) werden dazu koordiniert und gebündelt. An Beispielen aus Regionen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird dargestellt, was die Aufgaben und Möglichkeiten einer Strukturpolitik sind, die auch zum Ziel hat, Frauen und Männern gleiche Chancen zur Erwerbstätigkeit zu eröffnen.

Während in der DDR vor der Wende die Frauenerwerbsquote bei ca. 90 % lag (d.h. fast alle Frauen im erwerbsfähigen Alter sind einer Erwerbstätigkeit nachgegangen), sinkt sie seit 1992 kontinuierlich. Im Mai 1992 lag sie noch bei knapp 75 % und seitdem nähert sie sich der Frauenerwerbsquote der alten Bundesländer, die bei 60 % liegt.
Der Anteil von arbeitslos gemeldeten Frauen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern liegt bei über 60 %.
Von Arbeitslosigkeit als einer der tiefgreifenden Folgen der rapiden Umgestaltung des Wirtschaftssystems sind

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Frauen somit weit überproportional betroffen. Gerade auch Wirtschaftszweige, in denen überwiegend Frauen tätig waren, sind radikal geschrumpft: In der ostdeutschen Textilindustrie beispielsweise sind mittlerweile vier von fünf Arbeitsplätzen vernichtet. Insgesamt hat sich nach Erhebungen des IAB gezeigt, daß Frauen jedoch nicht unbedingt überproportional entlassen wurden. Richtig ist vielmehr, daß für die Lösung von Arbeitsmarktproblemen von Frauen weniger Anstrengungen unternommen werden und ihnen z.B. der Wiedereinstieg in den 1. Arbeitsmarkt erschwert wird.

Frauen in den neuen Bundesländern sind daher besonders massiv von den Folgen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandels betroffen. Wo Frauen das Recht - aber auch die Pflichten hatten - im Arbeitsleben ihren Mann zu stehen, ist die Verdrängung aus dem Beschäftigungssystem ein gesellschaftlicher Rückschritt, den die Frauen individuell erleiden.

Was bedeutet diese Misere, diese Chancenungleichheit beim Zugang zu Erwerbsarbeitsplätzen für Frauen nun für Strukturpolitik? Inwiefern läßt sich das originäre Ziel von Strukturpolitik als Regionalpolitik, für eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Regionen zu sorgen, mit dem Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen verbinden und mit den Instrumenten der Strukturpolitik auch umsetzen?

Zunächst soll noch einmal kurz dargelegt werden, was Strukturpolitik bedeutet: Unter Strukturpolitik fassen wir grundsätzlich alle Maßnahmen, mit deren Hilfe Wirtschaftsstrukturen beeinflußt und gestaltet werden. [1Vgl. dazu das Diskussionspapier "Frau geht vor in der Wirtschafts- und Strukturpolitik", Hrsg.: DGB-Bundesvorstand Abteilung Frauen, erstellt von Maria Kathmann, Mechthild Kopel (ISA Consult), Margret Steffen (DGB-LB Sachsenanhalt) - auf dessen programmatische Aussagen sich dieser Beitrag im wesentlichen stützt.]

Öffentliche Mittel sind dabei ein sehr wichtiges Werkzeug. Bundesländer, der Bund selbst und die Europäi-

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sche Union haben Förderprogramme aufgelegt, um wirtschaftsstrukturelle Wandlungsprozesse zu forcieren.

Der allgemeine Anspruch der Länder, der Kommunen, des Bundes und auch der Europäischen Union ist es, mit Hilfe bzw. im Rahmen von Strukturpolitik primär wirtschaftliche Ungleichheiten zu kompensieren bzw. auszugleichen, die der Markt nicht richtet. Es geht dabei - vor allem derzeit in Ostdeutschland - quasi um eine Rundumerneuerung der Wirtschaftsstrukturen.

Das Ziel regionaler Strukturpolitik ist es, die Lebensverhältnisse der Menschen in den verschiedenen Regionen Europas einander insbesondere in Bezug auf Bildungs- und Arbeitsplatzchancen anzunähern. Dies betrifft abstrakt gedacht natürlich gleichermaßen Frauen wie Männer.

Ein Ansatzpunkt von Strukturpolitik sind sektorspezifische Maßnahmen, d.h. daß in zentralen und krisengefährdeten Branchen notwendige Umstrukturierungsund Innovationsmaßnahmen mit staatlicher Unterstützung vorangetrieben werden. Besonders bekannt in diesem Zusammenhang sind die Hilfen für den Bergbau (Kohle), die Stahlindustrie und in Mecklenburg-Vorpommern vor allem auch für die Werften und den Schiffbau.

Unter dem Aspekt einer gleichberechtigungsorientierten Strukturpolitik bedeutet sektorale Strukturpolitik dann ganz konkret für Mecklenburg-Vorpommern, darauf zu achten, daß in den für den zukünftigen Wettbewerb ausgerichteten Betriebsstrukturen auch Frauen auf innovativen Arbeitsplätzen zu finden sind (z.B. Ingenieurinnen im Schiffbau). Zugleich hieße das aber auch z.B. der Nahrungs- und Genußmittelindustrie mehr Aufmerksamkeit zu widmen, da sie sowohl für Mecklenburg-Vorpommern eine der zentralen Branchen darstellt

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(hoher Anteil an der Bruttowertschöpfung) und dort zugleich besonders viele Frauen gerade auch im Un- und Angelerntenstatus tätig sind. Bei der Modernisierung der Betriebe wird es noch zu weiteren größeren Rationalisierungsschüben kommen - hierbei ist der Qualifizierung der Arbeitnehmerinnen für die neuen Anforderungen unbedingt eine hohe Beachtung zu schenken Ansonsten könnte ein Ergebnis sektoraler Strukturpolitik sein, daß dieser Zweig der Industrie zwar zukunftsorientiert umstrukturiert wird, daß es dort aber kaum noch Arbeitsplätze für Frauen gibt.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die regionale, räumlich und raumordnungspolitisch orientierte Strukturpolitik, bei der es im wesentlichen um wirtschaftsnahe Infrastrukturen (Ausbau des Verkehrs, Flächenpolitik) geht. Soziale Infrastrukturen blieben bisher oft weitgehend ausgeblendet.

In den letzten Jahren ist in Westdeutschland Bewegung in das Feld der Strukturpolitik gekommen. Und zwar wird in vielerlei Hinsicht versucht, dieses Politikfeld neu zu bestimmen. Für Ostdeutschland gilt, daß der weitgehende Zusammenbruch der alten Wirtschaftsstrukturen ein bisher unbekanntes Ausmaß von Anforderungen an Strukturpolitik stellt. Hier erfolgt eine Neubestimmung insofern "gezwungenermaßen".

Seit einiger Zeit wird nun in Ost- wie in Westdeutschland der Gedanke der Regionalisierung in die Strukturpolitik eingebracht: durch die Beteiligung der regionalen Stellen wird an die endogenen, d.h. die vorhandenen und entwickelbaren Potentiale der Regionen angeknüpft. Die Hoffnung ist, daß durch diese Dezentralisierung eine den jeweiligen Bedürfnissen adäquatere und effektivere, eben regionalisierte Strukturpolitik, gemacht werden kann.

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Auf regionaler Ebene sollen durch die Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte (wie der Kammern und Verbände der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Hochschulen und der politischen Instanzen, der Beschäftigungsgesellschaften, sowie sozialer und kultureller Einrichtungen) regionale Entwicklungskonzepte erarbeitet werden. An frauenpolitische Vertreterinnen wird hierbei noch nicht selbstverständlich überall gedacht. In den neuen Bundesländern ist es aufgrund der Neuheit der Anforderungen, des Aufbaus der zuständigen Stellen und der grundlegenden Erosion der alten Wirtschaftsstrukturen zum Teil bisher nicht gelungen, regionale Entwicklungskonzepte vorzulegen bzw. dazu vorhandene Ideen umzusetzen. Daher verwundert es auch nicht, wenn es frauenpolitische Vertreterinnen besonders schwer haben, die Interessen von Frauen in wirtschaftsstrukturelle Vorhaben miteinfließen zu lassen.

Die Weichen zu stellen für zukünftige Entwicklungschancen einer Region, das bedeutet, sich orientieren zu können, in einer Situation grundlegender Unübersichtlichkeit und auf den Trümmern der zusammengebrochenen Planwirtschaft, neue "wegweisende" regionsspezifische Pläne zu entwickeln.

Eine Grundvoraussetzung dafür ist eine genaue Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der Region, ihrer Entwicklungschancen im Kontext des gesamten Bundeslandes, des ganzen Landes, im Zusammenhang mit der europäischen Wirtschaftsentwicklung und der länderübergreifenden Wirtschaftsbeziehungen beispielsweise mit den osteuropäischen Nachbarn. Handlungs- und Planungskompetenz kann ohne derartiges Orientierungswissen (mal enger und mal weiter gefaßt) nicht entwickelt werden. Viele Akteure von Strukturpolitik - gerade auch auf regionaler Ebene konnten sich den Zugang zu diesen Informationen noch nicht verschaffen; oft müßten diese erst einmal fachkompetent

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erarbeitet werden. Zum Teil wird einfach vorausgesetzt, daß Menschen, die Positionen in der Wirtschaftsförderung oder Spitzenpositionen in regionalen Verwaltungen und Verbänden bekleiden, über dieses Wissen verfügen. Trifft dies auch für einige grundlegende Aspekte von Strukturpolitik noch zu - gespeist aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich -, so sieht dies ganz anders aus, wenn es um die Verzahnung von Gleichstellungspolitik und Strukturpolitik geht.

Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer gleichstellungsorientierten Strukturpolitik besteht deshalb für alle Beteiligten darin, den Blick dafür zu schärfen, welche Kriterien an eine gleichstellungsorientierte Strukturpolitik angelegt werden müssen:

Bezogen auf die sektorale und regionale Strukturpolitik bedeutet das:
- Frauenarbeit als integralen Bestandteil der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zu bewerten - was z.B. die Forderung nach sich zieht - kein regionaler Entwicklungsplan darf ohne die Beteiligung von frauenpolitischen Vertreterinnen entwickelt werden,
- die Erwerbsneigung von Frauen zu erhalten und zu fördern - dazu können viele Maßnahmen beitragen (neue Arbeitszeitstrukturen) - aber für mich gehört dazu heute vor allem, ein eindeutiges Signal der Wirtschaft und Politik, Frauen nicht wieder zur Reservearmee des Arbeitsmarktes zu degradieren.

Für eine gleichstellungsorientierte sektorale Strukturpolitik ergibt sich daraus,
- den Branchen mit hohem Anteil weiblicher Beschäftigter öffentliche Aufmerksamkeit zu schenken und Mittel für strukturelle Verbesserungen zu geben - am Beispiel der schon erwähnten Nahrungs- und Genußmittelindustrie heißt das unter anderem - bei der hochtechnologischen Differenzierung der Produktpalette, Frauen bevorzugt zu qualifizieren und auf das neue

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Anforderungsprofil vorzubereiten, und die Branche insgesamt stärker zu stützen.

Es muß
- bei Umstrukturierungsmaßnahmen nach den Beschäftigungsperspektiven für Frauen und Männer gefragt werden - um damit zugleich dem Erhalt von Arbeitsplätzen für Frauen eine besondere Priorität zu verleihen.

Es erfordert
- bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze auch einen spezifischen Schwerpunkt für Frauenprojekte zu setzen, z.B. durch besondere Formen bei betrieblichen Ausgründungen und Existenzgründungen für Frauen. Existenzgründung ist nicht der Weg, den alle Frauen beschreiten können. Und für diejenigen, die es versuchen müssen, um noch eine Chance im Erwerbsleben zu haben, muß es eine dichte und langfristige, finanziell unterstützende und beratende Infrastruktur geben. Dann kann es zu solch ermutigenden (!) Beispielen kommen wie im Nordosten von Berlin - in Zehdenick - wo von ehemals gut zweihundert Textilarbeiterinnen nunmehr zehn Frauen nach einem Jahr ABM eine Existenzgründung wagen - und ökologisch hochwertige Kinderkleidung herstellen werden. Ohne eine Beschäftigungsgesellschaft, die diese Entwicklung gestützt hat und weiterentwickeln wird (Aufbau einer Naturfärberei ist geplant) sowie eine umfangreiche Förderung durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Frauen des Landes Brandenburg hätte dieses Vorhaben keine Chance gehabt.

Gleichstellungsorientierung heißt:
- soziale Infrastrukturen so auszugestalten, daß die gesellschaftlich notwendigen Arbeiten gleichermaßen von Männern und Frauen übernommen werden können (d.h.

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in Ostdeutschland vor allem auch Erhalt bzw. Wiederaufbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, um die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf nicht aufs Spiel zu setzen);

und es gilt,
- den regionalen Lebensraum so zu gestalten, daß Frauen und Männer gleichberechtigte Lebenschancen und -bedingungen erhalten (darunter fällt zum Beispiel auch die Mobilitätschancen für Frauen zu erhöhen; Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen). Ein vorbildhaftes Projekt hierfür ist ILONA (Initiative ländlicher öffentlicher Nahverkehr), bei dem Frauen sich selbst einen Arbeitsplatz schaffen, indem sie einen sehr benutzer/innenfreundlichen Busverkehr für den ländlichen Raum aufbauen. Mir ist dies für mehrere Orte in Brandenburg bekannt, und das Beispiel macht Schule.

Sowohl aus der Regionalisierung, als auch aus den gesellschaftspolitischen Ansprüchen wie auch aus der selbstverständlichen Erwerbsorientierung von Frauen, ergeben sich so Chancen für das Einbringen von Gleichstellungspolitik in Strukturpolitik. Dies erfordert aber auch ein aktives Einmischen von Frauen in dieses Politikfeld, welches bislang vornehmlich Männern vorbehalten war.

Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es

  • einmal der Grundvoraussetzung, daß wirtschaftliche Strukturdaten geschlechtsspezifisch erhoben werden, damit bekannt ist, wo Frauen arbeiten, in welchen Branchen, wie deren Entwicklungschancen sind, in welchen Positionen Frauen arbeiten etc., und inwiefern Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Der Informationsstand

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    stand für Frauen muß hier signifikant verbessert werden,

  • eines frauenpolitischen Netzwerkes, das dieses Politikfeld für sich strukturiert und sich dann gezielt in die regionalen Entwicklungsvorhaben einmischt bzw. selbst vorschlägt (daran wird z.B. in Mecklenburg-Vorpommern auf Initiative des DGB hin gearbeitet),

  • und es sind Arbeitszusammenhänge zwischen Verantwortlichen der Struktur- und Wirtschaftspolitik und gleichstellungspolitischen Akteurinnen zu initiieren und zu verstetigen.

Für eine Strukturpolitik, die nicht nur die Angleichung der Lebensverhältnisse in verschiedenen Regionen in Ost- und Westdeutschland zum Ziel hat, sondern sich auch daran orientiert, Frauenarbeit als integralen Bestandteil von Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung zu bewerten, bedeutet dies beispielsweise in der Stahlregion Eisenhüttenstadt im südöstlichen Brandenburg konkret:

  • Es muß das Bewußtsein dafür geschärft werden, wie die Ausschlußmechanismen gestaltet sind, die Frauen aus dem Erwerbsleben verdrängen.

    In der Stahlindustrie in Ostdeutschland gab es einen doppelt so hohen Frauenanteil wie in Westdeutschland (30 % statt 15 %). Arbeitsplätze für Frauen wurden stärker abgebaut, da frauentypische Bereiche wie Verwaltung und Dienstleistung eingeschränkt wurden, Tätigkeiten im un- und angelernten Bereich stärker rationalisiert wurden und die Verrichtung der Arbeit in Gruppenarbeitsprozessen zum Ausschluß von Frauen im stahlnahen Bereich führte. Ansätze

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    für eine sektorale Strukturpolitik müßten also sein, die Reorganisation im Verwaltungsbereich unter Beschäftigungssicherungsaspekten zu betreiben, Frauen weiter zu qualifizieren und Arbeitsprozesse so zu gestalten, daß Frauen nicht ausgeschlossen werden. Die Realität sieht anders aus - die Forderung bleibt.

  • Gezielte Berücksichtigung von Frauen beim Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen.

    Für bald 9.000 aus dem EKO-Stahlwerk entlassene Menschen konnten in ausgegründeten Betrieben für ca. 1.700 ein neuer Arbeitsplatz geschaffen werden. Frauen waren darunter nur zu 20 % vertreten. Diese Betriebe sind durch die Übernahme von EKO durch den Stahlkonzern Riva wieder gefährdet - die zuständigen Stellen in der Treuhand und in den Ministerien sind aufgefordert, alles für die Erhaltung der Frauenarbeitsplätze zu tun.

  • Die Erhaltung und Förderung des Arbeitspotentials von Frauen muß arbeitsmarktpolitisch umgesetzt werden.

    Als Träger von Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen ist die Beschäftigungsgesellschaft GEM Eisenhüttenstadt einer der Akteure für eine regionale Strukturpolitik. Der Anteil von Frauen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lag hier wie woanders auch bei ca. 30 %, die Bemühungen, mehr Projekte für Frauen anzubieten, zeitigen jetzt erste Früchte. Dieser Erfolg ist vor allem den in der Projektkonzeption dort tätigen Frauen selbst zu verdanken.

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  • Netzwerke müssen geschaffen werden, die die Erwerbstätigkeit von Frauen als ein Ziel von Strukturpolitik begreifen.

    Eine interministerielle Arbeitsgruppe für die Region Eisenhüttenstadt, die sich mit der Zukunft der Region beschäftigt ist offen für die Entwicklung von strukturpolitisch relevanten Projekten für Frauen. Dazu gab es auf Initiative der IG-Metall und mit Unterstützung durch das Beratungsbüro der Stahl- und Metallindustrie Brandenburg - ein Projekt der ISA Consult GmbH -, eine Veranstaltung, auf der durch die regionalen Akteure in der Struktur- und Gleichstellungspolitik versucht wurde. Modellprojekte für Frauen zu entwickeln. Die Ergebnisse werden in den strukturpolitischen Arbeitskreis aufgenommen und vor Ort mit den unmittelbar beteiligten Frauen weiterentwickelt.

Die Initiierung von Netzwerken, die sich der Verknüpfung von Strukturpolitik und Gleichstellungspolitik widmen, ist eine der notwendigsten Aufgaben einer gleichstellungsorientierten Strukturpolitik. Unter drastisch verschärften Ausgangsbedingungen ist jedoch in Ostdeutschland nicht immer eine Akteurskonstellation vorhanden, die sich ihrerseits auf funktionsfähige Strukturen stützen kann. Insbesondere Frauen müssen in die Lage versetzt werden, sich hier einzumischen.

Ein Ansatz dazu ist beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern wie auch in den anderen Bundesländern im Rahmen der Kampagne des DGB "Frau geht vor" mit regionalen Werkstattgesprächen gemacht worden: Die regionalen Akteure (Landräte, Kommunalpolitiker/innen, Gewerkschaftsvertreter/innen, IHK, Vertreter/innen von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, Gleichstellungsbeauftragte usw., Arbeitsamtsvertreter/innen)

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fanden sich zum Austausch über die Erwerbssituation von Frauen in der Region und die Entwicklungsperspektiven der Region zusammen. Auf Basis der Analyse wurden Projekte überlegt, die sich in die Gesamtentwicklung zukunftsorientiert integrieren und die Beschäftigungschancen für Frauen erhöhen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine dieser Ideen im Rahmen eines Leitprojektes auf Initiative des DGB zur Verbesserung der Situation in der Region Barth (Hinterland zur Küstenregion Fischland, Darß, Zingst) weiterverfolgt: Ziel ist die Errichtung eines Frauen-Gründerinnen- und Beratungszentrums, in dem langfristig auch wirtschaftsnahe Dienstleistungen angeboten werden sollen. Ein Defizit in der Region, dessen Abbau für Frauen zukunftsorientierte Beschäftigung schaffen könnte.

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Drs. Gundula Keese
Betriebliche Frauenförderung: Initiative "Taten statt Worte"

Sie haben mich heute als Vorstandsfrau von Taten statt Worte eingeladen. Daher möchte ich zuerst etwas über die Ziele und das Angebot des Vereins sagen und im Anschluß daran die Frauenförderkonzepte einiger Mitgliedsunternehmen vorstellen und dabei auf die Erfolge in der praktischen Umsetzung eingehen.

Wer wir sind

Taten statt Worte ist ein überparteilicher und überkonfessioneller Zusammenschluß jener Unternehmen, die im eigenen Hause Frauenförderung umsetzen wollen. Es sind aber nicht nur Firmen, sondern auch Einzelpersonen Mitglieder bei Taten statt Worte - Männer und Frauen, die sich für Chancengleichheit der Frauen in der Wirtschaft einsetzen und diesbezüglich mit der Privatwirtschaft den Austausch suchen.

Der Verein Taten statt Worte wurde im Jahre 1987 auf Anregung einiger Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik und der Frauenverbände gegründet. Als Vorbild galt Taten statt Worte in der Schweiz, an der Spitze Frau Dr. Elisabeth Michel-Alder, die unseren Start in Deutschland aktiv unterstützte. Frau Dr. Iber Schade von der Vereinigung der Unternehmerinnen war die erste Vorsitzende von Taten statt Worte Deutschland heute ist es Frau Dr. Viola Hallmann.

Sich unserer Initiative anzuschließen, heißt für alle Unternehmen in bezug auf Frauenförderung

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  • sich mit dem konzeptuellen Rahmen zu identifizieren und entsprechende Ziele in ihre Jahresplanung aufzunehmen,

  • verantwortliche Personen, eventuell eine Gruppe, mit der internen Projektentwicklung zu beauftragen,

  • konkrete, evaluierende Programmpunkte auszuarbeiten, die auf den jeweiligen Betrieb zugeschnitten sind und diese in die Tat umzusetzen.

Wir wenden uns an die oberste Führungsebene, wenn es um den Entscheid der Unternehmen zum Mitmachen geht. Aber auch die Personalabteilung, das Mittelmanagement und der Betriebsrat werden bei der Projektplanung und -durchführung miteinbezogen, mit dem Ziel, eventuelle Widerstände aufzudecken und die Akzeptanz der Konzepte in der Praxis zu erhöhen. Selbstverständlich ist es wichtig, Frauen auf allen Hierarchiestufen in die Planung von Förderprogrammen einzubinden. Dies ist bereits bei einer Reihe unserer Mitgliedsunternehmen gelungen.

Was wir wollen

Bitte gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Einschränkung: Das Thema des heutigen Abends ist eine gleichstellungsorientierte Struktur- und Regionalpolitik; Taten statt Worte nimmt in dieser Beziehung keinen Einfluß. Wir setzen uns nicht speziell dafür ein, daß die betrieblichen Standorte anteilig Arbeit für Frauen anbieten oder daß die Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Kinderbetreuung und Einkaufsmöglichkeiten in der Planungsphase sichergestellt werden.

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Die Handlungsfelder von Taten statt Worte beziehen sich nicht auf die Veränderung der Struturen des betrieblichen Umfelds, sondern auf die Veränderung innerbetrieblicher Strukturen und Prozesse, mit dem Ziel, frauentypische Lebensverläufe im Erwerbsleben gleichberechtigt zuzulassen. Neue Arbeitsformen und Karrierenormen werden geschaffen und etablieren sich, wenn auch nur allmählich. Unsere Mitgliedsunternehmen fühlen sich mitverantwortlich, neue Strukturen und ein neues Klima zu schaffen, um weiblichen Vorstellungen und Potentialen mehr Entfaltung im Berufsleben bieten zu können.

Taten statt Worte versucht, durch Überzeugungsarbeit und konkrete positive Aktionen die Chancen der Frauen im Erwerbsleben zu verbessern. Unsere Initiative will Betrieben helfen, gemeinsam mit ihren Beschäftigten Frauenförderprogramme zu erarbeiten, die den individuellen, betriebsspezifischen Erfordernissen entsprechen.

Was wir anbieten

Interessierten Unternehmen stellt unser Verein das notwendige theoretische Know-how und die Praxiskenntnis einer frauengerechten Organisations- und Personalentwicklung zur Verfügung. Zu diesem Zweck bieten wir ein breites Forum zum Informationsaustausch an:

Unsere Mitglieder nutzen regelmäßige Treffen, um ihre eigenen Fördermodelle vorzustellen. Personalleiter/innen schildern ihre Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung und informieren über die Resonanz im eigenen Hause.

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Seminare zu betrieblicher Frauenförderung geben interessierten Betrieben einen Einblick über mögliche Handlungsfelder und erfolgreiche Methoden.

Podiumsdiskussionen haben die Breitenwirkung im Visier. Politiker und Politikerinnen aller Parteien geben in öffentlicher Runde einen Überblick über Standpunkte in der Frauenförderung. Die Erfahrungen zeigen, daß Denkanstöße durchaus positiv aufgenommen werden.

Symposien bieten dem Mittel- und Topmanagement der Unternehmen sowie Unternehmens- und Personalberaterinnen und -beratern die Möglichkeit, vorhandene Ansätze weiterzuentwickeln bzw. neue Modelle zu erarbeiten.

In Workshops können alle interessierten Mitgliedsunternehmen, aber auch Gäste mitarbeiten. Sie bringen individuelle Problemstellungen ein und diskutieren in Arbeitsgruppen wirkungsvolle Umsetzungswege.

Einige unserer Mitgliedsunternehmen wünschen Einzelberatung. Hier stellen wir auf Wunsch Kontakte zu Expertinnen mit Erfahrung in betrieblicher Frauenförderung her.

Kontakte zu berufsorientierten Frauennetzwerken erleichtern uns die regionen- und unternehmensbezogene Wahrnehmung der Ist-Situation der erwerbstätigen Frauen in den einzelnen Wirtschaftszweigen und -branchen.

Lassen Sie mich einige Themenschwerpunkte vom vergangenen Jahr nennen:

  • Grundlagen, Ziele und Chancen der Personalentwicklung heute (Schweizerische Kreditanstalt, Ursula Wiget Haagmans)

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  • Die Bedeutung von Seminaren für Frauen im Rahmen der Personalentwicklung (Barmer Ersatzkasse, Wuppertal, Christiane Beckershaus)

  • Die Entscheidung für Frauen: Kriterien moderner Personalauswahl (Broderson Personalberatung, Dr. Broderson)

  • Was bewirkt der sanfte Druck von außen bei der Männer- und Frauenförderung? (FU Berlin, Prof. Dr. Peter Grottian)

  • Aufschwung Ost - wo sind die Frauen? (Birgit Breuel, Präsidentin der Treuhandanstalt, Berlin)

  • Die Beurteilung der Leistungen weiblicher Mitarbeiter (Universität Bern, Prof. Dr. Diemut Majer)

Soviel zu den Zielen und Aufgaben des Vereins Taten statt Worte.

Im folgenden will ich mit der Darstellung einiger Fallbeispiele aus der Praxis interessante Aspekte der betrieblichen Frauenförderung bei unseren Mitgliedsunternehmen aufzeigen:

Frauenförderung in der Praxis

(-)Frauen im modernen Banking ist ein wichtiges Thema in der Commerzbank Frankfurt, die seit 1989 einen ständigen Ausschuß, den sogenannten Koordinierungsausschuß zur Frauenförderung, etabliert hat. Die Teammitglieder - drei Frauen und zwei Männer - kommen aus den verschiedenen Fachbereichen der Personalabteilung, um das Thema betriebliche Frauenförderung vielseitig beleuchten zu können. Der verlängerte Arm

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des Teams sind einige Mitarbeiter/innen der Personalabteilungen in den Filialen. Sie berichten vor Ort über die Arbeit des zentralen Koordinierungsteams.

Um nicht an den Wünschen und Ideen der Mitarbeiterinnen vorbeizuarbeiten, veranstaltete die Commerzbank im Mai 1991 ein großes innerbetriebliches Symposium zur Chancengleichheit im betriebseigenen Schulungszentrum, das bei den beschäftigten Frauen auf sehr viel Zuspruch stieß und die Bedarfssituation erfolgreich erhellte.

Ergebnisse der Arbeit des Koordinierungsteams sind unter anderem eine Betriebsvereinbarung zur Wiedereingliederung, das sogenannte "Come back Programm", das neben einer über den Erziehungsurlaub hinausgehenden Freistellung die Option bietet, bis zum 8. Lebensjahr des Kindes in Teilzeit (oberhalb der 19 Wochenstunden-Grenze) arbeiten zu können. Mit diesem Arbeitszeitmodell für Eltern kleinerer Kinder wurden in Schweden bereits gute Erfahrungen gesammelt. Es wirkt sich nämlich im Gegensatz zum Erziehungsurlaub eher geschlechtsneutral aus.

Mitarbeiterinnen, die nicht in Teilzeit arbeiten, sondern ihr Kind selbst versorgen und den Erziehungsurlaub ganz in Anspruch nehmen wollen, können gleichberechtigt an Produktschulungen und Fortbildungsseminaren teilnehmen. Um nicht ganz aus dem Geschäftsgeschehen zu kommen, steht es ihnen frei, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu übernehmen.

Mit dem Ziel, das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen in allen Qualifikationsstufen zu optimieren, wurde 1993 eine Betriebsvereinbarung zu Teilzeit abgeschlossen. Damit wird es den Beschäftigten erleichtert, ihre Arbeitszeitdauer nach den persönlichen Bedürfnissen auszurichten. Teilzeit hört in der Commerzbank beim quali-

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fizierten Bereich nicht auf. Selbst Gruppenleiterinnen in Teilzeit (nur Frauen) sind inzwischen akzeptiert. Die Männer ziehen vorsichtig, aber bisher eher im Ausnahmefall mit. Um auch hier Mut zu machen und der neuen Wertehaltung in unserer Gesellschaft zur Akzeptanz zu verhelfen, berichten die männlichen Beschäftigten in Teilzeit oder im Erziehungsurlaub über ihre Erfahrungen in der Hauszeitschrift.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Familienservice. Im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Bahn AG, der Flughafen Rhein-Main AG, der Lufthansa AG und der Commerzbank AG nahm im Januar 1994 das Büro "Familienservice" in Frankfurt seine Arbeit auf. Der Familienservice hilft den Beschäftigten der kooperierenden Unternehmen bei der Suche nach geeigneter Kinderbetreuung. Neben Informationen über Kinderkrippen, Kindergärten und Horte werden Tagesmütter, Babysitter und "Notmütter" vermittelt. Beratungsangebote bei der Gründung von Elterninitiativen sowie Tips zur Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung mit Kindern runden das Angebot ab. Die Commerzbank übernimmt gemeinsam mit den Kooperationsunternehmen die Kosten der Beratungs- und Vermittlungsleistungen des Familienservice.

Für dieses Jahr plant die Commerzbank ein Symposium zur Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen - dabei steht die Personalentwicklung von Frauen auf dem Programm. Das Ziel ist, für Frauen mit Führungsambitionen das betriebliche Klima zu verbessern und eine breite Akzeptanz zu sichern. Der Anteil der Frauen an den Führungspositionen in der Commerzbank ist in den letzten 10 Jahren von 3 auf 10 % gestiegen - ein Ergebnis, das verbessert werden soll.

(-) Die Dresdner Bank betont: "Unsere Mitarbeiter/innen sind das wichtigste Kapital des Unternehmens, und

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schon von daher rechnet es sich, qualifizierte Frauen auf Dauer einzubinden und sinnvolle Lösungen zur Überbrückung der Erziehungszeiten zu finden." Dementsprechend wird gehandelt. Teilzeit wird auch für Führungskräfte im Erziehungsurlaub angeboten. In einigen Fällen arbeiten die betroffenen Frauen auf Wunsch auch teilweise Zuhause. Kontakthalteprogramme und spezielle Seminare erleichtern die Berufsrückkehr.

Der Anteil der Frauen in den Führungsetagen der Dresdner Bank hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt: 3 % auf den obersten Führungsebenen, 7 % bei den Direktoren und 15 % auf der Geschäftsleitungsebene.

Für die Dresdner Bank ist das Thema "Chancengleichheit" in jedem Führungsseminar ein Muß. Dabei geht es um Bewußtseinsbildung beim männlichen und weiblichen Führungsnachwuchs. Den Frauen wird Mut gemacht, auch Führungsverantwortung zu übernehmen und den Männern das Unternehmensziel "Chancengleichheit" vermittelt.

(-)Als ein sehr frauenorientiertes Mitgliedsunternehmen zeigt sich Avon Cosmetics, München mit 1.700 Beschäftigten, einem Frauenanteil von 75 % und zusätzlich 100.000 freien Beraterinnen.

Auch Avon hat sich einem sogenannten "Kinderbüro" angeschlossen, das den Beschäftigten Kinderbetreuung nach individuellen Bedürfnissen vermittelt. Avon geht hier noch einen Schritt weiter als die Comba: Derzeit wird ein Sozialfonds eingerichtet, um den Kolleginnen mit geringem Verdienst bzw. Familieneinkommen einen finanziellen Zuschuß zur Kinderbetreuung gewähren zu können.

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Aufgrund des hohen Frauenanteils mit Familienpflichten hat Avon ein ganz differenziertes Teilzeitsystem, das in seiner Vielfalt seinesgleichen sucht.

Eine Spezialität von Avon ist das Hochschulprojekt, das sich gezielt an den weiblichen studentischen Nachwuchs richtet. Studentinnen können nicht nur Praxiserfahrung sammeln, sondern ihre Eignungen in Assessment Centers testen und an vierwöchigen Schnupperprogrammen im europäischen Ausland teilnehmen.

Ein weiterer Pluspunkt: Durch das Passport Programm werden europaweit Führungskräfte gefördert. Auch an diesem Programm nehmen mehrheitlich Frauen teil. Ein daraus resultierender wichtiger Erfolg: Seit 1993 ist der General Manager für die Tschechische Republik und die Slowakei weiblich - Elisabeth Freisinger machte das Rennen.

Auch im Junior Manager Programm - das Personalentwicklungsprogramm für den potentiellen Führungsnachwuchs - sind die Mitarbeiterinnen stark vertreten.

In einer Untersuchung von Management Wissen erhielt Avon als Großunternehmen den ersten Platz mit dem höchsten Frauenanteil an den Führungspositionen in Deutschland - es sind 33 %. Die Unternehmensspitze teilen sich zwei Frauen und drei Männer. Aber das genügt dem Unternehmen nicht. Avon versteht Frauenförderung nicht als Absichtserklärung: Bei Neubesetzung und Beförderung haben Frauen bei gleicher Qualifikation solange den Vortritt, bis sich der Anteil der weiblichen Beschäftigten auf der Führungsebene widerspiegelt. So kamen die Direktorinnen im Bereich Marketing und Personal an die Spitze des Unternehmens - die Glass Ceiling wurde durchbrochen.

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Avon ist in puncto Frauenbeschäftigung eine Vorreiterin: Die US-Mutter rühmt sich, schon vor hundert Jahren die erste weibliche Handelsvertreterin beschäftigt zu haben - das war zu einer Zeit, als die Frauen in den USA noch nicht einmal das Wahlrecht hatten.

Eine Reihe unserer Mitgliedsunternehmen legen numerische Vorgaben in ihrer Personalpolitik für Frauen im Sinne von Zielsetzungen und Zeitplänen fest.

(-) Audi hat zum Beispiel mit einem Zahlenziel vor Augen den Frauenanteil in den gewerblich-technischen Berufen systematisch erhöht und damit traditionelle Männerberufe für Frauen geöffnet. Der Erfolg stellte sich durch Kontakte zur Lehrerschaft und Berufsberatung ein.

Frauenförderung ist für Audi kein Programm für Privilegierte. Das beweist der Gedanke, einfache, traditionell weibliche Tätigkeiten anzureichern. Interessierte und talentierte Schreibkräfte und Sekretärinnen konnten und können sich auf Wunsch weiterentwickeln, aus beruflichen Sackgassen befreien. Nicht zuletzt deshalb hat Audi einen Frauenförderpreis der Zeitschrift Capital gewonnen.

Audi hat aber auch Weiterbildungseinheiten nur für Frauen konzipiert, um die Stärkung eines weiblichen Führungsstils zu erreichen.

(-) Den Tarifvertrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Zigarettenindustrie hat unser Mitgliedsunternehmen Reemtsma initiiert. Reemtsma in Berlin bemühte sich um familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung und führte für Beschäftigte mit Familienpflichten in der Produktion Schichtteilzeit ein.

(-) In männlich geprägten Industrieunternehmen bleiben die Industriekauffrauen bisher leider meist in der

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Sachbearbeitung stecken. Verantwortliche Positionen im Verkauf zählen zum "Revier der Männer". Das Edelstahlwerk Buderus in Wetzlar hat dieses Prinzip durch den Einsatz von Frauen im Verkauf zumindest im Ansatz erfolgreich durchbrochen. Die zufriedenen Kunden sind die Automobil- und deren Zulieferindustrie.

(-) Unser Mitgliedsunternehmen Degussa, Frankfurt erstellt gerade eine Ist-Analyse, in die auch die Vorgesetztenebene einbezogen wird, um eventuelle Widerstände gegen eine chancengleiche Integration und Entwicklung der Frauen aufzudecken.

(-) Neben Hertie fehlen einige engagierte Mitgliedsunternehmen in der Aufzählung. Ich muß hier aber aus zeitlichen Gründen eine Zäsur machen.

Zum Abschluß möchte ich aus meiner Sicht noch kurz etwas zum Erfolg betrieblicher Frauenförderung sagen:

Wodurch sich der Erfolg maßgeblich bestimmt

Jede Maßnahme zur Erhöhung der Vereinbarkeit von Beruf und Kindern muß für Männer und Frauen gelten, sonst wirkt sie sich als einseitige Bevorzugung gegen die Frauen aus. Erziehungsurlaub und Teilzeit nur für Mütter ist eine Karrierebremse für alle Frauen im Erwerbsleben. Andererseits sind Männer zunehmend nicht mehr bereit, ihre ganze Kraft in die Berufstätigkeit zu investieren, sie wollen sich auch in der Familie und im privaten Bereich verwirklichen - die Unternehmen könnten sie hierbei in Zukunft mehr unterstützen. Die nächsten Jahre müßte es verstärkt Männerförderung geben, um eine breite Akzeptanz für deren Engagement in der Familie zu erreichen - erst dann können sich Frauen beruflich gleichberechtigt entwickeln.

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In der betrieblichen Frauenförderung muß noch mehr als bisher die Brücke zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretung geschlagen werden. Frauenförderung kann von oben initiiert werden, aber eine solide Akzeptanz muß von der Basis nach oben wachsen. Die genannten Betriebsvereinbarungen zeigen, daß eine Zusammenarbeit der Unternehmensspitze mit der Belegschaftsvertretung eine reiche Ernte bringt.

Auch der Staat könnte Zeichen setzen: Ein wichtiges Signal zur Umsetzung der Chancengleichheit an die Privatwirtschaft wäre, staatliche Aufträge und Subventionen an betriebliche Frauenförderung zu binden - wie das in den USA seit vielen Jahren sehr erfolgreich gehandhabt wird. Staatliche Auftragsvergabe und Frauenförderung lassen sich wasserdicht miteinander verknüpfen. Das beweist jetzt ein Rechtsgutachten von Prof. Lerke Osterloh, das in NRW vorliegt. Die Bedenken der EU-Kommission, Bevorzugungsregelungen für Frauen seien im Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien unzulässig, sind damit ausgeräumt. Generell gilt: Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe kann Betrieben die Durchführung von Frauenfördermaßnahmen zur Auflage gemacht werden. Damit wird der staatliche Zuschlag auch weiterhin ausschließlich von Preis und Leistung bestimmt. Dem Leistungsprinzip in der Wirtschaft wird damit nicht weniger, sondern mehr als heute Rechnung getragen: Qualifizierte Frauen müssen dann bei der Stellenbesetzung und Beförderung dem qualifizierten Mann gleichgestellt werden, und sie bleiben nicht systematisch unberücksichtigt, wie das heute in Antizipation einer Familienpause in vielen Unternehmen immer noch geschieht.

Die wichtigste Grundlage für die Gleichstellung der Frauen in der Erwerbstätigkeit hängt jedoch von den Kinderbetreuungsmöglichkeiten ab. Wir dürfen nicht müde werden, immer wieder darüber zu reden: Der

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Staat muß sich ernsthaft des Themas "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" annehmen. Hier sind die Bedingungen in Deutschland im Vergleich zu den EU-Ländern noch eher rückständig - das Stichwort neben der flächendeckenden Kinderbetreuung ist die Ganztagsschule.

Der wichtigste Punkt nochmals zum Schluß: Die Entfaltung der Frauen im .Erwerbsleben gelingt nur, wenn Familienarbeit und Erziehungsaufgaben nicht stillschweigend als Frauensache angesehen werden. Kurz, das Kunststück, Erwerbstätigkeit und Familie in Einklang zu bringen, darf nicht den Frauen alleine überlassen werden.


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