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[Seite der Druckausgabe: 23]

IV. Skizzen für ein neues Modell: Die gemeinwohl-orientierte Marktwirtschaft

1. Umfassende Reform

Schon die Genesis der Industrie-, und Technologiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland zeigt: Sie war immer dann ein taugliches Mittel, wenn sie auf die tatsächlichen Probleme gerichtet war und dabei die Wechselwirkung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Blickpunkt hatte. Deutschland steckt heute vor allem in einer Innovationskrise. Wenn in Deutschland in der zweiten Hälfte der 90er Jahre keine dramatische Kurskorrektur vorgenommen wird, dann sind unsere Startbedingungen für den Weg ins 21. Jahrhundert denkbar schlecht. Deutschland braucht für seine Zukunft ein neues Textbuch - ein Innovations-Libretto für das 21. Jahrhundert. Innovationen braucht Deutschland in der gesamten Wertschöpfungskette: von den Ideen für neue Produkte über eine Fertigung jenseits des alten Taylorismus bis hin zu einer neuen Positionierung auf den Wachstumsmärkten von morgen. Auch die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden: Deutschland braucht einen schlanken und leistungsfähigen Staat und eine moderne integrierte Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik. Eine moderne "strategische Wettbewerbs- und Technologiepolitik" muß als gezielte Bündelung aller Teilkonzepte, die mit einer grundlegenden Reform von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft verbunden sind, verstanden werden. Diese Konzeption setzt auf Kooperation in der internationalen Arbeitsteilung, auf eine Technologieentwicklung, welche durch die gesellschaftlichen Bedürfnisse gesteuert wird, auf eine Beschäftigungspolitik, welche die sozialen Folgen des Strukturwandels mildert und steuert, sowie auf einen Innovationsprozeß bei Produkten und Produktionsverfahren, welcher über Qualifikation und Partizipation die "human ressources" mit den "human interests" optimal kombiniert. Diese Konzeption zielt auf die Sicherung und Stabilisierung eines produktiven Kerns der nationalen Wirtschaft und auf eine möglichst ausgewogene regionale Entwicklung. Ihre zwei Hauptbestandteile sind ein kurzfristiges Stabilisierungsprogramm und ein mittelfristiges Innovationsprojekt.

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2. Kurzfristiges Stabilisierungsprogramm

Eine durchgreifende konjunkturelle Belebung ist erst ansatzweise in Sicht. Die bisher nur vom Export getragene leichte Erholung bedarf unbedingt einer Belebung beim Inlandsverbrauch und auch bei den Investitionen, um zu einem anhaltenden Aufschwung zu führen. In den neuen Bundesländern sind als Ergebnis der Transformationskrise weitgehend die Grundlagen einer eigenständigen wirtschaftlichen Basis zerstört worden. Die Industrie- und Wirtschaftspolitik muß - aus Gründen der Wiedererlangung von Handlungsspielraum durch den dann möglichen Abbau von Sozialtransfers - darauf abzielen, eine solche Basis wieder zu schaffen, "die originär ist und die es den Menschen ermöglicht, interregional im Wirtschaftsaustausch das Einkommen zu verdienen". [ Fn.25: Reimut Jochimsen: Strukturpolitik als notwendiger Politikbereich einer sozialen Marktwirtschaft, in: Harry W. Jablonowski/Rolf Simons (Hrsg.): Strukturpolitik in Ost und West. Zwischen Steuerungsbedarf und ordnungspolitischem Sündenfall, Köln 1993] Hierzu bedarf es besonderer strukturpolitischer Anreize, um zumindest für die industriellen Kerne eine Entwicklungsbrücke zu schaffen; im Zentrum werden dabei die Gründung von Holding-Gesellschaften und die ziemlich gestaffelte finanzielle Absicherung eines festen Sanierungszeitraums stehen müssen. Darüber hinaus brauchen gerade die neuen Länder Hilfen bei der Ansiedlung neuer Betriebe und bei der Mobilisierung neuer Absatzmärkte.

Außerdem wird eine Investitions-Offensive notwendig. In ihrem Zentrum muß ein auch von den Gewerkschaften gefordertes beschäftigungswirksames Sofortprogramm stehen, mit dem einerseits ein "Infrastrukturprogramm Ost" und andererseits ein "Innovationsprogramm West" umgesetzt werden kann. Der Schwerpunkt eines solchen Stabilisierungsprogramms sollte dabei in einem Vorziehen der öffentlichen Investitionen im Infrastrukturbereich (Energie, Verkehr, Umweltschutz) sowie in einer befristeten Investitionsprämie im privaten Bereich liegen. Der Umfang sollte dabei nicht unter 30 Mrd. DM liegen. Flankiert werden muß ein solches Programm durch eine entsprechende Zinspolitik der Bundesbank und eine entsprechende Finanzpolitik der Bundesregierung.

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3. Kontrakt gegen Arbeitslosigkeit

Betrachtet man die gesellschaftliche Realität und folgt man den Prognosen der Forschungsinstitute, so führt kein Weg an der Schlußfolgerung vorbei: die Schlüsselfrage für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte liegt in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Schon heute fehlen 6 Millionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, 4 bis 5 Millionen Menschen leben von der Sozialhilfe, und hinzu kommen nochmals ca. 2 Millionen, die in verdeckter Armut leben. Es darf kein Arrangement mit einer solchen Situation geben, die gravierende Auswirkungen auf eine Vielzahl von Feldern hat:

  • die Sozialpolitik: Eine mittelfristige Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme - die auf dem Grundsatz der Erwerbsarbeit aufbauen - ist abhängig von der Anzahl der Menschen, die einen Arbeitsplatz haben.

  • die politische Stabilität: Massenarbeitslosigkeit, Verarmungstendenzen und Perspektivlosigkeit drohen schon heute, den sozialen Konsens in der Bundesrepublik nachhaltig zu stören oder gar zu zerbrechen.

  • die Befriedigung wichtiger Bedürfnisse: uns geht nicht die Arbeit aus. In den Bereichen Umweltschutz, soziale Pflege, Aus- und Weiterbildung oder der Gleichstellungspolitik bleiben viele Dinge unerledigt. Aber gerade diese Arbeitsfelder werden nicht von alleine zu Arbeitsplätzen. Hier hat ein fiskalisch wieder konsolidierter Staat eine zentrale Gestaltungsaufgabe.

  • die Innovationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft: 6 Millionen Arbeitslose sind nicht nur ein soziales Problem, sondern entziehen den notwendigen Reformanstrengungen auch erhebliche materielle und menschliche Ressourcen. Das EG-Weißbuch "Wachstum, Wettbewerb, Beschäftigung" formuliert hier völlig zurecht, daß unser aktuelles Entwicklungsmodell gekennzeichnet ist "durch eine ungenügende Nutzung der Arbeitsressourcen und eine übermäßige Nutzung natürlicher Ressourcen". [ Fn.26: Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Wachstum, Wettbewerb, Be schäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert, Brüssel 1993 (Weißbuch)]

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Erscheint also ein Festhalten am gesellschaftlichen Ziel der Vollbeschäftigung dringend erforderlich, so ergeben sich doch für die Realisierung erhebliche Probleme. Diese liegen erstens in der schieren Größenordnung: ein beschäftigungswirksames Konjunkturprogramm kann vielleicht 100.000 oder 200.000 Arbeitsplätze direkt schaffen und stabilisiert durch die indirekten Effekte eine Reihe weiterer. Aber damit wäre das aktuelle Problem noch nicht einmal zu einem Zehntel gemildert. Zweitens ist davon auszugehen, daß eine Umorientierung der Wirtschaft und Gesellschaft von einer umwelt- zu einer arbeitsintensiven Rationalisierung nicht in kurzen Sprüngen zu vollziehen ist, sondern eine erhebliche Anpassungszeit benötigt. Und drittens wird dieser Prozeß begleitet von einem Auflösen der klassischen Berufsbilder; eine lebenslang gleichbleibende Tätigkeit wird ebenso zur Ausnahme wie eine lebenslang ausreichende Berufsbildung und Qualifikation. Dies führt aber dazu, daß neben einem sich verfestigenden Sockel an Langzeitarbeitslosen eine mehrfache Unterbrechung der Berufstätigkeit zum Regelfall wird.

Aus diesen Gründen bedarf es einer mittelfristig angelegten gezielten Beschäftigungspolitik und eines "Kontrakts gegen die Arbeitslosigkeit", mit dem der Arbeitsstandort Deutschland gesichert und qualitativ weiterentwickelt wird. Seine Basis bildet eine sozial gerechtere Besteuerung und die Entlastung der Sozialversicherung von der Finanzierung des Aufbaus Ostdeutschlands. Dabei müssen die Kosten des Faktors Arbeit gesenkt und die Kosten des Faktors Umwelt verteuert werden, um so die Rohstoff- und Energieproduktivität mit einem marktwirtschaftlichen Instrumentarium zu erhöhen. Auf diesem Wege können auch Produktionsarbeitsplätze in der Bundesrepublik gesichert und stabilisiert werden.

Zweitens ist es notwendig, die Organisation der Arbeit grundlegend zu reformieren. Nach wie vor dominieren in Industrie und Verwaltung ausführende Tätigkeiten, bleibt das vorhandene Kreativitätspotential bei weitem ungenutzt. Hierin liegen sicherlich auf der einen Seite enorme Chancen zur Kostensenkung, die dann wiederum negative Arbeitsplatzeffekte nach sich ziehen werden. Andererseits sind die veränderten Arbeitsplätze nicht nur konkurrenzfähig, sondern auch anspruchsvoller und in qualitativer Hinsicht "arbeitsintensiver". Wird eine solche Reform dann noch ergänzt um Möglichkeiten zur sinnvollen Verteilung der vorhandenen Arbeit, z.B. durch weitere Arbeitszeitver-

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kürzungen, mehr Teilzeitarbeit, Sabbaticals oder flexible Qualifizierungszeiten, können die negativen Auswirkungen zu einem guten Teil begrenzt werden.

Ein dritter Eckpfeiler ist in einer Qualifizierungs-Offensive zu sehen, die nicht nur auf die traditionellen Problemgruppen des Arbeitsmarktes, insbesondere Un- und Angelernte, zielen darf, sondern Formen lebenslangen Lernens ermöglicht. Hierzu müssen eine Öffnung und Durchlässigkeit der bestehenden Bildungseinrichtungen forciert, neue flexible Weiterbildungsangebote implementiert und verläßliche Rahmenbedingungen zur Finanzierung solcher Qualifizierungszeiten sichergestellt werden.

Ein vierter Eckpfeiler besteht in einer intelligenten Ausweitung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die unkreative Haushaltspolitik der konservativ-liberalen Bundesregierung hat das Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik substantiell untergraben. In der Auswertung der Erfahrungen in den neuen Bundesländern erscheint es notwendig, nicht nur den "Status quo ante" wiederherzustellen, sondern ihn zu ergänzen um den Aufbau eines öffentlich geförderten, aber tariflich geregelten Arbeitsmarktes auf der einen Seite und um eine stärkere Verzahnung der Arbeitsmarktpolitik mit einer regional wirksamen Strukturpolitik auf der anderen Seite.

Fünftens ist es notwendig, eine Offensive für Partizipation auf der betrieblichen Ebene zu beginnen. Die Einführung der 4-Tage-Woche bei VW hat gezeigt, daß ein Unternehmen auch zu unkonventionellen Maßnahmen bereit ist. Die Umsetzung einer arbeitsorientierten Variante ist aber offensichtlich geknüpft an das Niveau der Partizipation der Beschäftigten sowie die frühzeitige und intensive Einbeziehung der Gewerkschaften.

Eine so angelegte Beschäftigungspolitik bietet sicherlich keine Beschäftigungsgarantie. Sie nimmt auch von der Illusion Abschied, daß in einer sich dynamisch verändernden wirtschaftlichen Umwelt ein einfaches Modell von Beschäftigungsförderung durch Nachfragestabilisierung heute noch tauglich wäre. Sie setzt auf die Bereitschaft aller Akteure, an ihrer Realisierung mitzuwirken.

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4. Neues Wettbewerbsmodell

Die skizzierten Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld, insbesondere die mit der Globalisierung der Märkte und der Innovation verbundenen Probleme, erfordern eine Verbindung dieser Herausforderungen mit einem sozial- und ökologieverträglichen Entwicklungskonzept auf internationaler Ebene. Angesprochen ist hier zunächst die Handelspolitik: in der aktuellen Diskussion dominiert nach wie vor der unfruchtbare Gegensatz von Freihandelsideologie und Protektionismus. Beide Ansätze sind aber offenkundig nicht geeignet, ein solches Entwicklungskonzept zu stabilisieren. Ein reiner Freihandel abstrahiert von den völlig unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der einzelnen Länder in technologischer, ökologischer und sozialer Hinsicht und führt zu einem Standortwettbewerb, der zunehmend durch die Kostenseite entschieden wird. Eine Zunahme an Protektionismus erhöht das Risiko von Abwertungswettläufen, von Abkoppelungsprozessen, von ökonomischen und von politischen Konflikten. Notwendig erscheint im Gegensatz zu diesen eher dogmatischen Positionen die Konzeption eines gestalteten Handels, der - etwa im Rahmen einer Weiterentwicklung des GATT zu einer neuen Welthandelsorganisation WTO - eine grundlegende Reform der globalen Handelsbeziehungen mit multilateralen Regeln, abgestimmten Zielvorstellungen und wirksamen Sanktionen ermöglicht.

Daneben muß national und international ein neuer Wettbewerbstyp etabliert werden, der Abschied nimmt vom perspektivlosen und zerstörerischen Verdrängungswettbewerb von Unternehmen und Standorten, welcher eine Abwärtsspirale von Sozial-, Umwelt- und in seiner Logik auch Demokratisierungsstandards in Gang setzt. Der Wettbewerb muß sich - bei definierten und gleichen Entwicklungschancen - stärker um qualitative Kriterien wie z.B. Energievermeidung, Ressourcennutzung und soziale Verträglichkeit gruppieren. Erst vor diesem Hintergrund erscheint ein umweltverträgliches Wachstum möglich.

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5. Neues Wachstumsmodell: ökologischer Umbau

Ein Festhalten am alten Wachstumsmodell, welches geprägt ist durch einen zunehmenden Verbrauch an natürlichen Ressourcen, ist längst an innere und

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äußere Entwicklungsschranken gestoßen. An innere, weil Wachstum in den Industrieländern schon heute als nicht nur sozial problematisch angesehen wird, sondern einhergeht mit wachsenden Umweltbelastungen und einem Rückgang an Lebensqualität. Die EG-Kommission wirft in ihrem Weißbuch sogar die Frage auf, "ob die Wachstumszahlen nicht zu einem immer größeren Teil Scheinfortschritte anstelle einer echten wirtschaftlichen Entwicklung messen (...)". [ Fn.27: Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Wachstum, Wettbewerb, Be schäftigung, a.a.O.] So machen allein die externen Kosten der heutigen Verkehrssysteme durch Umweltverschmutzung, Unfälle und Staus 3 bis 4 % des BIP aus. Hinzu kommt: eine Übertragung dieses "Wohlstandsmodells" auf die Reformstaaten im Osten und die Entwicklungsländer ist mit dem "Ökosystem Erde", seinen Rohstoffvorräten und seiner Belastbarkeit nicht vereinbar. Ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft kann nicht im Alleingang oder Selbstlauf erfolgen. Deshalb muß er durch eine entsprechende Politik initiiert, gestützt und begleitet werden.

Der wichtigste Schlüssel hierzu liegt in der Durchführung einer ökologischen Steuerreform: nur wenn durch externe Anreize ein eigenständiger, "autonomer" Innovationsbedarf in ökologischer Richtung entsteht und auch als Markt relevant wird, erhält eine solche Strukturreform Dynamik und Stabilität. Darüber hinaus bietet eine solche Steuerreform auch die beschäftigungspolitisch wünschenswerte Möglichkeit, den Faktor Arbeit zu ent- und den Faktor Umwelt zu belasten. Erst wenn die Preise die "ökologische Wahrheit" [ Fn.28: Ernst U. von Weizsäcker: Erdpolitik, a.a.O.] sagen, ist die Marktwirtschaft in der Lage, eine sinnvolle Allokation von Ressourcen und eine Mobilisierung von ökologischen Innovationen voranzutreiben. Ein zweiter zentraler Ansatz besteht in einem veränderten Umweltordnungsrecht. Die Erfahrungen mit "Technischen Anleitungen" etwa im Bereich Luft oder Wasser belegen eindeutig, daß mit gezielt eingesetzten Ge- und Verboten sowie mit Vorgaben für Grenzwerte, Kreislaufsysteme u.ä. nicht nur meßbare umweltpolitische Erfolge erreicht werden konnten, sondern ein Innovationsschub ausgelöst wurde, der die Position der Wirtschaft nicht geschwächt, sondern gestärkt hat. Allerdings müssen bestehende bürokratische Überregulierungen abgebaut werden. Gerade der Markt für Umwelttechnik bedarf solcher externer Mobilisierung. Und er ist ein wichtiger Zukunftsmarkt: der Welt-Umsatz wird

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von heute 600 Mrd. DM auf über 1 Billion im Jahr 2000 steigen. Es gibt die Chance, in diesem Sektor über 800.000 neue, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Von dieser End-of-pipe-Technologie muß aber jetzt der nächste Schritt zum integrierten Umweltschutz vollzogen werden. Erst so kann der Quantensprung zu einer Clean Production gelingen. Wie eine solche Neuorientierung aussehen könnte, beschreiben Berger/Servatius [ Fn.29: Vgl. Roland Berger. Hans-Gerd Servatius: Die Zukunft des Autos hat schon be gonnen - Ökologisches Umsteuern als Chance, München 1994] am Beispiel der Automobilindustrie: Verkehr vermeiden, verschiedene Transportsysteme verbinden, Mobilität mit green products, mit neuen Fahrzeug- und neuen Antriebskonzepten schaffen. Umweltgerechte Produktion vom "begin of the pipe", von der Beschaffung bis zur Distribution, von der Konstruktion bis zum Recycling der Altfahrzeuge. Durch eine innovative, ja avantgardistische Industrie- und Technologiepolitik auf den Feldern der Informations- und Kommunikations-, der Mikrosystem-, der Bio- und Umwelttechnik und im Bereich neuer Materialien, neue Produkte und neue Produktionsverfahren kann nicht nur der ökologische Umbau erreicht, sondern zugleich eine technologische Spitzenstellung gesichert werden.

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6. Regionale Dimension - "global denken - regional handeln"

Das Leben der Menschen, ihre sozialen Beziehungen, die Arbeit, die Qualifikation, all das findet weniger im nationalen als vielmehr im regionalen Rahmen statt. Dies bietet grundsätzlich die Möglichkeit einer besseren Beteiligung und Partizipation an den zentralen Weichenstellungen. Im übrigen kann hier von den aktuellen Unternehmenserfahrungen gelernt werden: das neue Konzept einer flexiblen Spezialisierung kleiner, dezentral agierender Einheiten anstelle der relativ großen unbeweglichen Konzerne zielt ja auch auf mehr Effizienz durch verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten der Mitarbeiter.

Zuallererst ist hier eine gezielte Regionalisierung der Industrie-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik zu nennen. Dies schließt die finanzielle Seite ebenso ein wie den Aufbau von regionalen Entscheidungsstrukturen (z.B. Regionalkonferenzen unter der Beteiligung von Arbeitnehmern, Gewerkschaften, Wirtschaftsförderung. Arbeitsverwaltung etc.). die Entwicklung von regional wirk-

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samen Risikokapitalfonds, die Etablierung von neuen Kooperationsmodellen sowohl zwischen den Unternehmen sowie als neue Modelle einer "Public-Private-Partnership". Eine solche regionalisierte Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Strukturpolitik braucht aber auch einen "institutionellen" Ort in der Region, etwa Wirtschaftsförderungsgesellschaften. Dabei kommen neue Anforderungen insbesondere auf die Kreise, Städte und Gemeinden zu. Die besonderen regionalen Stärken und Führungsvorteile müssen herausgearbeitet. die interessanten industriell-technisch-wissenschaftlichen Cluster gefördert, und es muß ein Standortmarketing entwickelt werden.

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7. Neukonzipierung der Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik

Ein solcher Ansatz benötigt eine neue Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik auf Bundesebene: Jenseits alter Dogmen von den allein möglichen "Selbstheilungskräften des Marktes" einerseits und Vorstellungen über eine staatliche Planung und Lenkung von Investitionen andererseits erfordern die geschilderten Rahmenbedingungen und Ansätze ein neues Niveau an Gestaltung und der Koppelung von wirtschaftlicher Prosperität mit gesellschaftlichem Fortschritt.

Ein erster Ansatzpunkt hierzu ist die Suche nach einem Konsens über neue Wachstums- und Bedarfsfelder. Es sollte angelehnt an den "Competitiveness Policy CounciI" in den USA in Deutschland ein "Wettbewerbs- und Technologie-Rat" geschaffen werden. Dort ist dann der Ort, regelmäßig eine integrierte Analyse der Industrie- und technologiepolitischen Defizite vorzunehmen und Handlungsfelder im Konsens zu benennen. Dieser Rat sollte die in den 60er Jahren unter dem Rahmen einer nationalen Wirtschaftspolitik entstandenen Instrumentarien (Stabilitätsgesetz, Sachverständigenrat usw.) sinnvoll ergänzen.

Ein zweiter Ansatz ist in einer stärkeren organisatorischen Integration von heute isolierten Politikfeldern zu sehen. Dies gilt insbesondere für die Trennung von Wirtschafts-, Umwelt-, Arbeitsmarkt-, Forschungs- und Bildungspolitik. Es ist bei der Formulierung von Programmen stärker Wert auf ihre

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Synergieeffekte zu legen; sie müssen aufeinander und auf die übergeordneten Ziele abgestimmt werden.

Auch in einer dritten Perspektive wird die Bundesebene zunehmend zum Moderator, zu einer Schnittstelle zwischen dem Bedeutungszuwachs der Regionen und der Globalisierung. Es sind für die Währungs-, Finanz- und Außenhandelspolitik im allgemeinen sowie für die EU-Politik im besonderen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine stabile regionale Entwicklung und substantielle Schritte hin zu einem ökologischen Umbau auch im internationalen Bereich ermöglichen. Und es müssen Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Politikebenen (Bund, Länder, Regionen, Kommunen) gefunden werden, die auf tatsächliche Lösungsstrategien statt auf Verschiebestrategien basieren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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