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TEILDOKUMENT:


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4. Dimensionen von Sanierungskonzepten

Aus der Analyse des Altbaubestandes sowie den Regelungen des Mietrechts und der Förderprogramme ergeben sich die Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines Sanierungskonzeptes für Altbauten. Bei der Entwicklung dieses Konzepts sind zusätzlich städtebauliche, architektonische, baukonstruktive, denkmalpflegerische und soziale Aspekte zu beachten.

4.1 Städtebauliche Grundsätze

Im städtebaulichen Kontext betrachtet, verleihen die Altbauten einer Stadt ihre Identität, bieten den Bürgern somit Identifikationsmöglichkeiten und erhöhen ihr Interesse an ihrer Stadt und deren Entwicklung. Attraktivere Innenstädte mit einer verbesserten Einkaufssituation schränken die Zersiedlung ein und verringern den Verkehr durch eine hohe Nutzungsmischung und -dichte. Gut erhaltene Altstädte schaffen zudem günstige Voraussetzungen für den Tourismus.

Im städtebaulichen Bereich ist zu untersuchen, wie sich die Modernisierung im Hinblick auf die Stadtreparatur, die Quartiersverbesserung und schließlich die Ansiedlung von Handel und Gewerbe bzw. Dienstleistung auswirkt. Grundsätze einer behutsamen Stadterneuerung in den neuen Ländern sollten sein:

  • Orientierung an den Bedürfnissen der Betroffenen, Planung und Realisierung mit ihnen

  • keine Abwälzung der Erneuerungskosten auf die Betroffenen

  • Schutz der Bewohner vor Verdrängung

  • Verbesserung der sozialen Infrastruktur

  • Bewahrung und Entwicklung der Mischstruktur einschließlich kultureller und sozialer Nutzung

  • Unterstützung für die Entwicklung von bewohnerorientierten Trägerformen und von Selbsthilfeinitiativen

  • Erhaltung der Bausubstanz nach dem Grundsatz: "Instandsetzung geht vor Modernisierung, Instandsetzung und Modernisierung gehen vor Abriß"

  • kurzfristige Leerstandsbeseitigung, hauptsächlich durch Instandsetzung

  • verstärkte Förderung mit öffentlichen Mitteln, gleichzeitig Erschließung neuer Möglichkeiten privaten, sozial verträglichen Engagements für den Substanzerhalt

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  • Sofortprogramme zur Beseitigung substanzbedrohender Schäden

  • Wohnumfeldverbesserungen

  • Reduzierung des Durchgangsverkehrs bei verbessertem Personennahverkehr

  • Umweltverträglichkeit bei allen Erneuerungsmaßnahmen

  • Transparenz in allen Phasen der Erneuerung durch dezentrale Beteiligungsgremien

  • Einsatz aller rechtlichen Instrumente, insbesondere die Ausweisung von Sanierungsgebieten.

Bei der Umsetzung dieser Grundsätze kann auf die Erfahrungen zurückgegriffen werden, die bei der Sanierung westdeutscher Städte gesammelt wurden [Fn.1: Vieles wurde modellhaft dokumentiert und ist in der Schriftenreihe "Städtebau" des Bundesbauministeriums abrufbar.] Auch Frankreich bietet Beispiele gelungener Stadtsanierung und Stadtreparatur. Bemerkenswert ist die französische Vorgehensweise bei der Lösung von Verkehrsproblemen. Gerade die Verlegung der "Routes Nationales" - vergleichbar mit den deutschen Bundesstraßen - gibt den historischen Städten den notwendigen Freiraum, sich intern und urban zu entwickeln.

Stadtreparatur hängt nicht zuletzt davon ab, ob es gelingt, sich positiv mit Umfang und Aufgaben der schützenswerten Bereiche ebenso wie mit der in ihnen gelegenen, nicht selten auch unter Schutz stehenden Bausubstanz, mit ihrer Nutzung und realisierbaren Veränderungsnotwendigkeiten auseinanderzusetzen. Für das Schicksal eines Ensembles oder eines Baudenkmals ist dabei nicht allein eine nach Maßstäben des Denkmalschutzrechts zu treffende Feststellung der Denkmalwürdigkeit entscheidend, sondern auch das bau- und planungsrechtliche Instrumentarium sowie die finanzielle Unterstützung der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Nutzung. Dabei sind bei bestimmten Projekten die rechtlichen Vorschriften nach Erfahrungen aus dem Institut für Erhaltung und Modernisierung von Bauwerken, Berlin, vor allem als eine „helfende Hand" zu werten. Vor der Umsetzung sei immer gegenüberzustellen, worauf die Vorschriften zielen und welche tatsächlichen Nutzungsmöglichkeiten ein Bauwerk noch bietet.

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4.2 Architektonische Gesichtspunkte

In Abhängigkeit von der architektonischen Gebäudekategorie ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Konzepte zur Sanierung und Nutzung von Gebäuden. So resultiert die Fachwerksubstanz aus der mittelalterlichen Grundstücksstruktur und ist in Klein- und Mittelstädten noch in einer Vielzahl vorhanden. Beispiele in Sachsen-Anhalt sind Halberstadt und Quedlinburg. In den größeren Städten und insbesondere den Landeshauptstädten sind Fachwerkhäuser aufgrund von Kriegseinwirkungen und der Vernachlässigung in den vergangen vierzig Jahren seltener anzutreffen. Eine Ausnahme bildet Erfurt mit einem mittelalterlichen Kern und einer hervorragenden Fachwerksubstanz, die für Deutschland einzigartig ist. Die mittelalterliche Bausubstanz, zu der auch die Norddeutsche Backsteinarchitektur zu rechnen ist, zeichnet sich durch eine private Eigentümerstruktur aus, wobei die Eigennutzung vorherrscht. Die Investitionen können in den meisten Fällen von den Eigentümern getragen werden, nicht zuletzt wegen der Bezuschussung aus Mitteln der Denkmalpflege. Ein Eigentumswechsel bei Modernisierung ist deshalb kaum zu beobachten. Spekulative Momente, die bei anderen Gebäudekategorien ein wichtiges Investitionsmotiv darstellen, sind selten anzutreffen. Die Fachwerksubstanz benötigt einerseits einen hohen Sanierungsaufwand. Andererseits bietet sie auch gute Möglichkeiten einer Nutzungsänderung, wobei Entwurfsprobleme entstehen können. Eingeschränkt werden diese Möglichkeiten durch die Vorgaben der Denkmalpflege. So stellt sich bei verschiedenen Nutzungen, welche die mittelalterlichen Gebäude wieder beleben sollen, die Frage, was außer der Fassade von dem eigentlichen Baudenkmal verbleibt. Diese Problematik weisen insbesondere größere Bausubstanzen - also ganze Fachwerkhöfe - auf, die nicht wie einzelne Gebäude von Privatpersonen genutzt werden können, sondern sich für eine öffentliche oder halb-öffentliche Nutzung anbieten. Da derartige Baudenkmäler grundsätzlich nur erhalten werden können, wenn sie genutzt werden, muß ein Kompromiß in der denkmalpflegerischen Zielstellung gefunden werden. Das schließt eine Umnutzung auch mit einem Authentitätsverlust mit ein. Diese muß allerdings kontrolliert erfolgen und ist mit der Denkmalpflege abzustimmen.

Die Mietskasernen der Gründerzeit stellen einen Großteil der Gebäude in den Mittel- und Großstädten. Sie entstanden in der Zeit der industriellen Revolution von 1870 bis 1900 als Stadterweiterungen, lagen nahe den Produktionsstätten, wurden schnell errichtet und weisen daher eine baukonstruktiv eher schlechte Qualität auf. Entsprechend hoch ist der notwendige Sanierungsaufwand, insbesondere dann, wenn zum Einbau etwa eines Bades Grundrißveränderungen vorzunehmen sind. Die Eigentümerstruktur ist privat, gelegentlich gemeinnützig geprägt. Investitionen erfolgen in der Regel aus der Motivation der Steuerersparnis heraus, wobei der Eigentumsbehalt des Eigentümers eher die Ausnahme bildet. Diese Gebäude sind oft Gegenstand von Sanierungsplanungen in den größeren Städten. Private Investitionen sind meist nur dann anzuregen,

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wenn den Investoren aus der Sanierungsplanung Fördermittel zur Verfügung gestellt werden. Dies führt aber auch dazu, daß Objekte, insbesondere wenn sie längere Zeit leerstanden und ein schadhaftes Dach aufweisen, nur deshalb saniert werden, weil Subventionen gewährt werden. Allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre eine Sanierung dagegen nicht zu rechtfertigen. Die mit der Gewährung von Fördermitteln verbundene Mietbindung stellt ein Investitionshindernis dar mit der Folge, daß in den Sanierungsgebieten die Durchführung der notwendigen Maßnahmen oft einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt als ursprünglich geplant. Solche Verzögerungen bieten aber auch die Möglichkeit, die Infrastruktur und die Freiraumqualitäten nachzubessern, die gerade bei den Mietskasernen der Gründerzeit häufig fehlt. Ihr Umfeld ist durch die Nähe zu aufgelassenen Industrieanlagen gekennzeichnet, deren weitere Nutzung noch ungeklärt ist. Ein Beispiel ist Magdeburg-Buckau, wo der Mangel an Grünflächen besonders auffällig ist. In derartigen Quartieren ist es angebracht, im Rahmen der Sanierung einzelne Grundstücke aufzukaufen und Grünflächen zu schaffen, um das Image des Quartiers zu verbessern.

Diese Sanierungsgebiete stehen in Konkurrenz zu anderen Altbaugebieten wie den Bürgerhäusern der Gründerzeit, des Jugendstils und der Neuen Sachlichkeit, die in den Stadterweiterungen nach 1871 anzutreffen sind. Die damals entstandenen Vorstädte weisen auch heute noch eine wesentlich bessere Bausubstanz als die Mietskasernen und eine sehr gute Infrastruktur auf. Die gründerzeitliche Struktur umfaßt Schulen, gewerbliche Nutzungen und gastronomische Einrichtungen. Daraus resultiert ein vergleichsweise geringer Sanierungsaufwand und eine hohe Wertbeständigkeit. Die Bürgerhäuser stellten in der Vergangenheit eine begehrte Wohnsubstanz dar und treffen auch heute auf eine große Nachfrage. Die Eigentümer sind meist privat, teilweise genossenschaftlich. Einige Jahre nach der Restitution des Eigentums an diesen Gebäuden lang stellten viele private Eigentümer spekulative Überlegungen an. Ursache waren die hohen Investitionssummen für die Sanierung der Häuser, die oft über 1 Mio. DM lagen und eine Veräußerung vorteilhafter erscheinen ließen. Neben den daraus resultierenden Verzögerungen kam es auch zu schnellen Sanierungen von schlechter Qualität mit dem Ziel einer raschen Vermietung oder Veräußerung des Objektes. Dabei entstanden Wohnungen, die an sich am Markt vorbei produziert wurden und nur aufgrund der Möglichkeit der Sonderabschreibung nach dem FöGG verkauft werden konnten. In diesem Zusammenhang sind auch Versuche kritisch zu beurteilen, große Wohnungen in kleine aufzuteilen, da sich auf dem Wohnungsmarkt inzwischen ein Oberangebot an zu kleinen Wohnungen feststellen läßt. Ein solches Vorgehen bei der Sanierung hat zum einen negative Folgen für die Bausubstanz und den Wohnwert. Zum anderen wird auch die Eigentumsbindung beeinträchtigt. Diese ist faktisch nicht mehr vorhanden, da der typische Investor aus den alten Bundesländern stammt und die Wohnung nur aus steuerlichen Überlegungen erwirbt, oftmals ohne überhaupt in den neuen Bundesländern gewesen zu sein.

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Eine besondere Kategorie bilden die hochrepräsentativen Bürgerhäuser, die durch Wohnungen von über 100 m2 Fläche und Zimmer für Bedienstete gekennzeichnet sind. Bei diesen Gebäuden sind die Alteigentümer nicht zuletzt wegen der Anforderungen der Denkmalpflege mit der Sanierung oft überfordert. Hier greift die städtebauliche Denkmalpflege, die als Kompensationsgeschäft ausgestaltet ist. Als Beispiel kann die Hegelstraße in Magdeburg dienen, wo der Rückbau der Straße und das Wiederentstehen der gründerzeitlichen Vorgärten mit Hilfe öffentlicher Mittel zu einer Wertsteigerung der Gebäude führte und einen Investitionsschub auslöste. Damit ging allerdings eine Veränderung in der Eigentümerstruktur einher. Kaum ein Haus in dieser Straße ist noch in Privatbesitz. Die neuen Eigentümer sind vielmehr Immobilienfonds oder Immobiliengesellschaften - in der Mehrzahl Töchter von Banken und Versicherungen. Der Grund für diese Entwicklung ist in den hohen Sanierungskosten zu sehen, die zu Quadratmeterpreisen im Falle der Vermietung von 20 DM und im Falle des Verkaufs von 4.500 bis 5.000 DM führen. Die Zielgruppe, die sich diese Preise leisten könnte, ist überwiegend entweder nicht vorhanden oder hat inzwischen ein Eigenheim am Stadtrand erworben. Da es somit nur sehr wenige Wohnungsinteressenten für diese Altbausubstanz gibt, wurde in verschiedenen Bereichen eine gewerbliche Nutzung in ursprünglichen Wohnungsbauten zugelassen. Ein Teil der Bauten aus der Gründerzeit ist auch für Wohnzwecke weniger geeignet, weil er an verkehrsreichen Straßen liegt.

In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts entstanden neue Stadterweiterungen, wobei sich neue Eigentümerstrukturen wie das genossenschaftliche Eigentum herausbildeten. In einer sehr rationellen Bauweise wurden mit relativ geringen Mitteln und in kurzer Zeit neue Wohnungen errichtet, die allerdings eine hohe Qualität aufweisen, weil die Siedlungen in sich geschlossen geplant und gebaut wurden. Entsprechend hoch sind der Wohnwert und die Mieterzufriedenheit. Allerdings besteht ein hoher Sanierungsbedarf gerade in Hinblick auf die Wärmedämmung. Dabei ergeben sich zum Teil Konflikte mit der Denkmalpflege. Während Fördermittel für die Verbesserung der Wärmedämmung gewährt werden, verbietet die Denkmalpflege beispielsweise den Einbau von Plastikfenstern und fordert den Erhalt der alten Fensterstruktur. Angesichts der Sensibilität der Architektur aus den zwanziger Jahren ist der Denkmalpflege ein hoher Stellenwert einzuräumen. Jedoch bleibt die Frage unbeantwortet, wer die Kosten tragen soll, wenn die staatlichen Fördergelder nicht in Anspruch genommen werden können oder nicht ausreichen. Wird die Denkmalpflege als gesamtgesellschaftlicher Wert betrachtet, so können deren Kosten nicht allein den Wohnungsunternehmen und ihren Mietern aufgebürdet werden, sondern sind von der Allgemeinheit zu tragen.

Der Nachkriegswohnungsbau erfolgte in den fünfziger Jahren als Lückenbebauung in Form der Blockstruktur in den zerstörten Innenstädten. Diese Ge-

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bäude weisen eine relativ gute Bausubstanz auf und sind zu einem angemessenen Aufwand zu sanieren. In den sechziger Jahren trat im Neubau ein Wandel hin zu Zeilenstrukturen ein - auch und gerade in den Innenstädten. Die freistehenden Gebäude mit zum Teil acht und mehr Geschossen stellen heute Probleme bei der Stadtentwicklung dar. Die nach der Wende erhobene Forderung nach einem Abriß dieser Häuser ließ außer acht, daß hier ein preiswertes Wohnen in relativ guter Qualität und innenstadtnaher Lage möglich ist. Die Spielräume für eine Umwandlung der Zeilen- in eine Blockstruktur, die städtebaulich geeigneter wäre, sind sehr eingeschränkt. Insofern werden diese Strukturen für die nächste Zukunft weiter bestehen, zumal der Markt keine rasche Umgestaltung erfordert. Allenfalls ist der Raum zwischen den Zeilen unter städtebaulichen Aspekten zu begrünen oder zu bebauen - wie beispielsweise in Dresden -, so daß er eine andere Substanz, ein anderes Image und eine neue Aufenthaltsqualität erhält. Bei einem sofortigen Überformen der vorhandenen Strukturen besteht die Gefahr eines unkoordinierten Vorgehens verschiedener Projektträger mit nachteiligen Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit der Investitionen.

Der Bau von Plattenbausiedlungen setzt vor allem als Stadterweiterung in den siebziger Jahren ein und führte zum dem wohl größten städtebaulichen Problem. Ursachen dafür sind die große Zahl derartiger Gebäude und ihre aus der Konzeption als klassische Satelliten resultierende fehlende städtische Anbindung. Hinzu kommt die völlig unübersichtliche Eigentümerstruktur, welche die notwendige Aufwertung der Siedlungen gerade in Hinblick auf das Wohnumfeld stark erschwert. Ein nicht abgestimmtes Vorgehen der einzelnen Eigentümer bei den Sanierungsarbeiten - beispielsweise unterschiedliche Farbgebungen der Fassaden - kann unter Umständen zu Ergebnissen führen, die schlechter sind als die Ausgangssituation. Aufgrund ihrer Lage, ihres Umfeldes und nicht zuletzt ihres Images werden sich die Plattenbauwohnungen in Zukunft nur durch günstige Mieten in Konkurrenz zu anderen Wohnungsteilmärkten behaupten können. Allerdings läßt sich durch eine geeignete Imagepflege das Ansehen der Plattenbaugebiete wesentlich verbessern, wie das Beispiel Berlin-Hellersdorf zeigt.

Um die Mieter stärker an ihre Siedlung zu binden und Abwanderungstendenzen in den sanierten Altbau oder den Neubau entgegenzuwirken, sind die Maßnahmen zur Verbesserung und Erneuerung der Substanz mit den Mietern so weit als möglich abzustimmen. Die gewünschte Bindung der Bewohner an ihre Siedlung ist nur möglich, wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, ihre Wohnwünsche einzubringen und sich letztendlich mit dem Ergebnis der Sanierung zu identifizieren. Verbunden mit der Bewohnerbeteiligung ist ein erhöhter organisatorischer Aufwand der Bauleitung, der sich in entsprechend höheren Kosten für das Wohnungsunternehmen niederschlägt. Falsch wäre es jedoch, zugunsten von Kosteneinsparungen auf eine qualifizierte Planung und Bauleitung zu

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verzichten. Dies hätte Ergebnisverschlechterungen und damit die Unzufriedenheit der Mieter sowie schließlich deren Wegzug zur Folge - also Resultate, die durch die Sanierung gerade vermieden werden sollten. Kommt es aufgrund von Auszügen zu Leerständen, so sollte diese Chance nutzt werden, einzelne Gebäude vollständig frei zu machen, um sie in unbewohntem Zustand sanieren zu können.

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4.3 Baukonstruktive Betrachtung

Im baukonstruktiven Bereich fallen nach Klärung der Aufgabenstellung und der Beschaffung von Planungsunterlagen der Bestandserfassung und -bewertung sowie der Planung und Standardfestlegung besonderes Gewicht zu. Anzuwenden sind

  • Form und Verfahren der maßlichen Gebäudeerfassung

  • Mängellisten für die verschiedenen Gebäudetypen

  • Checklisten zur technischen Bewertung aller Bauteile

  • Sonderverfahren zur gezielten Untersuchung von Mängelpunkten

  • Art und Form der Fotodokumentation festgestellter Baumängel

  • Bewertungskriterien für die Weiterverwendung vorhandener Bauteile.

Erst im Anschluß daran können Grundsätze für die altbaugerechte Planung diskutiert und Optimierungsvorschläge zur Minimierung von Grundrißveränderung und zur Wohnwertverbesserung unterbreitet werden. Ferner sind der Umfang der Verbesserungsmaßnahmen festzulegen und die Möglichkeit der Realisation eines einfacheren Baustandards zu untersuchen. [Fn.1: Vgl. dazu Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (Hrsg.): Wirtschaftliche Altbaumodernisierung - Modernisierung und Entwicklung des Wohnungsbestandes - Ziele, Verfahren, Standards, Techniken, Kosten, Akzeptanz, GdW Schriften 43, Köln 1994]

Unter den einzelnen Fachdisziplinen abgestimmte und systematisch auf das Notwendige beschränkte Bestandserkundungen sind - von ad hoc-Ansätzen abgesehen - wissenschaftlich nicht entwickelt. Finden gründliche Untersuchungen statt, so gehen die beteiligten Fachdisziplinen meist isoliert vor. Offen bleibt i.d.R. die Gewichtung aller Einzelergebnisse in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit - insbesondere in Hinblick auf eine für das Untersuchungsobjekt geeignete und damit angemessene Nutzung. Daraus resultiert eine hohe Mitwirkungspflicht für den Architekten.

Welcher Stellenwert der baukonstruktiven Betrachtung beizumessen ist, wird in einem Report des Mietermagazins Berlin deutlich, der im Juli 1997 erschienen ist, und der den Gebäudezustand des Berliner Bezirks Kreuzberg zehn Jahre nach Erneuerung als "kritisch" einstuft. Die Sanierung sollte hier auch einen

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Prozeß selbsttragender Erhaltung und Erneuerung einleiten, um eine Degradationsspirale in der Zukunft zu unterbinden. Der Zustand vieler Gebäude wenige Jahre nach Abschluß der Sanierung verdeutlicht, daß dies nur unzureichend gelang. Das Büro Topos bilanzierte 1992, daß 31 % der Häuser zu den Mängelstufen 3 und 4 zu zählen seien. Mängelstufe 3 hatte Topos mit "mehrere, den Wohnwert deutlich beeinträchtigende Mängel, Instandsetzungsbedarf" definiert. Hierunter fielen 14 % der Häuser. Für 17 % der Gebäude, die der Stufe 4 zuzuordnen waren, galten "gravierende Mängel und sofortiger Instandsetzungsbedarf". Die negative Imagewirkung, die von diesem Bauzustand ausgeht, dürfen nicht unterschätzt werden. Zu "guten Adressen" sind die Kreuzberger Erneuerungsschwerpunkte nicht geworden, auch wenn es kleinräumlich außerordentlich große Differenzierungen gibt.

Im baukonstruktiven Bereich spielen die Fragen des Abrisses bzw. Rückbaus, der Instandsetzung mit handwerklichen Methoden sowie der Modernisierung eine besondere Rolle. Sie reichen aus architektonischer und funktioneller Sicht in das baukonstruktive Gefüge hinein. Nicht alles ist erhaltenswert, und nicht alles läßt sich aufgrund seiner Baufälligkeit erhalten. Oft ist ein Abriß unvermeidbar, wobei in der Lückenschließung durch Neubau dem Architekten besondere und schwierige Aufgaben erwachsen. Der Komplex der Modernisierung besitzt eine nicht unerhebliche Bedeutung in der Sanierungsbetrachtung des einzelnen Gebäudes. Alten- und behindertengerechtes Wohnen, Mehrgenerationen-Wohnen, familiengerechtes Wohnen u.a.m. sind Begriffe, die zunehmend im gesellschaftlichen Leben an Bedeutung gewinnen und bei Umsetzung unter architektonischen, funktionellen und konstruktiven Kriterien in der Grundrißgestaltung und der Grundrißveränderung einer jeden Wohnung besonderer Überlegung bedürfen. Doch gerade diese Überlegungen gewährleisten auf Dauer nicht nur die Lebensfähigkeit eines einzelnen Gebäudes, sondern auch - im Zusammenwirken mit anderen Faktoren - eines ganzen Stadtquartiers.

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4.4 Denkmalpflegerische Aspekte

Denkmalschutz und Denkmalpflege stellen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Sie tragen zur Erhaltung des kulturellen Erbes bei und bewahren den historischen Städten ihre unverwechselbare Identität. Hierzu gehört auch, daß Stadtarchäologie betrieben wird und tradierte Handwerkstechniken weiter gepflegt und stärker gefördert werden. Denkmalpflege ist interdisziplinär verbunden mit der Raumordnung, der Stadtplanung, der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik.

Trotz der Erfahrungen mit dem westdeutschen Stadtumbau in den sechziger und siebziger Jahren scheinen sich die dort gemachten Fehler in den neuen Ländern zu wiederholen. Der sächsische Landeskonservator Magirius beklagte noch im Juni 1997, daß einige Patrizierhäuser der Innenstadt Leipzigs völlig

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ausgekernt und in ihrem historischen Charakter vernichtet wurden: "In den letzten Jahren sind mindestens zehn über Jahrhunderte hinweg entstandene Bürgerbauten ein Opfer der... offenbar begrüßten 'Goldgräber-Stimmung' geworden, d.h. die Bauten wurden als Denkmal zerstört ... Das ist in diesem Ausmaß weder im Krieg noch in der DDR-Zeit geschehen. Die derzeitige Situation holt den glimpflich abgegangenen Bombenkrieg in der Innenstadt von Leipzig nach. Leipzig wird dadurch als historische Handelsstadt unkenntlich. Wenn man weiß, wieviel Substanz - Treppen, Fenstergewände und Stuck, Malerei und Tapeten - dabei verloren geht, bleibt einem jedes Lob über irgendwelche Fassadenkosmetik im Halse stecken. Leider haben wir uns trotz mehrfacher Versuche weder bei der Stadtverwaltung noch bei der unteren Denkmalbehörde verständlich machen können. Es ist mir ganz unverständlich, warum sich die Leipziger Bürger nicht gegen diese Vernichtung der Altstadt wehren.

Gleiches geschieht in Meißen, wo die Altstadt spätestens in zehn Jahren wiederhergestellt sein soll. 90 % der Häuser in der Altstadt sind hier in privater Hand, jedoch werden die Häuser häufig an westdeutsche Investoren verkauft, da trotz der Fördermittel viele einheimische Eigentümer den Restbetrag für die Sanierung nicht aufbringen können. Meißen war eine der fünf Modellstädte, die neben Brandenburg, Stralsund, Weimar und Halberstadt in die Gruppe der Städte für eine vorbildliche Stadtsanierung aufgenommen wurde, wobei 530 Mio. DM für die Sanierung veranschlagt waren. Trotz der öffentlichen Förderung des Sanierungsvorhabens mit dreistelligen Millionenbeträgen hat sich ein Gremium unter dem Namen "Rettet Meißen - jetzt" gebildet, dem namhafte Vertreter aus Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft angehören und das bis Jahresende 1992 bereits 1 Mio. DM gesammelt hat, um Denkmale von unersetzbarem Wert vor dem weiteren Verfall zu bewahren. Den Grund für die Notwendigkeit dieser privaten Initiative liefert ein unter der Überschrift "Modellstadt Meißen oder was ist daran modellhaft?" publizierter Aufsatz. Der Verfasser kommt aufgrund einer eigenen Orts- und Baustellenbesichtigung zu dem Ergebnis, daß Kulturgut vernichtet wird. Dazu gehören historische Putze, Wandanstriche, Dachziegel, alte Holzfenster, überhaupt alle baulichen Ausstattungsgegenstände, die bei einer Totalentkernung entfernt werden. Der Autor stellt die Frage, ob die zukünftigen neuen Städte in den ostdeutschen Ländern nicht zu einem wesentlichen Teil ihrer Identifikation beraubt würden.

Das 55 Hektar große Sanierungsgebiet „Altstadt" von Stralsund erfordert nach Schätzungen ein Investitionsvolumen von ca. 1,5 Mrd. DM. Etwa zu einem Drittel sind die meist aus rotem Backstein gemauerten und aus der Zeit der Gotik stammenden Giebelhäuser nicht mehr bewohnbar. Eine vollständige Rekonstruktion eines noch sanierungsfähigen Denkmals kostet zwischen zwei und drei Mio. DM, wobei über 250 solcher bereits unter Schutz gestellter Denkmäler in der Altstadt liegen. Die Sanierung der Stralsunder Innenstadt ist auf fünfzehn

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Jahre veranschlagt. Um die Innenstadt lebensfähig zu halten, wären ca. 8.000 Einwohner erforderlich; zur Zeit leben dort etwa 3.000 Einwohner.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Zielkonflikt zwischen der Denkmalpflege und der wirtschaftlichen Nutzung eines Gebäudes. Die Vorteilhaftigkeit einer Investition wird durch Vorschriften für die Nutzung eines Gebäudes eingeschränkt. Einerseits kann eine Stadt nicht zulassen, daß der gesamte Innenstadtbereich entvölkert wird, weil es dort statt Wohnungen nur noch Büros und andere Gewerberäume gibt. Andererseits ist mit Wohnungsmieten allein kein innerstädtischer Organismus zu finanzieren. In den neuen Bundesländern liegen 67 % der Verkaufsflächen außerhalb der Städte, in den westlichen Ländern dagegen derzeit nur etwa 22 %. Der Verlust an Kaufkraft führt zu einem Niedergang des Einzelhandels in den historischen Altstädten. Wenn aber aus der Vermietung der Ladengeschosse keine Einnahmen mehr zu erzielen sind, lassen sich Altbauten nicht mehr zeitgemäß sanieren. Somit stirbt mit den Geschäften in den Altstädten ein Stück urbaner Selbstverständlichkeit. Neubauten in den Baulücken einer historischen Stadt stellen keinen Widerspruch zum Denkmalschutz dar, wenn die Architektur eine entsprechende Qualität aufweist. Allerdings ist diese Voraussetzung in den Städten der neuen Länder in den wenigsten Fällen erfüllt.

Die Ausführungen zur Denkmalpflege lassen sich in den folgenden Thesen zusammenfassen, wie sie von der Expertengruppe "Städtebaulicher Denkmalschutz für die neuen Länder" vertreten werden:

  • Die Revitalisierung historischer Stadtkerne ist für die Angleichung der Lebensbedingungen und als wirkungsvolles Zeichen neuer Stadtentwicklungs-, Kultur- und Kommunalpolitik von außerordentlicher Bedeutung.

  • Wirksame Verbesserungen der vielerorts besorgniserregenden Gefährdung städtebaulicher Kulturwerte sind nur durch nachhaltige gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern, Kommunen, privaten Investoren und Bürgern über viele Jahre zu erreichen.

  • Ein Zeitraum von etwa 20 Jahren wird zur Rettung und Stabilisierung der bedeutenden städtebaulichen Werte als realistisch angesehen. Einige Kleinstädte werden dieses Ziel voraussichtlich schneller erreichen. Es gibt aber auch Städte mit erheblichem Erneuerungsbedarf in den Stadtkernen, deren behutsame Reparatur und denkmalgerechte Wiederherstellung sicherlich erst längerfristig zu realisieren ist.

Ergänzend forderte der Vertreter des „System der behutsamen Stadterneuerung, Leipzig" ein differenziertes Vorgehen. Angesichts der unterschiedlichen Probleme in den verschiedenen Städten seien nur konzeptionelle Ansätze

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übertragbar, wobei sich eine Verknüpfung der Stadterneuerung mit der Wirtschaftsförderung empfehle. Dem Problem des fehlenden Geldes sei nur mit Ausdauer und Beharrungsvermögen zu begegnen. Allerdings müsse Engagement von politischer Seite vorhanden sein.

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4.5 Soziale Perspektiven

Die Leitlinien des Berliner Senats zur Stadterneuerung vom August 1993 erfordern unter anderem die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Betroffenen. Die Erneuerungsmaßnahmen und -verfahren sollen sozialverträglich gestaltet werden. Auch bei vielfach freifinanzierten Modernisierungsaktivitäten gilt es, für die Stadterneuerungsgebiete negative Auswirkungen zu vermeiden, die den sozialen Zielen einer Gebietserneuerung und dem Erhalt der Gebietsbevölkerung entgegenstehen. Die Erneuerungsmaßnahmen sind grundsätzlich so durchzuführen, daß die Bewohner im Gebiet verbleiben. Das bedeutet auch, daß sich Mietsteigerungen nach Modernisierungen unter Berücksichtigung der sozialen Ziele an den Möglichkeiten der Bewohner zu orientieren haben.

Dennoch wird sich in absehbarer Zeit die Sozialstruktur in den citynahen Altbauvierteln von Großstädten wie Berlin, Leipzig oder Dresden grundlegend verändern. In den Vorkriegsbauten der Berliner Bezirke Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Mitte wohnen derzeit noch überdurchschnittlich viele einkommensschwache Mieter. Ihre Verdrängung hat bereits begonnen und liegt in der Umwandlung der Mietshäuser begründet. In der Regel kaufen Unternehmen, die auf die Sanierung von Altbauten spezialisiert sind, diese Gebäude auf, um sie in Eigentumswohnungen aufzuteilen und einzeln zu veräußern. Beispiele für diese Umwandlung gibt es in Westberlin und in den alten Ländern. Vielfach kaufen die Sanierer zu hohen Preisen, woraus ein entsprechend hoher Verwertungsdruck resultiert. Das besondere Dilemma in den Altbaugebieten der ostdeutschen Großstädte besteht in der Divergenz von Modernisierungserfordernissen und finanzieller Leistungsfähigkeit der Mieter.

Ob sich die historische Innenstadt als Teil einer Metropole entwickelt, in der Wohnungsnot, soziale Spannungen, wachsende Kriminalität und fehlende Lebensqualität zu beklagen sind, wie es der ehemalige Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Manfred Rommel, befürchtet, oder ob das Altstadthaus als Eigenheim und auch als kommunale Wohnung zur Verfügung steht, wie es die Vizepräsidentin des deutschen Städtetags und Bürgermeisterin der Hansestadt Wismar, Rosemarie Wilcken, fordert, wird die Zukunft zeigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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