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Vorbemerkungen

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Daß die in peripheren Lagen entstandenen Fachmärkte und Verbrauchermärkte, vor allem aber die Einkaufszentren im Osten Deutschlands zahlreiche gravierende Probleme für die Städte verursachen, ist inzwischen allgemein bekannt. Diese Probleme können sich noch bedeutend verschärfen, wenn die Attraktivität der Innenstädte nicht nachhaltig verbessert wird bzw. die peripheren Standorte durch Anlagerung ergänzender Funktionen (Dienstleistungen, Erholung und Vergnügen, Märkte, Kinos etc.) die Vollständigkeit eines städtischen Zentrums erlangen. Dann könnte es zu einer weitgehenden Verödung in den Städten und zu einer chaotischen Bau- und Verkehrsentwicklung am ausufernden Stadtrand kommen. Das Ende der Stadt im europäischen Sinn würde sich abzeichnen.

Dahin muß es nicht kommen, denn es gibt einige günstige Voraussetzungen in den Städten. Hinzuweisen wäre u.a. auf hohe Bewohnerzahlen und eine gute Mischung der Bevölkerung in der Stadt bzw. der Innenstadt. Günstig ist das dichte Netz der Bus- und Straßenbahnlinien, gegebenenfalls ergänzt durch S-Bahnen, auch wenn noch bedeutende Investitionen in das Wegenetz und die Fahrzeuge erforderlich sein mögen. Günstig wirken sich verdichtete Alt- und Neubaugebiete für den öffentlichen Verkehr aus. Demgemäß wäre auch in der Stadt und der Stadtregion auf eine kompakte Bebauung zu achten, die keineswegs aus Hochhäusern und Großbauten zu bestehen braucht. Damit kann der von Erosion bedrohte Bus- und Bahnverkehr nicht nur erhalten werden, vielmehr könnten umweltfreundliche Stadtverkehrssyteme entstehen, die Maßstäbe in der ganzen Welt zu setzen vermögen. Bemerkenswert ist ja, daß Flächen für Handel, Gewerbe- und Wohnungsbau oft vorhanden sind, wenn auch eine Aufbereitung erforderlich ist. Zu denken wäre an ehemalige Militärareale sowie an alte Industrie- und Gewerbeflächen, aber auch an frei werdende Grundstücke, Anlagen oder Betriebswerke der Bahn. Ebenso sollten große Parkplätze in zentralen Lagen einer mehrgeschossigen baulichen Nutzung zugeführt werden. Zu achten wäre bei all diesen Flächen auf genügend dichte Bebauung, die Erhaltung historischer Bausubstanz und eine intensive Be- und Durchgrünung.

Initiativen in den Stadtzentren, Arbeitsgemeinschaften des Handels, City-Marketing und City-Management - das alles sind brauchbare Ansätze zur Belebung der Innenstadt bzw. des Stadtzentrums. Wichtig ist aber vor allem

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die angesprochene Flächen- bzw. Raumerschließung in und nahe den Zentren, damit zusätzliche Funktionen Platz finden, damit Dichte und Vielfalt, Charakteristika der Städte und ihrer Zentren, voll für die Bewohner und Besucher zur Geltung kommen können.

Bedeutung und Vorrang des Bus- und Bahnverkehrs sind schon festgehalten worden. Eine wesentliche Stärkung dieser Basis läßt sich auch durch verdichtete Bebauung an den Haltepunkten erreichen. Der Bau von U-Bahnen dagegen wird kaum in Frage kommen, ist auch entbehrlich. Tunnellösungen für den Autoverkehr sind in bestimmten Fällen bzw. an allergischen Verkehrspunkten vorstellbar, etwa unterirdische Straßen, die in Tiefgaragen münden, oder unterirdische Anlagen, die der Belieferung des Handels dienen.

Parkhäuser mit ihren störenden Effekten wären auf jeden Fall zu vermeiden. Bei einem nicht abweisbaren Erfordernis von Abstellmöglichkeiten sollten klassische oder moderne Tiefgaragen ins Auge gefaßt werden. Eine neue Form findet in Paris und anderen Städten Anwendung: Unter Straßen werden von eigenständigen Gesellschaften mehrstöckige "lineare" Tiefgaragen angelegt. Es steht außer Zweifel, daß sich solche Lösungen durchsetzen und in absehbarer Zeit auch Städte bescheidener Größe erreichen werden. Eine Förderung könnte über die umfangreichen Bauarbeiten eintreten, die durch die nicht abweisbare Erneuerung des Kanal- und Leitungsnetzes in vielen Innenstädten erforderlich werden. Aber auch "High-Tech-Parking" durch Anwendung moderner Lagertechnik in automatisierten Systemen ist vorstellbar. Der technische Aufwand für den Aufzug kann durch den Wegfall von Rampen, Rangierflächen, Lüftungsanlagen etc. kompensiert oder überkompensiert werden. Damit lassen sich die Bau- und Grundstückskosten gerade bei Tiefgaragen erheblich senken.

In Großstädten gibt es in Ergänzung zu den Stadtzentren noch gewachsene Stadtteilzentren. Sie weisen Handel, Gewerbe und Dienstleistungen, oft aber auch Schulen, Bildungs- oder Forschungseinrichtungen auf. Mittlerweile wird versucht, das Versorgungsniveau in den Großsiedlungen, die zwischen 10.000 und 100.000 Einwohner beherbergen, zu verbessern. Wenn das gelingt, ergibt sich ein Ring von alten und neuen Stadtteilzentren um das historische Stadtzentrum. Vorstellbar ist eine Spezialisierung in diesem System nach den jeweiligen Potentialen in den Stadtteilen sowie in der Gesamtstadt. Dieses gewachsene und geplante Gefüge kann bei einem adäquaten Ausbau

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bedeutende Leistungen erbringen - und den Wettbewerb mit den peripheren Standorten des Handels aufnehmen, wenn eine konsequente Stadtentwicklungsplanung bzw. -politik stattfindet. Vorstellbar wäre sogar, daß ein günstig gelegenes Einkaufszentrum durch eine sich anlagernde Wohn- und Gewerbebebauung zu einem eigenen, ganz neuen Stadtteil wird und so in das skizzierte System der Zentren einbezogen werden kann.

Handel, Verwaltung, klassische und moderne Dienstleistungen stellen die ökonomische Grundlage für ein buntes, vielfältiges und öffentliches Leben dar, für ein Leben, in dem alle Bewohner und Besucher Platz haben, ob sie zu Fuß, per Rad, mit Bus und Bahn oder aber mit dem Auto kommen. Das braucht nicht die verfeinerte Urbanität zu sein, wie der Basler Ökonom und Historiker Edgar Salin sie oft beschrieben hat. Eine sozusagen alltägliche Urbanität in der Stadt und in ihren Zentren, die auch von den Stadtteilen und den Stadtteilzentren gefördert wird, genügt bereits. Auch sie gibt der Stadt ihren letzten Sinn und zeigt den spezifischen Charakter der Stadt. Dieses konzentrierte städtische Leben, das letztlich die Attraktivität von Stadt und Region ausmacht, kann nur bestehen oder entstehen, wenn die nötige ökonomische Basis in ihrer Mitte vorhanden ist, zu der auch ein entsprechendes Raumgefüge und adäquate Infrastruktur gehört. Nur Städte mit einem Mindestmaß an Urbanität und einem eigenen Charakter werden eine Chance im europaweiten Wettbewerb um Arbeitsplätze, Steuereinnahmen oder Bewohner und Besucher haben.

Der vorliegende Bericht wurde von Frau Dipl.-Ing. Andrea Söhnchen vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr der Technischen Universität Dresden verfaßt.

Bonn, Oktober 1995

Dr. Hannes Tank


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