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[Seite der Druckausgabe: 37 / Fortsetzung]


5. Kleine und mittlere Unternehmen als Träger des Strukturwandel

In Deutschland gibt es mehr als 2,1 Millionen kleine und mittlere Unternehmen. 64 Prozent aller Arbeitsplätze im gesamten Bundesgebiet werden von den kleinen und mittleren Unternehmen gestellt. Alleine in den alten Bundesländern finden über 17 Millionen Menschen Arbeit in diesen Unternehmen. In den neuen Bundesländern gibt es heute bereits 440.000 kleine und mittlere Unternehmen einschließlich der freien Berufe, bei denen knapp 3 Millionen Menschen arbeiten. Ein gutes Drittel davon, rund 1 Millionen Menschen, sind in den Handwerksbetrieben tätig, im Dienstleistungsgewerbe arbeiten knapp 700.000 Beschäftigte und in den 11.000 Betrieben des industriellen Mittelstandes finden immerhin 550.000 Menschen Arbeit. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft wurden zwischen 1970 und 1985 in kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, während in den Großunternehmen kontinuierlich Arbeitsplätze abgebaut wurden.

Kleine und mittlere Unternehmen sind aber nicht nur für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen vor großer Bedeutung. Sie haben zudem eine wichtige Funktion im Strukturwandel einer Volkswirtschaft. Neugegründete Unternehmen sind in der Regel kleine Betriebe. Ihr Markterfolg ist unmittelbar von der Fähigkeit abhängig, neue Produkte, Produktionsverfahren oder Vertriebsideen zu entwickeln und umzusetzen. Und auch auf längere Zeit sind kleine und mittlere Unternehmen darauf angewiesen, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren, um dauerhaft am Markt überlebensfähig zu bleiben. Diese hohen Anforderungen bieten aber auch eine große Chance, da der kontinuierliche Zwang zu Flexibilität und Innovationen zugleich ein Garant für eine kundenorientierte Produktion ist. Außerdem sind die Strukturen in kleinen und mittleren Unternehmen in der Regel wesentlich innovationsfreundlicher als bei Großunternehmen. Hier sind die Entscheidungs- und

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Kommunikationswege kürzer und meistens effizienter, so daß Produktionsumstellungen leichter vorzunehmen sind als bei größeren Betrieben, deren Rentabilität ja gerade von einer kontinuierlichen Produktion abhängt.

Wissenschaftler sprechen den kleinen und mittleren Unternehmen daher eine besondere Bedeutung für die Innovationstätigkeit einer Volkswirtschaft zu. Diese Bedeutung läßt sich anhand eines wissenschaftlichen Instrumentes, dem Mannheimer Innovationspanel, eindrucksvoll dokumentieren. Das Mannheimer Innovationspanel wird gegenwärtig im Rahmen des vom Bundesministerium für Forschung und Technologie in Auftrag gegebenen Projektes "Erhebungen zur Beschreibung des Innovationsverhaltens der deutschen Wirtschaft" am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Zusammenarbeit mit dem Institut für angewandte Sozialforschung (infas) aufgebaut. Die erste Erhebung, an dem sich 3.000 ost- und westdeutsche Unternehmen beteiligt haben, wurde im Frühsommer 1993 durchgeführt. Die Datensätze zu den einzelnen Unternehmen enthalten eine Vielzahl von Informationen zu den Bereichen Unternehmensprofil, Kostenstruktur, Indikatoren des Innovationserfolgs, Innovationsaufwendungen, Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE), Innovationsziele und Innovationshemmnisse.

Die Analysen für das Jahr 1992 zeigen im Hinblick auf die Innovationsintensität, daß die Aufwendungen für Innovationen in Relation zum Umsatz deutlich mit der Beschäftigtengröße abnehmen.

Bei der FuE-Intensität sind die Unterschiede zwischen den Beschäftigtengrößenklassen relativ gering. Kleine Unternehmen werden nur von den Großunternehmen übertroffen. Abbildung 15 verdeutlicht dagegen die große Bedeutung kleiner Unternehmen im Bereich Produktneuerungen. Gemessen an der Umsatzstruktur mit neuen oder wesentlich verbesserten Produkten weisen sie den höchsten Neuigkeitsgrad ihrer Produktpalette auf.

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5.1 Probleme kleiner und mittlerer Unternehmen

Vertreter der mittelständischen Wirtschaft bemängeln, daß kleine und mittlere Unternehmen trotz ihrer überdurchschnittlichen Innovationsfähigkeit bislang nur in sehr geringem Umfang von staatlicher Innovationsförderung profitierten. Zwar propagierten heute alle etablierten Parteien eine "Technologieoffensive", öffentliche Fördermittel werden aber weiterhin hauptsächlich an Großunternehmen vergeben, wobei selbst umstrittene Großprojekte wie der Transrapid aus Bundesmitteln vergleichsweise großzügig bedacht werden.

Als typisches Beispiel für die Probleme mittelständischer Unternehmen bei der Erlangung öffentlicher Fördermittel kann das Beispiel des Ulmer Ingenieurs Dr. Lewicki gelten. Diesem gelang in den 70er Jahren in seinem Kellerlabor die Entwicklung eines mikroelektronischen Bausteins, der geeignet war, die starken Belastungen während der Startphase einer Rakete unbeschadet zu überstehen - ein Projekt, an dessen Realisierung zuvor die hochdotierten Konzernlabors von Bosch und Siemens gescheitert waren. Lewickis Baustein erwies sich als so leistungsfähig, daß er noch heute in den Voyager-Sonden der NASA Anwendung findet. Und der Ulmer Ingenieur vermochte auf der Basis dieses Erfolges ein florierendes internationales Unternehmen aufzubauen. Zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen, aber die Umstände, unter denen der Ulmer Tüftler seine Erfindung erstellte, sind heute immer noch symptomatisch. So mußte Dr. Lewicki bei der Realisierung seiner Konzeption gänzlich auf staatliche Zuschüsse und auf Kredite von Banken verzichten. Den Mittelvergebern im Forschungsministerium erschien damals der Bereich Mikroelektronik als zu exotisch und den Banken war das Projekt zu riskant.

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Ein zentrales Problem mittelständischer Unternehmen ist unverändert der Mangel an Kapital, der oftmals die Realisierung neuer Ideen verhindert. Staatliche Fördermittel zu erlangen, ist heute angesichts leerer öffentlicher Kassen noch schwieriger geworden, als es bereits vor 20 Jahren war. So gibt es in Deutschland inzwischen zwar über 600 verschiedene Förderprogramme vom Bund, den Ländern, den Kommunen oder der EU - sich einen Überblick über diese Programme und die sehr unterschiedlichen Anforderungen und Förderrichtlinien zu verschaffen, ist jedoch für einen normalen Unternehmer sehr schwierig. Und wer dann doch erfolgreich das für ihn zutreffende Programm gefunden hat, sieht sich mit schier endlosen Antragsformularen konfrontiert. Es sei daher aus Sicht eines Mittelstandsvertreters mehr als verständlich, daß Handwerker und andere Gewerbetreibende entnervt kapitulieren und auf eine Antragstellung verzichten. Besonders negativ ist es für kleine und mittlere Unternehmen zudem, daß sie auch bei den öffentlichen Förderprogrammen mit ihrem gesamten Privatvermögen haften müssen. So muß bei der Beantragung von Fördermittel des Bundes aus dem European Recovery Programm (ERP) oder dem Eigenkapitalhilfeprogramm (EKH) nicht nur der Antragsteller, sondern auch dessen Ehepartner mit seinem gesamten Privatvermögen haften. Zudem wird bei Unterstützungsmaßnahmen für notleidende Unternehmen immer noch mit zweierlei Maß gemessen. Großkonzerne werden vom Bund oder den Ländern in Krisenzeiten oftmals mit erheblichen finanziellen Zuschüssen gestützt, während kleine und mittlere Unternehmen solche Unterstützungen nur in Ausnahmefällen erhalten. Bei aller Kritik an der Mittelvergabe bei den Förderprogrammen der öffentlichen Hand ist die positive Bedeutung dieser Programme für die mittelständische Wirtschaft unumstritten. Heute wird in den neuen Bundesländern jede zweite Existenzgründung mit öffentlichen Mitteln gefördert. Seit 1990 wurden insgesamt mehr als 26,3 Mrd. DM an EKH- und ERP-Mitteln zugesagt.

Sehr problematisch ist es für kleine und mittlere Unternehmen zudem, Risikokapital von den Banken zu erhalten. Denn offenbar dominiert bei den deutschen Banken immer noch die Einstellung, daß (Risiko-)Kapital erst dann vergeben wird, wenn alle absehbaren Risiken durch umfassende Studien ausgeschlossen sind. Die leichtfertige Kreditvergabe bei den jüngsten Bankenskandalen scheint zudem das alte Vorurteil zu bestätigen, daß große Kreditvolumina bei den Banken schneller und unproblematischer vergeben werden als kleine Kredite. Und wenn kleine und mittlere Unternehmer dann doch einen Kredit erhalten, sehen sie sich oftmals mit unverhältnismäßig hohen Zinsen konfrontiert. Hinzu kommt, daß mittelständische Unternehmen immer noch weitgehend vom anonymen Kapitalmarkt in Deutschland ausgeschlossen sind. Das kürzlich vom Deutschen Bundestag verabschiedete "Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechtes" wird daher von Mittelstandsvertretern als wichtiger Schritt zur Öffnung des Aktienmarktes für kleine und mittlere Unternehmen begrüßt.

Kritik äußern mittelständische Unternehmer auch am deutschen Steuersystem. Denn steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten gibt es nur bei Anlagevermögen. Doch gerade bei High-Tech-Unternehmen ist das Umlaufvermögen besonders hoch. Hier fordern Vertreter der mittelständischen Wirtschaft Änderungen, da sie sich von erweiterten Abschreibungsregeln eine Verbesserung der Möglichkeiten zur Eigenkapitalbildung versprechen.

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5.2 Umwelttechnik als Zukunftschance für die mittelständische Wirtschaft

Die Umwelttechnik ist nach übereinstimmender Einschätzung aller Experten die Wachstumsbranche Nummer 1. Zurückhaltende Schätzungen gehen davon aus, daß das Marktvolumen alleine in Deutschland bis zum Jahre 2000 auf einen Wert von 200 Mrd. DM ansteigen wird (nach optimistischen Prognosen sogar auf 360 Mrd. DM), und fast 100 neue Berufe im Bereich Umweltschutz und damit eine Fülle neuer Arbeitsplätze entstehen werden. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt zu dem Ergebnis, daß im Jahre 2000 rund 1,1 Millionen Menschen in Deutschland in der Umwelttechnik arbeiten werden; die Beschäftigungszahlen in diesem Bereich würden sich damit innerhalb der kommenden 5 Jahre nahezu verdoppeln.

In Deutschland hat sich die Umwelttechnik bereits jetzt zu einem Exportschlager entwickelt, der auch in der Rezession der letzten Jahre relativ stabil blieb. Schon heute ist der Exportumsatz der Umwelttechnologie doppelt so hoch wie der der Stahlbranche. Deutsche Umwelttechnik ist in vielen Bereichen führend auf den Weltmärkten. Aber Fachleute warnen, daß die deutschen Unternehmen ihre Spitzenstellung schon bald verlieren könnten. Denn die internationale Konkurrenz hat angesichts des gigantischen Wachstumspotentials ihre Anstrengungen auf diesem Markt intensiviert. In den USA hat Präsident Bill Clinton die Umwelttechnik zur Chefsache Nr. 1 erklärt. Die deutsche Umwelttechnikbranche wird sich daher in den kommenden Jahren auf einen wesentlich verschärften internationalen Konkurrenzkampf einstellen müssen.

Kleine und mittlere Unternehmen sind in den neuen innovativen Wirtschaftsbereichen besonders stark vertreten. So wird beispielsweise der Bereich Photovoltaik von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert. Ein Vertreter der mittelständischen Wirtschaft zeigt sich jedoch besorgt über wachsende Konzentrationsprozesse in der Umweltbranche, die nicht nur zu Lasten der Unternehmen, sondern generell zum Schaden der Umwelttechnik führen könnten. Als Beispiel nennt er den Bereich Abfallentsorgung und Recycling, der traditionell eine Domäne kleiner und mittlerer Unternehmen, wie dem Schrott- oder dem Altpapierhändler, war. Heute werden die mittelständischen, regionalen Entsorgungsstrukturen immer weiter zurückgedrängt, da die Energieversorgungsunternehmen diesen lukrativen Markt für sich entdeckt haben. Hier besteht die Gefahr einer Monopolisierung. Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft plädiert daher für die Schaffung eines "Netzwerkes Duale Systeme Mittelstand" als Antwort auf das von den Energieversorgungsunternehmen beherrschte Duale System Deutschland.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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