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8. Vom Wissenschaftssystem im Sozialismus zum Innovationssystem der Marktwirtschaft

Die Erfahrungen mit den Transformationsprozessen in den MOEL zeigten, daß dem Bereich Forschung und Entwicklung eine strategische Schlüsselposition für die Integrationsfähigkeit dieser Staaten in die EU zukommt. Es besteht allerdings großer zivilgesellschaftlicher und politischer Handlungsbedarf - sowohl in quantitativer, als auch in qualitativer Hinsicht. Im Laufe der Transformation wurden die Forschungsaktivitäten zunächst stark reduziert. Sie steigen zwar gegenwärtig wieder an, sind aber - verglichen mit den EU-Staaten - nach wie vor niedrig. Die notwendige Steigerung der FuE-Ausgaben muß auch einhergehen mit einer stärkeren Orientierung an Märkten, auf den die MOEL konkurrenzfähig sein müssen.

Ein polnischer Teilnehmer der Konferenz merkte an, daß Polen jedoch in bestimmten Bereichen komparative Vorteile aufweise, in denen das Land gegenüber westeuropäischen Staaten konkurrenzfähig sei. Breite FuE-Aktivitäten, „um in allen Bereichen mitspielen zu wollen", sei der falsche Ansatz. Jedes Land in Mittel- und Osteuropa müsse sehr genau analysieren, in welchen Bereichen komparative Vorteile vorhanden seien. In Polen seien beispielsweise die Bereiche Schiff- und Bergbau erfolgreich, in Ungarn die pharmazeutische Industrie.

Ein Experte des DIW warnte jedoch davor, zu glauben, daß komparative Vorteile im FuE-Bereich ausreichen, um wettbewerbsfähig zu sein. „Heißt Entwicklungspotential, daß man in der Lage ist, etwas zu tun? Wenn man früher in Rußland PC's gebaut hat, heißt das, sie haben ein Potential,

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Computer zu bauen?" fragte der DIW-Forscher. Potential bestehe nur dann, wenn man auch in der Lage sei, sich gegen den heutigen Wettbewerb durchzusetzen. Forschung und Entwicklung mache nur als Komponente von Innovationssystemen Sinn mit der Aufgabe, ein Produkt zu generieren, Unternehmen Profit zu ermöglichen und damit den Bürgern eine Erhöhung des Lebensstandards zu ermöglichen.

Konkret seien beispielsweise die Knotenpunkte der Innovation bei den Liefernetzen zu untersuchen, um festzustellen, wo positive Ansätze für Industrieforschung im eigenen Land zu finden sind. Teilnehmer der Konferenz wiesen darauf hin, daß solche Vorhaben mit einem eminent großen personellen und finanziellen Aufwand verbunden wären, „Gibt es von der Europäischen Union Möglichkeiten, so etwas zu unterstützen?", wurde gefragt.

Die MOEL stehen heute vor dem Problem entscheiden zu müssen, ob alle Forschungsinstitute aufrechtzuerhalten sind in der Hoffnung darauf, daß sie vielleicht in zehn Jahren einmal Nutzen bringen. „Oder schließe ich diese Institute und gebe das Geld an Institute, die sich heute schon umorientiert haben?", fragte der DIW-Forscher. Dies sei eine strategische Frage der Umorientierung. Es habe viele Institute gegeben, aus denen die Forscher in Unternehmen gewechselt sind. Außerdem hätten sich Institute ausgegliedert und als eigene Unternehmen konstituiert. Eine Reihe von Erfolgsbeispielen zeige, daß sich diese Branchenforschungsinstitute erfolgreich umorientiert und den veränderten Bedingungen anpassen konnten. Alte Institutionen, für die keine Nachfrage mehr besteht, sollten zugunsten der wettbewerbsfähigen Institutionen geschlossen werden. Mit Hilfe von Wettbewerbsanalysen einzelner Sektoren müsse geprüft wer-

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den, ob eine spezifische Wissenschafts- und Innovationspolitik überhaupt benötigt werde, erklärte der DIW-Forscher.

In jedem Fall führe das Festhalten an veralteten Institutionen unter den vorhandenen Budgetrestriktionen dazu, daß diese Mittel für innovative und neu entstehende Einrichtungen fehlen. Weiterhin sei davon auszugehen, daß die Unternehmen besser in der Lage sind, vorhandenes Wissenschaftspotential zu beurteilen als der Staat. Diese Art der Vorgehensweise eröffne außerdem die Möglichkeit, Unternehmen zur Finanzierung der Teile des Innovationssystems heranzuziehen, von denen sie profitieren. Zusätzlich sollte mit einer Wettbewerbsanalyse festgestellt werden, ob das Wissenschaftssystem einen Engpaßfaktor für die osteuropäischen Unternehmen darstellt. Oft seien nicht die technischen Fähigkeiten die Engpaßfaktoren, sondern Wettbewerbsnachteile in der Vermarktung des eigenen Potentials. Somit würde ein Ausbau des Wissenschaftssystems die erwünschte Wirkung verfehlen.

Ein Vertreter der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung in Berlin problematisierte jedoch dieses Plädoyer für eine überwiegend nachfrageorientierte Forschungsförderung. „Ist das denn ein Plädoyer gegen die Förderung von Grundlagenforschung überhaupt ?" Auch die EU-Beitrittskandidaten müßten eine langfristig orientierte Forschungspolitik betreiben. „Und dazu gehört nun mal, daß ein Stock in der Grundlagenforschung nicht nur erhalten, sondern weiter gefördert werden muß". Dazu müsse auch die EU mit ihrer finanziellen Förderung beitragen.

Die EU solle den Vorschlag prüfen, ein Kohäsionsprogramm für die Beitrittskandidaten und „wie man immer so schön sagt - die weniger entwickelten Staaten der EU im Bereich der Forschung - zu entwickeln". Auch

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auf selten der Beitragskandidaten sei mehr finanzielles Engagement für FuE-Aktivitäten, einschließlich der Grundlagenforschung, angesagt. Die deutsche Seite solle dafür eintreten, daß die Strukturfördermittel, die die EU im Rahmen des PHARE-Programms zur Verfügung stellt, verstärkt im FuE-Bereich eingesetzt werden. „Und auch hier wird man die Grundlagenforschung nicht ausnehmen können."

In jedem Fall sollten die Staaten Mittel- und Osteuropas vermeiden, dem Beispiel der neuen Bundesländer zu folgen, warnte ein Mitglied des Europäischen Parlamentes aus Potsdam. Das Potential für Forschung und Entwicklung in den MOEL sei vorhanden, auch wenn es gegenwärtig nur begrenzt genutzt werden könne. „Sie dürfen dieses Potential nicht aufgeben. Es geht um Re-Organisation, nicht Abwicklung!"

Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung zwischen den Staaten der EU und den MOEL sei Teil der Gesamtmaßnahmen zur Stabilisierung und zum strukturellen Wandel im Europa nach der Auflösung des Ostblocks. Den Forschungseinrichtungen in den MOEL müsse noch stärker ermöglicht werden, sich an EG-Programmen zu beteiligen. „Es ist in diesen Bereichen der Kooperation eine stärkere Anpassung der Forschungsprioritäten an die Bedürfnisse der MOEL erforderlich. Die Einbindung muß kontinuierlich erfolgen und schon vor dem Beitritt zur Union beginnen."

Auch für die Förderpolitik im FuE-Bereich solle das Prinzip des PHARE-Programms gelten: „Die Verantwortung liegt zuallererst bei den Reformländern." Dies setze insbesondere das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, das nicht ohne Auswirkungen auf die Forschungspolitik bleibe, voraus und erfordere eine stärkere Marktorientierung der FuE-Anstrengungen.

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Forschungskooperationen beinhalteten weitaus mehr als nur Programme und Geld. „Der grenzüberschreitende Dialog der Fachleute an sich ist ein wichtiger Antrieb für Innovationen, im Osten wie im Westen. Dies muß allen bewußt sein."

Polen stünde heute vor ähnlichen Problemen wie Ostdeutschland nach der Auflösung der DDR, vermutete ein ehemaliger Minister aus den neuen Bundesländern. Es sei eine Illusion zu glauben in der Wirtschaft der EU bereits einen wichtigen Faktor zu spielen, wenn es Polen gelinge, eine innovative Forschung zu entwickeln.

Um wirtschaftlich voranzukommen, regte er ein Verfahren für eine deutsch-polnische Kooperation an, das auch in anderen transnationalen Kooperationen an der Außengrenze der Europäischen Union zum Einsatz kommen könne. In Stettin gebe es z.B. die Schiffswerft, die im Elektronikbereich von kleinen Unternehmen Zulieferungen erhalte. Ähnlich sei die Konstellation in Zukunft bei der Lokomotivfabrik in Wroziaw. Es gebe auf der deutschen und polnischen Seite kleine Betriebe, die zumindest potentiell Zulieferer sein könnten für Produkte oder Vorprodukte dieser Großindustriewerke. „Ich könnte mir gut vorstellen, daß es ein gemeinsames Interesse gibt auf der deutschen und auf der polnischen Seite, durch Zusammenarbeit von kleineren Unternehmen solche Produkte für die Zulieferung herzustellen, z.B. im Elektroniksektor", erklärte der Minister a.D.

Dafür wäre es allerdings notwendig, daß diese kleineren Unternehmen Unterstützung für ihre Innovationsbasis bekommen. Es gebe in Deutschland bestimmte Branchen mit kleinen Betrieben, die ihre eigenen Innovationsinstitute geschaffen haben, etwa in der Textilindustrie. „Warum kann

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man nicht auch gemeinsame Innovationszentren schaffen für bestimmte Sektoren für die polnisch-deutsche Seite?" Zu denken sei z.B. an ein gemeinsames Elektronikzentrum, das zum Aufbau von innovativer Zuliefertechnik für Großunternehmen in Polen beitrage. Dafür sprächen kompatible ökonomische Interessen, u.a. aufgrund der Lohnkostenunterschiede auf der ostdeutschen und der westpolnischen Seite. Solche Strukturelemente müßten für die Zukunft geprüft werden.

Ein Vertreter aus der polnischen Handelsabteilung Polen erklärte, daß die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit besonders im grenznahen Gebiet an der deutsch-polnischen Grenze vorhanden seien. Zu denken sei an eine ökonomische Sonderzone in Slubice, die allerdings nicht unumstritten sei. „Die Sonderzone wurde manchmal von deutscher Seite kritisiert mit dem Argument, daß es zur Absaugung von Kapital kommen könnte." Man dürfe sie nicht unter diesem Aspekt, sondern eher als eine Chance für den grenznahen Bereich betrachten. Beispielsweise wäre dies der Fall, wenn sich in dieser Sonderzone High-Tech-Firmen etablieren würden. „Es ist ja klar, daß die Niveauunterschiede besonders in High-Tech-Produkten zwischen Polen und Deutschland existieren, und das könnte ja ein Feld für gute Zusammenarbeit sein."

In Polen engagierten sich derzeit ca. 7.000 Firmen aus Deutschland aus verschiedenen Branchen. Auch darüber finde ein Technologietransfer statt, berichtete der Vertreter der polnischen Handelsabteilung. „Man spricht manchmal darüber, daß wir Polen nur Kohle, Zement oder Stahl nach Deutschland exportieren. Ich darf Sie daran erinnern, daß 76 Prozent unserer Exporte Enderzeugnisse sind. Also die Gartenzwerge, das ist nicht das einzige, was wir aus Polen nach Deutschland exportieren."

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Es werde viel davon gesprochen, daß die Grenze Deutschland und Polen miteinander verbinde. „Aber wie sieht das jetzt aus? Kann man ruhig zuschauen und sagen, na ja, in ein paar Jahren sind wir sowieso in der Europäischen Union, also warum sollen wir uns überhaupt um die deutsch-polnische Grenze kümmern?" Die deutsch-polnische Grenze sei aber derzeit ein wichtiges Thema. Man sollte sich darauf vorbereiten, daß zukünftig die EU-Außengrenze nicht mehr an Oder/Neiße liege, sondern am Bug, also an der polnischen Ostgrenze. Polen werde nicht in der Lage sein, selbständig die für die EU-Außengrenze gebrauchte Infrastruktur bezahlen zu können. EU-Mittel seien deshalb notwendig.

Für die polnischen Forschungsaktivitäten stellt sich nach Ansicht eines Vertreters von FERMIRC das Problem, daß die Kooperationen mit europäischen Partnern sehr kostenintensiv sind. Auf polnischer Seite sei man interessiert, den Wissenstransfers zu intensivieren. Dies müsse organisiert werden. Ein gelungenes Beispiel dafür sei in Deutschland das Otto-von-Guericke-Zentrum, das als Büro für die Koordination der wissenschaftlichen Forschung bei der Polnisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer zuständig sei. 140 Mio. DM stellte es für die Teilnahme der osteuropäischen Länder an theoretischen Untersuchungen und Forschungen der EU zur Verfügung. Solche von der EU finanzierten Institute für den Wissenstransfer sind in vielen Ländern entstanden, u.a. in Rumänien, Estland usw., berichtete der Vertreter von FEMIRC.

In Polen gebe es immer mehr Stimmen, die sich bemühen, die gesellschaftliche Einstellung den Wissenschaften gegenüber konstruktiv zu verändern. Auch die Einstellung der Politik zu den einzelnen Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Instituten verändere sich zum Positiven. „Ich denke hier an die wissenschaftlichen Parks, an die vielen Insti-

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tute, die wir in der letzten Zeit errichtet haben." Die Regierung müsse bestimmte Institute wie beispielsweise in Warschau einrichten, die zwischen Wissenschaft und Praxis vermitteln helfen. „Aber man kann keine Wissenschaften finanzieren, wenn sich die Industrie an den Prozessen nicht beteiligt", erklärte der FEMIRC-Vertreter.

„Wir müssen und können vieles in unserem Lande selbst machen, auch wenn wir bestimmte Hilfen von der EU bekommen und auch unmittelbar mit vielen EU-Mitgliedsländern zusammenarbeiten, um von ihrer Technologie zu lernen," meinte er. In Polen finde in allen Regionen ein Vernetzung zwischen neuen Partnern statt. Informationen über Förderprogramme der EU werden verbreitet, an denen sich polnische Wissenschaftler beteiligen können und Kontakte zwischen polnischen und deutschen oder anderen Wissenschaftlern geknüpft. „Wir helfen polnischen Institutionen, die einen Antrag im Rahmen der Programme der Europäischen Union stellen, und helfen bei der Kontaktaufnahme zwischen Wissenschaft und Wirtschaft", berichtete der FEMIRC-Vertreter. Außerdem wird wissenschaftliches Material bearbeitet und veröffentlicht und damit die Aufnahme neuer Technologien in der Industrie gefördert. „Publiziert werden auch Ergebnisse unserer Forschung über die Notwendigkeiten und den Bedarf der polnischen Wirtschaft." Zudem gibt es eine breite Palette an Dienstleistungen auf dem Gebiet der Unternehmensberatung.

„Das alles ist aber ein Prozeß, der gerade erst begonnen hat", so der Vertreter von FEMIRC. Es gibt mittlerweile neun solcher wissenschaftlichen Parks - u.a. in Danzig, Warschau, Krakau, Posen und Lodz - zur Vernetzung von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft. Das Zentrum für Informationsverarbeitung in Warschau, das durch das PHARE-Programm finanziell unterstützt wird, koordiniert die Arbeit der Wissen-

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schafts-Parks. Kooperiert wird auch mit der Stiftung der polnischen Wissenschaft. Von der EU erwartet der Vertreter von FEMIRC, weiterhin finanziell gefördert zu werden. Bisher sind Fördergelder für zwei Jahre geflossen: Problematisch war dabei allerdings, daß dies erst mit halbjähriger Verspätung geschah.

„Wir erwarten weitere Initiativen von Seiten der Regierungen, der Konzerne, der europäischen Institutionen und wir erwarten auch eine effektive Information über diese Möglichkeiten und Initiativen. Wir sind der Meinung, man sollte ein gutes Klima der Zusammenarbeit und des Austausches schaffen", erklärte der Vertreter von FEMIRC. Auch die Friedrich-Ebert-Stiftung helfe dabei, Informationen auszutauschen.

Radikale Veränderungen seien notwendig in der Zusammenarbeit zwischen Polen und Westeuropa. Hierbei habe sich gezeigt, daß die Initiative zur Zusammenarbeit nicht nur von Regierungskreisen ausgehe, sondern auch von der Industrie „Zu uns kommen mächtige Konzerne, auch deutsche Konzerne. Sie kommen mit einer großen, hervorragenden Technologie, ohne dabei auf die polnische Forschung angewiesen zu sein. Ich denke, daß wir uns doch sehr bemühen müssen, mithalten zu können."

Ein Professor vom Wissenschaftszentrum Berlin wies darauf hin, daß die Veränderungen in der Industrieforschung auf dem Wege zu einem neuen Innovationssystem aufgrund der Erfahrungen in Ostdeutschland zwar auch durch Wissenschafts- bzw. Forschungs- und Technologiepolitik unterstützt werden müßten. Dies allein reiche jedoch nicht aus. Voraussetzung für den Erhalt und die Integration der verbliebenen FuE-Kapazitäten in die Unternehmen sei auch eine Wirtschaftspolitik, die als Strukturpolitik auf die Erhaltung bzw. Entwicklung auch größerer innovativer Unterneh-

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men in den betreffenden Ländern gerichtet sein müsse. Ohne eine solche industrielle Strukturpolitik sei im Bereich industrieller FuE die Wissenschaftspolitik allein relativ machtlos.

Grundsätzlich problematisch sei es, daß Mittel- und Osteuropa als Investitionsraum bisher von multinationalen Unternehmen vernachlässigt werde, merkte ein Professor für Außenwirtschaft von der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft/Berlin an. Es sei notwendig, daß multinationale Unternehmen verstärkt FuE-Aktivitäten in den MOEL entwickeln. Er berichtete, daß die ungarische Regierung plane, multinationale Unternehmen mit anteilig 25 Prozent der von den Unternehmen eingebrachten Investitionssumme zu subventionieren. Ob sich diese Anreiz-Politik als erfolgreich erweise, bleibe allerdings abzuwarten.

Sinnvoll seien deshalb auch sozio-ökonomische Studien über den Strukturwandel in den MOEL. Ein Vertreter der Kommission der EU erklärte, es gebe auch für die MOEL die Möglichkeit, dafür finanzielle Unterstützung von der EU zu bekommen. Der Kommissionsvertreter hielt die derzeitige Mittelverteilung im Forschungsrahmenprogramm für solche Aktivitäten für nicht akzeptabel. „Ein Prozent des Programms geht gerade in die sozioökonomische Begleitung." Wenn man bedenke, daß eigentlich die Industrieforschung und Innovation im Hinblick auf Nachhaltigkeit orientiert werden solle - „also wirklich verträglich sein sollte mit den gewaltigen Sozialprozessen und ökologischen Herausforderungen, die diese Transformation heute und in Zukunft mit sich bringt" - sei dieser geringe Prozentsatz absolut unangemessen. „Man kann nur hoffen, daß hier auch erstens in der Antragstellung und zweitens in der Genehmigung schrittweise eine andere Relation entsteht."

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Wenn man diesen geringen Förderanteil der sozio-ökonomischen Forschung mit den Förderquoten in anderen Bereichen - z.B. in der Nukleartechnologie - vergleiche, sollte über eine Umverteilung der Fördermittel zugunsten der sozio-ökonomischen Forschung nachgedacht werden.

Nach ca. sieben Jahren kann man eine erste Bilanz ziehen, wie dieser Umstrukturierungsprozeß des Innovationssystems in den MOEL erfolgt ist. Dabei zeigen sich nach Darstellung des Vertreters der Europäischen Kommission in der Herangehensweise der verschiedenen Länder bemerkenswerte Unterschiede. In Rußland, Rumänien, Bulgarien ist der Prozeß sehr allmählich und im wesentlichen passiv verlaufen, die institutionelle Finanzierung ist noch sehr dominant und es gibt keine systematische Politik der Umstrukturierung, häufig sogar Rückschläge. Die Länder Tschechische Republik und die neuen Bundesländer sind Beispiele für die schockartige Umwandlung. In Ostdeutschland gab es jedoch auf der Basis von Evaluierungen sehr aktive Umstrukturierungen auf der Ebene der Institute. In Tschechien wurde auf jede Art von Strukturpolitik auf mikroökonomischer Ebene verzichtet.

Weitere Unterschiede zwischen den Entwicklungen in Ostdeutschland und Tschechien gab es dadurch , daß in Ostdeutschland der Schock mit einer Therapie (d.h. einer umfassenden administrativen und finanziellen Unterstützung des Prozesses, wenn vielleicht auch nicht immer in befriedigender Weise) verknüpft wurde, es in Tschechien hingegen einen abrupten Stop der finanziellen Unterstützung für die Institute der Industrieforschung gab. Dies führte zu einer massiven Neuausrichtung der Aktivitäten auf die Bereiche Dienstleistung und Produktion.

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In Polen gab es einen aktiven Umstrukturierungsprozeß, allerdings in sehr allmählicher Weise. Dabei wurde eine Evaluierung vorgenommen und darauf aufbauend eine Rangliste der Forschungsinstitutionen erstellt, anhand derer die Verteilung der Fördermittel entschieden werden sollte. In Ungarn und der Slowakei ist die Lage unübersichtlicher, eine inkonsistente Politik führte zu einer Mischung aus Schocktherapie und allmählichem Übergang.

Die Pro-Kopf-Bruttoausgaben für FuE sind sehr unterschiedlich in den verschiedenen mittel- und osteuropäischen Staaten. Während Slowenien (160 $ pro Kopf und Jahr) und die Tschechische Republik (112 $ pro Kopf und Jahr) die Ausgaben des EU-Mitglieds mit dem geringsten Wert in diesem Bereich (Spanien, 111 $ pro Kopf und Jahr) übertreffen, erreichen die baltischen Staaten weniger als ein Viertel dieses Wertes.

Die finanziellen Restriktionen in den MOE-Staaten verbieten es, daß westliche Modelle, die in der Regel auf eine angebotsorientierte Strategie setzen und einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordern, in Osteuropa angewendet werden können, resümierte der Wissenschaftler des DIW. Diese Konstellation habe zur Konsequenz, daß unter den bestehenden Institutionen die noch benötigten wettbewerbsfähigen „herausgefiltert" und gefördert werden müssen. Dies gelte insbesondere für Forschungseinrichtungen, die angewandte Forschung betreiben wie die Akademien der Wissenschaften und die Branchenforschungsinstitute, da diese eigentlich dem Unternehmenssektor zuzurechnen seien. „Hier bietet sich ein nachfrageorientiertes Vorgehen an, das sich an den Unternehmen orientiert, die Nachfrager von Forschungsergebnissen sind."

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Durch eine Analyse der neu entstandenen Produktionsnetzwerke ließen sich die Innovationsquellen, die Verbindungen zum Wissenschafts- und Innovationssystem und damit die potentielle Nachfrage identifizieren. Auf institutioneller Ebene solle geprüft werden, ob es den Forschungseinrichtungen gelungen ist, Nachfrage für ihre Leistungen zu finden. Sollte die Umorientierung fehlgeschlagen sein, seien die Institute zu schließen. „Das Festhalten an veralteten Institutionen führt unter den vorhandenen Budgetrestriktionen dazu, daß diese Mittel für innovative und neu entstehende Einrichtungen fehlen", erklärte der DIW-Forscher.

Ein nachfrageorientierter Politikansatz ermögliche es außerdem, daß komparative Vorteile in bestimmten Forschungsbereichen systematisch ausfindig gemacht werden könnten und somit eine gezielte Förderung ermöglicht werde.

Notwendig sei es auch, mehr Forschungseinrichtungen in den MOEL zu ermöglichen, sich an EU-Programmen zu beteiligen, betonte ein Mitglied des Europäischen Parlamentes. Außerdem müßten sich die Forschungsprioritäten der EU verstärkt an den Bedürfnissen der MOEL ausrichten. „Die Einbindung muß kontinuierlich erfolgen und schon vor dem EU-Beitritt beginnen," so der EU-Parlamentarier.

Wie beim PHARE-Programm müsse aber auch bei FuE-Aktivitäten die Verantwortung zuallererst bei den Reformländern liegen. Aufgrund ihres Zukunftspotentials müsse Forschung und Entwicklung auch in einer Situation der Konkurrenz mit anderen Politikbereichen um finanzielle Mittel als ein Teil der Lösung und nicht des Problems betrachtet werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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