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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 3]

1. Die Entwicklung der Arbeitszeit im Überblick

Die Arbeitszeit ist seit jeher ein zentrales Konfliktfeld der Arbeitsbeziehungen. Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit sind kein neues Gegenwartsphänomen, sondern begleiteten die gesamte Geschichte der Industriegesellschaft.

Von der Durchsetzung des 8-Stunden-Tages bis hin zur Einführung der 40-Stunden-Woche bildete hierbei die Dauer der Arbeitszeit den Schwerpunkt des Konflikts um die Arbeitszeit. Fragen der Arbeitszeitverteilung hatten kaum Gewicht. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden erfolgte im wesentlichen nicht über eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, sondern über eine Verringerung der Zahl der Arbeitstage pro Woche, bis die 5-Tage-Woche, für die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer verbunden mit einem arbeitsfreien Wochenende, zum Standard wurde. Die Umsetzung der 5-Tage-Woche verlief weitgehend konfliktfrei. Fragen der konkreten Arbeitszeitverteilung, von Feinstrukturen der Arbeitszeit und der Auslastung der Betriebsmittel standen im Hintergrund. Wenn derartige Probleme angesprochen wurden, dann hauptsächlich in Form von Schichtarbeit - die erheblich ausgeweitet wurde - und Überstunden, seit Mitte der 60er Jahre auch als Teil- und Gleitzeitarbeit. Arbeitszeitregelungen standen im Verlauf der Durchsetzung der 40-Stunden-Woche und ihrer betrieblichen Umsetzung als Verteilungsfragen gleichfalls nicht im Zentrum des Streits. Die Arbeitsproduktivität stieg im Zeitraum von 1960 bis 1975 deutlich, zugleich konnte ein Großteil der Kosten - auch auf den Exportmärkten - auf die Preise abgewälzt werden.

Die Beschäftigungseffekte von Arbeitszeitverkürzungen wurden von gewerkschaftlicher Seite durchaus betont, dominierten jedoch bis zur Einführung der 40-Stunden-Woche nicht in der Begründung von Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen. Humanitäre und soziale Aspekte bildeten das Leitmotiv. Die Arbeitgeberseite hat positive Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzungen auf den Arbeitsmarkt in Form einer gesteigerten Nachfrage nach Arbeitskräften weitgehend bezweifelt. Arbeitsmarkteffekte werden in den jeweils zeitgenössischen Arbeitgeberstellungnahmen nur

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dann angesprochen, wenn diese in Form von Arbeitskräftemangel nachteilig zu bewerten sind.

Zu einem Großkonflikt um die Arbeitszeit kam es 1984 während der Tarifrunde in der Metall- und Druckindustrie. Der ganz wesentlich beschäftigungspolitisch begründeten gewerkschaftlichen Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche stand die strikte Ablehnung kollektiver und tariflicher Arbeitszeitverkürzung durch die Arbeitgeber gegenüber. Als Alternative setzte die Arbeitgeberseite auf Teilzeitarbeit als eine zwischen Unternehmen und Beschäftigten individuell ausgehandelte Herabsetzung der Arbeitszeit - bei korrespondierender Einkommensminderung. So legte Gesamtmetall 1983 wohl erstmals in der Verbandsgeschichte bereits vor Beginn der eigentlichen Verhandlungsrunde ein Tarifangebot vor, das neben Lohnerhöhungen, mehr Teilzeitarbeitsplätzen und einer Vorruhestandsregelung auch die Forderung nach einer flexibleren Arbeitszeitorganisation enthielt. Arbeitszeit solle differenziert und flexibel in Abhängigkeit vom jeweiligen Bedarf an Arbeitskapazität eingesetzt werden können. Nachfrageschwankungen, Deckungsungleichgewichte zwischen Arbeitszeit und Betriebszeit, eine verbesserte Auslastung maschineller Kapazitäten verlangten eine flexiblere Handhabung der Arbeitszeit.

Als Ergebnis des Tarifkonflikts in der Metallindustrie stand auf der einen Seite mit der 38,5-Stunden-Woche die kollektive Wochenarbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Auf der anderen Seite standen Komponenten einer Flexibilisierung der Arbeitszeit, nämlich

  • die Arbeitszeitdifferenzierung, nach der die 38,5-Stunden-Woche nicht für jeden Betriebsangehörigen, sondern nur im Betriebsdurchschnitt erreicht werden muß, wobei die individuelle Arbeitszeit zwischen 37 und 40 Stunden schwanken konnte, und
  • ein Ausgleichszeitraum von zwei Monaten, in dem die individuelle tarifvertragliche Arbeitszeit im Durchschnitt erreicht werden mußte.

Eine Besonderheit des Tarifvertrages war, daß keine flexiblen Arbeitszeiten in Tarifvorschriften gefaßt wurden, sondern der Tarifvertrag als solcher flexibel angelegt war und die Aushandlung von flexiblen Arbeits

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zeitregelungen durch die betrieblichen Verhandlungsparteien freigab. Damit wurde sowohl Kompetenz, als auch Konfliktpotential auf die betriebliche Ebene verlagert.

Dieser Tarifvertrag trug im mehrfacher Hinsicht innovative Züge und hatte eine Pilotfunktion. Die 40-Stunden-Woche wurde erstmals auf breiter Front durchbrochen und als langjähriger Arbeitszeitstandard abgelöst. In der Folgezeit wurden in zahlreichen Tarifbereichen Arbeitszeiten unterhalb dieser Marke vereinbart. Im Gegenzug fanden in nahezu alle diese Tarifverträge Regeln zur Flexibilisierung der Arbeitszeit Eingang. Der Einbau von Elementen der Arbeitszeitflexibilisierung wurde geradezu zur unabdingbaren Grundbedingung der Arbeitgeberverbände für die Einwilligung in Arbeitszeitverkürzungen.

In den nachfolgenden Jahren gewann die Gestaltung und Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Tarifpolitik und auf der betrieblichen Ebene zunehmend an Gewicht. Je kürzer die individuellen Arbeitszeiten sind, desto dringlicher wird zwangsläufig die Frage einer optimalen Maschinennutzungszeit. Soll die Rentabilität des Kapitaleinsatzes, vermittelt über die zeitliche Nutzung der Produktionsanlagen, nicht negativ beeinträchtigt werden, muß bei einer kürzer werdenden Arbeitszeit der Beschäftigten diese von der Betriebszeit der Anlagen (weiter) abgekoppelt werden. Darüber hinaus erfordern Liefersicherheit und Lieferbereitschaft eine betriebsspezifische Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit in der Arbeitszeitgestaltung.

Die Arbeitzeitverkürzungen haben Bestrebungen der Unternehmen ausgelöst, ihre bisherige Betriebszeitorganisation zu überprüfen und Strategien zu einer flexibleren und ausgedehnteren Nutzung ihrer Produktionskapazitäten zu entwickeln. Hierzu zählen nicht nur flexible Systeme der Arbeitszeitverteilung, sondern auch neue Schichtarbeitsmodelle, die den Samstag einschließen.

Das Instrumentarium für eine differenzierte und flexible Arbeitszeitgestaltung bedarf eines tariflichen Rahmens. So wurden schon 1988 in der Textilindustrie tarifvertragliche Grundlagen für die Verlängerung der Betriebsmittelnutzungszeiten unter Einschluß des Samstags geschaffen.

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GRAFIK:
Beschäftigte nach der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit


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GRAFIK:
Tarifliche Wochenarbeitszeit 1994 nach ausgewählten Wirtschaftszweigen


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Vier-Schicht-Arbeit in optimierten Schichtsystemen kann aufgrund freiwilliger Betriebsvereinbarungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat eingeführt werden.

In der Tarifrunde 1987 in der Metallindustrie wurde Samstagsarbeit zu einem Reizthema, über das mit unerwarteter Heftigkeit gestritten wurde. Die von den Metallarbeitgebern vorgelegten Flexibilisierungsvorschläge zielten eindeutig auf eine Betriebszeitverlängerung unter Einschluß des Wochenendes. Die IG Metall hielt hingegen strikt am arbeitsfreien Samstag fest. Samstagsarbeit wurde letztendlich in dieser Tarifrunde nicht neu geregelt, sondern die getroffenen Vereinbarungen knüpften an den jeweiligen regionalen Regelungsbestand an, der die Tarifverträge für Samstagsarbeit unterschiedlich weit öffnet. In dieser Tarifrunde stand als Ergebnis die Verkürzung der Wochenarbeitszeit in zwei Stufen auf 37 Stunden, die Verlängerung des Ausgleichszeitraums auf 6 Monate und die Beibehaltung der Arbeitszeitdifferenzierung.

Mit den Tarifabschlüssen des Jahres 1990 in der Metall-, Druck- und Stahlindustrie war eine Epoche tariflicher Arbeitszeitpolitik zumindest in diesen Tarifbereichen zunächst abgeschlossen. In der Eisen- und Stahl- sowie der Druckindustrie wurde die Einführung der 35-Stunden-Woche in einem Schritt zum 1.4.1995 vereinbart. In der Metallindustrie einigten sich die Tarifparteien auf eine Stufenlösung, nach der die 36-Stunden-Woche zum 1. April 1993 und die 35-Stunden-Woche zum 1.Oktober 1995 in Kraft tritt. Die alte Differenzierungsregel für die Arbeitszeit wurde durch eine neue Flexibilisierungsmöglichkeit abgelöst. Hiernach können die Unternehmen mit bis zu 13% bzw. 18% (regional unterschiedlich;

Kriterium ist, ob AT-Beschäftigte erfaßt sind ) der Beschäftigten individuell und freiwillig eine längere Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden vereinbaren. Bei der Abgeltung dieser längeren Arbeitszeiten haben die Arbeitnehmer die Wahl zwischen einer entsprechend höheren Bezahlung und einem Freizeitausgleich innerhalb von zwei Jahren.

In den anderen Tarifbereichen hat sich der Prozeß der tarifvertraglichen Arbeitszeitverkürzung deutlich verlangsamt. Seit 1991 sind in 22 Wirtschaftsbereichen die Wochenarbeitszeiten unverändert fortgeschrieben worden, obwohl es Kündigungsmöglichkeiten gab. Seit 1992 hat es nur

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vereinzelt in kleineren Tarifbereichen wie der Säge- und Spanplattenindustrie neue Stufenverträge zur Einführung der 35-Stunden-Woche gegeben. Die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit betrug 1990 in Westdeutschland 38,27 Stunden. Zum 31.12.1990 betrug die durchschnittliche vereinbarte Wochenarbeitszeit (unabhängig vom Datum des Inkrafttretens der vereinbarten Arbeitszeit) 37,7 Stunden. Zum Stichtag 30.6.1995 lag die vereinbarte tarifliche Arbeitszeit immer noch bei 37,4 Stunden, die tatsächlich in Kraft befindliche betrug noch 37,7 Stunden. In den neuen Bundesländern bildet die 40-Stunden-Woche den geltenden tariflichen Arbeitszeitstandard, in einer Reihe von Tarifbereichen sind jedoch schon Tarifverträge vereinbart, die in Stufen die Arbeitszeit deutlich unter diese Marke verkürzen.

Ungeachtet der oben genannten Zahlen, die auf eine Stagnation in der Arbeitszeitentwicklung hinweisen, sind in den Tarifabschlüssen seit 1993 zahlreiche arbeitszeitbezogene Regelungen enthalten. Diese wirken sich allerdings statistisch nicht aus, insofern z. B. Freischichtenregelungen nicht in die Kennziffer eingehen. Ein wesentliches Merkmal ist, daß eine Reihe von Tarifverträgen der betrieblichen Ebene die Option eröffnen, die individuelle regelmäßige Arbeitszeit deutlich zu verkürzen (teilweise auch zu verlängern), ohne daß sich die tarifliche Arbeitszeit ändert. Diese tariflichen Regelungen zielen auf eine Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitpolitik und setzen neue Akzente in der langjährigen Arbeitszeitdebatte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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