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4. Perspektiven der Stadtentwicklung in Berlin: von Großsiedlungen zu städtischen Quartieren



4.1 Zu den Bedingungen von Urbanität und Zentrenbildung

Einer der schillerndsten Begriffe in der Debatte um die Ziele der zukünftigen Stadtentwicklung ist der der Urbanität. Zwar wird urbanes Leben, die Urbanität eines Stadtviertels als wichtiges Ziel der Stadtplanung allgemein anerkannt, aber eine praxisnahe und operationalisierbare Definition fehlt. Diese Unschärfe führt zu Mißverständnissen, da nicht jede Baumaßnahme zu einer

gesteigerten Urbanität des betroffenen Quartiers führt. Im Folgenden sei die Urbanität eines Stadtviertels bzw. seines Zentrums bestimmt durch seine gesamtstädtische oder regionale Bedeutung; sie läßt sich über

  • die Vielfalt seiner Angebotsstruktur und
  • den regelmäßigen Aufenthalt Gebietsfremder

grobfassen. Ein urbanes Gebiet hat zumeist ein spezifisches Profil, das die Wahrnehmung seiner Bewohner und Besucher prägt. In der Regel sind hier Entscheidungsspitzen politischer und wirtschaftlicher Institutionen mit einer gesamtstädtischen oder regionalen Aufgabe angesiedelt. Oft zeichnen sich solche Quartiere auch durch ein besonderes kulturelles Angebot ('Szene') aus, das seinen überregionalen Bekanntheitsgrad bestimmt. Die ostberliner Großsiedlungen verfügen bis dato nicht über solche Funktionen bzw. ein entsprechendes Image. Zwar ist es einzelnen Siedlungsteilen gelungen, sich über den Ausbau von Stadtteilzentren von dem Rest des Plattenbaugebietes zu unterscheiden (Beispiel das Image der 'Gartenstadt Hellersdorf mit dem Einkaufs- und Freizeitzentrum „Helle Mitte"), aber noch sind das keine Quartiere, die Besucher aus der Region, geschweige denn Touristen anziehen.

Während der Tagung kam es deshalb zu einer Kontroverse über das Entwicklungspotential der Großsiedlungen. Staatssekretär Stimmann von der Senatsverwaltung für Städtebau vertrat dezidiert die These, daß die Großsiedlungen zwar weiter genutzt werden sollten, da ein flächendeckender Abriß weder möglich noch erstrebenswert sei, es sich städtebaulich aber um ein „Auslaufmodell" handele. Er begründete dieses mit einer Prognose über den zukünftigen Wohnbedarf, der - analog zur Entwicklung in Westdeutschland - sich weiter ausdifferenziere und ganz andere Forderungen an Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten fordere. Im Gegensatz zu den Altbauquartieren aus der Gründerzeit böten die Plattenbausiedlungen nicht die technischen und architektonischen Voraussetzungen um sich den verändernden sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Modernisierung bzw. Anpassung an andere Nutzungen sei wegen der zu großen Einheiten und den monopolistischen Eigentumsstrukturen viel schwerer als im Altbau der Gründerzeit. Da das Wohnungsproblem quantitativ gelöst sei, bestehe die Gefahr einer 'Abstimmung mit den Füßen'. Dieser Argumentation wurde von verschiedenen Seiten heftig widersprochen. Besonders die für das Modernisierungsprogramm verantwortliche Fachbeamtin der Senatsbauverwaltung, Schümer-Strucksberg, beschrieb die vielfältigen Umnutzungsmaßnahmen, die in der Übergangszeit erfolgt seien und

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betonte das Potential der Großsiedlungen, auch angesichts der zunehmenden Verlagerung von Industrie und Gewerbe aus dem Innenstadtbereich heraus an die Stadtrandlagen. Die Vorbehalte gegen eine wohnnahe Gewerbeansiedlung, wie sie unmittelbar nach der 'Wende' massiv vorhanden gewesen wären, seien angesichts der Krise auf dem Arbeitsmarkt weitgehend verschwunden. Es komme darauf an, von der Angebotsergänzung und der Wohnumfeldverbesserung zu dem Ausbau von Stadtteilzentren zu kommen, welche auch Funktionen über das Quartier hinaus übernehmen. Als positives Beispiel gilt die Ansiedlung der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege. Diese Orientierung wurde auch von Vertretern der lokalen Initiativen und der Wohnungsgesellschaften unterstützt. In der Diskussion wurde von dem Städteforscher Hunger dieser Entwicklungspfad relativiert. Er ging von Forschungsergebnissen aus anderen Großsiedlungen in Ostdeutschland aus und betonte den Sonderstatus der ostberliner Großsiedlungen, der sich aus der großzügigen staatlichen Bauförderung und der vergleichsweise guten Arbeitsmarktlage ergebe. In anderen Großsiedlungen habe es sich weder als durchführbar, noch als sinnvoll erwiesen, eine solche Funktionsmischung anzustreben. Die Grenze einer Funktionsausweitung durch Gewerbeansiedlung solle die gute Wohnqualität in den Großsiedlungen bleiben. Am Beispiel Hellersdorf ließen sich Schwächen der Berliner Städtebauplanung aufzeigen: Gerade in den ostberliner Bezirken habe sich die Planung auf das sternförmige Hauptachsenmodell fixiert, wodurch „innere" Stadtteilzentren vernachlässigt worden seien. Das zeige sich an der Funktionsanreicherung auf den Achsen Landsberger Allee und Frankfurter Allee, die Kaufkraft aus den Stadtteilzentren Lichtenbergs und Marzahns abziehe. Für die Zentrenbildung Hellersdorf wirke sich vor allem das große Einkaufszentrum Eiche im unmittelbar angrenzenden Umland negativ aus, da so massiv Kaufkraft aus dem Stadtgebiet abfließt.

Ein hochwertiger Einzelhandel ist die Voraussetzung für funktional gemischte Erlebnisbereiche mit Freizeit- und Kulturangeboten. Zentrale Aufgabe für die Zukunft sei die Schaffung von „Beschäftigungs- und Ausbildungsinseln" als Ausgangspunkte für die Bildung lokaler Ökonomien (vgl. dazu Punkt 4.3).

In Marzahn ist um die Marzahner Promenade ein Stadtteilzentrum entstanden, das mit seinem Angebot die meisten lokalen Bedürfnisse befriedigt, ohne durch seine Gestaltung eine Anziehungskraft in der Stadtregion auszuüben. Hier werden die Grenzen der Dienstleistungswürfel-Architektur deutlich. Mit der Schaffung eines neuen Hellersdorfer Zentrums, der „Hellen

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Mitte" entwickelt sich ein echtes urbanes Teilzentrum. Inwieweit das Rückwirkungen auf die Sozialstruktur in der Umgebung hat, d.h. eine Verdrängung von Haushalten mit niedrigen Einkommen aus der neuen „City-Lage" bewirkt, läßt sich zur Zeit noch nicht beantworten. Wichtig bleibt auch für derart aufgewertete Quartiere die Einbindung in die gesamtstädtische Aufgabenteilung. Dafür ist gute ÖPNV-Anbindung der Großsiedlungen eine wichtige Voraussetzung, die allerdings durch die Preispolitik der BVG gefährdet ist. Für das ganze Stadtgebiet ist ein umfangreiches und billiges Nahverkehrssystem ein Standortfaktor und die Grundlage einer gesamtstädtischen Integration.

Sicherlich gibt es kein Patentrezept, wie aus Wohnsiedlungen Stadtteile mit eigenen Zentren und urbanem Leben werden. Stadtplanung und öffentliche Bauförderung kann dafür Anreize geben, entscheidend bleibt aber die Akzeptanz der Quartiere durch die Bewohnerschaft und das nach außen vermittelte Image. Knorr-Siedow vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung definiert deshalb Urbanität über „das Zusammentreffen von befriedigendem privaten Alltagsleben und der Möglichkeit sich am Öffentlichen Leben zu beteiligen". So anschaulich diese Definition ist, so unscharf bleibt sie. Was man bestimmen kann, sind die Anforderungen an eine Stabilisierung der Großsiedlungen, um eine soziale Abwärtsbewegung zu vermeiden:

  • Eine an den Bedürfnissen der Bewohner ausgerichtete Gewerbeansiedlung
  • Ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot vor allem für Geringqualifizierte
  • Errichtung oder Ausbau von Zentren für Freizeit- und Kulturangebote als urbane Kristallisationspunkte
  • Einbindung in die gesamtstädtische Aufgabenteilung.

Gemessen an diesen Anforderungen haben die ostberliner Großsiedlungen gute Chancen sich zu Stadtteilen weiterzuentwickeln. Notwendig aber bleibt eine soziale Stabilisierung über einen funktionierenden Arbeitsmarkt.

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4.2 Technologie- und Gründerzentren und ihre Aufgabe einer kleinräumigen Arbeitsteilung von Arbeiten und Wohnen in „neuen" Stadtvierteln

Technologieförderung gilt als ein wichtiges Instrument der Wirtschaftspolitik zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, Region oder Branche. Über die gezielte öffentliche Förderung der Grundlagenforschung auf zentralen wichtigen Technologiefeldern wie Computer- und Kommunikationstechnik, Werkstoffentwicklung, Genforschung / Biotechnologie / Medizintechnik sollen neue Erkenntnisse gefunden werden. Als Schwachstelle der deutschen Forschung & Entwicklung gilt v.a. die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in neue Produkte und Fertigungstechnologien. So wird die mangelnde Kooperation von Universitäten und Instituten mit den Unternehmen beklagt. Aber auch die Umsetzung von Produktideen in neue Erzeugnisse innerhalb der Unternehmen gilt als unzureichend. Besonders bei großen, am Markt etablierten Unternehmen gibt es anscheinend lange und langsame Entscheidungsprozesse, ehe aus einer neuen Technik ein marktfähiges Produkt entsteht. Im internationalen Vergleich fällt besonders der Mangel an Existenzgründungen durch junge Wissenschaftler und Ingenieure auf. Das entscheidende Hindernis ist oft das mangelnde Eigenkapital der potentiellen Unternehmensgründer und das risikoaverse Verhalten der Kreditinstitute. Diese verlangen Sicherheiten oder Bürgschaften, da sie nicht in der Lage sind, die Marktchancen neuer Technologien abzuschätzen. Ein Markt für Risikokapital, wie er in angelsächsischen Ländern seit langem funktioniert, ist in der Bundesrepublik erst in Ansätzen zu erkennen.

Ausgehend von diesen innovationsfeindlichen Rahmenbedingungen hat die Berliner Wirtschaftspolitik die Technologieförderung zu einer ihrer Hauptaufgaben erklärt, mit dem Ziel, so neue Industrien anzusiedeln. Ein wichtiges Instrument dieser Technologiepolitik ist die Einrichtung von Technologie- und Gründerzentren. Dies hat Tradition: das Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG) wurde 1979 in Zusammenarbeit mit der TU Berlin als erstes deutsches Technologiezentrum eingerichtet. Mittlerweile ist über diese Zentren eine eigene Forschungslandschaft in der Region Berlin/Brandenburg entstanden. Im Rahmen des Technologie-Cluster-Konzeptes der Senatsverwaltung für Wirtschaft soll Berlin Standort für Zukunftstechnologien werden: Informations- und Kommunikationstechnik, Umwelt- und Biotechnologie, Genforschung und Medizintechnik, Neue Werkstoffe und integrierte Verkehrssysteme. Neben den öffentlichen Technologiestandorten wie der WISTA Adlershof, zeichnet sich dabei ein neuer Trend ab, da sich private Unternehmen über sog. public-privat-partnership-

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Konzepte zunehmend direkt in der Technologieförderung engagieren. Das neueste Beispiel dafür ist das Gründerzentrum PHÖNIX, das im Rahmen des Projektes „Am Borsigturm" in Berlin-Tegel im Nordwesten der Stadt entstanden ist und 1997 die Arbeit aufgenommen hat. Es hat sich auf Verkehrstechnologien spezialisiert. PHÖNIX ist ein privatrechtliches Unternehmen, das Betreiberrisiko liegt bei einer Tochter der Herlitz AG. Das Gründerzentrum ist mit über neunzig Prozent Belegung voll ausgelastet und hat es geschafft, daß potente Investoren wie Siemens eine Kooperation mit hier ansässigen jungen Unternehmen anstreben.

Diese Art von Technologieförderung konzentriert sich überwiegend auf junge Wissenschaftler und Techniker, die neue Produkte und Verfahren zur Marktreife entwickeln wollen. Um in der Fläche die Ansiedlung von Investoren zu fördern und Existenzgründern optimale Startbedingungen zu bieten, sind klassische Gründerzentren ohne Technologieorientierung der geeignete Rahmen. Solche allgemeinen Gründerzentren sollen in allen Berliner Stadtbezirken eingerichtet werden. Zur Zeit gibt es in Berlin 13 Gründerzentren und zehn Innovationsparks, in denen insgesamt mehr als 900 Unternehmen mit ca. 8.700 Beschäftigten angesiedelt sind. Auf die ostberliner Stadtbezirke Marzahn, Hohenschönhausen und Pankow entfallen vier Zentren, die z.T. innerhalb größerer Gewebegebiete entstanden sind. In ihnen waren im Frühjahr 1998 ca. 380 Existenzgründer mit ca. 2200 Beschäftigten angesiedelt. Die Mehrzahl der Einrichtungen ist vollständig belegt.

Gründerzentren versuchen eine optimale Umgebung für junge Unternehmen und Selbständige zu bieten. Für einen festgelegten Zeitraum von fünf Jahren können diese Räume zu reduzierten Kosten anmieten. Die Zentren bieten ein Servicepaket, daß neben Bürodienstleistungen zu Vorzugskosten (Sekretariat, allgemeine Verwaltung, Marketing und Produktpräsentation) eine umfassende Beratung in der Gründungsphase einschließt. Diese Beratung ist nach Ansicht des Staatssekretärs der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Branoner, in erster Linie für den Unternehmenserfolg der hier angesiedelten jungen Unternehmen verantwortlich. Gerade Gründer mit einer gewerblich-technischen Qualifikation sind eher auf eine technische Optimierung ihrer Produkte und Dienstleistungen aus, als daß sie sich auf eine erfolgreiche Vermarktung konzentrieren. Aber ohne ein solides Finanzierungskonzept bis in die Expansionsphase, eine genaue Marktanalyse [ Fn. 5: zu klären sind mindestens folgende Fragen: l. Welches sind meine Konkurrenzprodukte und was kosten sie? 2. Wer sind meine potentiellen Kunden? 3. Sind Patente und Rechte für mein Produkt gesichert? 4. Wieviel ist dem Kunden der Qualitätsfortschritt meines Produktes / meiner Dienstleistung wert ?] und ein schlüssiges Unternehmenskonzept scheitern selbst erstklassige

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Produkte und innovative Dienstleistungen am Markt. Durch konstruktive Kritik in der Konzeptphase und die Vermittlung geeigneter Ansprechpartner unterstützen die Gründerzentren ihre Existenzgründer. Dies ist ein Grund, warum die in diesen Zentren angesiedelten jungen Unternehmen gerade in den Anfangsjahren eine geringere Insolvenzquote aufweisen. Mittlerweile erweist sich allein die Tatsache, daß ein Unternehmen innerhalb eines Gründerzentrums angesiedelt ist, als eine Art Gütesiegel bei Gesprächen mit Kapitalgebern und Kooperationspartnern. Dieses zeigt die Anerkennung die diese interne Beratungsleistung am Markt findet. Nichtsdestotrotz bleiben die Unternehmen selbständig und die Inhaber für alle unternehmerischen Entscheidungen verantwortlich. Es geht nicht um Garantien sondern um verbesserte Chancen.

Welche Bedeutung haben nun lokale (bezirkliche) Gründerzentren für die Entwicklung der Großsiedlungen? Zunächst existiert innerhalb der Bewohnerschaft ein Potential qualifizierter Arbeitskräfte, die auf dem lokalen Arbeitsmarkt keine Angebote finden. Gerade Frauen mit Kindern und ältere Arbeitnehmer suchen oft einen wohnungsnahen Arbeitsplatz. Aus dem internen Bedarf der GS an technischen Serviceleistungen (Reparatur, Wartung, Montage usw.) ergeben sich vielfältige Geschäftsmöglichkeiten, die oft an dem nicht vorhandenen Eigenkapital bzw. einer Anschubfinanzierung scheitern. Dazu kommt die günstige Lage der ostberliner GS zwischen dem ostberliner Gewerbegürtel und den Neuansiedlungen im brandenburger Umland. Eine Reihe von Unternehmen haben sich gezielt in der Nähe der Großsiedlungen angesiedelt, weil sie hier ein Arbeitskräftepotential vorfinden und zur Optimierung ihrer Betriebsabläufe einen Standort in der Nähe der Wohnungen ihrer Mitarbeiter suchen. Ein Netzwerk von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als Zulieferer und externe Servicedienstleister, von der Gebäudereinigung bis zu regelmäßigen Wartungsaufgaben, könnte hier zusätzliche Anreize zur Neuansiedlung geben.

Solche Überlegungen liegen dem Förderprogramm der Senatsverwaltung für Wirtschaft von 1996 zu Grunde. In jedem Bezirk sollen 1-2 Gründerzentren entstehen, wobei zunehmend private Investoren als Träger gesucht werden. Die Senatsverwaltung unterstützt solche Investitionen mit einem Zuschuß von maximal 500.000 DM in der Planungs- und weiteren zwei Millionen DM in der Anlaufphase. Zunehmend orientiert sich die Förderung nicht mehr (nur) an der klassischen Gewerbe-/Handwerksgründung, sondern auch auf den Bereich der produk-

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tionsnahen Dienstleistungen. Das neueste Projekt ist die Einrichtung eines Gründerzentrums Mode für kreative kleine Unternehmen, auch um Berlins Ruf als Modestadt zu verbessern.

Trotz dieser hoffnungsvollen Ansätze bleibt das Beschäftigungsproblem in den Großsiedlungen ungelöst. Solche Existenzgründungen sind wichtige Ansätze für ein lokales Wirtschaftswachstum, aber auch hier zeigt sich, daß die vorhandenen Qualifikationen der Arbeitssuchenden und der zukünftige Bedarf nicht übereinstimmen. Für den Staat auf lokaler und Landesebene bleibt die Aufgabe, über Qualifizierungsprogramme, Beratung und Förderung die Rahmenbedingungen zu verbessern. Nur wenn die ostberliner Wohnsiedlungen auch Wirtschaftsstandorte werden, können sie sich zu Stadtteilen weiterentwickeln.

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4.3 Zur Logik lokaler Ökonomien: Königsweg gegen Arbeitslosigkeit?

Während der Tagung wurde Konsens darüber erzielt, daß die anhaltende Arbeitslosigkeit das zentrale Problem für die weitere Entwicklung der Großsiedlungen ist und in Zukunft noch stärker sein wird. Durchaus geteilt waren die Ansichten über die geeigneten Maßnahmen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und die richtige Aufgabenteilung zwischen den Beteiligten. Während Vertreter der Wohnungsunternehmen und der Landesverwaltung einen eher makroökonomischen Ansatz verfolgen, sprechen Sozialwissenschaftler und lokale Behörden immer öfter vom Aufbau „lokaler Ökonomien". Dieses neue Zauberwort bestimmt zunehmend auch die arbeitsmarktpolitische Debatte, da man vielfach festgestellt hat, daß zentral festgelegte Programme und starre Kompetenzaufteilungen zu Parallelarbeit und Ineffizienz führen. Aufgabe eines „komplexen Stadtteilmanagements" ist es, verschiedene Akteure, das sind: Tarifpartner, Kammern und Verbände, Wohnungsunternehmen, Behörden und Arbeitsloseninitiativen in einen permanenten Dialog einzubinden. Aus informellen Koordinierungsgremien sollen Impulse für Investitionen und integrierte Planungskonzepte ausgehen. Derartige Überlegungen sind in der Regional- und Strukturpolitik nicht neu. In der Bundesrepublik scheitern solche Ansätze allerdings regelmäßig an zwei grundlegenden Defiziten:

  • Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften sind zu starr und auf hierarchische, d.h. vertikale Entscheidungsabläufe ausgelegt. Eine horizontale, informelle Entscheidungsfindung innerhalb solcher Gremien scheitert oft an der mangelnden Verhandlungskompetenz der jeweiligen Vertreter, die Kompromisse in der eigenen Institution nicht durchsetzen kön-

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nen. Dies gilt in Ostdeutschland gerade für die Tarifpartner. Bei einem geringen und weiter sinkenden Organisationsgrad tun sich vor allem Vertreter der Arbeitgeberverbände schwer, Zusagen zu geben, an die sich ihre Mitgliedsunternehmen dann nicht gebunden fühlen.

  • im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern wie etwa den Niederlanden gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens über die Lastenteilung solcher Initiativen. Solange es umstritten bleibt, in welchem Ausmaß Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen nach unten flexibel sein können, um zusätzliche Beschäftigung zu schaffen, kommt man selten über Absichtserklärungen hinaus.

Wenn man das Ziel lokaler Ökonomien in der Beschäftigungsförderung über die Kombination verschiedener Instrumente sieht, dann ergibt sich zunächst die Aufgabe die spezifischen Beschäftigungspotentiale eines Quartiers oder Stadtteils zu bestimmen. Im Falle der ostberliner Großsiedlungen sind das zunächst:

  • Bewohnerbezogene Dienstleistungen, solche ergeben sich aus den nicht über öffentliche Agenturen abgedeckten Bedürfnissen oder ergänzen diese: Pflege- und Hauswirtschaftsdienste, Freizeit- und Bildungsangebote, technische Reparatur- und Serviceleistungen und ähnliches;
  • KMU die das vorhandene Arbeitslosenpotential nutzen. Über Umnutzung vorhandener Gebäude, bzw. gewerblichen Neubau innerhalb der Großsiedlungen in begrenztem Umfang, kann dieses Arbeitskräfteangebot erschlossen werden. Hierzu sind in erster Linie technische Dienstleister und kleine Produktionseinheiten der Leichtindustrie geeignet. Unter Umständen ist es möglich. Komponentenfertigung in Heimarbeit zu vergeben. Wichtig ist es, Produktions-Absatz-Ketten zu entwickeln, d.h. man fertigt für den lokalen Bedarf und reduziert dadurch Transport- und Lagerhaltungskosten auf ein Minimum.
  • Gewerbeansiedlung in den Industriegebieten nahe der Großsiedlungen. Dabei bildet die klassische Gewerbeansiedlung über Standortmarketing und Gewerbegebiete die Grundlage. Daß es auch trotz der Konkurrenz des brandenburgischen Umlandes möglich ist, gewerbliche Investoren am ostberliner Stadtrand anzusiedeln, zeigt die Erfolgsbilanz Marzahns: Die Gesamtzahl der Arbeitsplätze lag im Bezirk 1995 um 4554 höher als 1990, obwohl auch hier bei der Abwicklung von DDR-Betrieben durch die Treuhand viele Industriearbeitsplätze verloren gegangen sind. Die Verteilung auf die Branchen ist dabei sehr unterschiedlich. War das Bauhauptgewerbe in der Umbruchphase die wichtigste Stütze des Arbeits

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  • marktes, so befindet es sich wegen der rückläufigen öffentlichen Bauinvestitionen und der auslaufenden Steuerförderung seit zwei Jahren in einer tiefen Strukturkrise, die vor allem die kapitalschwachen Kleinunternehmen in ihrer Existenz bedroht. Während das Handwerk seine Beschäftigung halten konnte, sank sie im Bauhauptgewerbe, bei einer Umsatzsteigerung von 40% pro Beschäftigten (!), Dieser Verdrängungswettbewerb über Produktivitätssteigerungen läßt sich nur über zusätzliche öffentliche Aufträge (zu Lasten konsumptiver Ausgaben) abfedern. Parallel dazu stabilisierte sich das Dienstleistungsangebot und das Verarbeitende Gewerbe.

Als ein positives Beispiel für eine effektive lokale Wirtschaftsförderung sei hier die Arbeit des Projektentwicklers DIBAG (Deutsche Industriebau AG) seit der Vereinigung skizziert. Diese Darstellung stützt sich auf das Referat der Prokuristin, Frau G. Benz. Die DIBAG ist ein Projektentwickler mit Schwerpunkt Gewerbe-/Industriebau. Seit 1991 ist sie im Nordosten Berlins tätig. Das wohl erste Projekt war die Entwicklung eines Sanierungs- und Umnutzungskonzeptes für das Gelände des ehemaligen VEB Stern Radio. Mittlerweile ist hier ein Gewerbe- und Industriepark mit einer Gesamtfläche von ca. 130.000 qm entstanden, auf dem bisher fast 80 Unternehmen angesiedelt werden konnten. Im Gewerbepark „Allee der Kosmonauten" fanden seit 1991 ca. 35 Existenzgründer ihren Standort. In Zusammenarbeit mit den Servicegesellschaften (Projektbetreuer und Treuhänder der Senatsverwaltung für Arbeit) und den Bezirksbehörden erfolgt eine umfassende Beratung der jungen Unternehmen, die bis zur Hilfestellung bei Förderanträgen und Genehmigungen geht Seit 1994 gibt es ein Projekt der Senatsverwaltung für Wirtschaft, aus dessen Mitteln Mietnachlässe für Existenzgründer in den Gewerbeparks finanziert werden. Über eine degressive Staffel werden so die Gemeinkosten der Unternehmen in den Anfangsjahren reduziert, so daß das knappe Eigenkapital in der Produktion und für die Vermarktung eingesetzt werden kann. Insgesamt hat die DIBAG seit 1991 ca. 1200 Personen in einen Dauerarbeitsplatz vermittelt bzw. Kontakte hergestellt, die zu einer Einstellung führten,

Alle diese Instrumente werden nicht im ausreichenden Umfang einfach qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Viele Arbeitslose in den Großsiedlungen wären auch bei einem verbesserten Qualifizierungsangebot nicht (mehr) in der Lage, sich den ständig steigenden Anforderungen des Ersten Arbeitsmarktes anzupassen. Eine (heftig umstrittene) Alternative zur klassischen Beschäftigungsförderung über einen subventionierten Zweiten Arbeitsmarkt ist das Zulassen

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oder sogar Fördern eines größeren Informellen Sektors. Dieser existiert schon für halblegale oder illegale ausländische Arbeitskräfte in den meisten deutschen Ballungsgebieten. Im Gastronomiebereich, dem Gebäudereinigungsgewerbe und ähnlichen, arbeitsintensiven Dienstleistungen wird oft nicht nach korrekten Papieren, wie Arbeitserlaubnis, Steuerkarte und Sozialversicherungsnachweis gefragt. Über die sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze (610 DM - Jobs) werden hier zunehmend auch deutsche Staatsangehörige zu Löhnen unterhalb des offiziellen Tarifgefüges beschäftigt. Neoliberale sprechen von einer „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes von unten", sozialdemokratische Politiker sehen die Finanzierung des gesetzlichen Sozialversicherungssystems gefährdet. Die Bereitschaft einen 'halblegalen' Wirtschaftssektor zuzulassen, dürfte in der Bundesrepublik sehr begrenzt sein.

Knorr-Siedow formulierte aus den Forschungsergebnissen des IRS in ostdeutschen Kommunen ein angepaßtes Konzept: als kommunale Querschnittsaufgabe sollen Dienstleistungsangebote jenseits des Marktes, nach dem lokalen Bedarf, eingerichtet werden. Ein Beispiel wäre die „öffentliche" Autowerkstatt, wo derjenige, der nicht in der Lage ist die Werkstattpreise zu zahlen, sein privates Kraftfahrzeug reparieren kann. So sehr die möglichen positiven Resultate zu begrüßen sind: Nachbarschaftshilfe, ein Zusatzeinkommen für den helfenden langzeitarbeitslosen Schlosser, eventuell sogar ein Kfz-Grundkurs für Jugendliche ohne Lehrstelle, so problematisch sind die externen Effekte. Zum einen entziehen solche informellen Angebote marktgebundenen Dienstleistern die ohnehin knappe Kaufkraft und sorgen so möglicherweise für neue (offizielle) Arbeitslosigkeit, zum anderen bewegen sich solche ökonomischen Inseln außerhalb der etablierten Regelwerke, so daß neue Probleme entstehen: Entspricht die Reparatur in einer solchen Werkstatt den TÜV-Standards, wer haftet bei einem Arbeitsunfall?

Fazit: Lokale Ökonomien können für bestimmte Arbeitslosengruppen Chancen bieten und helfen das Einkommen in einem Quartier zu stabilisieren Besonders für Jugendliche bieten sie nur eingeschränkt Ausbildungsplätze und damit berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. So sinnvoll solche Projekte im Einzelfall sein mögen, so vorsichtig sollte man sein, sie als Lösungsansatz für den Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern hochzuloben. Auf keinen Fall können sie gesamtstaatliche Strategien gegen die Strukturdefizite in Ostdeutschland ersetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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