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[Seite der Druckausgabe: 51 / Fortsetzung]


8. Von Gewerbehöfen über Technologie- und Innovationszentren zu „Urban Entertainment"?

Die Vertreterin des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MASSKS) führte vor dem Problem der Nutzungsmischung in unterschiedlichen Siedlungstypen aus, ob und inwieweit die Einrichtung von Gewerbehöfen, Technologie- und Gründerzentren auf der einen sowie Urban Entertainment Centers auf der anderen Seite zur ökonomischen und sozialen Stabilisierung eines Quartiers beitragen kann.

8.1 Zum Problem der Nutzungsmischung

Viele neu angelegte Mischgebiete stehen vor dem Problem, daß Nutzungsmischungen offensichtlich nicht an allen Standorten, zu jedem Zeitpunkt und in jeder gewünschten Form zu realisieren sind. Ein wesentliches Kriterium ist dabei - so die Vertreterin des MASSKS - der Gebietstyp, für den eine Mischnutzung vorgesehen ist. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang Gebiete der Siedlungserweiterung, Stadtbrachen und Bestandsgebiete. Innenstadtnahe Brachen und Brachflächen in Stadtteilzentren profitieren von ihrer Lagegunst und sind aufgrund ihrer Attraktivität für Nutzungsmischungen prädestiniert. Neben Lageparametern innerhalb der gesamtstädtischen Struktur bilden „weiche" Standortfaktoren wie das soziale Zusammenleben in einem Stadtteil oder Identität und Identifikationsmöglichkeiten eines Quartiers - allgemein die lokalen Besonderheiten eines Stadtteils - ein wesentliches Ansiedlungskriterium für verschiedene Nutzungen.

Die Stabilisierung und Weiterentwicklung bereits bestehender Nutzungen wird durch mehrere Faktoren erschwert. So betont das Planungsrecht noch immer stark die Funktionstrennung bzw. werden Mischnutzungen mit Störungen und Unverträglichkeiten assoziiert. Gegenseitige Akzeptanz verschiedener Nutzergruppen ist - so die Vertreterin des MASSKS - eher selten und muß teilweise durch intensive Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden. Funktionsanreicherungen im Sinne eines gleichberechtigten Nebeneinanders in Mischgebieten erfordern

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  • eine langfristige Zeitperspektive sowie Flächenreserven für mögliche Nutzungserweiterungen,

  • öffentliche finanzielle Starthilfen,

  • die Verständigung der verschiedenen involvierten Akteure hinsichtlich gemeinsamer Ziele und Ideen sowie

  • Öffentlichkeitsarbeit, Initiative und Arbeitskraft von außen.

Für Mischnutzungskonzepte eignen sich kleine und mittlere Betriebe (KMU) am besten, wie die Referentin ausführte. Mieter und Eigentümer haben durch Investitionen in Gebäude und Betriebsausstattung meist eine hohe Standortbindung entwickelt und damit in der Regel ein großes Interesse an der Entwicklung „ihres" Quartiers. Ein wesentlicher Ansatz der kommunalen wohnumfeldverträglichen KMU-Förderung und damit der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik ist die Einrichtung von Gewerbehöfen, in denen kleinen und mittleren Betrieben des Handwerks, der Industrie und des Großhandels Produktions- und Lagerflächen in der Größenordnung von 50 m² bis 500 m² zu vergleichsweise günstigen und damit auch für Existenzgründer erschwinglichen Mietpreisen angeboten werden. Somit sind Gewerbehöfe in begrenztem Maße zur ökonomischen und sozialen Quartiersentwicklung geeignet.

Die Toleranz der Wohnbevölkerung insbesondere gegenüber Lärm ist allerdings je nach Lage der geplanten Entwicklungsschwerpunkte nicht immer vorhanden, ggf. muß für eine gewisse Toleranz geworben werden. Am unkompliziertesten scheint die Ansiedlung von Gewerbehöfen im Bestand und auf städtischen Brachflächen zu funktionieren, während es in Stadterweiterungs-Neubaugebieten mit bisher reiner Wohnfunktion oftmals zu ablehnenden Reaktionen der Bewohner kommt.

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8.2 Gewerbehöfe, Technologie- und Gründerzentren

Die Unterschiede zwischen Gewerbehöfen, Technologieparks sowie Gewerbe-Service-, Gründer- und Technolgiezentren liegen vor allem im Maß der über das reine Flächenangebot hinausgehenden Bereitstellung von Serviceangeboten in den Bereichen Organisation, Management und Beratung. Gewerbehöfe bieten:

  • günstige Mietkonditionen,

  • langfristige Mietverträge,

  • eine vergleichsweise ungestörte Arbeitsatmosphäre,

  • die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen und zur Nutzung gemeinsamer Einrichtungen sowie

  • die Möglichkeit, Raumaufteilungen flexibel an die betrieblichen Erfordernisse anpassen zu können.

Allgemein übernimmt der Mieter bei Erstbezug den Innenausbau der gemieteten Räumlichkeiten bzw. zahlt bei bereits ausgebauten Räumen eine entsprechende Ablösung oder einen Aufschlag auf die Grundmiete.

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Technologie- und Gründerzentren unterscheiden sich von Gewerbehöfen in erster Linie durch ihren eher regionalen Ansatz. Sie stellen heute in Deutschland ein anerkanntes und weit verbreitetes Instrument der kommunalen Wirtschaftsförderung und der regionalen Strukturpolitik dar. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es zur Zeit 63 Technologiezentren mit insgesamt 1.800 Unternehmen und rund 14.300 Beschäftigten. Im Gegensatz zur klassischen, auf reine Investitionen zielenden Wirtschaftsförderung soll mit Hilfe der Technologieförderung vor allem Know How vermittelt werden. Ziel der Einrichtung von Technologiezentren ist es, die Zusammenarbeit von innovationsfreudigen Unternehmen und Existenzgründern mit wissenschaftlichen Einrichtungen zu fördern bzw. - auf der übergeordneten Ebene der Technologiepolitik des Bundes und der Länder - Forschung und Entwicklung im Bereich der Schlüsselindustrien potentieller Wachstumsbranchen zu stärken.

Das Land Nordrhein-Westfalen nutzt das Instrument des Technologietransfers seit Beginn der 80er Jahre zur Modernisierung wirtschaftsnaher Infrastrukturen. Zunächst wurden Technolgiezentren vor allem an großen Hochschulstandorten errichtet (47% aller heute existierenden Technologiezentren in NRW), später auch hochschulfern an bereits vorhandene wirtschaftliche Strukturen angelagert. Knapp 40% der Zentren sind in traditionellen Gewerbegebieten entstanden. In einer Umfrage des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MWMTV) gaben in Technologieparks ansässige Unternehmen vor allem den dort vorfindbaren und positiv bewerteten Branchenmix und - sofern vorhanden - die Nähe zu Hochschuleinrichtungen als Standortentscheidungen an.

Technologiezentren haben sowohl „interne" als auch „externe" Effekte: Sie können als innovative Standortgemeinschaften mit den bereits genannten Vorteilen und als Beitrag zur regionalen Wirtschaftsentwicklung mit positiven Ausstrahlungs- bzw. Anziehungseffekten über den unmittelbaren Standort hinaus betrachtet werden. Als konkrete Aufgaben von Technologiezentren nannte die Referentin:

  • Förderung von Firmenneugründungen und innovativen, vor allem high-tech-basierten Unternehmen,

  • Erleichterung von spin-off-Effekten, d.h. der Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in marktfähige Produkte im Rahmen von Existenzgründungen aus dem Forschungsbetrieb,

  • Technologietransfer als Maßnahme der aktiven Strukturverbesserung sowie

  • Beitragsleistung zur Regional- und Stadtentwicklung.

Die Vertreterin des MASSKS kritisierte, daß es bezüglich der Einrichtung von Technologiezentren - verstanden als Beitrag zur regionalen Strukturpolitik - kaum zur sachgerechten Koordination von Standortentscheidungen kommt. Aufgrund der fehlenden Finanzkompetenz der Regionen entstehe vielmehr ein interregionaler Wettbewerb um projektbezogene Förderungsmittel des Landes anstelle von sachbezogenen regional- bzw. kommunalplanerischen Entscheidungen.

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8.3 Urban Entertainment

Analog US-amerikanischer und asiatischer Vorbilder ist während der letzten Jahre auch in Deutschland die Entstehung großflächiger Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen zu beobachten, deren Ansiedlung die Vertreterin des MASSKS aus folgenden Gründen zunächst vergleichsweise positiv bewertete:

  • Die relativ emissionsarmen Einrichtungen der Freizeitindustrie lassen sich vergleichsweise leicht in bereits bestehende Strukturen integrieren.

  • Die meist hochrentierlichen Freizeitnutzungen können im Rahmen von public private partnership-Konzepten (PPP) in die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur einbezogen werden.

  • Die öffentliche Subventionierung dieses vergleichsweise neuen Marktes ist mit stärkeren positiven Arbeitsmarkteffekten verbunden als bei strukturell gefährdeten Wirtschaftssektoren.

  • Freizeiteinrichtungen gelten sowohl für Unternehmen als auch die lokale Bevölkerung als positiv bewertete weiche Standortfaktoren.

Die Vertreterin des MASSKS wertete die Rationalisierungs-, Standardisierungs- und Suburbanisierungstendenzen großflächiger Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen als zunehmende Industrialisierung dieser Branchen. Viele Anlagen expandieren nicht nur räumlich, sondern werden auch funktional mit unterschiedlichen Nutzungen aus den Bereichen Einzelhandel und Gastronomie angereichert, um auf diese Weise Kopplungseffekte und damit einen größeren ökonomischen Erfolg erzielen zu können.

Die weitgehendsten Entwicklungen in diesem Bereich zeigen die sogenannten „Urban Entertainment Centers (UECs)" auf. Hierbei handelt es sich um die räumlich komplexe Bündelung verschiedener Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen innerhalb einer baulichen Anlage, wodurch den Besuchern ein vielfältiges Unterhaltungsangebot „unter einem Dach" geboten wird („Mehrnutzungsangebote"). Die Philosophie des UEC-Konzeptes besteht in der Übertragung des Shopping-Center-Gedankens auf den unterhaltungsorientierten Freizeitbereich, wodurch für die einzelnen Einrichtungen jeweils Wettbewerbsvorteile gegenüber vergleichbaren innerstädtischen Anbietern in Einzellagen entstehen. Neu daran ist nicht der Vernetzungsgedanke selbst, sondern vielmehr der durch dieses Unternehmenskonzept erreichte qualitative Effekt des „garantierten Vergnügens in räumlicher Nähe", der eine breite Kundenschicht anspricht.

Die Übertragung des „mall-Prinzips" auf UECs stellt allerdings auch einen Beitrag zur zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums dar: Lediglich kaufkräftige Kunden sind erwünscht und werden nach dem „catch-them-all"-Prinzip über gestaffelte Angebots- und Preispaletten bedient, während gesellschaftliche Randgruppen stärker als im öffentlichen Raum und im Zweifelsfall unter Anwendung des Hausrechts ausgeschlossen werden.

Im Gegensatz zu klassischen Freizeitparks sind UECs auf ein regionales Einzugsgebiet ausgerichtet, wobei als untere Rentabilitätsgrenze eine Entfernungszone von rund 30-

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60 Autominuten (ca. 100 km) sowie 1 Mio. Einwohner gelten. Der Erfolg eines UEC liegt in der Abstimmung seiner Angebotspalette. Ein sogenannter „Ankermieter" - beispielsweise ein Musical oder ein Multiplex-Kino - soll dabei die gewünschte Besucher-Mindestzahl anziehen. Im Durchschnitt entfallen 30-50% der vermieteten Flächen eines UECs auf den Entertainmentbereich, 20-30% auf Gastronomieangebote und die verbleibenden Anteile auf den Einzelhandel. Die Vertreterin des MASSKS betonte in diesem Zusammenhang, daß bis zu 60% des Umsatzes in einem UEC vom Einzelhandel erwirtschaftet werden, der von der Magnetfunktion der Unterhaltungsangebote profitiert.

In Deutschland werden zur Zeit rund 40 UECs geplant. Zu den potentiellen Standorten solcher Einrichtungen gehören Bahnhöfe und Flughäfen, Shopping-Centers, Freizeitgroßanlagen mit einer Frequentierung von jährlich mindestens 1 Mio. Besuchern, einige Innenstadtlagen sowie periphere Verkehrsknotenpunkte. In Nordrhein-Westfalen finden sich neu errichtete UECs beispielsweise auf dem ehemaligen Thyssen-Gelände in Krefeld, in Dortmund (UFO), auf dem Bahnhofsstandort in Bielefeld oder auf dem ehemaligen Holzlagerplatz der Zeche Shamrock in Herne (THI). Andere Einrichtungen sind aus der Weiterentwicklung bzw. Aufwertung bereits vorhandener Anlagen entstanden; dazu gehören beispielsweise das Ruhr-Park-Einkaufszentrum in Bochum, das um eine Bowlingbahn und weitere Freizeitinfrastruktur ergänzt wurde, oder das Rhein-Ruhr-Einkaufszentrum in Mülheim, auf dessen Gelände unter anderem ein Multiplex-Kino errichtet wurde. Als problematisch im Bereich der Freizeitindustrie nannte die Vertreterin des MASSKS die Kurzlebigkeit der meisten Angebote, die zum Beispiel bei Kinos oder Spaß- und Erlebnisbädern bei rund 10 Jahren, bei stärker trendorientierten Angeboten wie Diskotheken lediglich bei 3 Jahren liegt.

Die Referentin wies abschließend darauf hin, daß sich die Einrichtung von UECs aufgrund ihrer spezifischen Standortanforderungen nur äußerst bedingt als Instrument zur Aufwertung von Stadtteilen eignet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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