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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 16]

C. Negative Einkommensteuer als beschäftigungs- und sozialpolitische Chance

Der Vorschlag der Negativsteuer birgt in sich nicht nur eine gewisse formale Eleganz, sondern hat auch den großen Vorzug, die Arbeitsmarktsituation gerade für Niedrig-Lohn-Bezieher zu entspannen, indem neue Arbeitsplätze geschaffen werden, alte erhalten werden können und Arbeitszeitflexibilisierung erleichtert wird.

1. Zur Neuordnung steuerfinanzierter Sozialleistungen

1.1 Das Konzept der Negativsteuer

Im Rahmen der personenbezogenen Umverteilung tritt der Staat in zweierlei Funktionen auf: Auf der einen Seite entzieht er den wirtschaftlich Leistungsfähigen Kaufkraft, nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit, um es auf der anderen Seite an wirtschaftlich Bedürftige umzuverteilen, nach Maßgabe ihrer Bedürftigkeit. Im bestehenden System werden die Steuern durch das Finanzamt erhoben, und Sozialleistungen werden durch eine Vielzahl von Behörden (es sind allein 40 Sorten von Behörden) unter hohem bürokratischen Aufwand vergeben.

Den Dschungel von Ämtern und Behörden will das Negativsteuerkonzept lichten, indem Sozialhilfe und Steuern auf eine gemeinsame Bemessungsgrundlage gestellt werden. Bedürftigkeit wird interpretiert als negative Leistungsfähigkeit. Der Einkommens- und Lohnsteuertarif wird nach unten erweitert um einen Negativbereich für auszuzahlende Sozialleistungen.

Steuern und Transfers werden von einer Behörde erhoben bzw. vergeben. Im Negativbereich wird zunächst ein das Existenzminimum sicherndes Bürgergeld festgelegt, das die bestehenden Sozialleistungen ersetzt.

Eigene Erwerbsbezüge werden in diesem System nur zur Hälfte auf das Bürgergeld angerechnet, so daß spürbare finanzielle Arbeitsanreize bestehen bleiben. Derzeit werden eigene Erwerbsbezüge zu 100% auf die Sozialhilfe angerechnet. Das heißt, diejenigen,

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die am schlechtesten gestellt sind, zahlen den höchsten Steuersatz. Es besteht also kein finanzieller Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen.

Das gesetzliche Sozialleistungssystem wird von der Neuordnung nicht unmittelbar berührt. Zu den steuerfinanzierten Sozialleistungen, die integriert werden sollen, gehören:

  • Kindergeld
  • Erziehungsgeld
  • Wohngeld
  • Ausbildungsförderung
  • Sozialhilfe
  • Arbeitslosenhilfe (mit Vorbehalt)

Die Integration von Arbeitslosenhilfe ist nicht unproblematisch. Sie ist zwar de facto steuerfinanziert, gehört aber idealtypisch eher zu den beitragsfinanzierten Leistungen einer Arbeitslosenversicherung. Ihre Gewährung ist bedürftigkeitsabhängig, ihre Bemessung jedoch lohnbezogen. Dadurch unterscheidet sie sich von anderen Sozialleistungen. Solange die Arbeitslosen ihre Unterstützung vom Arbeitsamt ausgezahlt bekommen, halten sie einen Kontakt zur Erwerbssphäre, der entfällt, wenn die Arbeitslosenhilfe ins Steuersystem integriert wird. Im folgenden sind einige Beispiele aufgeführt, die die Funktionsweise und die Auswirkungen des Bürgergeldsystems veranschaulichen.

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Bürgergeld: Beispiel l

Eine 40-jährige Witwe wohnt mit ihrem 16-jährigen Sohn, einem Schüler, in einer Kleinstadt. Sie verdient als Teilzeit-Verkäuferin monatlich 1000,- DM brutto steuerfrei. Nach Abzug von 200,-DM Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung verbleiben netto 800,-DM.

Das monatlich vom Finanzamt gezahlte Bürgergeld beträgt:

Ersatz von:

DM


Sozialhilfe

Grundbedarf - für eine erwachsene Person

550,-

Kindergeld/

- für einen 16-jährigen Jugendlichen

400,-

Kinderfreibetrag



Sozialhilfe/

Wohnbedarf (Miete und Heizung)

650,-

Wohngeld



BaföG, ErzG

Ausbildungsbedarf (für den Sohn)

100,-

Sozialhilfe

Mehrbedarf für Erwerbstätige

150,-


ungekürztes Bürgergeld

1850,-


anrechnungsfähiges Nettoeinkommen: 800,-



davon wird angerechnet: 50%

400,-


Auszahlungsbetrag

1450,-

Zur Bedarfsdeckung einschließlich Mietkosten bleiben 800,- DM Nettolohn und 1450,-DM Bürgergeld, also 2250,- DM monatlich.

Ohne eigene Erwerbsarbeit würden nur 1700,-DM Bürgergeld (ohne den Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätige), also insgesamt 550,- DM weniger monatlich zur Verfügung stehen.

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Bürgergeld: Beispiel 2


Ein 28-jähriger, lediger Arbeiter in einer Großstadt verdient als ungelernte Teilzeit-Aushilfe am Bau monatlich 850,- DM brutto steuerfrei. Nach Abzug von 150,-DM Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung verbleiben netto 700,- DM.

Das monatlich vom Finanzamt gezahlte Geld beträgt:

DM

Grundbedarf

550,-

Wohnbedarf (Miete und Heizung) 500,-


Mehrbedarf für Erwerbstätige

150,-

ungekürztes Bürgergeld

1200,-

anrechnungsfähiges Nettoeinkommen: 700,- DM


davon wird angerechnet: 50%

350,-

Auszahlungsbetrag

850,-

Zur Bedarfsdeckung bleiben 700,- DM Nettolohn und 850,- DM Bürgergeld, also 1550,- DM monatlich.

Ohne eigene Erwerbstätigkeit würden nur 1050,- DM Bürgergeld (Grund- und Wohnbedarf), also monatlich 500,- DM weniger zur Verfügung stehen.

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Bürgergeld: Beispiel 3

bei Arbeitszeitverkürzung

Das ungekürzte monatliche Bürgergeld (Grundbedarf) betrage für einen Facharbeiter entsprechend Familienstand, Wohnort und sonstigen Sozialmerkmalen 1250,-DM. Sein Lohn belaufe sich nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auf monatlich 2500,- DM (steuerfrei).

Die Arbeitszeit wird von 5 Tagen auf 4 Tage wöchentlich verkürzt, Lohnausgleich nicht geleistet. Sein Monatslohn sinkt um 20% auf 2000,- DM (nach Sozialabgaben)

(l) Verfügbares Einkommen vor Arbeitszeitverkürzung

DM

a) Nettolohn

2500,-

b) Bürgergeld: 1250,- DM - 50% von 2500 DM =

0,-

insgesamt

2500,-

(2) Verfügbares Einkommen nach Arbeitszeitverkürzung

DM

a) Nettolohn

2000,-

b) Bürgergeld: 1250,- DM - 50% von 2000,- DM =

250,-

insgesamt

2250,-

Die Lohneinbuße von 500,- DM monatlich führt im Bürgergeldsystem nur zu einer Einkommenseinbuße von 250,- DM (also statt 20% nur 10% Einbuße).
Allgemein: Die Hälfte der Lohneinbuße wird im Bürgergeldsystem bei Leichtlöhnen aufgefangen

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1.2 Die Finanzierung der Neuordnung

Bei einem Anrechnungssatz von 50% der eigenen Erwerbsbezüge auf das Bürgergeld liegt die Unterstützungsgrenze, also der Übergang vom Transfer- in den Steuerbereich, beim Doppelten des Bürgergelds. Die individuelle Unterstützungsgrenze markiert die Höhe des steuerfrei bleibenden Betrags des zu versteuernden Einkommens.

Mitschke (1995a) legt seinen Berechnungen der unmittelbaren Haushaltswirkungen die gesetzliche Forderung zugrunde, die das Existenzminimum für Erwachsene 1992 mit 10500 DM ansetzt. Daraus ergibt sich im Bundesdurchschnitt ein Bürgergeld von 9200 DM. Die durchschnittliche Unterstützungsgrenze liegt demzufolge bei 18400 DM. Zu den Kosten des Bürgergeldkonzeptes sind nur die Einkommens- und Lohnsteuerausfälle zu zählen, die sich durch die Verschiebung der Steuerfreigrenze von 10500 DM auf 18400 DM ergeben. Sie belaufen sich auf 25,5 Mrd. DM für 1992. Nicht hinzuzählen darf man die Steuerausfälle, die die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Steuerfreistellung des Existenzminimums für Grenzsteuerzahler jetzt schon bedingt. In der folgenden Übersicht werden die Grundlagen und Berechnungen zusammengefaßt, die Mitschke (1995a) zu der Aussage führen: "Das Bürgergeldsystem kann haushaltsneutral, also ohne Steuererhöhungen und ohne Absenkung des sozialen Sicherungsniveaus, finanziert werden. Anderweitige Finanzbedarfsschätzungen gehen von falschen Voraussetzungen aus."

A. Grundlagen

  1. Einbezogene steuerfinanzierte Sozialleistungen
    1. Sozialhilfe
    2. Ausbildungsförderung
    3. Wohngeld
    4. Kindergeld
    5. Erziehungsgeld
    6. Arbeitslosenhilfe
    7. Altershilfe für Landwirte

  2. Außer Ansatz bleibende Haushaltsentlastungen
    1. entfallende Umverteilungslasten in der gesetzlichen Rentenversicherung
    2. personenbezogene Hilfen über Objektsubventionen (mit bestimmten Ausnahmen im Bereich der Jugendhilfe und des sozialen Wohnungsbaus)
    3. zu erwartende Verwaltungskosteneinsparungen
    4. zu erwartende Entlastungen des Sozialhilfehaushalts durch Arbeitsanreizwirkungen des Bürgergeldsystems

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B. Saldierte Haushaltswirkungen


l. Kosten des Bürgergeldsystems


a) Gesamtwirtschaftliches Ausgabevolumen des Bürgergelds bis zur Unterstützungsgrenze


durchschnittliches Bürgergeld vor Einkommensanrechnung

9 200 DM/Jahr

Einkommensanrechnung von 50% führt bei gleichmäßiger Verteilung der Einkommensgruppen bis zur Unterstützungsgrenze zu einem durchschnittlichen Bürgergeld nach Einkommensanrechnung von
0,5 * 9200 DM/Jahr =

4 600 DM/Jahr

Bürgergeldempfänger bis zur Unterstützungsgrenze von 18 400 DM: 12,987 Mill.
Gesamtvolumen 12,987 Mill. * 4600 DM =

59,740 Mrd.

b) Steuerausfall durch Ausweitung der steuerpflichtigen Einkommensgrenze

25,511 Mrd.

c) Steuerminderung durch Steuerabzug des derzeitigen Kinder- und Erziehungsgelds oberhalb der Unterstützungsgrenze

16,380 Mrd.

Gesamtkosten in einem Haushaltsjahr

101,631 Mrd.

2. Jetzige Haushaltsausgaben für die durch das Bürgergeldsystem ersetzten steuerfinanzierten Sozialleistungen und personenbezogene Objektsubventionen

109,918 Mrd.

3. Saldo

Minderkosten des Bürgergeldsystems pro Haushaltsjahr (mit einem geschätzten Abweichungsintervall der Minderkosten von ± 10-15 Mrd. DM)

8,287 Mrd.

[Seite der Druckausgabe: 23]

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2. Zu den beschäftigungspolitischen Chancen der negativen Einkommensteuer

2.1 Befunde der Beschäftigungssituation

Von den verschiedenen nachfrage- und angebotsorientierten Einflußgrößen von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit interessiert im Zusammenhang mit dem Bürgergeldkonzept vorrangig die Entwicklung der Relation zwischen Arbeitsproduktivität und Arbeitskosten. Die von den Gewerkschaften jahrzehntelang betriebene Sockelungspolitik hat qualifikationsbedingte Lohndifferenzen eingeebnet und so insbesondere in den qualifikationsschwachen Leichtlohngruppen die Kosten der Arbeit über ihren produktiven Beitrag angehoben. Diese Kluft wird sich in Zukunft durch die Produktivitätskonkurrenz insbesondere ostasiatischer Länder auch im Bereich der Hochtechnologie noch verstärken. Wenn die Unternehmer die Rendite ihres eingesetzten Kapitals halten wollen, bleibt ihnen entweder die Verlagerung der Produktion ins Ausland oder sie müssen Rationalisierungsanstrengungen unternehmen, die auch zu einem Rückgang der inländischen Arbeitsnachfrage führen.

Daß gerade die niedrig Qualifizierten betroffen sind, bestätigt auch die amtliche Statistik:
Rund die Hälfte der registrierten Arbeitslosen (September 1993: 46,5%) hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Mit 26,6% stellt die Gruppe der Fünfzig- bis Sechzigjährigen den höchsten Anteil aller arbeitslosen Altersgruppen. Sie sind kaum noch durch Umschulung für neue Aufgaben qualifizierbar.

Es gibt nun zwei Ansätze, um die qualifikationsbedingte Hauptursache der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen: Entweder setzt man bei der Arbeitsqualifikation an oder am Reallohn. Laut Mitschke tragen die Maßnahmen zur Ausbildung und Umschulung nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung bei. Ein zweiter Weg besteht darin, einfache Arbeitsplätze durch Reallohnsenkung oder Reallohnkonstanz zu erhalten und im Dienstleistungsbereich neu zu schaffen. Eine Reallohnsenkung trifft auf den Widerstand der Gewerkschaften und der betroffenen Arbeitnehmer, solange der Lohn die einzig annehmbare Art der Existenzsicherung darstellt und Reallohnsenkungen die Existenz gefährden.

[Seite der Druckausgabe: 24]

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2.2 Zum sozialpolitischen Lösungsbeitrag des Bürgergeldkonzeptes

Das Negativsteuerkonzept beschreibt einen zuverlässigen, administrativ einfachen und nicht diskriminierenden Weg, nicht existenzsichernde Löhne bedarfsgerecht aufzufüllen Es erleichtert die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen, wie sie sich immerhin 11,1 % der Arbeitslosen (1992) wünschen.

Eine mittelfristig sehr bedeutsame und sinnvolle Maßnahme zur Entlassungsvorbeugung ist die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, wie sie beispielsweise bei VW vorgenommen wurde. Während VW in der Lage ist, die Lohnreduzierung durch den Abbau außertariflicher Leistungen aufzufangen, sind viele Groß- und Mittelstandsunternehmen dazu nicht in der Lage. Eine etwa 20 %ige Lohnreduzierung würde jedoch viele Niedriglohnempfänger an den Rand der Existenznot bringen. Wie Beispiel 3 gezeigt hat, ist jedoch das Bürgergeldsystem in der Lage, derartige Lohnkürzungen sozialverträglich abzufedern.

Wie steht es mit dem Mißbrauch des Bürgergeldsystems? Es wird den Unternehmen kaum möglich sein, so Mitschke (1995 a), produktivitätsfremde Lohnsenkungen zu Lasten einer steuerfinanzierten Grundsicherung durchzusetzen. Das werden die Gewerkschaften nicht zulassen. Das Bürgergeld ist ohnehin keine Lohnsubvention, sondern individuell bedürftigkeitsabhängig und stellt nicht auf die Unzulänglichkeit einer bestimmten Einkunftsart ab. Da das Bürgergeld nur die Hälfte einer Lohnsenkung auffängt, bleibt das Interesse des Arbeitnehmers an der Höhe seiner Entlohnung erhalten.

Es stellt sich jedoch eine weitere wichtige Frage: Wie groß sind überhaupt die Beschäftigungswirkungen? Und wie groß ist die Gefahr, daß bereits bestehende Arbeitsverhältnisse unter der Niedriglohnkonkurrenz zu leiden haben? Schneider/Trabert (1995) weisen auf diesen kritischen Punkt der Negativsteuer hin. Es ist schwer vorauszusehen, wie groß die Überschneidungen in den Tätigkeitsprofilen der neu zu schaffenden und der bestehenden Arbeitsverhältnisse sind. "Ein solcher Rotationseffekt kann die beschäftigungspolitischen Möglichkeiten zunichte machen" (Schneider/Trabert 1995, S. 399).

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Es gehört zu den Binsenweisheiten, daß die beste Sozialpolitik eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik ist. Doch auch wenn man den beschäftigungspolitischen Aspekt des Bürgergeldkonzepts unberücksichtigt läßt, so bleibt Reformbedarf bei der sozialen Grundsicherung in der Bundesrepublik.

Das Sozialhilfesystem ist als ein für Einzelschicksale entworfenes Unterstützungsverfahren aus verschiedenen Gründen überfordert, die sozialstaatswürdige Existenz einer durch Arbeitslosigkeit wachsenden Schicht bedürftiger Bürger zu gewährleisten. Es bedarf eines Systems, das ihre Existenz transparent, zuverlässig und nicht diskriminierend sichert.

Die Verschmelzung von Steuer- und Sozialleistungsordnung durch das Bürgergeldkonzept wirkt der Entwicklung zur Zwei-Klassen-Gesellschaft entgegen, die die jetzige Sozialleistungsordnung begünstigt: hier die staatstragende Klasse der leistungsfähigen Steuerzahler und dort die staatsbelastende Klasse der unterstützungsbedürftigen Sozialbittsteller. Die Integration schwächt die Stigmatisierung der Grundsicherungsbedürftigen ab.

Darüber hinaus steigert die Verknüpfung von Steuer- und Sozialleistungssystem die Effizienz des gesamten Umverteilungsapparates. Während heute derselben Person aus der einen Tasche etwas genommen wird, was er als Subvention in der anderen wieder empfängt, könnte im Negativsteuersystem immenser Aufwand eingespart werden. Sind also Steuerpflichtige und Anspruchsberechtigte identisch, so nehmen Steuer- und Sozialhaushalt gleichermaßen stark ab.

Das Negativsteuersystem trifft häufig der Vorwurf, die Eigenverantwortlichkeit und den Arbeitswillen der Bürger zu schwächen. Diese Meinung läßt sich jedoch widerlegen, wenn man die soziale Schichtung der heutigen Grundsicherungsbedürftigen ansieht. Die Hauptursachen für den Grundsicherungsbedarf sind zu drei Vierteln Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung, Tod des Familienernährers und Alter. Die kleine Randgruppe der Arbeitsscheuen ist also nicht etwa Hauptadressat der Sozialhilfe, wie die Kritiker mutmaßen. Außerdem besteht im System der Negativsteuer eher ein finanzieller Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen, als im bestehenden Sozialhilfesystem, in dem der Quasi-Grenzsteuersatz auf die Einkommen der Sozialhilfeempfänger 100 % beträgt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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