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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 16 (Fortsetzung)]

4. Probleme betrieblicher Konversion in der Rüstungsindustrie



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4.1 Voraussetzungen und Hindernisse für Produktionsumstellungen

Es gibt nur vereinzelt betriebliche Konversionsversuche und noch weniger erfolgreiche Umwandlungsprozesse, die darauf abzielen, das Wegbrechen von tradierten Geschäftsfeldern zu kompensieren oder die Produktion von militärischen auf zivile Güter umzustellen. Wenige Unternehmen haben den mühseligen Weg des betrieblichen Konversionsweges beschritten, und dies waren vor allem kleinere und Kleinstunternehmen.

Rüstungsunternehmen reagieren also auf drastisch sinkende Nachfrage auf wehrtechnischen Märkten keineswegs automatisch mit Konversionsinitiativen. Vielmehr haben diese Unternehmen aufgrund von Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Rüstungsmärkte ihre Produktionskapazitäten in größerem Maße aufrechterhalten, als dies von der aktuellen Auftragslage her gerechtfertigt scheint. Von gewerkschaftlicher Seite wird kritisiert, daß die Unternehmen der wehrtechnischen Industrie die betrieblichen Initiativen zur Konversion nicht aufgenommen haben. In der

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Ideologie der Bundesregierung und führender Unternehmen der wehrtechnischen Industrie erfolgt die Konversion über die Strukturanpassung am Markt. Kapazitäten werden stillgelegt, Beschäftigte entlassen und soziale Folgen auf die Gesellschaft abgewälzt.

Der dramatische Strukturbruch nach 1989 machte die Konversion zwar politisch-gesellschaftlich hoffähig. Bisher haben sich jedoch viele Rüstungsunternehmen ebenso wie die Bundesregierung als zentraler Nachfrager von Rüstungsgütern einer konkreten betrieblich verankerten, regional wirtschaftlich gestützten und gesamtwirtschaftlich geförderten Konversionspolitik jedoch entzogen. Mit der Verweigerung von betrieblicher projekt- und produktbezogener Konversion erfolgt im Grunde eine Perversion des "dynamischen Schumpeterschen Pionierunternehmers". Destruktion heißt die Perspektive - Zerstörung der Fertigungskapazitäten und Qualifikationspotentiale, nicht Erneuerung, Ausbau und Entwicklung. Bei einer solchen Strategie werden die Chancen vertan, Konversion als wesentlichen Bestandteil eines sozialökologischen Umbaus der Wirtschaft einzusetzen, bei dem es u.a. um Energieeinsparung und verstärkte Nutzung regenerativer Energien, um Absenkung von Energieverbräuchen (3-Liter-Auto) und um einen verstärkten Einstieg in die Kreislaufwirtschaft geht.

Neben dem Verzicht auf einen Einbau der Konversion in eine systematische betriebliche Sanierungs- und Modernisierungsstrategie spielen auch die Besonderheiten der wehrtechnischen Produktionsbedingungen für die Umstellungsprobleme der Rüstungsindustrie eine wichtige Rolle. Produziert wird dort aufgrund politisch-staatlicher Vorgaben. Für die Produkte der Rüstungsbetriebe gibt es im Inland nur den Nachfrager Staat. Im günstigsten Fall sind es einige wenige, im ungünstigsten Fall gibt es nur einen Anbieter auf dem Markt. "Auch bei den Zulieferern der Generalunternehmer und bei den direkten Kleinlieferanten (Verpflegung, Dienstleistungen usw.) führt das proklamierte Prinzip 'Wettbewerb' nur zu unbedeutenden Konsequenzen, weil eine solche Fülle von Regulierungen eingeführt wurde (Berücksichtigung von Mittelstand und Handwerk, von strukturschwachen Regionen usw.), daß schätzungsweise nur einige Prozent des Gesamtauftragswertes wettbewerblich, d.h. durch öffentliche Ausschreibung vergeben werden." [ Fn 12: Helmut Maneval: "Verteidigungspolitik, Abrüstung und Konversion: Ein Überblick über die verteidigungsökonomischen Probleme", in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 1992, Heft 2, 41. Jg., S. 140 f]

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Die Orientierung an den Spielregeln auf den zivilen Märkten macht es erforderlich, daß Marketing und Vertrieb die passende Verbindung zwischen Markt/Kunden und dem Bereich Forschung/Entwicklung herstellen. Dieser Aspekt wird in der betrieblichen Praxis oft vernachlässigt. So waren z.B. bei der Deutschen Aerospace (DASA), bei der es in den meisten Unternehmensbereichen in den letzten Jahren Anstrengungen gab, mit neuen Produkten in neue Märkte einzusteigen, die meisten Diversifizierungs-Ansätze "technologie-getrieben". Produktideen entstanden überwiegend aus der Beherrschung einer besonderen Technologie, ohne ausreichende Orientierung am Kundenbedarf. Dabei ist die Gefahr sehr groß, daß die Entwicklungsarbeiten am Markt vorbeigehen. Die zentrale Funktion, im Dialog mit dem Kunden eine detaillierte Produktspezifikation zu entwickeln, kommt demgegenüber dem Marketing mit dem operativen Vertrieb zu. Deshalb ist es vorteilhaft, ein entsprechendes Mitspracherecht der Marketing-Organisation bei der Entscheidungsfindung sicherzustellen. Ihr sollte ein gleichwertiger Rang gegenüber anderen Fachfunktionen eingeräumt werden, vor allem gegenüber dem technischen Bereich.

Aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen ist es zwar schwierig, ein auf das Produkt zugeschnittenes Vertriebsnetz aufzubauen. Wer sich jedoch nicht von den direkten Markt- und Kundeninformationen abkoppeln will, sollte nur im Notfall Vertriebskooperationen eingehen oder sich von externen Vertriebsorganisationen abhängig machen. Dies kann nämlich zu Lasten der Verbesserung von Produktqualität gehen, die gerade zu Beginn der Einführung eines Serienprodukts über den Markterfolg mitentscheidet. Ein weiteres Problem liegt darin, daß bei Initiativen zur Diversifizierung die notwendigen Kompetenzen der Vertriebsmitarbeiter (persönliches Erscheinungsbild, Präsentations- und Verhandlungstechnik, Argumentationsaufbau, "Zuhören-Können") oft unterschätzt werden. Hier empfiehlt sich die besondere Überprüfung der Mitarbeiterqualifizierung und - soweit erforderlich - die Schulung der Mitarbeiter für die neuen Tätigkeiten im Vertrieb.

Bei der Erschließung ziviler Märkte müssen Rüstungsfirmen sehr rasch mit leistungsfähigen Anbietern konkurrieren, die hochtechnologische Märkte (Umwelt-, Verkehrs- und Kommunikationstechnologien) bereits besetzt haben. Mit ihrer breiten Technologiepalette haben Großkonzerne als militärische Systemanbieter zwar größere Optionen für zivile Betätigungsfelder als mittelständische Unternehmen, die sich oft auf nur eine spezielle Produktion im Rüstungsbereich konzentrieren. Dieser

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Vorteil kann sich jedoch relativieren, wenn die Kostenstrukturen eines Großkonzerns und der Hang zum "Over-Engineering" zur Überteuerung von neuen Produkten führen und - wie z.B. die DASA feststellen mußte - man oft über dem Preisniveau der Konkurrenz liegt. Hinzu kommt, daß bei einem Markteinstieg nicht nur die richtige Produktauslegung, sondern auch der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle spielt. Oft werden für Diversifizierungsprozesse zu lange Zeiträume benötigt, die sachlich gegebene Marktchancen eines neuen Produktes reduzieren oder zunichte machen, weil anderen Unternehmen eine raschere Markteinführung und -durchsetzung aufgrund eines entsprechenden Know-how gelingt.

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4.2 Fallbeispiele für Rüstungskonversion



4.2.1 Sozialverträgliche Modernisierung bei EPRO

Durch Marktanalysen hatte die Firma EPRO Elektronik- und Systemtechnik in Gronau (Nordrhein-Westfalen) festgestellt, daß das Entwickeln und Vermarkten neuer Produkte einen zu langen Zeitraum benötigt. Deshalb wurden andere Wege zur Diversifizierung eingeschlagen.

Bis Ende 1991 gehörte das Unternehmen zum niederländischen Philips-Konzern und stellte als "verlängerte Werkbank" mit rund 220 Beschäftigten ausschließlich Rüstungsprodukte her. 1992 wurde die Firma an den französischen Konzern Thompson verkauft. Seither ist das Unternehmen bemüht, sich mit technologisch anspruchsvollen Produkten am Markt zu etablieren. Mit 160 Mitarbeitern und einem Umsatz von ca. 24 Mio. DM (1995) wird mittlerweile zu 70% bis 80% im zivilen Bereich produziert. Nur noch 20% bis 30% der Produktion betreffen Aufträge im Bereich der wehrtechnischen Industrie.

Heute stellt EPRO überwiegend Produkte für die Meß- und Regeltechnik her. Mit sehr unterschiedlichen Maßnahmen, wie

  • Gründung einer eigenen Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung (die es bis dato als Tochterunternehmen des niederländischen Konzerns nicht
  • gegeben hatte)
  • Suche nach Partnern, die bei EPRO produzieren
  • Kooperationen im Sondermaschinenbau mit anderen Elektronikfirmen zur Sicherung des Marktzugangs

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wurde ein Umstrukturierungsprozeß eingeleitet, der nach Einschätzung der Geschäftsführung fünf bis sechs Jahre in Anspruch nehmen wird.

Die Umstrukturierungen werden mit einer umfassenden Qualifizierung des Personals verbunden, insbesondere im Hinblick auf den Aufbau marktorientierter und betriebswirtschaftlicher Kompetenzen. Für eine neugegründete eigene Vertriebs- und Marketingabteilung wurde Personal eingestellt. Etwa 50% des alten Personals verließ das Unternehmen - ein Teil nutzte die Vorruhestandsregelung, andere Mitarbeiter konnten mit Unterstützung von Betriebsrat und Unternehmensleitung auf dem regionalen Arbeitsmarkt einen neuen Arbeitsplatz finden.

Die umfassende Neuqualifizierung des Personals bildete ein Strategieelement im betrieblichen Konversionsprozeß. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen förderte das Konzept für eine umfassende Qualifizierung der Mitarbeiter als eine Modellmaßnahme präventiver Arbeitsmarktpolitik mit fast 420.000 DM. Weitere Gelder für Qualifizierungsmaßnahmen (über 875.000 DM) stammen aus dem EU-Programm Ziel-2. Außerdem stellt das Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen der Firma EPRO im Rahmen des NRW/EU-Pogramms KONVER Fördermittel in Höhe von 1,07 Mio. DM für die mit der Einführung marktfähiger Produkte verbundenen Risiken zur Verfügung. Gefördert werden dabei Forschung, Entwicklung und Einführung neuer Maschinenüberwachungs- bzw. -diagnosesysteme, beispielsweise für Großkraftwerke. [ Fn 13: Vgl. "Konversionsbericht Band II - Folgen und Chancen des Truppenabbaus in Nordrhein-Westfalen", Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1995, S. 52]

An den Umstrukturierungsprozessen sind die Belegschaft und der Betriebsrat aktiv beteiligt. Für den Erfolg des bisherigen Konversionsprozesses ist der breite Konsens und das hohe Maß an wechselseitigem Vertrauen zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern/Betriebsrat entscheidend. In diesem kooperativen und lernbereiten Klima entfachte sich eine breite Diskussion über organisatorische Modernisierungsmaßnahmen, bei der der Betriebsrat eine wichtige Initiativ- und Promotorrolle innehatte. Im Rahmen einer neu angestrebten Organisationsstruktur, deren Kernelemente ein Produktionscenter, Gruppenarbeit und eine umfassende Qualitätssicherung sind, "ließ sich hier seitens der Interessensvertretung eine - auf die Humanisierung der Arbeit gerichtete - Bresche in die kostenorientierte

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Rationalisierungslogik der Unternehmen schlagen." [ Fn 14: Hans-Werner Franz/Hartmut Schröder: "Qualitätsarbeit braucht Arbeitsqualität: Der Fall epro", in: "Die Mitbestimmung", November 1994, S. 22]
Es konnten Leitlinien zum Schutz der Beschäftigten

  • vor verstärkter Leistungs- und Verhaltenskontrolle
  • vor Beeinträchtigung ihrer Gesundheit,
  • vor Ausgrenzung Schwerbehinderter, Leistungsgeminderter, älterer Arbeitnehmer und sonstiger benachteiligter Gruppen und
  • zur Gestaltung der Arbeit und des Arbeitsplatzes

zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat vereinbart werden. Bei der Entwicklung und Umsetzung der neuen Organisationskonzepte wurde intensiv von externer Beratung und Weiterbildung Gebrauch gemacht (z.B. Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen, Sozialforschungsstelle Dortmund, Technische Akademie Ahaus, Technologie-Beratungsstelle Münster, Universität Münster).

Viele neue Produktideen kamen aus dem Kreis der Belegschaft. Die Geschäftsleitung mußte den Mitarbeitern jedoch klarmachen, daß die meisten Vorschläge aufgrund von Kapitalmangel nicht zu realisieren sind. Da auch EPRO keine Bankkredite für Konversionsmaßnahmen erhält, schlägt das Unternehmen vor, daß in Deutschland dafür besondere Risikokapitalfonds angeboten werden. [ Fn 15: Vgl. dazu: "Konversion: Den Frieden managen - Veranstaltungsimpressionen", eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 21.11. 1994 in Düsseldorf, (Reihe Impulse aus Nordrhein-Westfalen), Bonn 1994, S. 22 f und S. 30]
Solche Risikokapitalfonds für Konversion sind besonders für mittelständische Unternehmen mit einer geringen eigenen Kapitalausstattung attraktiv.

Das Beispiel EPRO kann als Modell für eine partizipative, sozialverträgliche Modernisierung und nicht nur für die Rüstungskonversion eines Unternehmens verstanden werden. Die Umstrukturierung ist beispielhaft für eine regionalisierte, integrierte Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Kleinen und mittleren Unternehmen werden mit dem Fallbeispiel EPRO gangbare Wege für eine innovative Neuorientierung aufgezeigt.

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4.2.2 Diversifizierungsstrategien der DASA

Selbst wenn die DASA als der größte Rüstungsproduzent in Deutschland bei ihren Anstrengungen zur Diversifikation einen größeren Spielraum bei der Vorfinanzierung für die Entwicklung neuer Produkte hat, sind Diversifikationsbemühungen auch hier ein mühseliges Geschäft. Hintergrund für die Diversifizierungsinitiativen bildet die anhaltende Rezession in der Luftfahrtindustrie: konjunkturelle, strukturelle und politische Veränderungen sowie der Einbruch im militärischen Bereich treten zugleich auf. Für die nächsten Jahre wird nicht erwartet, daß die Auslieferungen von Verkehrsflugzeugen wieder das Niveau von 1991 erreichen werden.

Wie die Erfahrungen der DASA zeigen, setzen erfolgreiche Diversifizierungen voraus, daß ein stabiler Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann. Dies demonstriert das Beispiel des Dornier Lithotripters. Vom Ausgangspunkt der Entdeckung des Stoßwelleneffekts an Flugzeugen und der Idee, diesen für die Behandlung von Patienten mit Nierensteinen zu nutzen, vergingen hier bis zur Auslieferung des ersten Seriengeräts 12 Jahre. In diesem Fall konnte ein überzeugender Wettbewerbsvorteil genutzt werden (Nierensteinzertrümmerung ohne Operation bei kürzerem Krankenhausaufenthalt) mit der Konsequenz, daß die lange Umsetzungszeit von der Idee zum Produkt nicht zu Konkurrenznachteilen führte. Anderen Unternehmen ohne entsprechendes Know-how gelang keine schnellere Entwicklung.

Dennoch steht das Beispiel der DASA eher für eine Diversifizierungs- und weniger für eine Konversionsstrategie, weil es hier nicht bewußt zum Abbau von Kapazitäten der Rüstungsproduktion zugunsten ziviler Kapazitäten kam. Vielmehr wurden zusätzliche Marktchancen im zivilen Bereich auf der bestehenden industriellen Basis wahrgenommen. Seit Beginn der 90er Jahre gehören zur strategischen Stoßrichtung der DASA:

  • das Absichern der Kerngeschäfte in der Verteidigung auf niedrigerem Niveau,
  • die Erweiterung der militärischen Produktion um ein neues Kerngeschäft im Bereich Aufklärung, Führung und Information,
  • die Substitution von Arbeitsplätzen durch neue zivile Kerngeschäfte,
  • die verstärkte Vermarktung von Subsystemen und Komponenten in Verteidigungs- und Zivilmärkten.

Für die DASA liegen neue Geschäftsfelder für den zivilen Bereich vor allem in der Telekommunikation. Mit dem kanadischen Unternehmen Northern Telecom, das be-

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reits einen Marktzugang hat, wurde ein Joint-venture gegründet. In den nächsten Jahren werden für die Entwicklung der Übertragungstechnik im Bereich Datenkommunikation ca. 200 Mio. DM eingesetzt. Hierdurch sollen 800 bis 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Dieses Beispiel belegt, daß der Übergang zur Produktion ziviler Güter in der Regel nicht durch Verdrängungswettbewerb auf einem bereits bestehenden Markt stattfindet. Die Orientierung geht vielmehr auf Märkte hin, die sich gerade erst entwickeln.

In einem anderen Projekt wird unter Einschluß einer GUS-Firma mit dem Unternehmen Rockwell Collins die Satelliten-Navigation-Flugführungssensorik für den Luft- und Seeverkehr weiterentwickelt. Der Joint-venture-Partner Rockwell-Collins ist in dem Marktsegment Flugzeugausrüstung Marktführer. Über diese Zusammenarbeit werden Techniken für die Steuerung von Flugzeugen über Satellitensysteme entwickelt. Ziel ist die präzise Führung von Flugzeugen und die Substitution von heutigen Anflughilfen mit dem Vorteil, daß Flugzeuge in ökologisch sinnvollere Anflugschleifen geführt und so Lärmschutz- und Wohngebiete besser geschont werden können. In dieses Projekt werden 160 Mio. DM investiert. Zusätzlich wird in den nächsten Jahren durch ein Joint-Venture mit RWE/NUKEM im Bereich Solarenergie die Option auf diesen Zukunftsmarkt gewahrt. In den kommenden fünf bis zehn Jahren werden in diesem Bereich keine Gewinne erwartet, weil sich der Markt für Photovoltaik nach Einschätzung der DASA ohne staatliche Subventionierung der Verbraucherpreise nicht zu einem Massenmarkt entwickeln kann.

Jedes Unternehmen muß sich bei der Konversion auf die eigenen Stärken besinnen und bisher brachliegende personelle Potentiale nutzen. Bei Daimler-Benz werden seit drei Jahren in fast allen Bereichen Mitarbeiter systematisch nach Produktideen befragt (Intrapreneur-Programm). In der ersten Runde wurden auf diesem Wege rund zweihundert Vorschläge gesammelt, von denen etwa 15 einer Prüfung durch die Unternehmensleitung standhielten. Diese Vorschläge werden im Konzern gefördert und die betreffenden Mitarbeiter qualifiziert. Später erst wird die Entscheidung getroffen, ob ein Projekt im Konzern bleibt oder dem Mitarbeiter die Chance gegeben wird, sich mit der Idee selbständig zu machen. Dieses Programm wird auch vom Betriebsrat unterstützt. Vom Unternehmen werden Büroräume und Infrastruktur preiswert zur Verfügung gestellt. Weiter gibt das Management Beratungshilfen. Trotz günstiger Rahmenbedingungen haben bisher nur relativ wenige Mitarbeiter die Chance dieser Initiative zur Selbständigkeit genutzt.

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Von gewerkschaftlicher Seite werden Finanzierungshilfen für betriebliche Konversionsinitiativen durch den Bund gefordert, mit deren Hilfe Ideen von Mitarbeitern der Entwicklungsabteilungen mit Beiträgen bis zu 20.000 DM gefördert werden sollten, die von der Unternehmensleitung nicht aufgegriffen wurden. Die Gewerkschaften wollen Rüstungskonversion als ein strategisches Instrument für den sozialökologischen Umbau ausgestalten. Konversion soll demnach Teil eines politischen Re-engineerings in den Betrieben sein und einen Modernisierungsschub auslösen. Dies setzt auch deutliche Veränderungen in der betrieblichen Organisation und Kommunikation voraus. Dabei ist zu beachten, daß dieser Strukturwandel unter anderen Bedingungen abläuft, weil die zivile Produktion - anders als die Herstellung von Rüstungsgütern - nicht in einem Schonraum (stabile Kundenbeziehungen, wenig Konkurrenz, lange Entwicklungszeiten, vernachlässigtes Kostenbewußtsein, Technologielastigkeit) stattfindet.

Für die Betriebskultur ist es darüber hinaus relevant, daß Geheimhaltungsvorschriften die Kommunikation, formalistische Arbeitsabläufe die kreativen Prozesse und hierarchische Gliederungen die Kooperation hemmen. Lang andauernde Spezialisierungen auf ein Problem schwächen zudem die Flexibilität, und die Konzentration auf rein technische Fragestellungen verhindert eine realistische Bewertung der zivilen Neuprodukte. Da Veränderungen des Verhaltens der Mitarbeiter eher mit Veränderungen betrieblicher Organisationsstrukturen einhergehen, empfehlen Experten, die militärische und die zivile Auftragsbearbeitung zu trennen. Allein informelle, lockere Konversionsgruppen im Betrieb reichen nicht aus, um die eingefahrenen Strukturen des Rüstungsbereichs zu durchbrechen: Die Arbeits- und Organisationsweisen und die Verhaltensanforderungen zwischen zivilem und militärischem Bereich sind zu unterschiedlich.

Auch die Gründung einer neuen Abteilung im Unternehmen kann sich als unzureichender Problemansatz erweisen, wenn z.B. militärische Abteilungen die Zuarbeit für zivile Projekte verweigern oder das Management zivile Entwicklungen blockiert. In solchen Fällen kann die Ausgründung ziviler Bereiche für Veränderungen zugunsten einer innovationsfördernden Unternehmenskultur notwendig werden. [ Fn 16: Zu den Aspekten von Rüstungskultur als ein Hemmfaktor betrieblicher Konversion vgl. Martin Grundmann: "Subjektbezogene Aspekte von Konversion", in: Stephan BrückI u.a. (Hsg.): Betriebliche Konversion - Erfahrungen - Probleme - Perspektiven, Münster 1994, S. 81-94]
Hierbei ist darauf zu achten, daß die Lernbereitschaft der betrieblichen Akteure gefördert

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wird, und daß das Management die Beschäftigten nicht als Anhängsel des Konversionsprozesses, sondern als aktive Beteiligte einstuft und einsetzt. Grundsätzlich sollten Konversionsinitiativen als langfristig angelegte Strategie und als kultureller Wandel verstanden werden, in die die Mitarbeiter bewußt miteinzubeziehen sind. Wenn dies ernstgenommen wird, darf Diversifizierung bei den Mitarbeitern nicht den Eindruck vermitteln, daß zivile Produktionen lediglich als "Lückenbüßer" fungieren. Diversifizierung sollte deshalb immer mit der Zielsetzung verbunden sein, ein neues Kerngeschäft für das Unternehmen zu entwickeln.

Das durch Auftragseinbußen seitens der Bundeswehr bedingte Wegbrechen von Arbeitsplätzen in der Rüstungsproduktion wird sich bei der DASA allerdings durch Diversifikationsinitiativen nicht vollständig kompensieren lassen. 1990 belief sich das Verhältnis "Personal militärisch: Personal zivil" noch auf fast 9:1. Der massive Stellenabbau bei Daimler-Benz-Aerospace im Jahr 1992 um 2.600, im Jahr 1993 um 7.800 und im Jahr 1994 um über 10.000 Arbeitsplätze [ Fn 17: Vgl. "Schrempp verordnet Daimler-Konzern eine Roßkur", Frankfurter Rundschau vom 29.6.1995] konnte aber nicht durch den Ausbau ziviler Produktionsanteile aufgewogen werden. Auch das Beispiel Krauss-Maffei - ehemals drittgrößter Rüstungsbetrieb der Bundesrepublik und häufig als Musterbeispiel für Konversion genannt - zeigt, daß lediglich 30% der im wehrtechnischen Bereich abgebauten Beschäftigten in zivilen Bereichen unterkommen konnten. [ Fn 18: Vgl. Stephan BrückI: "Krauss-Maffei - Pionier ökologisch orientierter Konversion ?" in: Stephan BrückI u.a. (Hsg.): Betriebliche Konversion - Erfahrungen - Probleme - Perspektiven, Münster 1994, S.79 ]
Krauss-Maffei hat im Zusammenhang mit dem Konversionsprozeß ebenfalls mit einem ökologischen Umbau begonnen, der langfristig mehr Arbeitsplätze sichern soll als die Rüstungsproduktion; kurzfristig konnten dagegen nicht in ausreichendem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Grundsätzlich besteht die Gefahr, daß über den Rüstungsexport die reduzierte Inlandsnachfrage nach Rüstungsgütern kompensiert wird. Im Daimler-Benz-Konzern wird dies jedoch nicht als eine geeignete Strategie betrachtet, schon allein weil die deutschen Exportrichtlinien dafür als zu restriktiv eingestuft werden. Es gibt jedoch Tendenzen, daß Rüstungsexportgeschäfte in den nächsten Jahren noch stärker über die Kooperation mit anderen europäischen Rüstungsproduzenten abgewickelt werden. Bei dieser Strategie wird das Kriegswaffenkontrollgesetz der Bundesrepublik formal nicht tangiert und kann so umgangen werden.

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Die bisherigen Erfahrungen bei Daimler-Benz-Aerospace illustrieren ein Grundproblem aller Konversionsinitiativen: Es ist sehr schwierig, neuartige Produkte zu finden, die marktfähig sind. Erfolgreichen Diversifizierungsprodukten, wie z.B. der Airbag-Sensorik, steht eine Vielzahl von verfehlten Ansätzen der Innovation gegenüber. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für Diversifizierung ist in der Größenordnung von 1: 10 bis 1: 20 anzusiedeln, schätzt die DASA. Die Erfahrungen demonstrieren, daß es nicht ausreicht, nur eine neue Produktidee zu haben. Voraussetzung für den Erfolg ist auch ein klarer Wettbewerbsvorteil für einen Wachstumsmarkt, der nach einem durchdachten Konzept, das u.a. den Marktzugang aufzeigt, genutzt wird. Dagegen ist ein Verdrängungswettbewerb auf zivilen Märkten auch für Rüstungsproduzenten nur schwer durchzustehen.

Nicht immer ist zwischen Verdrängungswettbewerb und Einstieg in einen Zukunftsmarkt sauber zu trennen. Das zeigt z.B. der Bereich Entsorgung, den die DASA verstärkt als Markt anpeilt. Hier wird die Technik, die zur Produktion von Munition eingesetzt wurde, zur Munitionsentsorgung genutzt, so beispielsweise von dem DASA-Unternehmen in der sächsischen Gemeinde Steinbach, das thermische Entsorgungsanlagen liefert und betreibt. Auf diesem sich in den letzten Jahren entwickelnden Markt gibt es bereits Konkurrenten.

4.2.3 Konvertierte und neue Geschäftsfelder der BÜCK INPAR

Zu den DASA-Konkurrenten im Bereich der Munitionsentsorgung gehört die Firma BÜCK INPAR in Pinnow. Dieser Standort in der Uckermark diente seit Mitte der 30er Jahre der Rüstungsproduktion. Hergestellt wurden u.a. Panzerabwehrraketen. Im Jahr 1991 übernahmen die schwäbischen BUCK-Werke die Munitionsfabrik. Für die Aktivitäten im Bereich der Munitionsentsorgung enthielt das Unternehmen von der Treuhandanstalt eine Anschubfinanzierung. Bück hatte zwar Erfahrungen mit der Entsorgung von Explosivstoffen; dies allein reichte aber für den Förderungszuschlag unter den zahlreichen Bewerbern nicht aus. Die Treuhand forderte alle Bewerber auf, nicht nur für den Sektor Munitionsentsorgung, sondern für den ganzen Standort ein Gesamtunternehmenskonzept vorzulegen. Darin waren auch die Aktivitäten auf neuen Gebieten zu definieren.

Heute fertigt das Buck-Unternehmen u.a. Wohnmodule, Altenpflegebetten und Isolierfenster. Ein zusätzliches Standbein bildet die Sanierung militärischer Altlasten

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mit Spezialtechniken für die Munitionsbeseitigung. Mit den Gewinnen aus der Entsorgung von Munition und Treibstoffen konnte der Aufbau des neuen Geschäftsbereiches "Medizintechnik" unterstützt werden, der auf die Herstellung und Vermarktung von Spezialmöbeln für Pflegeheime und die Heimpflege spezialisiert ist. "Das Unternehmen hat in Pinnow in den letzten Jahren über 50 Mio. DM an Investitionen getätigt. Davon ist ein Großteil in moderne Arbeitsplätze geflossen. Die Mitarbeiterzahl hat sich von ca. 500 im Jahresdurchschnitt 1993 auf 800 erhöht, das sind deutlich mehr, als in den Vereinbarungen mit der Treuhand für 1994 als Ziel formuliert wurde." [ Fn 19: "Venture in Brandenburg" - BÜCK INPAR GmbH, in: BWI - Wirtschaftsdienst Brandenburg, Heft 19, Stahnsdorf 1994, S. 47]

Aber auch wenn die von der Treuhandanstalt geforderten 730 gesicherten Arbeitsplätze von BÜCK INPAR Ende 1993 erreicht werden konnten, wird erst die Zukunft zeigen, ob die Geschäftsfelder der zivilen Produktion sich auf Dauer als stabil erweisen. Solche Umstellungen sind nur dann langfristig als erfolgreich einzustufen, wenn Unternehmen sich auch noch nach dem Wegfall von Fördermitteln, die sie während einer Übergangszeit von der EU, vom Bund und vom Land erhalten haben, am Markt behaupten können. Im Fall der ehemaligen Munitionsfabrik Spreewerk Lübben aus Brandenburg ist der Konversionserfolg fraglich, weil dort nicht frühzeitig diversifiziert wurde. Der früher auf Munitionsherstellung beschränkte Betrieb hat sich einseitig auf Munitionsentsorgung umgestellt. Seitdem entsprechende Aufträge der Bundeswehr ausbleiben, ist der Betrieb in eine Krise geraten: Personal muß entlassen, Kurzarbeit gefahren werden.

Bei BÜCK INPAR ist das Gelingen des Konversionsprozesses sicherlich auch darauf zurückzuführen, daß hier die Frage der Diversifikation bereits zehn Jahre auf der Agenda stand, also schon bevor der Weg der Konversion eingeschlagen wurde. [ Fn 20: Zum Fall Bück INPAR vgl. auch Peter Glasow: "Chancen, Risiken und Probleme des Engagements der BÜCK Werke in den neuen Bundesländern am Beispiel der BÜCK INPAR GmbH in Pinnow", in: BWI - Wirtschaftsdienst Brandenburg, Heft 20, Stahnsdorf 1994, S. 42-46]
Dieses erfolgreiche Beispiel für betriebliche Konversion verdeutlicht auch den hohen Stellenwert der regionalen Rahmenbedingungen für das Gelingen solcher Initiativen. So hat z.B. der Konversionsbeauftragte des Brandenburgischen Ministerpräsidenten einen Vertrag über den Bau von Wohnungen für zurückkehrende Soldaten der russischen Streitkräfte ausgehandelt. Auf dieser Basis konnte die betriebliche Kon

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version der Firma BÜCK INPAR mit der Lösung von dringenden Problemen der Wohnungsversorgung verknüpft werden, die durch die Demobilisierung von Soldaten und ihrer Familien nach Rußland verursacht wurden. [ Fn 21: Vgl. Helmut Domke: "Military Conversion - The East Germany Case", Potsdam 1993, S.3f]


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