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Die soziale Marktwirtschaft zukunftsfähig machen : die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung weist einen Weg / [hrsg. vom Wirtschafts- und Sozialpolitischen Beratungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Wirtschaftspolitik]. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 16 S.
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


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[Seite der Druckausg.: 1-2=Titelseiten]
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Die soziale Marktwirtschaft zukunftsfähig machen
Die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung weist einen Weg


Hinter der Diskussion zwischen den sogenannten Modernisierern und den sogenannten Traditionalisten in der Sozialdemokratie steckt in Wahrheit die weit über Partei- und Ideologiegrenzen hinausreichende Grundsatzfrage: Mit welchen Mitteln läßt sich soziale Gerechtigkeit in der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft herstellen oder erhalten? Gehören Begriffe wie Solidarität und Chancengleichheit endgültig der politischen Vergangenheit an oder gibt es Wege, den Sozialstaat, der vielen als Auslaufmodell gilt, fit zu machen für die neuen Herausforderungen?

Das über Jahrzehnte gepriesene, vielfach kopierte „Modell Deutschland" bescherte seinen Bürgern über Jahrzehnte berufliche und private Sicherheit und wachsenden Wohlstand. Der fast sprichwörtliche soziale Frieden war nicht nur ein wichtiger Produktionsfaktor, sondern hat wesentlich zur Stabilisierung der Demokratie beigetragen. Durch die Veränderungen, mit denen alle traditionellen Industrienationen zu kämpfen haben, ist dieses alte Modell Deutschland an seine Grenzen gestoßen. Wer es erhalten möchte, muß bereit sein zu tiefgreifenden Veränderungen im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich.

Mehrere Jahre lang hat sich die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (besetzt mit hochrangigen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Bereichen und mit durchaus unterschiedlichen Meinungen) mit der Frage beschäftigt, wie das alte Modell Deutschland durch ein in sich stimmiges und robustes neues Modell ersetzt werden könnte.

Bewußt hat sich die Kommission auf vier Reformprojekte beschränkt, sich vor allem auf Themen konzentriert, deren Realisierung in absehbarer Zeit möglich erscheint. Wichtig war allen Beteiligten die offene Diskussion. Vom lähmenden Verweis auf das „politisch Machbare" wollte man sich nicht einschränken lassen. Weiter wurde die Auswahl der Themen durch die Frage mitbestimmt: Was ist national möglich, was läßt sich verwirklichen, ohne auf neue europäische oder multinationale Regelungen zu warten?

Die Zukunftskommission ging dabei von folgenden Thesen aus:

  • Die Politik trägt Verantwortung für Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung und damit für die Innovationsfähigkeit des Landes.
  • Der Nationalstaat ist verantwortlich für Beschäftigung. Er kann und muß die Rahmenbedingungen schaffen.
  • Der Nationalstaat ist mitverantwortlich für das soziale Wohlergehen seiner Bürger. Familien müssen weiterhin Wahlmöglichkeiten haben. Bei gescheiterten Lebensplanungen, im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter muß es verläßliche soziale Netze geben.

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  • Der Nationalstaat ist, auch wenn die Probleme vor nationalen Grenzen nicht Halt machen, verantwortlich für einen schonenden Umgang mit Ressourcen, für eine Umweltpolitik, die auch den kommenden Generationen eine Chance läßt.

Dieses Papier wird die Vorschläge der Zukunftskommission nur kurz zusammenfassen. Es soll jenen Argumentationshilfen bieten, die sich engagieren in der Diskussion um Beschäftigung und soziale Sicherungssysteme von morgen, die sich für Bildungs-, Ausbildungs- und Umweltfragen interessieren.

Folgende vier Projekte werden knapp dargestellt:

  1. Verbesserung der Innovationsfähigkeit und Stärkung der Humanressourcen.
  2. Verbesserte Beschäftigungsmöglichkeiten für Niedrigqualifizierte.
  3. Wandel der Familie und Beschäftigungskrise als Herausforderungen an eine Politik sozialer Integration.
  4. Umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweise.

Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann sich im Buchhandel die 400 Seiten starke Langfassung besorgen. Der Titel lautet:

Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung:
Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele - ein Weg

Das Buch ist erschienen im Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 1998
(ISBN 3-8012-0269-0)



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Das alte Modell Deutschland - ein Auslaufmodell

Kapitalismus mit menschlichem Antlitz - so wurde das weltweit bewunderte Modell Deutschland oft übersetzt. Die Voraussetzungen für den beispiellosen Wiederaufbau nach dem Kriege waren vor allem folgende: ein ausgeprägter Wille quer durch alle Bevölkerungsschichten, die Lebensbedingungen zu verbessern. Ein kooperatives Politikmodell und eine verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie, die in Zeiten stetigen Wachstums für eine Balance zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen sorgte. Ein Sozialstaat, der mit wachsendem Wohlstand seine Bürger nicht nur gegen die Risiken Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit absicherte, sondern auch die Bildungschancen verbesserte, Eltern finanziell unter die Arme griff und zuletzt durch die Pflegeversicherung eine weitere Säule der Sozialversicherung schuf. Stetiges Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung erhöhten die Verteilungsspielräume. Bis in die 70er Jahre hieß Vollbeschäftigung etwas pauschal ausgedrückt: 45jährige durchgehende Erwerbstätigkeit des männlichen Ernährers und Haushaltsvorstandes. Die Frauen waren für Haushalt und Kinder zuständig. Diese geschlechterspezifische Arbeitsteilung bestimmte das westdeutsche Modell der sozialen Sicherung, während die DDR die gleichberechtigte Teilhabe der Mütter am Arbeitsplatz förderte.

Das Modell funktionierte also, so lange die Wirtschaft einen stetigen Bedarf an immer besser ausgebildeten Arbeitnehmern hatte, so lange Ehepaare für ausreichend Nachwuchs sorgten und die Frauen höchstens ein wenig „dazuverdienten". Seit mindestens 25 Jahren gab es Warnsignale, die aber ignoriert wurden: die Frauen drängten auf den Arbeitsmarkt, es wurden immer weniger Kinder geboren. Rationalisierungswellen, zuerst in der Industrie, dann auch in allen anderen Bereichen schluckten mehr Arbeitsplätze als neue geschaffen wurden. Das Wirtschaftswachstum erfolgte auf Kosten der Umwelt. Die expandierenden internationalen Finanzmärkte schränkten die Autonomie der nationalstaatlichen Regierungen ein. Um Ruhe im Land zu haben, wurde der Strukturwandel in veralteten Bereichen abgebremst statt gefördert. Eine Umsteuerung in Richtung Innovationsförderung und ökologisches Wirtschaften wurde versäumt. Die Überforderung der sozialen Sicherungssysteme nach der Wiedervereinigung machte nur offenbar, was längst vorher im Gange war: Es knirschte im Gebälk des Sozialstaates, der immer noch von Vollbeschäftigung ausging und von Jahr zu Jahr steigenden Wachstumsraten. Als dann nach dem Ende des Kalten Krieges die Öffnung der Märkte zusammen mit der globalen Vernetzung der Kapitalmärkte zu einer beispiellosen Verschärfung des internationalen Wettbewerbs führten, mußten alle Illusionen begraben werden, daß Vollbeschäftigung im traditionellen Sinne wieder erreichbar sein würde, wenn „der Staat" nur die Weichen entsprechend stellen würde. Statt dessen hat massiver Arbeitsplatzabbau nun auch den Kernbereich der qualifizierten Arbeitnehmer erreicht. Bei steigenden Ausgaben in einer überalterten Gesellschaft fließt immer weniger Geld in die Kassen der Sicherungssysteme.

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Der Standort Deutschland und die „Globalisierung"

Es ist modisch geworden, unter Hinweis auf den schillernden Begriff „Globalisierung" das Ende des Nationalstaates auszurufen. Man starrt auf die internationalen Finanzmärkte, auf multinationale Unternehmen und neigt dazu, fatalistisch alle, auch die hausgemachten Strukturprobleme, auf die Folgen der Globalisierung zu schieben. Die Wirtschaft wiederum benutzt dieses Argument, um Löhne, Lohnnebenkosten und Steuern zu drücken. Die Zukunftskommission teilt nicht die Furcht vor den sich entwickelnden Ländern der Dritten Welt, die angeblich Spitzenleistungen zu Niedriglöhnen anbieten können. Doch sie geht davon aus, daß der innereuropäische Wettbewerb sich drastisch verschärfen wird. Wenn keine Verständigung auf der europäischen Ebene erreicht werden kann, wird das - so die eindringliche Warnung - zum Abbau von steuerlichen, sozialen und ökologischen Standards führen.

Ein Kostensenkungswettlauf ist im Hochlohn- und Hochpreisland Deutschland unter keinen Umständen zu gewinnen, ist die Ansicht der Wissenschaftler. Stattdessen muß die - bisher alles in allem erfolgreiche - Diversifizierungsstrategie, also die Ausweitung der Produktion auf immer neue, attraktive Produkte, energisch fortgesetzt werden. Ein moderner Industriestaat muß auf Produkte, Dienstleistungen und Systeme setzen, für deren Absatz die Qualität oder die Neuheit und weniger der Preis entscheidend sind.

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Soziale und ökologische Sackgassen und wie sie vermieden werden können


Kostensenkung um jeden Preis - die Gesellschaft zahlt dafür

Wer nur auf Kostensenkung setzen mag, auf die Beseitigung der Flächentarife, auf Deregulierung im Arbeitsrecht und auf weitere radikale Flexibilisierung der Arbeit, geht nach Meinung der Zukunftskommission einen für die gesamte Gesellschaft riskanten Weg:

Wenn die Lohneinkommen sinken und die Schere zwischen jenen, die gut bis sehr gut verdienen und den Billiglöhnern auf der anderen Seite immer weiter auseinanderklafft, dann wird das Armutsrisiko weiter steigen. Betroffen werden vor allem die bereits heute einkommensschwachen Familien sein und die große Zahl der Alleinstehenden mit geringer Qualifikation. Das wird zu einer starken Verunsicherung und Entmutigung bei immer mehr Bürgern führen. Die Bereitschaft, sich längerfristig in einer Familie zu binden, wird dadurch sinken, ebenso die Bereitschaft, sich für diese Gesellschaft zu engagieren. Die Zukunftskommission warnt eindringlich vor den mittel- und langfristigen Folgen: Die Kinder und Jugendlichen, die in stark benachteiligten Familien heranwachsen, werden ohne sozialstaatliche Unterstützung keine Chance auf Bildung, Ausbildung, einen Arbeitsplatz haben. Die Folgen lassen sich in Amerika besichtigen: Illegale Formen der Lebensbewältigung als Massenphänomen, sprich: Kriminalität, Gewaltbereitschaft, Gleichgültigkeit gegenüber einer Gesellschaft, die ihnen keine Chancen gibt. Besonders groß sind diese Gefahren in Ostdeutschland, wo die sozialen und kulturellen Schocks der schnellen Vereinigung noch nicht bewältigt sind. Noch auf lange Zeit wird Ostdeutschland auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sein. Gibt es keine Möglichkeiten, diese Benachteiligungen auf-

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zufangen durch arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische Hilfen, dann werden sich die Lebensbedingungen weiter polarisieren.

Aus all diesen Gründen führt eine reine Kostensenkungsstrategie nach Ansicht der Kommission in die soziale Sackgasse.

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Wohin führt eine konsequente Wachstumsstrategie?

Die Verfechter des zweiten Kurses verfolgen eine reine Wachstumsstrategie. Sie fordern die Beseitigung aller Investitionshemmnisse. Alles staatliche Handeln hat sich nach dieser Anschauung der Vermehrung und Beschleunigung arbeitsplatzschaffender Investitionen zu unterwerfen. Die Forderungen sind bekannt: Lockerung des Umweltrechts. Revision von geltenden Grenzwerten. Verzicht auf langwierige Umweltverträglichkeitsprüfungen. Beseitigung oder radikale Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Ein solcher Weg würde die Lebensbedingungen der Bürger rasant verschlechtern - ohne daß sich die Hoffnungen auf Wachstum erfüllen dürften. Denn: die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland für forschungsintensive, dienstleistungsintensive Wirtschaftszweige, für all die zukunftsträchtigen Denkfabriken, in denen neue Produkte entstehen, würde sinken. Vor allem aber würde Deutschland seine Wettbewerbsvorteile auf den Märkten für Umwelttechnologie verlieren.

Alles in allem: Wachstum um jeden Preis führt wegen unkalkulierbarer Risiken in die ökologische Sackgasse.

Wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele müssen gleichrangig sein, stellt die Kommission fest. Wo immer versucht wird, eines der drei Ziele auf Kosten der beiden anderen in den Mittelpunkt zu stellen, ist das Scheitern programmiert. Es gibt kein wirtschaftliches Wachstum ohne Rücksicht auf die Menschen und Schutz der natürlichen Ressourcen. Es gibt keinen Sozialstaat, der diesen Namen verdient, ohne Wachstum und ohne lebenswerte Umwelt. Und es gibt keine schonende Umweltpolitik ohne Zustimmung der Bürger und ohne innovatives Wirtschaften. Das sind vielleicht Binsenwahrheiten, doch in der Praxis kommt es zu täglichen Zielkonflikten, wie jeder Bürgermeister, jeder Betriebsrat und Unternehmer weiß.

Die Zukunftskommission hat sich nun die Aufgabe gestellt, anhand von vier Projekten diese drei Ziele unter einen Hut zu bringen. Nur so, darüber herrschte Einigkeit, wird es ein neues, in sich stimmiges, krisenfestes „Modell Deutschland" geben können oder anders gesagt: die Fortsetzung der sozialen, ökologisch ausgerichteten Marktwirtschaft durch Reformen.

Leitsatz dabei war: Wer die soziale Marktwirtschaft erhalten will, muß bereit sein zu tiefgreifenden Veränderungen. Die klassischen Rezepte, die Deutschland zu einer wohlhabenden, stabilen Demokratie gemacht haben, taugen zum Teil nicht mehr für die Zukunft.

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Die Reformprojekte im einzelnen:


Verbesserung der Innovationsfähigkeit und Stärkung der Humanressourcen

Übersetzt man das spröde neudeutsche Wort von den „Humanressourcen" wörtlich, dann bedeutet es „menschliche Hilfsmittel" oder „menschliche Reserven". Gemeint ist damit das Kapital, das eine gut und praxisnah ausgebildete Mannschaft für die heutige und künftige Wirtschaft darstellt. In der Vergangenheit beruhte Wirtschaftswachstum vor allem auf vier Säulen:

  • den gewachsenen technologischen Stärken etwa in der Chemie, im Fahrzeugbau, im Maschinenbau
  • einem dezentralen Wirtschaftssystem
  • einem breiten Stamm von gut ausgebildeten Facharbeitern
  • einem als beispielhaft geltenden dualen Ausbildungssystem.

Diese Bereiche sind einem besonders starken Veränderungsdruck unterworfen. Wertschöpfung und Beschäftigung verlagern sich immer mehr vom Produktions- auf den Dienstleistungssektor. Die immer schnellere Aneignung und Verarbeitung von Wissen ist heute überlebenswichtig. Gleichzeitig führt die Globalisierung der Wirtschaft dazu, daß praktisch alle Bereiche der Wirtschaft - von der mechanischen Fertigung bis hin zu Forschung und Entwicklung - an jedem Ort der Welt organisiert werden können.

Daran wird sich künftig nichts ändern, im Gegenteil, diese Entwicklungen werden sich beschleunigen. Die Frage ist: Wie weit sind die Unternehmen, die in ihnen beschäftigten Menschen und die Gesellschaft auf diesen Strukturwandel vorbereitet, der in vollem Gange ist? Anders gefragt: Wo kommt es zu Störungen, die behebbar wären? Die Zukunftskommission sieht die Probleme vor allem in drei Bereichen:

  • vielfältigen Blockaden im lnnovationssystem
  • gewandelte Anforderungen an Qualifikation und Ausbildung
  • Verkrustungen im Dienstleistungsbereich der öffentlichen Hand.

Um fit zu bleiben für den internationalen Wettbewerb, muß sich die deutsche Volkswirtschaft vor allem im High-Tech-Bereich auf ihre Stärken besinnen. Nicht Angleichung der deutschen Strukturen an möglichst viele Länder, die dann alle miteinander im Wettbewerb stehen, müsse das Ziel sein, sondern die Entwicklung eines eigenen Profils, das sich deutlich von dem der ausländischen Konkurrenten unterscheidet. Das klingt sehr theoretisch. Gemeint ist folgendes: Die deutsche Wirtschaft hat in vielen Bereichen hohes Ansehen und angestammte Märkte. Darauf läßt sich aufbauen durch eine stetige Weiterentwicklung der Spitzentechnologien. Außerdem müssen neue Märkte erschlossen werden, nach Meinung der Kommission vor allem in der Informationstechnik, der Biotechnologie und im Zukunftsmarkt Multimedia.

Entwicklungsblockaden, die Erfolgen im harten Wettbewerb entgegenstehen, lassen sich nach Meinung der Wissenschaftler folgendermaßen abbauen:

  • Es muß ein Konzept zur schnelleren Koppelung von Zukunftstechnologien mit den vorhandenen technisch-wirtschaftlichen Stärken entwickelt werden.

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  • Die internationale Wissensproduktion muß besser und das heißt auch schneller genutzt werden.
  • Neue Märkte können auch durch die Entwicklung und frühe Vorstellung zukunftsträchtiger Pilotvorhaben erschlossen werden.
  • Die Forschungslandschaft muß sich verändern. Es muß mehr fachübergreifend geforscht werden, wir brauchen ein praxisorientiertes Forschungsmanagement, eine gezieltere Forschungsförderung.
  • Und schließlich muß die deutsche Forschungs- und Technologiepolitik internationaler werden durch die Unterstützung länderübergreifender Projekte, durch gezielt geförderte Mobilität von Wissenschaftlern und Studenten und durch die Unterstützung internationaler Engagements.

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Das Bildungs- und Ausbildungssystem

Es herrscht Einigkeit darüber, daß eine der deutschen Stärken die breite Allgemeinbildung und die gründliche Berufsausbildung sind, hier vor allem die Verknüpfung zwischen Lernen im Betrieb und Lernen in der Schule, also das duale System. Die Stärken sind bekannt, sie haben zu hochqualifizierten Mannschaften bis weit in das mittlere Management geführt, und dennoch wird sich vieles ändern müssen, wenn besonders das viel gelobte duale Ausbildungssystem nicht an Auszehrung sterben soll.

Die Kommission schlägt u.a. eine Abkehr vom einzelbetrieblichen Finanzierungsmodus vor und eine Lockerung des relativ starren Berufsprinzips zugunsten einer breiteren Qualifikation. Anschließend an die 10. Klasse sollten flexible Kombinationen zwischen beruflicher - im Betrieb - und allgemeinbildender Ausbildung - in den Schulen - entwickelt werden. Dieses neue Modell muß dann zu einer stärkeren Durchlässigkeit der dualen Ausbildung hin zu den Universitäten und Fachhochschulen führen. Das heißt: Was heute die Ausnahme und für die jungen Menschen nur äußerst mühsam zu erreichen ist, nämlich eine akademische Ausbildung auch ohne klassische gymnasiale Abschlüsse, soll in Zukunft durch eine anders strukturierte Berufsausbildung sehr viel leichter möglich sein.

Lebenslanges Lernen ist heute ein viel benutztes Schlagwort, doch es fehlt bis heute der stabile verläßliche Rahmen. Die Zukunftskommission schlägt deshalb ein Recht auf Weiterbildung vor, und zwar in Form von Gutscheinen. Finanzierbar wäre es entweder über Weiterbildungsfonds wie in Frankreich oder auch über Steuerabzüge.

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Auch der öffentliche Dienst muß sich ändern

Eine Verbesserung der Innovationsfähigkeit ist ohne Veränderungen im öffentlichen Dienst nicht denkbar. Die Wissenschaftler benutzen zur Beschreibung des jetzigen Zustandes harsche Sätze: Das klassische Verwaltungsmodell hat seine Leistungsgrenzen inzwischen überschritten. Die Schwachstellen liegen in wenig ausgeprägter Erneuerungsfähigkeit, in mangelnder Professionalität und in der geringen Kundenorientierung.

Mit dem Ruf nach dem schlanken Staat aber ist es nicht getan, denn dieses Leitbild dient häufig nur als Alibi für Personalabbau und Leistungseinschränkungen. Es geht um Modernisierung öffentlicher Dienstleistungen, also um Managementkompetenzen, um Abbau von Hierarchien, um ein neues bereichsübergreifendes Denken, um eine nachhaltige, also umweltbewußte Ressourcensteuerung. Was die Kommission damit anspricht, ist Modernisierung als ständiger Prozeß.

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Ist mehr Beschäftigung für Niedrigqualifizierte möglich?

Wir haben einen vielfach gespaltenen Arbeitsmarkt. Etwas vereinfacht kann man von zwei Blöcken sprechen: Da ist einmal der Bereich der Wirtschaft, der dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Hier sind die Chancen für Arbeitnehmer mit niedriger Qualifikation in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Daran wird sich, so die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung, auch nichts ändern, im Gegenteil, die Arbeitschancen werden schlechter für jene, die auch heute schon die Verlierer der sogenannten Globalisierung sind.

Dann gibt es den großen Arbeitsmarkt, der gar nicht oder kaum dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Dazu zählen unter anderem Handel und Gastronomie, Bildungs- und Gesundheitswesen und sonstige Dienstleistungen. Hier ist das Beschäftigungsniveau in Deutschland im Vergleich zu anderen hochentwickelten Ländern außergewöhnlich niedrig.

Dafür gibt es verschiedene Ursachen: In den skandinavischen Ländern sind die öffentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen beispielsweise sehr viel stärker entwickelt als in Deutschland. Familienbezogene Dienstleistungen, etwa Kinderbetreuung, Hilfen für den Haushalt, Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger werden in erstaunlich hohem Maße in Deutschland immer noch von den Müttern, Ehefrauen und Töchtern des männlichen „Ernährers" kostenlos erbracht.

Zweiter Grund: In den USA und anderen Ländern werden einfache Arbeiten im privaten Sektor zu marktgerecht niedrigen Löhnen erbracht. Wegen der hohen Lohnnebenkosten in Deutschland und der staatlichen Garantie des Existenzminimums gibt es diese Arbeitsplätze in Deutschland kaum noch.

Das skandinavische Modell mit seinen öffentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen ist angesichts der Sparhaushalte heute indiskutabel. Ebenso indiskutabel aber (und politisch auch gar nicht durchsetzbar) ist das amerikanische Modell mit Löhnen unter dem Existenzminimum.

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Doch es gibt einen dritten Weg, der seit einiger Zeit auch intensiv diskutiert wird. Nicht die beste, aber die am einfachsten durchsetzbare und damit praktikable Lösung könnte für die Kommission so aussehen: Lohnsubventionierung im Niedriglohnbereich. Den größten Charme hat die Lösung, die von einer Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge ausgeht. Als Beispiel: Bei einem Stundenlohn von 10 DM würden die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge vollständig vom Finanzamt an die Sozialkassen überwiesen werden. Bei Stundenlöhnen im Bereich zwischen 10 und 18 DM würden Beträge in abnehmender Höhe überwiesen werden. So blieben Sozialrecht, Steuerrecht und Lohntarife unberührt. Die Arbeitskosten im Niedriglohnbereich ließen sich so deutlich verringern - ohne den Aufbau neuer Bürokratien -, daß neue Märkte für einfache Dienstleistungen entstehen könnten. Die Kommission rechnet mit zusätzlichen Arbeitsplätzen in beachtlicher Größenordnung.

Geschieht nichts, so die Warnung der Wissenschaftler, dann wird sich die Ausgrenzung von immer mehr Menschen aus dem Arbeitsleben fortsetzen, selbst bei stärkerem Wirtschaftswachstum. Ausgrenzung aus dem Arbeitsleben aber führt zu sozialer und politischer Ausgrenzung. Wörtlich heißt es dazu im Bericht:

„Wenn die erzielbaren marktgerechten Einkommen unter sozialen Gesichtspunkten unzureichend erscheinen, dann muß eine auf Integration gerichtete Verteilungspolitik diese Einkommen aufbessern, statt die betreffenden Arbeitsplätze zu vernichten".

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Die Familie wandelt sich - die sozialen Sicherungssysteme müssen folgen

Man mag den gesellschaftlichen Wandel beklagen oder begrüßen, doch eine stimmige Politik hat sich an den Realitäten zu orientieren. In keinem Lebensbereich hat es so dramatische Änderungen gegeben wie innerhalb der Familie. Wenn auch die meisten Menschen immer noch in einem festen Familienverband leben, verheiratet mit Kind oder Kindern, oder sich zumindest an diesem gesellschaftlichen Leitbild orientieren, so sind die Formen des gesellschaftlich akzeptierten Zusammenlebens in der Praxis doch so bunt wie noch nie. Die Zahl der Scheidungen steigt, es bilden sich neue Familien. Paare mit und ohne Kinder leben ohne Trauschein zusammen. Die Zahl der Ein-Eltern-Familien wächst. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden akzeptiert. Immer mehr Menschen entscheiden sich freiwillig für ein Single-Leben. Paare entscheiden sich für ein Leben ohne Kinder oder schieben die Realisierung des Kinderwunsches so lange hinaus, bis es zu spät ist. Vor allem gut ausgebildete Frauen entscheiden sich bewußt gegen Kinder, weil sie keine Möglichkeit sehen, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. In Fragen der Kinderbetreuung und der finanziellen Unterstützung für Familien ist Deutschland nach wie vor Entwicklungsland. Familienpolitik steht nicht auf der Prioritätenliste der männlich bestimmten Politik.

Daraus ergeben sich fast zwangsläufig eine Arbeitsmarktpolitik und eine Organisation der sozialen Sicherungssysteme, die die stille Revolution verschlafen haben. Wenn auch von der Realität längst überholt, herrscht in den Köpfen immer noch das Leitbild der 50er Jahre, und das sah etwa so aus:

Auf dem Arbeitsmarkt dominierte das Normalarbeitsverhältnis des männlichen Facharbeiters oder des qualifizierten Angestellten mit relativ kurzer Ausbildungszeit und

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sicherem Vollarbeitsplatz. Dieser männliche Vollerwerbstätige konnte sich dank starker Gewerkschaften, gesetzlicher Mitbestimmung, eines hochentwickelten Arbeitsrechts und einer Sozialversicherung, die ihn und seine Familie vor Lebensrisiken schützte, auf ein viel Sicherheit versprechendes Leben einrichten. Die Löhne und Gehälter waren „familiengerecht", das galt auch für Kranken- und Rentenversicherung. Arbeitslosigkeit war in jenen vergangenen Wirtschaftswunderzeiten kein Thema. Frauenerwerbstätigkeit spielte eine geringe Rolle, endete mit der Eheschließung oder spätestens mit dem ersten Kind. Selbst Frauen, die nicht ganz ausstiegen, arbeiteten „zu" oder „mit". Das von ihnen verdiente Geld half mit, besondere Wünsche zu erfüllen, war aber nicht überlebensnotwendig für die Familie. Ohne jede materielle Anerkennung leisteten Frauen die gesellschaftlich notwendige Arbeit, pflegten Familienangehörige, betreuten die Kinder, machten die Hausarbeit. Das Leitbild war die Familie als Wirtschafts- und Solidargemeinschaft mit streng getrennten Arbeitsbereichen. Bis in die 70er Jahre hinein funktionieren Normalehe und Normalarbeitsverhältnis für einen großen Teil der Bevölkerung.

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Gesellschaftlicher Umbruch und der Schock der Arbeitslosigkeit

Etwa Mitte der 70er Jahre, man zählte die erste Million Arbeitsloser, begannen die massiven gesellschaftspolitischen Veränderungen. Stabile Beschäftigung war keine Selbstverständlichkeit mehr, so wenig wie stabile Ehe und Familie. Das deutsche Sozialmodell aber wandelte sich nicht. Damit, so die Zukunftskommission, verlor das traditionelle Wohlfahrtsdreieck von Markt, Staat und Familie seine innere Stimmigkeit, Funktionsfähigkeit und Akzeptanz. Der Anteil der Männer, die in der Lage waren, als alleinverdienender Ernährer Verantwortung für ihre Familie zu übernehmen, sank. Gleichzeitig forderte eine gut ausgebildete, durch die Frauenbewegung wachgerüttelte junge Frauengeneration gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des Lebens. Da in einer durch berufliche, bezahlte Leistung geprägten Gesellschaft Anerkennung nur erhielt, wer selbst Geld verdiente, sich außerhalb der Familie verwirklichen konnte, wurden die Familienstrukturen brüchig. Trotz durchaus vorhandenem Wunsch nach Sicherheit, Bindung und Kindern begann damals eine Entwicklung, die bis heute anhält: Frauen (auch Männer) verzichteten auf Heirat und Familiengründung, die Kinderzahlen sanken, die Trennungen nahmen zu.

Existenzsichernde Berufstätigkeit blieb aber für viele Frauen ein unerreichbares Wunschziel, sobald sie Kinder hatten. Da bis heute in Deutschland der Kindernutzen sozialisiert wird, die Kinderlasten dagegen als Privatsache gesehen werden, blieb mangels Betreuungsmöglichkeiten das angestrebte Ziel Vollerwerbstätigkeit oder lange Teilzeit für Mütter unerreichbar. Trotz Doppel- und Dreifachbelastung sind Frauen bis heute nicht im gleichen Maße wie die Männer ökonomisch unabhängig. Die Entwicklung in der ehemaligen DDR war anders, Vollzeiterwerbstätigkeit für Männer und Frauen die gesellschaftliche Norm. Dennoch finden sich die Frauen in den neuen Ländern heute in einer ähnlichen Situation wie die Frauen in Westdeutschland: Die Massenarbeitslosigkeit betrifft sie weit stärker als die Männer.

Für die Zukunft zeichnet sich ab, daß weitere Änderungen anstehen. Die jüngere Frauengeneration drängt auf andere Aufgabenverteilungen, vor allem darauf, daß

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Erwerbsarbeit und Familienarbeit gerecht geteilt werden, eine Entwicklung, die Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und soziale Sicherungssysteme haben dürfte.

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Wie kann der Sozialstaat auf die Veränderungen reagieren?

Staatliche Sicherungssysteme, deren Struktur sich seit den 50er Jahren kaum verändert hat, stoßen also auf eine gänzlich neue Lebenswelt. Insgesamt brauchbare Lösungen sind nicht in Sicht, räumt die Zukunftskommission ein, die es deshalb dabei beläßt, Anforderungen an Sicherungssysteme zu benennen, die für die Zukunft tragfähig sein könnten.

Ausgehend von der Realität, die geprägt ist vom Wechsel zwischen Erwerbs- und Berufsarbeit, nichtselbständiger und selbständiger Arbeit, Vollzeit-, Teilzeitarbeit und Zeiten der Weiterbildung, unterbrochen vermutlich von Phasen der Arbeitslosigkeit, deuten die Wissenschaftler folgende Richtungen an:

Soziale Sicherungssysteme müssen künftig so strukturiert werden, daß sie die Aufnahme jeder Art von Erwerbsarbeit ermöglichen und erleichtern, anstatt sie zu erschweren oder zu verhindern. Dazu gehört, daß auch der Wechsel zwischen unterschiedlichen Arbeitsmodellen möglich sein muß, ohne daß die Menschen ihre Ansprüche auf Absicherung im Krisenfall verlieren.

Daraus folgt, daß die soziale Sicherung auf jeden Fall personenbezogen sein muß, einen stabilen Familienverband also nicht voraussetzen darf. Im Klartext heißt das: Jeder Erwachsene im erwerbsfähigen Alter muß Anspruch haben auf eigene Rente, nicht auf - um nur ein Beispiel zu nennen - abgeleitete Witwen- oder Witwerrente. Dennoch (und hier ist einer der von der Kommission eingeräumten Widersprüche) darf man den Bürgern nicht die Wahlmöglichkeiten für unterschiedliche Lebensmodelle nehmen. Es muß weiterhin möglich sein, in einem traditionellen Familienverband zu leben. Der Partner, der auf volle Berufstätigkeit verzichtet, darf bei der sozialen Sicherung nicht benachteiligt werden.

Diese unterschiedlichen Anforderungen führen fast zwangsläufig zu der Forderung, nicht nur das Arbeitsaufkommen aus abhängiger Beschäftigung, sondern sämtliche Einkommensarten seien für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme heranzuziehen.

Damit nicht die Einkommens-Schwächeren bei einem solchen weitgehend individualisierten Sicherungssystem auf der Strecke bleiben, müßte das System ergänzt werden durch eine kollektiv finanzierte Grundsicherung für den Fall gescheiterter Lebensplanungen oder anderer Formen der Einkommensarmut. Damit wäre das „Bürgergeld" im Spiel, das ein hochbürokratisches, für den einzelnen schwer durchschaubares Nebeneinander von Sozialhilfe, Rente, Krankengeld, Hinterbliebenenversorgung usw. ersetzen könnte. Hinter diesen Überlegungen steckt der Grundgedanke, daß soziale Sicherungssysteme sich verändern müssen, wenn die Gesellschaft sich verändert. Da die Lebenswelt der Bürger sich immer stärker individualisiert, müssen soziale Netze reißen, die von einem Idealbild von gestern ausgehen, nämlich dem 45 Jahre lang Beiträge zahlenden männlichen Ernährer, der während

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dieser 45 Jahre familiengerechte Löhne oder Gehälter verdient. Er gehört zu einer aussterbenden Gattung.

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Umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftsweise


Alle können Gewinner sein

Diskutieren Fachleute darüber, warum das von allen als notwendig erkannte Umsteuern in der Umweltpolitik so schwer durchsetzbar ist, dann kommt immer wieder das Argument: Niemand ist freiwillig zu Verhaltensänderungen bereit, die lästig sind, Geld kosten und deren Nutzen nicht sofort zu sehen ist. Das mag einer der Gründe dafür sein, daß Korrekturen in allen Industrieländern so hasenherzig wirken. Zwar besteht Konsens darüber, daß wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand der Gesellschaft nicht weiterhin durch immer höheren Verbrauch an Material, Energie und Natur erzielt werden dürfen, doch schon bei den Debatten um bescheidene Benzinpreis-Erhöhungen gewinnen in der Regel Einzel- oder Gruppenegoismen. Nur selten wird das Thema „umweltverträgliches Leben und Wirtschaften" als Gewinn für die Gesellschaft und jeden einzelnen Bürger gesehen.

Vorsorgender Umweltschutz ist aber auch ökonomisch interessant. Deutsche Unternehmen haben sich neue Märkte erschlossen durch das Angebot emissionsarmer, umweltfreundlicher Produkte, Technologien und Verfahren. Schonender Umgang mit Ressourcen und eine hohe Qualität der Nutzung bringen Spezialisierungsvorteile im internationalen Wettbewerb, damit Geld in die Kassen und beachtliche positive Beschäftigungseffekte. Obwohl diese Vorteile auf der Hand liegen, geschieht zu wenig zu zaghaft und zu langsam. Die Kommission macht Vorschläge, die ökonomisch sinnvoll sind, für zusätzliche qualifizierte Beschäftigung sorgen, das Leben gesünder und damit angenehmer machen. Weiterhin wird der Versuch unternommen, Globalisierung nicht nur ökonomisch zu buchstabieren, sondern internationale politische, wirtschaftliche und rechtliche Institutionen in den Dienst der Umwelt zu stellen.

Die Kommission macht sich stark für eine ökologische Steuerreform. Für unumgänglich hält sie die - in ersten kleinen Ansätzen begonnene - Verteuerung der Umweltnutzung bei zeitgleicher Verbilligung der Arbeit. Unter dem Strich sollte diese Reform des Steuer- und Abgabenrechts aufkommensneutral sein. Das heißt, der einzelne, der sich umweltgerecht verhält, darf keine weiteren Belastungen erwarten müssen.

Weiter fordert die Kommission die Einrichtung von Schadensfonds und damit eine Verbesserung der Haftung für Umweltschäden.

Unter der Überschrift „Nutzung statt Kauf" lassen sich ökonomische, ökologische und soziale Zielsetzungen ebenfalls besser als heute miteinander vereinbaren. Steigt der Zwang zur Rücknahme von Produkten, werden die Unternehmen eher nach Möglichkeiten suchen, die Nutzungsdauer zu erhöhen. Recyclinggerechte Konstruktion, Wiederinstandsetzung und Modernisierung könnten in Zukunft wichtige Einnahmequellen werden. Dadurch entstehen zusätzliche Arbeitsplätze und die längere Nutzungsdauer schont die Portemonnaies der Verbraucher.

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Dies alles aber wird nicht ausreichen, um eine nachhaltige umweltgerechte Entwicklung zu sichern. Der Lebensstil der Bevölkerung muß sich ändern. Auch dies kann durchaus einhergehen mit zusätzlicher Lebensqualität, etwa beim Bauen, im Verkehr, bei der Ernährung. Beispielsweise wäre eine Senkung des Fleischanteils zugunsten vegetarischer Ernährung nicht nur ein effektiver Beitrag zur Schonung der Umwelt, sondern dazu noch gesünder. Die Zukunftskommission schreibt:

„Besonders dort, wo es fest eingerastete Gewohnheitsmuster gibt, wie beim Verkehrsverhalten, beim Essen oder bei der Nutzung von Alltagsgeräten, ist es wichtig, die umweltfreundlichere Verhaltensoption technisch, organisatorisch und logistisch zu begünstigen".

Ganz praktisch könnte das bedeuten: Es muß bequemer und angenehmer werden, mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Den Autofahrern darf nur das Leben schwer machen, wer akzeptable Alternativen bietet. Oder: Es muß teurer werden, Fleisch aus Massentierhaltung zu kaufen. Gleichzeitig müßte es einfacher sein (und bezahlbarer), an Obst, Gemüse, Salat etc. aus biologischem Anbau heranzukommen. Es muß gut organisierte Reparatur- und Modernisierungsdienste geben, so daß der immer mehr Bürger ärgernde Satz, diesen Computer oder jenen Staubsauger doch lieber gleich wegzuwerfen, in Zukunft seltener zu hören sein wird.

Interessant sind auch die Zukunftsmodelle, die über die Landesgrenzen hinausgehen. Wenn ein Staat beispielsweise Verpflichtungen zur Emissionsminderung eingegangen ist, muß es möglich sein, dieser Pflicht auch außerhalb des eigenen Landes nachzukommen, also eine Emissionsminderung dort vorzunehmen, wo sie möglichst kosteneffizient und ökologisch effektiv ist.

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Drei Ziele - ein Weg zum neuen „Modell Deutschland"

Zu Beginn ihrer Studie hat die Zukunftskommission dargestellt, warum das nun aus den Fugen geratene „Modell Deutschland" einst so erfolgreich sein konnte. Das Kräfteverhältnis war soweit ausgewogen, daß auch Gruppen mit gegensätzlichen Interessen das Gefühl hatten, der Kuchen werde relativ gerecht verteilt. Zu dieser Stabilität trug ein sich ständig ausdehnender Sozialstaat bei, der den Bürgern Schutz garantierte. Sicherheit, wenn vermutlich auch Enge, vermittelte ebenfalls das private Leben mit seiner genau definierten Rollenverteilung bzw. Rollentrennung. Die wirtschaftliche Entwicklung des nach dem Zweiten Weltkrieg total zerstörten Landes wäre ohne Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie so reibungslos kaum möglich gewesen. Von der ausdrücklich als sozial definierten Marktwirtschaft profitierten die Schwächeren, das soziale Netz konnte dank scheinbar ewiger Wachstumsraten immer dichter geknüpft werden. Familien profitierten von den steigenden Löhnen, von Arbeitszeitverkürzungen, von der angesichts voller Kassen möglich gewordenen Bildungsoffensive. Trotz auch damals gegensätzlicher Ziele (Gewinnstreben der Unternehmen, Lohnzuwächse für die Arbeitnehmer, steigende Steuern für einen Staat, der immer mehr Aufgaben übernahm), gelang es über Jahrzehnte, die unterschiedlichen Ziele doch auf einem gemeinsamen Wege zu verfolgen, und damit eine von der Gesellschaft akzeptierte Balance zu halten.

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Aufgabe der Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung war es nun, Reformvorschläge zu entwickeln für ein krisenfestes Modell Deutschland. Erhard Eppler hat dies schon Ende der 70er Jahre am Beispiel Umweltschutz „wertkonservativ" genannt und damit gemeint: Wer Schützenswertes bewahren möchte, damals Natur und natürliche Ressourcen, müsse den Mut zu Veränderungen haben. Darum ging es der Zukunftskommission: Veränderungen aufzuzeigen, mit deren Hilfe eine soziale, ökologisch orientierte Marktwirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten wettbewerbsfähig bleibt, ohne große Gruppen wie Frauen, Jugendliche, wenig qualifizierte Arbeitnehmer auszugrenzen. Dieses neue „Modell Deutschland", robust, weil in sich stimmig, wird nicht auf Kosten der Umwelt, sondern durch den schonenden Umgang mit Ressourcen Wohlstandsgewinne erzielen. Gelingt der Versuch, wird der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft seinen Schrecken verlieren und im Gefolge auch der heute vor allem angstbesetzte schillernde Begriff von der Globalisierung.


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