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E. Öffentliche Förderung gesellschaftlich nützlicher Arbeit

Im EG-Weißbuch für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung hat sich die Kommission der Europäischen Union das Ziel gesetzt, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Der Beirat Arbeitsmarktpolitik des Berliner Senats hat in der "Berliner Erklärung zur Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000" (1993) versucht, diese Zielsetzung in ein konkretes Programm zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation umzusetzen. Es wurden insgesamt vier Strategien erarbeitet, die in Summe der Zielsetzung des Weißbuchs gerecht werden sollen. Eine davon betrifft den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung und Qualifizierung.

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1. Zielsetzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik und bisherige Erfahrungen

Ursprünglich war die aktive Arbeitsmarktpolitik als Brücke von der Arbeitslosigkeit zur Erwerbstätigkeit konzipiert. Es stehen verschiedene Formen staatlich subventionierter Beschäftigung in öffentlichen Einrichtungen, privaten Unternehmen oder Beschäftigungsgesellschaften bzw. Arbeitsförderungsbetrieben zur Verfügung. Sie werden mit dem Ziel eingesetzt, in der Zeit zwischen Wegfall alter und der Entstehung neuer Arbeitsplätze sowohl die Qualifikation als auch die Motivation aufrecht zu erhalten. Eine Brückenfunktion kann jedoch nur dann wirksam werden, wenn auch ein anderes Ufer vorhanden ist, wenn also damit zu rechnen ist, daß die Arbeitskräfte in absehbarer Zeit wieder in reguläre Beschäftigungsverhältnisse wechseln können. Damit ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, insbesondere der wachsenden Anzahl Langzeitarbeitsloser, jedoch nicht zu rechnen. Daher ist es angezeigt, über eine Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik nachzudenken und auch unbefristete Erweiterungen des Beschäftigungsangebotes vorzunehmen (Schneider/Trabert, 1995)

Darüber hinaus sprechen noch weitere Gründe für die Ausweitung des zweiten Arbeitsmarktes. Neben den fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit durch Arbeitslosengeld, -hilfe und Sozialhilfe, den gesellschaftlichen Folgen durch politische Instabilität sind auch die beträchtlichen individuellen Folgen in Form von Armut, Isolation und Diskriminierung zu beachten. Des weiteren liegt viel gesellschaftlich

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nützliche Arbeit brach. So könnte gerade in den neuen Bundesländern viel zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur und allgemein der Lebensqualität beigetragen werden (vgl. Müller 1993 u. 1992, S. 101f.).

Es geht nicht um die Frage ob, sondern wie die Arbeit in Zukunft gefördert werden kann. Eine Sicherung des Sozialstaates kann nur über ein Mehr an Beschäftigung und nicht über Sozialabbau erreicht werden. Das fordert auch der Arbeitskreis AFG-Reform in seinem Memorandum für ein neues Arbeitsförderungsgesetz (1994). Er stellt die Forderung, daß die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik in einem gleitenden Vierjahreszeitraum nicht unter 50% der Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit liegen dürfen. Weitere Ausführungen enthält die Berliner Erklärung (1993).

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2. Ausbau der zur Verfügung stehenden Mittel

Wie oben bereits erwähnt, ist es nicht immer möglich, Arbeitskräfte aus öffentlich geförderter Beschäftigung in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu vermitteln. Das ist insbesondere solange problematisch, wie kein hinreichender Arbeitsplatzaufbau im ersten Arbeitsmarkt erfolgt. Die rein konsumtiven Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung stellen eine Verschwendung öffentlicher Ressourcen dar, die dringend neu überdacht werden muß. Sie müssen in investive Ausgaben umgewandelt werden, um "Arbeit und Qualifizierung statt Arbeitslosigkeit" zu finanzieren.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist bereits der Ausbau der Kofinanzierungsmodelle. Diese neuen Instrumente sind in den §§ 249h und 242s AFG verankert. Sie ermöglichen es, auch weitere Nutznießer der Maßnahmen mit in die finanzielle Verantwortung zu ziehen, so z. B. die Länder und Sozialversicherungsträger. Die wichtigste Zielgruppe der Maßnahmen sind die Langzeitarbeitslosen, deren Anzahl in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Unter ihnen sind viele ungelernte Arbeitskräfte, denen bei der Konzipierung der Maßnahmen besondere Beachtung geschenkt werden muß. Deshalb muß die Qualifizierung in allen Formen der Beschäftigungsförderung einen hohen Stellenwert einnehmen. Ein Problem zeigt sich allerdings in der geringen Akzeptanz von Qualifizierungsmaßnahmen. Viele der ungelernten Arbeitslosen empfinden Bildung als große Anstrengung. Für sie ist das niedrige Unterhaltsgeld ein

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Grund, nicht an derartigen Maßnahmen teilzunehmen. Daher fordert die Berliner Erklärung (1993) eine Anhebung des Unterhaltsgeldes für Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen und einen Rechtsanspruch auf Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, wie bis zum Juni 1993 gültig.

Zur Erhaltung der Kofinanzierungsmodelle der §§ 249 h/242 s AFG ist die zukünftige Finanzierungssicherung von zentraler Bedeutung. Da die Treuhandfinanzierung wegfällt, müssen andere Kofinanzierer gefunden werden. Denkbar ist folgende Aufteilung: die Bundesanstalt für Arbeit zahlt weiterhin einen pauschalierten Lohnkostenzuschuß, während die Restkosten von Bund, Ländern und Gemeinden, den Trägern der Maßnahmen, Unternehmen, oder der EU getragen werden.

Ein wichtiger Bereich ist auch die öffentliche Beschäftigungsförderung in der privaten Wirtschaft. Hier werden verschiedene Formen von Lohnkostenzuschüssen eingesetzt, etwa Lohnkostenzuschüsse für ältere Arbeitnehmer (§ 97 AFG), Eingliederungsbeihilfen (§ 54 AFG) und Einarbeitungszuschüsse (§ 49 AFG). Ein altes Problem bei der Gewährung von Lohnkostenzuschüssen ist das Auftreten von Mitnahmeeffekten. Das ist dann der Fall, wenn Mittel für neue Beschäftigungsverhältnisse in Anspruch genommen werden, die auch ohne den Zuschuß realisiert worden wären. Um Mitnahmeeffekten und Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, sollten vor allem Langzeitarbeitslose und schwer vermittelbare Personen in den Genuß der Förderung kommen.

Ebenso sind soziale Betriebe ein wichtiges Instrument an der Nahtstelle zwischen dem wettbewerbsmäßig strukturierten Arbeitsmarkt und öffentlich geförderter Beschäftigung. Sie sollten erwerbswirtschaftlich arbeiten und dem Wettbewerb ausgesetzt sein. Aufgrund ihrer Integrationsaufgabe von Langzeitarbeitslosen benötigen sie jedoch einen Zuschuß. Eine Selbstfinanzierungsquote von 30% bis 50% ist hier realistisch.

Ein altbewährtes Instrument zur Überbrückung der Zeit zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung ist die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM). Die Bundesanstalt für Arbeit erstattet 75% bis 100% der Lohnkosten. Bisweilen übernehmen weitere Finanzierer auch Sachkostenzuschüsse. Die Wirkungen der ABM werden in der Berliner Erklärung (1993) sehr positiv eingeschätzt. Sie wirken in zweierlei Hinsicht: erstens erfolgen indirekte arbeitsmarktpolitische Entlastungseffekte dadurch, daß infolge der

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ABM reguläre Beschäftigung ausgelöst wird. Man muß mit einem Anteil von ca. 40% zusätzlich ausgelöster regulärer Beschäftigung rechnen. Außerdem haben Untersuchungen gezeigt, daß etwa ein Drittel der in ABM Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der ABM eine reguläre Beschäftigung antreten.

ABM können auch im Rahmen von Beschäftigungsgesellschaften und den in Ostdeutschland gegründeten Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ABS) eingesetzt werden. Sie verfolgen sowohl ein sozialpolitisches als auch ein strukturpolitisches Ziel. Zum einen können sie Arbeitnehmer, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, auffangen, indem sie sie durch Qualifizierungsmaßnahmen auf neue Beschäftigungsfelder vorbereiten. Und sie können bereits Arbeitslose wieder in den regulären Arbeitsmarkt eingliedern. Vorrangiges Ziel ist die Integration von Arbeitnehmern in Normalarbeitsverhältnisse. Zum anderen können sie als strukturpolitisches Instrument eingesetzt werden, um die Bedingungen der regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung zu verbessern. Eine Beschäftigungsgesellschaft erfüllt folgende Aufgaben: Sie ...

  • organisiert Weiterbildungsmaßnahmen und ABM und vermittelt von Arbeitslosigkeit Bedrohte und Arbeitslose in reguläre Beschäftigung.
  • organisiert sogenannte Förderketten für Problemgruppen des Arbeitsmarktes, indem Weiterbildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen miteinander verknüpft werden.
  • unterstützt den marktwirtschaftlichen Strukturwandel im Betrieb oder der Region.
  • verbessert die wirtschaftsnahe Infrastruktur und die Lebensqualität in der Region.
  • unterstützt als Planungs- und Managementorganisation im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung die Personalentwicklung im Unternehmen und auch in der Region (vgl. Müller 1992, S.86f.).

In der Praxis haben sich ganz neue Formen der Kooperation zwischen Privatunternehmen, Behörden und Verbänden entwickelt. Durch die Verzahnung von Beschäftigungs- und Strukturpolitik geht der Aufgabenbereich von Beschäftigungsgesellschaften über das reine Abwickeln von Projekten hinaus. Sie sind schon in die Phase der Planung und Konzeptionierung regionaler Beschäftigungsförderung eingebunden.

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Ein weiteres Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik, das dringend eines umfassenden Ausbaus bedarf, ist die kommunale Beschäftigungspolitik. Die Gemeinden sind weithin mit der Finanzierung der Maßnahmen überfordert. Sie können den etwa l Mio. Sozialhilfeempfängern im erwerbsfähigen Alter keine Erwerbsmöglichkeit bieten. Die Haushaltslage der Gemeinden wird immer kritischer. Das liegt an Einnahmeausfällen, an der zunehmenden Zahl von Langzeitarbeitslosen (wenn sie keine Arbeitslosenunterstützung mehr bekommen, zahlen die Gemeinden die Sozialhilfe) und Leistungskürzungen im AFG. Es ist dringend notwendig, daß hier Abhilfe geschaffen wird. Es bedarf der Einrichtung von Koordinierungsstellen, die als Verbindungsstelle zwischen Jugend- und Sozialpolitik die Koordination zwischen Jugend-, Sozial- und Arbeitsämtern verbessert. Es müssen vermehrt konkrete Projekte durchorganisiert werden, mit allen Umsetzungsschritten und Zuständigkeiten. Nicht zuletzt muß aber auch eine langfristige Finanzierung gesichert werden. Nur dann kann auch realistisch geplant werden. Es muß mehr Kooperation zwischen den Akteuren stattfinden: Verbänden, Kammern, Gewerkschaften und Verwaltungen. Es müssen Finanzierungspools geschaffen werden, an denen sich die Gebietskörperschaften und auch die Bundesanstalt für Arbeit sowie Sozialversicherungsträger beteiligen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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