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[Seite der Druckausgabe: 35 / Fortsetzung]

4. Verbände und Vereine als wichtige Stütze der touristischen Entwicklung

4.1 Touristische Verbands- und Vereinsbildungen, Organisationen

Der Fremdenverkehr war vor der Wende in der ehemaligen DDR in drei Bereiche untergliedert:

  • Feriendienst der Gewerkschaften, Betriebsferiendienst
  • Reisebüro der DDR
  • Jugendtourist.

Der Fremdenverkehr jener Zeit läßt sich mit dem jetzigen Tourismus überhaupt nicht mehr vergleichen. So verbuchten Ferienhotels und Ferienheime ehemals generell mehr als 100 % Auslastung. Marketing und Werbung gab es nicht. Ferienhäuser brauchten nicht zu investieren und sich um den Standard bzw. Zustand ihrer Einrichtungen zu kümmern, da Konkurrenz im heutigen Sinne ebenfalls unbekannt war. Auf kommunaler Ebene existierten städtische Informationseinrichtungen, in den Ausflugsorten gab es meist recht aktive Kurverwaltungen, die sich im wesentlichen um die kulturelle Betreuung der Gäste kümmerten. Fremdenverkehrsverbände und -vereine gab es vor der Wende ebenfalls nicht, sondern entwickelten sich erst nach 1989, als nach dem Zusammenbruch des Fremdenverkehrs der DDR völlig neue Strukturen aufgebaut werden mußten. So entstanden 1990 die ersten Fremdenverkehrsvereine - zumeist auf örtlicher, teilweise aber auch schon auf überörtlicher Ebene.

Im Freistaat Thüringen etablierte sich im Februar 1990 eine Arbeitsgruppe zur Bildung eines Landesfremdenverkehrsverbandes für Thüringen, der dann am 7. Juli 1990 (noch bevor das Land Thüringen existierte!) gegründet wurde. Dieser Verband war der erste Ansprechpartner für Fremdenverkehr auf Landesebene. Die drei Thüringer Bezirke wurden jedoch auch von verschiedenen Ländern beraten, in denen jeweils unterschiedliche Fremdenverkehrsstrukturen existierten: Der Fremdenverkehrs- und

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Heilbäderverband Rheinland-Pfalz arbeitet ohne regionale Fremdenverkehrsverbände, und beriet u.a. die Bezirke Erfurt und Gera; der Bezirk Suhl wurde von Bayern beraten. In Bayern gibt es neben dem Landesfremdenverkehrsverband starke regionale Fremdenverkehrsverbände, wobei Südthüringen dieses Modell übernahm. So kam es im September 1990 zur Gründung des ersten regionalen Fremdenverkehrsverbandes Thüringer Wald, der 1991 auch Mitglied im Thüringer Landesfremdenverkehrsverband wurde. Als Aufgabe des Verbandes wurde die landesweite Entwicklung regionaler Strukturen definiert. In der Folge wurden mit Unterstützung des Landesfremden-verkehrsverbandes und des Thüringer Wirtschaftsministeriums in Thüringen weitere regionale Verbände gegründet, so im Jahre 1992 die regionalen Fremdenverkehrsverbände Ostthüringen, Thüringer Kernland, Saaleland und Nordthüringen, die vom Wirtschaftsministerium unterschiedlich mit bis zu 100 % gefördert werden. Trotz aller Schwierigkeiten hat sich die regionale Struktur in Thüringen nach Ansicht der Verbände aber grundsätzlich bewährt, vor allem weil sie die direkten Kontakte zwischen Verbänden und Leistungsträgern gewährleisten.

In der Anfangsphase des Landesverbandes waren viele Landkreise, Städte, Erholungsorte und einzelne Leistungsträger (Hotels) direkte Mitglieder;

heutzutage bildet der Verband satzungsgemäß die Dachorganisation. Mitglieder sind die regionalen Fremdenverkehrsverbände, die touristischen Branchenverbände, der Verein Städtetourismus in Thüringen, die IHKs und überregional bedeutende touristische Städte (Weimar und Erfurt). Neben der Entstehung regionaler Fremdenverkehrsstrukturen erfolgte aber auch die Bildung vieler Fremdenverkehrsvereine auf Gemeinde- bzw. Stadt- und Kreisebene. In diesen Vereinen sind inzwischen die meisten touristischen Leistungsträger organisiert; daneben gibt es Fremdenverkehrsämter und auch Kurverwaltungen. Die Strukturen auf der unteren Ebene sind sehr unterschiedlich: Es gibt Städte, in denen Fremdenverkehrsämter und -vereine nebeneinander existieren und gut miteinander kooperieren, in anderen Städten besteht dagegen große Konkurrenz zwischen Amt und Verein. Als Ursache für diese Situation wird u.a. fehlende oder unklare Aufgabentrennung gesehen. Die Fremdenverkehrsvereine arbeiteten - und arbeiten - meist mit ABM-Kräften oder sogar auf ehrenamtlicher Basis mit sehr viel Engagement, die Fremdenverkehrsämter unterliegen den üblichen Verwaltungsstrukturen. Es entstanden daher sehr oft große Interessenkonflikte zwischen Fremdenverkehrsvereinen und -ämtern, die nur schwer auszuräumen waren

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und sind. Die Fremdenverkehrsämter sollten sich demnach weniger als Verwalter und mehr als Verkäufer und Veranstalter sehen, was jedoch schwerlich mit Verwaltungsvorschriften der öffentlichen Hand in Einklang zu bringen ist.

Die Fremdenverkehrsverbände sind wiederum in Gebietsausschüsse untergliedert: So bilden z.B. in Nordthüringen drei Gebietsverbände einen Regionalverband, wobei sich durchaus Gebietsausschüsse bildeten, die über die Kreisgrenzen hinausgehen. Neben den Fremdenverkehrsvereinen und -verbänden gibt es noch eine Vielzahl von Branchenverbänden, die in die touristische Struktur miteingebunden werden. In Thüringen sind dies u.a. der Heilbäderverband, der Jugendherbergsverband, die Arbeitsgemeinschaft Urlaub auf dem Lande, der Verband der Campingplatzbetreiber, der Hotel- und Gaststättenverband.

Aufgabe des Landesfremdenverkehrsverbandes ist es, Imagewerbung für das Land Thüringen zu betreiben und die touristischen Produkte innerhalb Deutschlands und auch im Ausland bekannt zu machen. Die Regionalverbände sind neben der Vermarktung der regionalen Angebote auch damit beauftragt, ihre Mitgliedsorte bei der Entwicklung touristischer Produkte fachlich zu unterstützen.

Nachdem die ersten Jahre der Entwicklung des Marketings in Thüringen vor allem durch die Zusammenfassung des vorhandenen Angebotes in Imagekatalogen geprägt waren, zeigt sich jetzt immer deutlicher, daß eine spezifische Zielgruppenansprache mit der Werbung für konkrete Produkte effizienter ist. Auch der ausländische Markt wird zunehmend interessanter, da die hierfür notwendigen Beherbergungskapazitäten in den letzten 3 Jahren in ausreichender Menge und Qualität geschaffen wurden. Zur Unterstützung der Vermarktung der touristischen Angebote ist der Thüringer Landesfremdenverkehrsverband seit dem letzten Jahr dabei, ein landesweit flächendeckendes Informations- und Reservierungssystem einzuführen. Das Modell ähnelt dem in Sachsen-Anhalt.

Die Beherbergungsstatistik weist aus, daß zwar die Anzahl der Gäste und Übernachtungen ständig steigt, sich aber auch im gleichen Verhältnis die Beherbergungskapazitäten erhöht haben.

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Der Auslastungsgrad der Betten, der 1994 bei 35,8% lag, sowie die durchschnittliche Verweildauer von 3 Tagen hat sich im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig erhöht. Eine Erhöhung eben dieser Auslastung bildet neben der Qualitätssteigerung jedoch die Basis zu einer langfristigen Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit der Betriebe. Diese Zielstellung kann nur erreicht werden, wenn das Gästeaufkommen und damit die Übernachtungszahlen weiter steigen, sich der Qualitätsstandard deutlich verbessert, die Förderung von Betriebsneueinrichtungen in einer regional abgestimmten Balance mit dem Ausbau der Infrastruktur steht. Die Qualitätsverbesserung sollte also in Zukunft auf alle Fälle vor der Quantitätserweiterung stehen. Ferner muß die Förderung der touristischen Infrastruktur Vorrang haben vor der gewerblichen Förderung. Das Fehlen von touristischer Infrastruktur bzw. die unzureichende Qualität in nahezu allen Fremdenverkehrsorten ist das Hauptproblem. Betrachtet man die Förderstatistik wird die große Diskrepanz zwischen den gewerblichen Zuschüssen und den Infrastrukturförderungen nur zu deutlich. Im gewerblichen Bereich wurden von 1991 bis Sept. 1994 339,8 Mio. DM. Zuschüsse gewährt bei einem förderfähigen Investitionsvolumen von 1,48 Mrd. DM. Für Infrastrukturentwicklung wurden 130, 6 Mio. DM Zuschuß gewährt bei einem förderfähigen Investitionsvolumen von 215 Mio. DM. Das gegenwärtige Verhältnis zwischen Infrastrukturförderung und gewerblicher Förderung muß sich also ändern. Eine Förderung der Infrastruktur ist nur dann gesichert, wenn die Kommunen in der Lage sind, ihre eigenen Anteile zu finanzieren. Dies ist in zahlreichen Fällen nicht der Fall. Diese Tatsache ist Ausdruck dafür, daß der Fremdenverkehr noch immer keine Pflichtaufgabe, sondern eine freiwillige Leistung der Gemeinden darstellt. Bei der Verbesserung der Infrastruktur sind vorrangig die Gemeinden zu fördern, die auch eine kurz- und mittelfristige Perspektive im Fremdenverkehr haben. Dies sind insbesondere ausgewählte Kurorte, Orte in traditionellen Fremdenverkehrsgebieten laut Landesentwicklungsprogramm und auch den regionalen Raumordnungsplänen, Modellorte und Orte an touristischen Straßen.

Der Thüringer Landesfremdenverkehrsverband vertritt die thüringischen Interessen auch auf Bundesebene und ist Mitglied im Deutschen Fremdenverkehrsverband, wie alle anderen Landesfremdenverkehrsverbände in Deutschland auch. Im Bereich des Auslandmarketing arbeitet der Thüringer Landesfremdenverkehrsverband sehr eng mit der Deutschen Zentrale für Tourismus zusammen. - Neben dem Landesfremdenverkehrsverband führt in

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Thüringen auch das Wirtschaftsministerium Marketingmaßnahmen durch.

Viele Fremdenverkehrsvereine und -verbände treten noch nicht als Veranstalter auf: dieser Bereich wird durch kommerzielle bzw. privatwirtschaftliche Unternehmen abgedeckt. Allerdings garantieren die Verbände die direkte Einbindung aller touristischen Anbieter. Das sind nicht nur die Hotels und die Gaststätten, sondern u. a. auch Incoming-Reisebüros, aber vor allem auch der Groß- und Einzelhandel und ein großer Teil der Dienstleistungsunternehmen. Da diese Bereiche bislang kaum in die Fremdenverkehrsverbände integriert sind, gibt es hier noch erhebliche Kooperations- und Organisationsprobleme.

Nach Auffassung des Landesfremdenverkehrsverbandes herrscht generell die Auffassung vor, Thüringen auf den großen Tourismusmärkten "unter einem Dach" zu präsentieren. Schwierig wird dies allerdings durch eine Flut von teilweise durchaus gut gelungenen Prospekten und Werbematerialien, in die die Gemeinden erhebliche Mittel investiert haben. Allerdings beziehen sich diese Prospekte in der Regel auch nur auf die jeweilige Gemeinde, was einem gemeinsamen Auftreten und Marketing hinderlich ist. Bei gemeinsamer Vermarktung können dagegen die Verteilung wesentlich effektiver gestaltet und vor allem auch die Auflagen erhöht werden. - Nachholbedarf sieht der Landesfremdenverkehrsverband Thüringen vor allem in der Angebotsgestaltung. Die Imagewerbung muß demnach in Zukunft detailliert mit der Angebotswerbung verbunden werden und die Angebote besser an den Bedürfnissen des Gastes ausgerichtet werden.

Als ein weiteres Beispiel für die derzeitigen Organisationsstrukturen im Tourismus der neuen Bundesländer soll hier der Tourismusverband Sachsen-Anhalt dienen, der am 31.05.1990 als Landesfremdenverkehrsverband gegründet und mittlerweile in Landestourismusverband umbenannt wurde. Es gibt in Sachsen-Anhalt ca. 150 "tourismusrelevante" Orte, fünf Regionen und Regionalverbände (projektbezogene Förderung) sowie einen Tourismusverband (institutionell gefördert) als gemeinsame Dachorganisation.

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Mitglieder sind z.B. die Fachschule Wernigerode, DEHOGA, DJH, ADAC, die IHK's und der Bäder- und Kurorteverband. Der Verband ist in verschiedene Gremien unterteilt, nämlich in Vorstand, geschäftsführenden Vorstand, Marketingausschuß, Geschäftsführerkonferenz, Umweltausschuß. Das Budget des Tourismusverbandes belief sich im Jahre 1995 auf ca. 1,3 Mio. DM. Die Aufgaben des Verbandes sind nach innen die Interessenvertretung und Bündelung aller touristisch relevanten Kräfte, nach außen die Imagewerbung (Sachsen-Anhalt - Ein Land macht Geschichte, Straße der Romanik mit Jahresthemen wie Luther's Land, Land der Reformation), die Bewerbung der Zielgruppen Kultur- und Bildungsreisende, Familien, Senioren, Urlaubs-, Gesundheits-, Aktivurlauber, die Angebotsentwicklung (z.B. Radwandern, Sporturlaub, Reiterferien) sowie die Produktentwicklung (Sportanlagen, Bäder, Radwege). - Die genannten Probleme ähneln denen in den anderen neuen Bundesländern: Zum einen verhindert ein starker Personalfluß die notwendige Persistenz, oft ist mangelnde oder gar fehlende Kreativität das größte Problem. Das Schlagwort vom "Verwalten statt Gestalten" wird auch hier immer wieder angeführt, ebenso der Widerspruch, der zwischen dem Einfluß von Kommunalpolitik und Verwaltung auf der einen und einer kommerziellen Orientierung auf der anderen Seite besteht.

Die Organisation des Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern gliedert sich dagegen folgendermaßen: Der Landesfremdenverkehrsverband mit Geschäftsstelle in Rostock besteht aus 30 Mitgliedern, die sich aus Kommunen und regionalen Verbänden zusammensetzen. Zum Verband gehören auch 15 Unternehmen, die landesweit von Bedeutung sind. Es gibt eine eigene GmbH, zu deren Aufgabenbereich ein touristisches Buchungs- und Reservierungssystem gehört, sie ist ein eigener Reiseveranstalter. Die Geschäftsstelle erfährt eine Projektförderung per anno von 1,8 Mio. DM und 600.000 DM institutionelle Förderung, was in etwa dem Durchschnitt in den neuen Bundesländern entspricht. - Es gibt 8 Regionalstrukturen, die durch das Land Mecklenburg-Vorpommern mit nur einem geringen Sockelbetrag gefördert werden. Es gibt keine institutionelle Förderung. Diese Mittel müssen die Kreise, die Unternehmen, die Mitglieder selbst aufbringen.

Ein Verein ganz anderer Art, der auf den ersten Blick gar nichts mit Tourismus zu tun hat, wurde in Ostbrandenburg gegründet.

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4.2 Der Regionalverein Schlaube-Oelse-Tal e.V. - ein Beispiel für kommunales Management

Die Vereinsstruktur

Der gemeinnützige Verein Schlaube-Oelse-Tal e.V. ist eine freiwillige Vereinigung der Gemeinden dieser Region auf der Basis von Gemeinderatsbeschlüssen und offen für Einzelpersonen, Unternehmen und andere Interessenvereinigungen und Organisationen des Territoriums. Er ging aus einer Interessengemeinschaft der Bürger hervor und wurde zur Wahrnehmung der Planungshoheit der Gemeinden, wie dies gesetzlich vorgesehen ist, 1991 gegründet. 1993 wurde er auf Grund personeller Veränderungen des Vorstandes neu angemeldet und in das Vereinsregister eingetragen. Inzwischen sind 11 Gemeinden per Beschluß ihrer Gemeindevertretungen, eine Siedlergemeinschaft mit 1.500 Mitgliedern und 4 Unternehmen in den Verein eingetreten. Die Mitgliedsgemeinden gehören zur Amtsgemeinde Schlaubetal mit Sitz in Müllrose. Eine Gemeinde zählt zur Amtsgemeinde Friedland.

Große Unterstützung erfährt der Verein durch den Amtsdirektor des Amtes Schlaubetal sowie den Landtagsabgeordneten des betreffenden Kreises, die die Rolle des Vereins als emotionale Basis (Bürgerbeteiligung) frühzeitig erkannt und gefördert haben.

Entscheidend war dabei die Tatsache, daß ein Know-how Transfer durch eine enge Kooperation zwischen "externen Beratern" (in diesem Fall der Universität Würzburg) und einer ortsansässigen Beratungsinstanz stattfand, die die erforderlichen Informationen aus den alten Bundesländern in die Verständnisebene von Bürgern, die in ein neues Wirtschaftssystem hineinwachsen mußten, übertragen konnte.

Optimal erwies sich die Zusammenarbeit mit einer Universität. Dadurch war eine neutrale, von keinerlei politischen oder wirtschaftlichen Interessen beeinflußte Hilfestellung gewährleistet. Zudem konnte der beteiligte Lehrstuhl umfangreiche Erfahrungen aus dem Bereich Planungsdidaktik (Planungshoheit der Kommunen, Bürgerbeteiligung, Non-Profit-Marketing) einbringen und damit anfängliches Mißtrauen und Zurückhaltung der beteiligten Bürger der Region in Kooperationsbereitschaft umwandeln. Eine

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Arbeitsgemeinschaft aus Planungsbüro und Universität fungierte als Berater des Regionalvereins, der die Vorstellungen der Vereinsmitglieder koordiniert und in Planungen mit konkreten Handlungsstrategien umsetzte.

Regionale Voraussetzungen

Die Notwendigkeit zur Gründung eines derartigen Vereins ergab sich aus der Situation in der Region nach der Wende: Wirtschaftlich und strukturell war und ist die Region Schlaube-Oelse-Tal schwach entwickelt. Der überwiegende Teil der erwerbstätigen Bevölkerung des Gebietes arbeitet ebenso wie die Einwohner von Eisenhüttenstadt im "EKO"-Stahlwerk, ein geringerer Teil in der Landwirtschaft bzw. im Fremdenverkehr. Durch den weitgehenden Produktions- und Beschäftigungsabbau des "EKO"-Stahlwerkes ist die Region durch eine hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Selbst bei dauerhaftem Weiterbetrieb des Werkes entfällt die Funktion als größter Arbeitgeber für die Gesamtregion. Die Suche nach neuen, wirtschaftlichen Möglichkeiten ergab als einzigen, offenbar machbaren Weg, die touristische Entwicklung des Gebietes.

Seit 1965 war die Region bereits ausgewiesenes Erholungsgebiet. Rd. 400 ha des Landschaftsschutzgebietes (ges. 6.490 ha) waren als Gewässer, 5.500 ha zur forstlichen Bewirtschaftung und 350 ha zur landwirtschaftlichen Nutzung ausgewiesen. Alte Dorfstrukturen (Angerdörfer), eine interessante Geschichte und eine Bevölkerung, die der touristischen Entwicklung zumindest nicht ablehnend gegenüberstand, waren ein hohes touristisches Potential.

Dem standen jedoch erhebliche Mängel bzw. Nachteile gegenüber, nämlich fehlende Erfahrungen mit dem Tourismus nach "westlicher" Machart, keine Erfahrungen auch mit Touristen aus dem Westen, völlig neue Verwaltungsstrukturen, veränderte, gesetzliche Grundlagen, neue, marktwirtschaftliche Bedingungen, Bürger, die nicht gewöhnt waren, sich auf politischer Ebene zu formulieren, da diese Fähigkeit in der DDR nicht erwünscht war.

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Die Idee - der Regionalverein zur Umsetzung der Planungshoheit auf Gemeindeebene

Ziel des Regionalvereins ist die nachhaltige bzw. langfristige Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Region unter größtmöglicher Schonung des naturräumlichen Potentials und durch eine breite Bürgerbeteiligung.

Per Gesetz ist festgelegt, daß die Planungshoheit durch die Gemeinden auszuüben ist (§ 3, Absatz 2 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg vom 15. Okt. 1993: Zu den Selbstverwaltungsaufgaben gehören vor allem die harmonische; Gestaltung der Gemeindeentwicklung einschließlich der Standortentscheidungen unter Beachtung der Umweltverträglichkeit und des Denkmalschutzes, die Bauleitplanung...). Dies jedoch bedeutet, daß grundsätzlich jeder Bürger bei der Planung ein Mitspracherecht hat (§ 1, Absatz 2); dieses kann er jedoch nur wahrnehmen, wenn er sachkundig ist.

Der Regionalverein versteht sich nicht als Pendant oder gar Ersatz der Verwaltung, sondern sucht gerade die Zusammenarbeit mit behördlichen Institutionen. Dabei ist es jedoch - im Sinne mündiger Bürger, die ihre Entwicklung selbst bestimmen, notwendig, diese Bürger für die oben genannte Zusammenarbeit zu qualifizieren, Entscheidungsfindungen der Gemeindevertretungen vorzubereiten und zu unterstützen. Nur so kann die Planungshoheit durch die Gemeindevertretungen wahrgenommen werden. Ein Mittel dazu ist u.a. Expertenhilfe von außen. Wesentlich waren dabei jedoch folgende Bedingungen:

  • Die unterschiedlichen Wertvorstellungen von externen Beratern und Bevölkerung müssen aufeinander abgestimmt werden. Vorrang müssen dabei immer die Wertvorstellungen der ortsansässigen Bevölkerung haben, d.h. die Berater klärten auf, stellten juristische und wirtschaftliche Bedingungen dar, orientierten sich jedoch an Wünschen, Zielvorstellungen und Sorgen der Bevölkerung vor Ort und versetzten sie durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen in die Lage, Planungen und Vorstellungen untereinander abzustimmen und kompetent zu formulieren. Dabei galt es jedoch auch, unterschiedliche Meinungen und Ziele innerhalb der lokalen Bevölkerung aufeinander abzustimmen

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    und bei der Entscheidungsfindung behilflich zu sein.

  • Es muß ein neutraler Rahmen bzw. Treffpunkt für die Regionalvereinssitzungen gewählt werden, am besten ständig wechselnde Lokalitäten (Gastwirtschaften, Hotels oder sonstige klein- und mittelländische Betriebe, möglichst von Mitgliedern des Vereins).

  • Beratung bzw. Begleitung durch eine unabhängige, neutrale Institution wie z.B. eine Universität. Diese neutrale Instanz hat sich besonders während der Startphase bewährt, da hier gegenseitiges Mißtrauen innerhalb der Lokalbevölkerung bzw. der Bevölkerung gegenüber politischen und Verwaltungsinstanzen sowie externen Beratern, mangelndes Verständnis der Zusammenhänge, politisch eingefahrene Denkstrukturen etc. noch am größten sind. Vordringliche Aufgabe in dieser Phase ist es, einen Dialog in Gang zu setzen.

Wichtig für die Wahrnehmung der Planungshoheit ist die Bürgerqualifizierung durch Planungsdidaktik: Die Planungsdidaktik beschäftigt sich mit der Vermittlung fachlich-sachlicher und verwaltungspolitischer Vorhaben in die Verständnisebene unterschiedlicher Zielgruppen. Bürger und Entscheidungsträger werden also durch Schulung und Information qualifiziert. Erst wenn gewährleistet ist, daß jeder Bürger Planungsvorhaben in ihren gesamten Aussagen versteht, kann er kompetent diskutieren, seine Vorstellungen einbringen und sich an Entscheidungen beteiligen, die er dann auch mitträgt oder aber ablehnt (Wahrnehmung der Einspruchsmöglichkeit). Dadurch wird die Akzeptanz von Planungsvorhaben erheblich erhöht. Gleichzeitig wird es jedoch auch schwerer, Planungen "über die Köpfe von Bürgern hinweg" durchzusetzen, die in solchen Fällen zu heftigen Protesten führen.

Planungsdidaktik schließt aber auch Schulung und Information bezüglich der Rhetorik, Diskussions- und Moderationstechniken etc. ein und sorgt dafür, daß jeder Beteiligte/Betroffene sich auch äußern kann und will und zur Meinungsäußerung animiert wird.

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Funktionen des Vereins

Die Hauptaufgabe des Vereins, die nachhaltige Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Region unter strenger Beachtung der Belange des Natur- und Landschaftsschutzes, ist nur durch die Erfüllung folgender Funktionen des Vereins zu lösen:

  1. Beratung und Betreuung bei Einzelmaßnahmen die dem o.g. Ziel dienen,
  2. Koordinierung und Abstimmung der Vorhaben,
  3. Vertretung vor den entsprechenden staatlichen Organen im Sinne einer qualifizierten Bürgerbeteiligung,
  4. Interessenvertretung der klein- und mittelländischen Unternehmen im Schlaube-Oelse-Tal bezüglich branchenspezifischer Beratung Unternehmen im Schlaube-Oelse-Tal

Abschließend ist zu bemerken, daß z.B. das EU-Programm LEADER (Lokales Projektmanagement) die Notwendigkeit einer breiten Bürgerbeteiligung bzw. die Begleitung lokaler Projekte durch einen Verein des Territoriums fordert. Diese Möglichkeit bietet der Regionalverein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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