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[Seite der Druckausgabe: 12 / Fortsetzung]


Nichts ist zuwenig

Wirtschafts- und Finanzkreise stellten "Zweckmäßigkeit, Glaubwürdigkeit und Durchführbarkeit" der einheitlichen Währung in Frage, klagt die EU-Kommission in ihrem jüngst veröffentlichten Grünbuch. Eine beliebte Methode dieser "Wirtschafts- und Finanzkreise", zu denen natürlich auch Notenbanker gehören, ist es, als Voraussetzung der gemeinsamen Währung eine perfekte Gemeinschaft samt parlamentarisch legitimierter Regierung in Brüssel zu fordern. Sozusagen der big bang staatlicher Verfaßtheit mit gemeinsamer Außen-, Sicherheits-, Sozial- und welcher Politik auch immer. Mag ja sein, daß Politiker solches meinen oder als Vorwand benutzen, vertragswidrig aus Maastricht auszusteigen, 1999 und später.

Eines jedenfalls stimmt: Am Kern der Wirtschafts- und Währungsunion muß nachgearbeitet werden - am besten bei der Regierungskonferenz 1996, spätestens aber durch eine Sondervereinbarung zwischen den Teilnehmern an der Einheitswährung, wenn sie denn feststehen.

Für die Stabilität besteht nicht nur das öffentlich erörterte Risiko, daß es einzelne Länder an der notwendigen Haushaltsdisziplin fehlen lassen könnten:

dieses Risiko ist angesichts der angenäherten politischen Verhaltensmuster bei den Kandidaten für die erste Einheitsrunde gering. Ein viel größeres Risiko

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geht von der Einkommenspolitik aus. Im künftigen einheitlichen Währungsgebiet wird sich vermutlich, wegen der Vergleichbarkeit der Löhne und Gehälter, die Tendenz verstärken, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu verlangen - Produktivität hin, Produktivität her -, jeder Kundige in Deutschland weiß seit der Vereinigung, was Lohnerhöhungen dieser Art mitbewirkt haben: Massenarbeitslosigkeit in den neuen Ländern bei riesigen Transferzahlungen. Und sie führten, was meist vergessen wird, zu einer martialischen Restriktionspolitik der Bundesbank.

Fehler in der Einkommenspolitik sind schon beim Einstieg in die gemeinsame Währung möglich. Wird der Umtauschkurs einer nationalen Währung, gemessen an der Produktivität, zu hoch gewählt, dann sind auch die Lohnkosten von Anfang an zu hoch. In diesem Zusammenhang haut der Bundesverband der Deutschen Industrie schon auf den Putz. "Wird die D-Mark am Umstellungsstichtag zu hoch bewertet, würde der daraus resultierende Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit unerwünschte Konsequenzen für Unternehmenserträge, Investitionen und Beschäftigung mit sich bringen". Wie dramatisch das werden kann, erfahren gegenwärtig Arbeitnehmer des Daimler-Benz-Konzerns, der mit Hinweis auf die weltweit überbewertete Mark Produktionsverlagerungen in Weichwährungsländer zu Lasten deutscher Arbeitsplätze auf den Weg bringt.

Wer festverzinsliche Wertpapiere hält, strebt nach einem hohen Eingangskurs, bei dem er einen tollen Schnitt machen kann; wer dagegen Güter produziert, wessen Gewinn von abzusetzenden Produkten abhängt, wer Löhne zu bezahlen hat, für den sind aufgeblasene Wechselkurse Gift.

Kurzum: Mit der Eingangsbewertung der Mark im Verhältnis zum Ecu kann das Elend überhöhter Löhne ohne Zutun von Arbeitgebern und Gewerkschaften schon beginnen. Da den Banken der Anleger meist näher ist als der Produzent, entsteht schon jetzt ein hoher Bedarf an politischer Einflußnahme durch Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Unternehmensverbände. Von wegen Standort Deutschland. Aber nicht nur vor und in der Geburtsstunde des neuen Zahlungsmittels, sondern auf Dauer müssen beide Seiten darauf Einfluß nehmen, daß die zu Hause erreichte Kostendisziplin nicht durch zu hohe Wechselkurse gegenüber dem Rest der Welt zunichte gemacht wird.

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Fragt man die kalten Krieger der Neoklassik, was denn passiere, wenn im einheitlichen europäischen Währungsgebiet, etwa in Deutschland, zu hohe Löhne verabredet werden, so haben sie eine schlichte Antwort: Die zu hohen Löhne führen zu Arbeitslosigkeit und zu Pleiten bei deren Verursachern; diejenigen büßen, die gesündigt haben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn zunächst werden die Unternehmen Lohnkosten über Preissteigerungen weitergeben; andere werden sich anhängen, weil der Markt es hergibt. Steigende Erzeugerpreise bringen Notenbanken zu Recht auf Trab. Die europäische Zentralbank wird zu restriktiver Politik im ganzen Währungsgebiet greifen. Diese Restriktion aber trifft eben nicht nur die Sünder, sondern Unternehmen und Arbeitnehmer im gesamten Währungsgebiet. Deshalb liegt es im elementaren Interesse von Arbeitgebern und Gewerkschaften, daß die Lohnpolitik nicht in nationalen Verbänden zersplittert bleibt, sondern eine Linie für den Währungsraum insgesamt organisiert werden kann.

Eine geradezu unheimliche Lücke klafft in den europäischen Vertragswerken. Einerseits ist klar, daß es in der Währungsunion wesentlich auf die Einkommenspolitik der Tarifvertragsparteien ankommen wird, wenn die Wachstums- und Beschäftigungschancen der Einheitswährung nicht verspielt werden sollen. Andererseits sind aber "die Bereiche Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streik- und Aussperrungsrecht... aus dem Gemeinschaftshandeln noch vollständig ausgeschlossen", wie Otto Schlecht beklagt, der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung. Auch einige der Profis aus der Bundesbank nennen eher beiläufig das Thema: "Solange Verteilungskämpfe auf der Ebene der Mitgliedsstaaten ausgetragen werden ...", liest man beim Direktoriumsmitglied Peter M. Schmidhuber. Bei dem Düsseldorfer Landeszentralbank-Präsidenten Reimut Jochimsen findet sich in Klammern die Lesefrucht: "Die Tarifpolitik einmal ausgeklammert". Über die Benennung der Lücke aber geht keiner hinaus.

Selbstverständlich kann und braucht man nicht in vier Jahren auf EU-Ebene ein komplettes Regelwerk der Tarifautonomie mit Tarifvertragsgesetz, Streik- und Aussperrungsrecht ins Werk zu setzen. Aber nichts ist deutlich zuwenig. Zumindest müssen Regeln geschaffen werden, die es Spitzenverbänden der Arbeitgeber und der Gewerkschaften auf EU-Ebene abverlangen, sich zur Wirtschafts-, Finanz-, Zentralbank- und Einkommenspolitik im Währungsge-

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biet konkret und verantwortlich zu äußern. Ziel: Empfehlungen an die nationalen Verbände.

Wer meint, das alles könnten Zentralbank oder Ministerrat tun, übersieht die Integrationsfunktion der Tarifpartner, die für einen optimalen Wachstums-, Beschäftigungs- und Stabilitätspfad im Währungsgebiet unverzichtbar ist. "Der Staat muß daran interessiert sein, daß die Politik unterschiedlicher Institutionen nicht zu gesamtwirtschaftlich inakzeptablen Ergebnissen führt", meinte Zentralbankratsmitglied Hans-Jürgen Krupp 1994. Es ist nun mal so: Arbeitgeber glauben ihresgleichen eher als Finanzministern und Notenbankern. Bei Gewerkschaften ist es genauso.

Wer könnte überzeugender bei Arbeitnehmern wirken als Gewerkschaftsführer, die ihnen erläutern, daß die Währungsunion nützt und nicht überall den gleichen Lohn erfordert, weil die Kosten für die Lebenshaltung in den Regionen höchst unterschiedlich sind. Und daß dies wegen unterschiedlicher regionaler Produktivität auch so sein muß, wenn Arbeitsplätze - im Umbruch der Währungen jedenfalls - wettbewerbsfähig bleiben sollen. Die Ökonomen wissen, daß das Pro-Kopf-lnlandsprodukt beispielsweise in Rheinland-Pfalz nur knapp siebzig Prozent des hessischen Niveaus erreicht. Das wird auch im einheitlichen Währungsgebiet so sein, zwischen dem Saarland und Lothringen etwa.

Im einheitlichen Währungsgebiet der Vereinigten Staaten ist die Einkommensverteilung regional extrem differenziert. So liegt der Staat Mississippi bei zweiundvierzig Prozent des reichsten (Connecticut) und bei einundsiebzig Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens insgesamt. Dies wird in der EU mit Einheitswährung zunächst kaum anders sein, soll sie ohne Völkerwanderung mehr Wachstum und weniger Arbeitslosigkeit erreichen.

Michael Geuenich, im DGB-Bundesvorstand für derartige Fragen zuständig, deutete an, daß sich der DGB jedenfalls auf den Weg mache in Richtung Europa. Die Arbeitgeberseite sei aber wenig interessiert. Das Thema werde im Wirtschafts- und Sozialrat der Gemeinschaft - einer Institution eher im Schatten der Entscheidungen und der Öffentlichkeit - aufbereitet. Das mag ein Anfang sein, den Tarifpartnern in Europa vor Augen zu führen, daß man in Brüs-

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sel aktionsfähig werden muß, wenn die Politik der Europäischen Zentralbank für alle Tarifbezirke gleich sein wird.

Wenn die Regierungen in der EU sich auf der Konferenz zu Maastricht 1996 nicht auf die notwendigen Präzisierungen und Ergänzungen verständigen, dann muß, wenn die Gründungskandidaten für die Währungsunion feststehen, zwischen diesen eine Sondervereinbarung getroffen werden; sie muß die Lücken und Schwächen des Maastrichtvertrages beseitigen und zugleich mit der Einheitswährung in Kraft treten. 1999 oder später. (Das gibt zwar Probleme mit dem Rest der EU-Mitglieder. Aber rechtlich gesehen gilt dort der Grundsatz, daß nur gleiches gleich behandelt werden muß.) Diese Sondervereinbarung sollte auch den Tarifpartnern eine verantwortliche Funktion im einheitlichen Währungsgebiet eröffnen. Dabei geht es um die institutionellen Voraussetzungen für eine angemessene Einkommenspolitik, nicht etwa um einen europäischen Flächentarifvertrag.

Die Themen, mit denen gegenwärtig Notenbanken, das Europäische Währungsinstitut und die Kommission das staunende Volk überziehen - beispielsweise wer die einheitliche Währung als Zahlungsmittel ab wann in welcher Form benutzen darf oder muß -, sind bei aller Raffinesse deutlich weniger bedeutend als die Entscheidung über den geld- und währungspolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank, als das notwendige neue EWS, als die Umtauschkurse nationaler Währungen in die Einheitswährung und eben als die künftige Funktion der Tarifvertragsparteien im einheitlichen Währungsgebiet.

Wie das Geld heißen soll, mögen manche für bedeutsam halten. Wenn es Vertrauen verdient, kann man es auch Karlchen taufen, nach Charlesmagne und Karl dem Großen. Wenn nicht, nützt auch der schönste Name nichts.

Erscheinen Einkommens- und Fiskal- und Währungspolitik für das künftige Gebiet der Einheitswährung gesamtwirtschaftlich plausibel und politisch verläßlich, dann bleiben auch die Wechselkurse der Teilnehmer in der kritischen Phase zwischen ihrer endgültigen Fixierung und der Ausgabe der Banknoten fest. Ohne diese Voraussetzungen wird es weder durch big bang, delayed big bang, noch mounting wave, wie die Umstellungsszenarios genannt werden, endgültig gelingen, die Spekulation technokratisch zu überlisten.

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Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zweifelt daran, daß im Jahr 1999 die Stunde der Einheitswährung schlägt, weil dann das zentrale Thema im Bundestagswahlkampf 1998 heißen werde: "D-Mark: ja oder nein". Mit Blick in die Umfragen - siebzig Prozent der Deutschen wollen die Mark behalten - scheint gegen diesen D-Mark-Populismus bisher kein mehrheitsfähiges Kraut der Aufklärung gewachsen. Viel hängt davon ab, inwieweit es den Regierungen bei ihrer Konferenz 1996 zu Maastricht gelingt, die evidenten Schwächen des unfertigen Vertrages vertrauenstiftend zu beseitigen.

Das stramme Wort von Margaret Thatcher "Eine Nation ohne Währung ist keine Nation" ist zu Zeiten weltoffener, globalisierter Kapitalmärkte mit Yen und Dollar für kein Land in Europa ökonomisch zukunftsweisend. Was nützt es einer Nation wie der britischen, wenn sie ihr eigenes, schwaches Pfund drucken kann? Aber noch fühlen die Deutschen, mit ihrer zu starken Mark, eher mit Margaret Thatcher als mit Helmut Kohl.

Der Beitrag erschien in der ZEIT vom 7., 14. und 21. Juli 1995 als Serie

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Dr. Claus Noe war von 1969-1987 im Bundesministerium für Wirtschaft tätig und von 1987-1993 Staatsrat in der Behörde für Wirtschaft der Freien und Hansestadt Hamburg.


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